Beiträge

Es gibt noch viel zu tun

Gut 40 Interessierte aus Politik und Wirtschaft waren der Einladung der Stadt gefolgt, um sich aus erster Hand in die komplexen Zusammenhänge des Braunkohle-Kompromisses und der weiteren Perspektive der Energieversorgung in NRW und im Bund einführen zu lassen.

Zu diesem Zweck durfte der Kevelaerer Bürgermeister Dominik Pichler den Oberregierungsrat im NRW-Wirtschaftsministerium, Daniel Findorff, begrüßen, der Kevelaer aus einem Besuch mit der Familie im „Irrland“ schon mal kennengelernt hatte.

„Wir erinnern uns an die Diskussion der ‚Hambi‘-Dinge, die hochemotional diskutiert wurden, aber einen ernsten Hintergrund haben“, leitete er dann zum Thema des Abends, dem Braunkohleausstieg und die Zukunft der Energieversorgung, über.

„Ohne Energie will keiner leben, wir wollen ja nicht zurück in die Steinzeit. Das Licht und die Heizung sollen jederzeit angehen. Es geht um Bezahlbarkeit und um Klimaverträglichkeit, worüber seit eineinhalb Jahren grundsätzlich diskutiert wird – und auch hier in einem Bundesland, wo viel Energie hergestellt und verbraucht wird“, umriss Dominik Pichler die Dimension des Themas. Die Klima-Diskussion habe durch den vergangenen Sommer richtig an Dynamik und Fahrt gewonnen, nannte Findorff dann die Stichworte Pariser Klimaabkommen, den nationalen Klimaschutzplan 2016 und das aktuelle Klimaschutzpaket.

Im Energiebereich gehe es in Deutschland um über 60 Prozent weniger C02 bis 2030. „Ohne den Kohleausstieg würden wir die Ziele verfehlen, nicht nur ganz knapp, sondern krachend“, sprach Findorff von einer Differenz von 70 Millionen Tonnen.

Neue Ansiedlung und Infrastruktur

Danach erläuterte Findorff die Diskussion in der Kohlekommission, die einen Ausstieg aus der Braunkohle im breiten Dialog von Politik, Wissenschaft, Naturschutzverbänden und Industrie bis 2038, wenn möglich bis 2035, über sieben Monate erarbeitet hat. Das sei in der Form eigentlich nicht zu erwarten gewesen, meinte Findorff. „Die Idee war nicht nur ein Ende der Braunkohleverstromung, sondern darüber hinaus die Schaffung einer konkreten Perspektive für die Region und die Steuerung der gesellschaftlichen Folgen.“ Dazu gehöre das Sofortprogramm, das neue Ansiedlung und Infrastruktur möglich machen soll, ehe es passiert.

Das mit zweistelligen Milliardenbeträgen versehene Strukturstärkungsgesetz sei beschlossen, aber gekoppelt ans Kohleausstiegsgesetz, das bis Ende 2019 auf den Weg gebracht sein soll. Das Ganze liege zur Abstimmung im Kanzleramt. Den Zeitplan nannte Findorff „sportlich.“ Über Verträge und Auktionen solle die Stilllegung vorangehen. Das wichtigste Instrument sei die Netto-Stilllegung des C02-Zertifikatehandels mit der Stilllegung der Kraftwerke. Das lasse das EU-Recht bei nationalen Sondermaßnahmen zu.

Der grundlegende Ausbau erneuerbarer Energien um 65 Prozent bis 2030 sei aufgrund des Einbruchs der Windkraft eine „Herausforderung“, aber ein Bundesziel. 40 Prozent erneuerbare Energien seien bereits im System, die Modernisierung der Netze die größte Baustelle. Dazu komme die Umstellung auf neue Gaskraftwerke und „Grüne Gase“ aus erneuerbaren Energien. „Der Strompreisanstieg durch den Wegfall der Kohle ist nicht so groß, wie wir glaubten“, machte er klar. Einen Anstieg gebe es mit oder ohne den Kohleausstieg für den deutschen Markt.

Nach Ansicht der Kohlekomission solle es ein Monitoring für Versorgungssicherheit geben, in dem der Strompreis mit hineingehört – und die Prüfung eines systematischen Investitionsrahmens bis 2023. „Die Frage ist: Regelt das der Markt alleine oder brauche ich einen gesonderten Kapazitätsmarkt, wo ich nur über die Bereitstellung der Kapazität was erreiche?“ Dazu komme dann noch die Frage der C02-Bepreisung.

Viele Gaskraftwerke auf Standby

Findorff verwies auf die aktuellen Kapazitäten durch Braunkohle, Steinkohle und Atom mit über 50 Gigawatt, die vom Markt verschwinden. Es gebe viele Gaskraftwerke in Standby, aber das sei „nicht die Menge“ an Energie – zumal die Spitzenlast durch beispielsweise E-Mobilität bis 2050 von 83 auf 100 Gigawatt steigen würde.

Zur Bewältigung brauche es ein flexibles Steuerungssystem und das Zusammenspiel der diversen Energieelemente in Verbindung auch mit Entwicklungen wie offshore-Leitungen und dezentralere Energieversorgung, was eine große Herausforderung für die regionalen Versorger und die Netze sei, – und einen offenen Wettbewerb.

„Wir glauben, Wasserstoff wird eine große Rolle spielen“, brachte Findorff eine bisher weniger diskutierte Energienutzung ins Spiel. „Aber wenn es bis 2035 oder 2040 keinen Weltmarkt für grüne Gase und Wasserstoff gibt, die erneuerbar erzeugt werden, dann hat sich das erledigt.“

Es sei „eine Illusion, dass wir den gesamten Energiebedarf durch eigene erneuerbare Energien decken können“, meinte Findorff. „Wir werden den Import von erneuerbaren brauchen, sonst wird es nicht reichen.“ Langfristig aber komme man um die Verdopplung der eigenen erneuerbaren Energien nicht herum. Und in Bezug auf die Speicherung von Energie würde eine Menge Forschung und Entwicklung nötig sein. „Forschung und Entwicklung ist der Schlüssel für die Energiewende.“

Baustellen, offene Fragen und Potenziale

Auf die Frage des CDU-Politikers Bonse, ob das Ziel von 50 Prozent Backup-Energie, die man bis 2030 brauche, nicht „übermotiviert“ sei, konnte er keine konkrete Antwort geben. Da verwies Findorff auf den „Stresstest“, der dazu gemacht wird. „Die Bundesnetzagentur kann auch Stilllegungen von konventionellen Kraftwerken versagen – dann haben wir aber ein Problem mit den Klimazielen.“ All das beruhe natürlich auf Kalkulationen und Prognosen, die aber seriös durchgerechnet seien. „Das sind die Voraussetzungen, die wir haben.“

Findorff räumte ein, dass die Speicher für Photovoltaik von der Masse noch nicht ausreichend seien, „aber die Instrumente sind schon da.“ Der Bau neuer Anlagen auf den Dächern lohne sich sicher über den Weg der Einspeisevergütung und des Eigenverbrauchs. Das Land plane aber eine Photovoltaik-Offensive. Was die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie anbetrifft, machte er deutlich, dass es sicher Beeinträchtigungen geben werde. Der Strompreis werde da steigen, im europäischen Vergleich in 20 Jahren aber im Mittelfeld liegen und somit keinen Fluchtreflex bei den Unternehmen auslösen. Der Hebel von Kompensationen sei da größer als der Preisanstieg durch den Kohleausstieg.

Findorff schloss mit den Worten: „Da ist eine Menge Musik drin. Wir werden eine enorme technische Entwicklung und eine Entwicklung bei den Preisen sehen.“ Sicher gebe es noch Baustellen wie den Verkehr oder Fragen wie die C02-Bepreisung, aber zugleich eine Menge Potenziale. „Es gibt Anlass, nicht so pessimistisch zu sein.“