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Die Infektionslage ist zu ungewiss

Kevelaerer Kirmes nun offiziell abgesagt

Die Bürgermeister aus Kevelaer und Geldern haben sich nun schweren Herzens dazu durchgerungen, die traditionellen Kirmesveranstaltungen um Christi Himmelfahrt und an Pfingsten abzusagen.

Offizielle Absage für Kevelaer steht aus

Neue Verordnung untersagt Kirmes

Die Zeichen stehen schon länger auf Absage: Eine Kirmes 2021 wird es in Kevelaer vermutlich nicht geben.

„Eine Kirmes ist zurzeit kaum vorstellbar“

Im vergangenen Jahr kam sie relativ kurzfristig: die Absage der Kevelaerer Kirmes. Bis zuletzt hatte man gehofft, das beliebte Volksfest, das 2020 sein 200-jähriges Bestehen feiern sollte, ausrichten zu können. Anfang Mai war dann Schluss mit den Träumereien, als sämtliche Großveranstaltungen verboten wurden. Bis zum Mai werden die Verantwortlichen in diesem Jahr allerdings nicht warten. Eine Absage gibt es zwar noch nicht, aber die Fahrtrichtung ist klar: eine Kirmes in gewohnter Form wird es definitiv nicht geben. „Eine Kirmes ist zurzeit kaum vorstellbar, auch als reine Schaustellerkirmes“, erklärt Bürgermeister Dominik Pichler. Letztere scheint aktuell allerdings die einzig denkbare Möglichkeit, sagt Ordnungsamtschef Ludger Holla. Konkrete Planungen gibt es nicht, denn so wirklich daran zu glauben scheint kaum jemand.

Für viele Kevelaerer*innen gehört das gemeinsame Feiern und Schunkeln im Zelt zur Kirmes dazu – Vereinsaktivitäten und feste Veranstaltungen ziehen sich durch das Himmelfahrtswochenende. Für diejenigen wäre eine reine Schaustellerkirmes ohne all die Traditionen vielleicht nur ein schwacher Trost – aber immerhin ein Trost, der ein bisschen Kirmes-Feeling aufkommen lassen würde. Auch Ludger Holla ist sich im Klaren darüber, dass eine ‚Kirmes-light‘ nicht die gewohnten Gefühle hervorrufen würde. „Eine Kirmes lebt ja gerade von der Nähe der Personen“, sagt er. Und genau diese wird und darf es aktuell nicht geben. Überlegungen, wie man die Veranstaltung gegebenenfalls doch noch realisieren könnte, wurden bereits angestellt, wie Holla erklärt: Hygienespender, Maskenpflicht, Abstandsregeln und eine geringere Auslastung der Fahrgeschäfte wären obligatorisch. Schwierig würde es beispielsweise bei Zugangskontrollen werden. So wie diese beispielsweise ursprünglich für den Advents- und Krippenmarkt im vergangenen Jahr angedacht waren, seien sie für den Peter-Plümpe-Platz schwer realisierbar. Auch über den Alkoholausschank müsse man sich im Falle einer Realisierung Gedanken machen – da dieser vermutlich die persönliche Wahrnehmung des Abstandes von 1,5 Metern verfälschen würde, sagt Holla augenzwinkernd.

Hoffnung der Schausteller*innen

Dennoch sieht Holla die Planungen realistisch: „Ich glaube, dass das dieses Jahr im Mai nicht zu verantworten sein wird.“ Der Marktmeister Heinz-Josef Theunissen stehe dazu im engen Kontakt mit den Geselligen Vereinen. Denn eine Entscheidung werde nach vorheriger Absprache mit den Verantwortlichen getroffen. Auch stünde die Stadtverwaltung in Kontakt mit den Schausteller*innen, für die die Kevelaerer Kirmes meist der Auftakt der Saison ist. Die Gefühlslage bei ihnen sei gemischt. Viele hätten die Hoffnung, bald wieder ihrer Tätigkeit nachgehen zu können, „aber so richtig realistisch daran glauben tun sie, glaube ich nicht“, schildert Holla seinen Eindruck. Falls eine abgespeckte Version des Volksfestes stattfinden würde, stünden sie aber bereit, um nach Kevelaer zu reisen.

Aktuell sind Großveranstaltungen ohnehin durch die Coronaschutzverordnung für NRW untersagt. Bis es konkrete Regelungen für Mitte Mai gibt, werden die Verantwortlichen in Kevelaer nicht warten. In der ersten Märzhälfte sei vermutlich mit einer Entscheidung zu rechnen, sagt Holla. Dann würde sich Bürgermeister Dominik Pichler erneut mit dem Gelderner Bürgermeister Sven Kaiser beraten. Mit ihm hat Pichler nämlich beschlossen, „dass wir unsere Kirmesse entweder gemeinsam durchziehen oder gemeinsam absagen“, erklärt der Bürgermeister. Viele der Schausteller*innen ziehen in der Regel von der Kevelaerer Kirmes gleich weiter zur Pfingstkirmes nach Geldern.

Entscheidung soll im März getroffen werden

Auch wenn die Entscheidung über das Stattfinden des Volksfestes erst in Kürze fallen wird, braucht es nicht besonders viel Pessimismus, um sich auf eine Absage einzustellen. „Ich habe aber die Hoffnung, dass wir in 2022 in Kevelaer und den Ortschaften wie gewohnt Kirmes feiern können“, sagt Pichler. Und neue Strukturen werden sich künftig vermutlich ohnehin nicht vermeiden lassen. Denn in den kommenden Jahren steht der Umbau des Peter-Plümpe-Platzes als Veranstaltungsort ins Haus. 

Im Gegensatz zur Pandemie-Zeit ist die Kirmes nach dem Umbau aber weiterhin gesichert. Das sei, so Pichler, eine Vorgabe für die Teilnehmenden des Planungswettbewerbs gewesen. 

Ein Hauch von Kirmes

„Ich bin sehr gerührt“, versicherte Gregor Kauling, als er mit dem Präsidenten der Sebastianus-Schützenbruderschaft, Hans-Gerd „Tutti“Rütten, an der Gnadenkapelle stand, um für die Webseite der Kirche auf Video ein paar passende Worte zu sagen.

Ein paar Minuten zuvor hatten die Fahnenschwenker der Seb gemeinsam mit einem großen Teil des Musikvereins-Orchesters den Kapellenplatz mit ihrer Kunst erfüllt. „Wir machen das hier aus dem Impuls heraus, die Tradition zu pflegen“, sagte Rütten, als sich die Fahnenschwenker am Brunnenplatz zu dem gemeinsamen Schwenken versammelten. „Der Gruß gilt auch traditionell der Maria. Und unser Prälat hat heute das Jubiläum seiner Priesterweihe.“

Man habe bewusst auf einen großen Auflauf verzichtet, um wegen Corona keinen großen Auflauf an Menschen zu riskieren. Der Musikverein hatte viele seiner Musiker für die Aktion mobilisieren können. „Das ist Einigkeit, das ist für mich Gemeinschaft. Ich bin begeistert“, sagte Marianne Heutgens, die im Vorfeld viel Organisatorisches beigetragen hatte.
Hans-Gerd Rütten und Marianne Heutgens überreichten Kauling angesichts der Priesterweihe vor 21 Jahren einen Glückwunsch-Bilderrahmen und einen kleinen Blumenstrauß.

Die Fahnenschwenker verteilten sich danach weitläufig auf dem Platz und zeigten ihre Kunstfertigkeit, begleitet von den Klämgen des Musikvereins.

Zum Dank verteilten Diakon Jan Klucken und Kaplan Christoph Schwerhoff an die Gratulanten ein leckeres Tröpfchen. „Das ist ein Hauch von Kirmes“, kommentierte Kauling das Ereignis auf dem Platz. „Schön, dass Ihr da seid“, kündigte er an, „den Strauß meiner Mutter morgen“ bei seinem Besuch zu übergeben.

Zudem fügte der Pfarrer an: „Wunderbar, dass die Seb. und der Musikverein da sind, um den Kapellenplatz mit dem zu erfüllen, was er auch sonst an diesem Tag erlebt. Das ist schön. Und alle gemeinsam mit der gebotenen Vorsicht. Es sind alle diszipliniert. Aber ein klein wenig braucht die Seele das auch.“

Wie ein Hochzeitstag

Zu seinem persönlichen Befinden meinte er vor der Kamera: „Das ist etwas sehr Berührendes für mich. Der Weihetag ist genauso etwas Wichtiges für mich wie für andere der Hochzeitstag. Er erinnert an das Leben und an die Lebensberufung. Und ich bin sehr glücklich, dass das heute so möglich war.“

Aber er dachte auch schon darüber hinaus: „Dieser Kirmessamstag geht in die Geschichte ein. Allen Gottes Segen und wir freuen uns, dass es hoffenlich im nächsten Jahr zum Kirmessamstag brechend voll ist in der Stadt. Ein kleiner Gedanken auch an Herrn Völlings, unserem Festkettenträger, dem wir heute auf ganz besondere Weise verbunden sind.“

Der Musikverein spielte (in gebührendem Abstand voneinander) für die Fahnenschwenker auf.

Mit Zuversicht nach vorne schauen

Entspannt sitzt Jürgen Völlings mit seiner Frau Christel, seinem Sohn Björn und seiner Tochter Simona im Garten ihres Hauses am Drissenpaß und genießt eine Tasse Kaffee. „Hier hatten wir die ganze Zeit genug Platz, wir gehören ja zu den älteren Semestern“, schmunzelt der Mitbegründer der „Swingies“ und proklamierter Festkettenträger 2020 verschmitzt und blinzelt in die Nachmittagssonne.

„Da passt man halt mehr auf, auch wo die alle öffnen jetzt“, kommt das Gespräch gleich auf das Hauptthema dieser Tage: der Bewältigung des Coronavirus. „Wenn man nach Italien guckt oder nach Düsseldorf-Oberbilk, da konnte man hier am Niederrhein ja noch fast überall hin“, beschreibt Tochter Simona Mülders, die mit ihrem Bruder auch das Adjutanten-Duo bildet, den großen qualitativen Unterschied, den die Menschen hier im Gegensatz zu vielen anderen Regionen erleben können.

Für die Kontaktsperre fanden sich kreative Lösungen. „Wir fahren alle ein bis zwei Tage mit dem Wagen nach Winnekendonk zu den Enkeln und winken aus dem Auto“, erzählt der 69-Jährige.

Im Frühjahr, als Jürgen Völlings im Rahmen des Heimatabends zum neuen Kevelaerer Festkettenträger ausgerufen wurde, da war das Coronavirus noch kaum Thema. „Anfangs hab‘ ich noch gedacht, na ja, mal abwarten, das ist ja so weit weg.“ Dazu kam, dass der Heimatabend für die „Swingies“ als Verein und für die Völlings-Familie im Speziellen erstmal die Stimmungslage prägte. „Wir haben das alles aus eigenen Kräften gestemmt und nur positive Rückmeldungen bekommen“, schwingt in den Worten von Tochter Simona der Stolz darüber mit, wie gut der Verein gemeinsam funktioniert hat.

Danach brauchten die Beteiligten erst mal zwei bis drei Wochen Pause, wollten dann aber mit den Vorbereitungen auf die Kirmes voll durchstarten. „Da trafen sich hier schon 15 Frauen von den Swingies und aus der Nachbarschaft, um die Röschen fertig zu machen“, erinnert sich Jürgen Völlings. 400 Stück waren bereits fertig – „und dann war mit einem Mal Ende.“ Denn die Corona-Beschränkungen Mitte März zwangen die Beteiligten, die Situation neu zu betrachten. „Es hieß dann immer, wir müssen auf den Landesbescheid warten, was die Frage der Großveranstaltungen angeht“, erzählt Jürgen Völlings.

Sie wollen keine Menschen gefährden

Für die „Swingies“ war schon vor der endgültigen Entscheidung eigentlich klar, dass es unter diesen Umständen mit der Kirmes anno 2020 nichts werden kann. „Wenn nur ein Mensch in Gefahr kommt, verzichten wir auf Festlichkeiten“, spricht Christel Völlings allen Anwesenden aus dem Herzen. Dass so ein Schritt allen nicht ganz leicht fällt, liegt auf der Hand. „Das ist ja nach der Hochzeit und den Kindern das Größte, was es in Kevelaer zu erleben gibt“, unterstreicht die Bemerkung von Tochter Simona, wie verwurzelt die Familie in den Traditionen der Stadt ist.

„Es gab nicht ein Jahr, wo wir mit den Kindern nicht auf der Kirmes waren. Das ist das erste Mal seit über 40 Jahren“, sagt der proklamierte Festkettenträger. Und auch für den Verein stecken da ein ganzes Jahr Planung und Vorbereitung drin. „Die nächsten 14 Jahre haben wir nicht mehr die Chance, nochmal einen FKT zu stellen“, verdeutlicht Jürgen Völlings die Einmaligkeit, die für alle in dem kollektiven Aufbruch für die Kirmes bestand.

Und je näher es auf das eigentliche Datum zugeht, umso deutlicher wird natürlich, was schon im Vorfeld nicht passiert – ob es nun die Weinprobe bei Tenhaef ist oder die traditionelle Einladung von St. Marien zu Ostern zur Fußwaschung. „Der Sohn aus Bayern kommt nicht, der sich schon für die Kirmes angesagt hatte“, verweist Christel Völlings auf den familiären Aspekt.

Auch den traditionell guten Kontakt zu den Schaustellern kann man nicht mehr zusammen leben. Und man macht sich natürlich Gedanken, ob alte Weggefährten wie der 82-jährige Ferdi als Ältester in der Fanfarentruppe dann noch genauso aktiv mit dabei sind, weil man nicht weiß, was die Zeit bringt.

Die Hoffnung ist jetzt erst mal, dass das Festjahr 2021 für die „Swingies“ überhaupt festgezurrt wird – wenn die Corona-Lage das zulässt. „Ich habe mit Peter Tenhaef telefoniert. Es wird irgendwann eine Versammlung der Geselligen geben. Die muss das entscheiden.“ Und natürlich muss das dann im Einvernehmen mit den Vereinen stattfinden, die eigentlich für das Festjahr 2021 und danach vorgesehen sind – und für die sich das Ganze dann verschiebt.

Die Atmosphäre spielt eine große Rolle

Eine einfache Ehrung jetzt, bei der man „sich einfach hinstellt, eine Kette kriegt und fertig“, das wäre irgendwie nicht das Optimale, findet Björn Völlings. Denn zu dem ganzen Ereignis Festkettenträger gehöre irgendwie das gesamte Flair der Tage – wie der Moment, „wenn du an der Kirche stehst und die ziehen alle an Dir vorbei.“ Und auch wenn 2021 eine verspätete Feier wäre: „passen“ würde es für den dann 70-jährigen Jürgen Völlings in einer ganz besonderen Hinsicht. „Dann bin ich mit meiner Christel 50 Jahre verheiratet.“ Und es gäbe zwei schöne Gründe, fröhlich zu sein.

Großveranstaltungen bis Ende August abgesagt

Eine genaue Festlegung der Teilnehmerzahl einer „Großveranstaltung“ seitens des Landes gebe es immer noch nicht, erklärte der Kevelaerer Verwaltungschef Dominik Pichler am Montagmittag. Dennoch gehe aus den Anordnungen aus Düsseldorf klar hervor, dass Veranstaltungen wie Kirmes, Stadt- und Dorf-, Sport- und Schützenfeste „definitiv verboten“ worden seien. Die Anordnung gelte bis 31. August. Für Kevelaer bedeute dies, dass beispielsweise die Keylaerer und die Twistedener Kirmes oder der Marketingpreis theoretisch auf wackeligen Füßen stünden. Möglicherweise könnten sie stattfinden – doch was passieren würde, wenn etwa die Twistedener Kirmes als erste nach langer Zeit des „Shut-Downs“ wieder zum Treffpunkt werden würde, mag sich in Kevelaers Verwaltung noch niemand ausmalen.

Kevelaerer Kirmes, Stadtfest, die Eröffnung des Solegartens, die Puppenspieltage, das Ballonfestival – die Liste der Volksfeste in Kevelaer, die nun offiziell abgesagt werden müssen, ist lang. Allen Veranstaltungen sei eines gemein: „Da lässt sich nicht mehr nachvollziehen, wer da Kontakt mit wem hatte.“ Die momentan niedrigen Infektionszahlen ließen „Lockerungsmaßnahmen zu, aber eben mit Augenmaß“, erklärt der Bürgermeister zu den getroffenen Entscheidungen.

Auch Dirk Janßen, Chef des Schaustellerverbandes Kleve-Geldern, hat bezüglich der Kirmes „bis zuletzt gehofft, dass wir da durchschlüpfen können“, hat über besondere Hygiene- und Sicherheitsmaßnahmen nachgedacht. Doch er sieht ein, die Absage der Kirmes sei „die einzig mögliche Entscheidung“, auch ohne Angabe von Teilnehmerzahlen, „wir tragen Verantwortung für unsere Besucher und unsere Familien“. Sonst hätte „jeder versucht, sich die Sache schönzurechnen“.

Für die Schausteller sei die Situation ebenso schwierig: Zwar bekämen einige als Freiberufler oder Soloselbstständige finanzielle Unterstützung von Land und Bund, aber das reiche nicht weit. Zudem habe die Branche in den vergangenen Jahren aufgrund des niedrigen Zinsniveaus Kredite aufgenommen, um in ihr Geschäft zu investieren. Die müssten sie weiter abbezahlen. Diejenigen, die einen guten Kontakt zu ihren Banken vor Ort hätten, seien da noch am besten dran, könnten manchmal sogar die Tilgung aussetzen. Trotzdem: Mehrere Monate ohne Einnahmen – und das ausgerechnet zur Saison – könne keiner leben. Manche stellten sich deshalb „in ein Gewerbegebiet und verkaufen Bratwurst oder versuchen sich als LKW-Fahrer durchzuschlagen“, sagt Janßen. Der Schausteller hofft auf Solidarität nach der Krise: Man müsse über die Standgebühren nachdenken, sagt er oder sogar über in anderen Bundesländern inzwischen eingeführte Eintrittsgelder für den Besuch eines Festplatzes. Dazu kann Ordnungsamtschef Ludger Holla heute noch nichts sagen, aber: „Wir wollen natürlich im nächsten Jahr die Kirmes, so wie wir sie kennen, wieder aufstellen.“

Auch Peter Tenhaef trifft die Corona-Krise gleich doppelt: Einerseits macht er als Getränkegroßhändler kein Umsätze mehr, andererseits muss er als Präsident der Geselligen Vereine über einen Umbau der Traditionsveranstaltung nachdenken. Im Präsidum habe man sich „seit langem große Gedanken um das kommende Jahr gemacht“. Gerade den Swingenden Doppelzentnern und ihrem Festkettenträger Jürgen Völlings, die in diesem Jahr zum ersten Mal festgebender Verein seien, wolle man „die Möglichkeit bieten, das angemessener Weise zu feiern“. Deshalb werde das Präsidium bei der Mitgliederversammlung der Geselligen Vereine vorschlagen, „die Kirmesfeierlichkeiten um ein Jahr versetzt stattfinden“ zu lassen. „Ich glaube, dass jeder Verständnis dafür hat.“

Öffnung der Spielplätze

Die Spielplätze sind laut Verwaltung ab dem heutigen Donnerstag wieder geöffnet. Es herrschen allerdings Auflagen für die Benutzung, die aus einer Beschilderung ersichtlich sein werden. Bürgermeister Dominik Pichler und Ordnungsamtschef Ludger Holla appellieren an die „freiwillige Selbstkontrolle“ der Eltern und sehen die Öffnung als einen „weiteren Zwischenschritt“ auf dem Weg zur möglichen Öffnung von Kitas und Schulen.

Aktuelle Zahlen

In der Corona-Krise ist es nicht leicht, auf dem aktuellen Stand zu bleiben: Ein Beispiel sind die aktuellen Fallzahlen für Kevelaer. Die werden der Kevelaerer Verwaltung am Sonntag mitgeteilt, am Montag informiert uns Ordnungsamtschef Ludger Holla darüber (Stand 3. Mai gibt es in Kevelaer seit Beginn der Krise 225 Verdachtsfälle, 53 Menschen wurden positiv getestet, davon sind 2 verstorben und 13 in Quarantäne. 38 gelten als genesen. 2 nicht positiv getestete Reiserückkehrer befinden sich in Quarantäne, sowie 17 nicht positiv getestete Kontaktpersonen.

Bürgermeister Dominik Pichler im KB-TV

3D-Grafik des SARS-CoV-2-Virions (Grafik: Public Domain)

Kirmes auf der Kippe

Dass die 200. Kevelaerer Kirmes etwas ganz besonderes sein wird, davon sind Bürgermeister Dominik Pichler und Ordnungsamtsleiter Ludger Holla nach wie vor überzeugt. Davon, dass diese am vorgesehenen Zeitpunkt stattfinden wird, nicht mehr. Zwar besteht am Freitagmorgen noch ein Funken Hoffnung: Alles hängt jetzt davon ab, wie das Land „Großveranstaltungen“ definieren wird. Denn die sollen bis August nicht mehr stattfinden dürfen, darauf haben sich Bundesregierung und Länderchefs geeinigt. „Wir warten auf Infos aus Düsseldorf“, sagen Pichler und sein Vetreter. Denn bislang waren Großveranstaltungen wenn mehr als 100.000 Menschen kommen – oder 5.000 gleichzeitig am Ort sind. Beides würde auf die Kevelaerer Kirmes nicht unbedingt zutreffen – doch Pichler und sein Gelderner Kollege Kaiser gehen trotzdem davon aus, dass die beiden großen Volksfeste abgesagt werden müssen. Was mit den Kirmessen in den Ortschaften und den Schützenfesten ist, könne er erst am Montag sicher sagen.

An anderer Stelle gibt‘s eine positive Nachricht vom Verwaltungschef: Kämmerer Ralf Püplichuisen habe die Haushaltssperre wieder aufgehoben, nachdem das Land angekündigt habe, dass die Kosten der durch die Corona-Krise entstehenden Schäden haushaltstechnisch ausgegliedert werden sollten. „Es ist ja nicht gewollt, dass die Kommunen durch Corona in die Haushaltssicherung gehen müssen.“

Auf Nachfrage habe er jetzt vom Kreis Kleve auch die genauere und vor allem längerfritige Zahlen bezüglich der Corona-Fälle in Kevelaer bekommen, erklärt Ludger Holla. Seit Anfang März werden die Zahlen gesammelt, seitdem habe es laut Kreis in Kevelaer 179 Quarantänefälle gegeben. Bei 133 Personen sei diese Quarantäne bereits wieder abgelaufen (alle Daten vom Stand Donnerstagnachmittag, 16 Uhr), aktuell sechs Personen seien Reiserückkehrer, die sich freiwillig als Verdachtsfälle gemeldet hätten.. 40 Personen seien positiv auf das Virus getestet worden. Eine Person ist verstorben. Von den 40 Menschen stünden 19 noch unter Quarantäne, 20 gelten als genesen.

Außerdem stellte Ordnungsamtschef Ludger Holla eine App vor, die bislang in Gütersloh zum Einsatz kommt und auf seine Initiative hin nun auch in Kevelaer angewendet werden soll. „VoluMap“ ist eine App fürs Smartphone, die angebotene Hilfeleistungen und freiwillige Helferinnen und Helfer zueinander bringen soll. Das Ordnungsamt Kevelaer könne damit ehrenamtliches Engagement gezielt koordinieren, erklärt Holla. Viele Ideen würden an die Stadt herangetragen, etwa Einkaufsdienste, Alltagsunterstützung, Tier- oder Klimaschutzaktionen. Über die App könnten Teilnehmer Freiwillige zur Realisierung ihrer Projektidee suchen. Sie richte sich aber bewusst auch an dauerhaft organisierte Initiativen und Vereine, die ihr bürgerschaftliches Engagement ausbauen wollten.

Nicht nur in der aktuellen Corona-Krise könne die App von Nutzen sein, so Holla. Auch für künftige Krisensituationen, beispielsweise bei Hochwasser, Starkregenereignissen oder andere Katastrophen erkennt er deutliches Potenzial. So sei etwa die Anzahl der Helfer für eine Einsatzplanung in besonderen Situationen wichtig. „Es ist frustrierend für Helfer, wenn diese am Einsatzort eintreffen und man sie wieder wegschicken muss“, erläutert Ludger Holla. In „VoluMap“ könne daher ganz konkret angegeben werden, wie viele Personen für die Unterstützung eines Projektes oder eines „Events“, wie es in der App heißt, benötigt würden.

Informationen zu „VoluMap“ gibt es im Internet unter „www-volumap.de“. Die App kann im Google Play Store und im Apple Store kostenlos heruntergeladen werden. In Kevelaer verwaltet das Ordnungsamt die App im Hintergrund. Hier kann man sich unter der Telefonnummer 02832-122 832 auch melden, wenn man helfen möchte, aber auch wenn man Hilfe braucht und keinen Zugang zur App hat. Interessenten und interessierte Gruppen und Vereine können sich ebenfalls unter der Email-Adresse ludger.holla@kevelaer.de anmelden.

Mit viel Freude gefeiert

Als die Königskette vom alten König Rafael Derks auf den neuen Schützenkönig Henning Fritz überging, war das für beide Männer etwas ganz Besonders. „Das war schon sehr emotional für mich“, gestand Fritz beim anschließenden Kirmesball, bei dem er seinen Vorgänger freundschaftlich in den Arm nahm.
Der hatte bereits unmittelbar nach der Abendmesse in der Kirche, die von den Jungschützen und dem Projektchor unter Leitung von Christian Franken gestaltet wurden, einen Einblick in seine persönliche Gefühlslage gegeben. „Ich hatte schon damals an der Vogelstange zu kämpfen“, ließen die Worte erahnen, wieviel ihm das Jahr als Schützenkönig gegeben hatte. „Wir waren viel unterwegs, unter anderem zum Bundeskongress nach Köln. Das war ein Highlight für uns.“ Das Jahr habe aber auch seine stressige Seite gehabt. „Ein Jahr Pause ist auch nicht schlecht.“
Bereits der Vorabend hatte einen Vorgeschmack auf die Ausgelassenheit der vier Tage gegeben, mit denen die Schützen und das gesamte Dorf feierten. Das Oktoberfest mit der Band „die Lausbuba“ hatte die Feierlichkeiten angemessen eingeläutet. „Da waren wir mit 560 Gästen komplett ausverkauft“, durfte der Brudermeister der Antonius-Schützen, Guido Paeßens, zufrieden festhalten.

Henning Fritz (l.) und Rafael Derks


Der Samstagnachmittag stand dann ganz im Zeichen des Kindertages rund um das Festzelt mit Kinderdisco, Clown, Freifahrten und Freigetränken, ehe der Abend dann nochmal Tanz mit der Band „Enjoy“ bot. Entsprechend „geeicht“ genossen die Schützen und ihre Familien mit den Dorfbewohnern den musikalischen Frühschoppen, den der Musikverein Eintracht Twisteden abwechslungsreich gestaltete – und bei dem auch das eine oder andere Gläschen seinen Abnehmer fand.
„Worauf ich mich am meisten freue, das ist auf Montag“, hatte die neue Majestät Henning Fritz bereits am Samstagabend zum Besten gegeben – und damit meinte er den Höhe- und zugleich auch Schlusspunkt der viertägigen Feierlichkeiten. Bevor es zum ausführlichen Umzug mit allen Twistedener Vereinen in Richtung des elterlichen Wohndomizils ging, wünschte Pfarrer Andreas Poorten beim Gottesdienst „Völ Glöcks met de Kermes“.
Anschließend zog er mit den Honoratioren der Stadt, der Ortschaft und den Vereinen zum Mahnmal und erinnerte dort an den Beginn des zweiten Weltkrieges vor 80 Jahren und die Opfer der Kriege. „Es muss lebendig bleiben, damit so etwas nie wieder passiert.“
Nach dem Abschreiten der Vereine vor dem elterlichen Haus und einem kleinen Umtrunk vor der Tür machte sich dann der König mit seiner Königin Claudia Reifenberg und den drei Ministerpaaren – Jan und Patricia Krouwel, Michael und Patricia Brünken sowie Daniel Verfürden und Kerstin Schiefer – auf den Weg durch die Ortschaft.
„Die Menschen im Ort wären enttäuscht gewesen, wenn ich es nicht so gemacht hätte“, gestand Reifenberg dann auf dem Weg, dass sie bewusst natürlich zwei verschiedene Paar Schuhe angezogen hatte. „Einmal in Champagner und einmal in Blau.“ An der Bushaltestelle im Ortskern nahm der Thron dann die Parade der Vereine ab und verfolgte auf dem Dorfplatz das Fahnenschwenken, ehe es zum Einmarsch in das Festzelt ging. Dort fanden die Tage mit dem Königsgalaball ihren würdigen Abschluss.
https://www.kevelaerer-blatt.de/kirmes-in-twisteden-2019/

Kervenheim feiert Kirmes

Stolze Erwachsenen- und Kinderköniginnen mit Gefolge. Foto: AF


Als ihr Sascha Claaßen und Rainer Krüger von der St. Sebastianus Schützenbruderschaft Kervenheim-Kervendonk die Königskette um den Hals legten, schloss Bettina Stuesgen kurz die Augen und atmete tief durch. Als die 77-Jährige in der St. Antonius-Kirche die Augen wieder öffnete und gemeinsam mit ihrem Prinzgemahl Eckmar Leibeling und dem Kinderthron um Jagoda Chojnacka und Julian Labedzki die Kirche verließ, war ihr anzusehen, was ihr das bedeutete. „Ich war schon sehr gerührt“, fiel es ihr schwer, die Emotionen zu unterdrücken.
Ein paar Stunden zuvor hatte sie auf dem Burggelände noch abgewiegelt. „Ich bin ja noch nicht Königin“, sagte sie und unterstützte Leibeling und den Kervenheimer Ortsvorsteher Martin Brands bei den Vorbereitungen auf den Fassanstich.
Die Feier am Vorabend hatte gut 300 Menschen ins Festzelt gelockt. „Es war gerammelt voll, die Stimmung grandios“, umschrieb Michael Fichte vom Orga-Team die Atmosphäre der Party, die zur Musik von DJ „K-rave“ mehrere Generationen ins Zelt gelockt hatte.
Hingucker waren natürlich auch diesmal die Lichtinstallationen von Tim Kelm und Martin Bloemen, die der Burg und dem Gelände ein besonderes Flair verliehen.
In seiner kurzen Ansprache lobte Martin Brands die Bemühungen um den Erhalt der Kirmes, dankte der evangelischen Kirchengemeinde dafür, den Burghof zum dritten Mal dafür zur Verfügung zu stellen und schloss mit dem Satz: „Lasst uns nicht viel Worte machen und das Fass anschlagen.“
Danach genossen die Erwachsenen das Bier und die Geselligkeit. Die Kinder hatten Spaß mit der Hüpfburg, der kurzfristig organisierten „Schweine“-Bahn als Ersatz für das kaputtgegangene Baby-Karussell und vor allem beim Quad-Fahren. Die Fahrzeuge hatte Thomas Cleven privat zur Verfügung gestellt. „Die Clevens stecken soviel Herzblut in Kervenheim rein – das ist schon beeindruckend“, meinte Marcel Borghs. Auch das Kinderprinzenpaar fuhr ein paar Runden. „Es ist schön, aber jetzt bin ich „total durcheinander“, lachte die siebenjährige Königin Jagoda.
Am Nachmittag folgte dann der Festakt in der Kirche. „Wir wollen die Türen weit öffnen, damit Menschlichkeit herrscht und eine fröhliche Kirmes. Die Kirmes ist des Kervenheimers Freud und Lust“, hatte Manfred Babel in seiner Predigt allen Beteiligten eine schöne Zeit gewünscht.
Dem Gottesdienst schlossen sich dann das Fahnenschwenken und das Gedenken an die Opfer des Zweiten Weltkrieges am Ehrendenkmal an, wo Ortsvorsteher Brands an die Errungenschaften der Demokratie anlässlich der 70 Jahre Grundgesetz erinnerte.
Von dort aus machte sich der Tross mit den Königspaaren und Adjutanten, den Schützen und den Vereinen auf den Weg durch die Ortschaft bis zurück ins Festzelt. Dort wurde dann mit dem Königsthron und den befreundeten Bruderschaften zur Musik der Partyband „Nightlife“ getanzt bis in die Nacht.
Familienfest stand im Mittelpunkt

Der Schützenverein mit seiner Königin. Foto: AF


Der dritte Tag der Kervenheimer Kirmes begann mit einem sehr stimmungsvollen ökumenischen Gottesdienst im Festzelt, der inhaltlich von „Kids im Glauben“ und musikalisch von dem Kirchenchor St. Cäcilia Kervenheim auf eindrucksvolle Art und Weise gestaltet wurde.
Dabei stellten der evangelische Pfarrer Robert Arndt und sein katholischer Kollege Manfred Babel inhaltlich das Thema Wasser und die Bedeutung, die es für das Leben hat, in den Mittelpunkt ihrer Ausführungen.
Im Anschluss daran folgte ein entspannter Frühschoppen – und am Nachmittag genossen die Gäste im Rahmen des Familienfestes Kaffee und Kuchen, die Tombola zugunsten der Senioren-Adventsfeier, das Entenrennen auf der Fleuth und den gemeinsamen Austausch.
„Warm, aber trotzdem gemütlich“, fand Claudia van Oeffelt die Atmosphäre auf dem Gelände. „Mal gleich noch´n Kaffee – das Wetter spielt mit“, entspannten sich auch Margot Schwartges und Marianne Vloeth und plauderten mit Bekannten.
Eine gut aufgelegte Schützenkönigin Bettina Stuesgen und „ihre“ Sebastianus-Schützen ließen es sich nicht nehmen, für ein Erinnerungsfoto gemeinsam zu posieren. „Wir haben bestimmt bis 4 Uhr gefeiert und zuhause an die 60 Eier gebraten“, plauderte ihr Liebster Eckmar Leibeling aus dem „Nähkästchen“ einer „verlängerten“ Samstagabendfeier.
Viele Kids nutzten nochmal die Chance, mit dem Quad ein paar Runden zu drehen und sich dann auch an der Gestaltung der „Kermespopp“ im Festzelt zu beteiligen, die erstmals zum Abschluss der Kirmes an einem Sonntag auf der Dorfwiese verbrannt wurde.
Dass man die Kirmes auf vier Tage komprimiert hatte, bezeichnete der Vorsitzende der Sebastianus-Schützenbruderschaft, Rainer Krüger, als „genau die richtige Entscheidung. Der Gottesdienst am Samstag war toll besucht und es gab eine würdige Kettenübergabe.“ Das alles sei „ein deutliches Zeichen: wir gehören alle zusammen.“
Und auch die evangelische Kirche zeigte sich froh, dass ihre Burg erneutes Zentrum der Feierlichkeiten gewesen war. „Für uns ist das vor allem gelebte Gemeinschaft“, unterstrich das Mitglied des Presbyteriums, Andreas Jannsen. „Uns ist bewusst, wie wichtig dieser Platz hier für die Kervenheimer ist. Und deshalb stellen wir ihn hier auch gerne zur Verfügung.“

Kervenheimer Kirmes: Kabarett als gelebte Inklusion

Schon die Begrüßung von Mitorganisator Michael Fichte machte deutlich, wohin an diesem Abend die Reise ging: „Willkommen zum ökumenischen Gottesdienst“, scherzte er nicht ohne Hintergedanken angesichts der „Berufung“ des Gastes, der neben seiner Profession als Kabarettist als Pastor und mehrfacher Tischtennis-Weltmeister und Paralympics-Sieger weitere Persönlichkeitsfacetten aufweist.
Und so betrat ein bestens aufgelegter Rainer Schmidt an seinem ersten Auftritt nach der Sommerpause die Bühne. „Wenn du so aussiehst wie ich, hast du keinen langweiligen Tag“, verwies er gleich zum Start auf seine fehlenden Unterarme und Hände sowie seinen verkürzten rechten Oberschenkel. Und natürlich erwähnte er sein kleines „Däumchen“ an der linken Hand, die seinem Programm „Däumchen hoch“ den Namen gab.
Was es heißt, mit seiner Optik immer im Fokus zu stehen, machte er anhand von zwei Begegnungen deutlich: mit dem Portier im Hotel, wo er den Meldeschein von ihm nicht ausgefüllt haben wollte, und mit dem Kind, das ihn fragte, warum er keine Hände habe. „Abnutzung“, lautete da seine Antwort. Als „Schwarzer-Humor-Variante“ fügte er selbst noch „missglückter Suizidversuch, falsch auf die Gleise gelegt“ hinzu. Im weiteren Verlauf erzählt er überwiegend wahre Geschichten aus seinen Erlebnissen, wobei er die Namen mit einem weiblichen und männlichen Namen aus dem Publikum – „Allessandra“ und „Eckmar“ – ersetzte.
Über vergrößerte Bilder seines „Däumchens“ stellte er diesen als „ritterlichen Typ“ mit Helm und „Hypochonder“ mit Wäscheklammer dar, ehe er von dem Schrecken der Mutter („der schlimmste Tag in meinem Leben“) und der Oma bei seiner Geburt im Februar 1965 im oberbergischen Land berichtete. „Ich bin da raus wie ein Sektkorken, konnte mich nicht festhalten.“
Vielfalt statt Stigma
Der damals bestehende „Fluchtreflex“, zwischen sich und dem Problem eine Distanz zu schaffen, habe damit zu tun, dass Menschen Vielfalt nicht gewöhnt seien – wie bei den 860.000 Flüchtlingen 2015, stellte er eine Verbindung zur gesellschaftlichen Gegenwart her.
Er erzählte von seiner Einschulung in die Sonderschule, wo er nach dem ersten Schrecken feststellte, dass auch Rollstuhlfahrer und Spastiker Kinder sind, die genauso Spaß am Spielen haben wie „normale“ Kinder. Die Einteilung in „normal“ und „anders“, die habe es in Deutschland schon mal gegeben. Es wurde mucksmäuschenstill im Zelt an der Burg, als er von „David als einzigem Juden in der Klasse“ unter Nazis sprach.
Danach seien es die Sinti und Roma, die Schwulen und später Gewerkschaftler gewesen, sprach er davon, wie „brandgefährlich“ solche Stigmatisierungen wie „die Flüchtlinge“ oder „die Schmarotzer“ auch heute seien. „Ich wollte es so dramatisch machen, damit ihr nicht denkt, es war nur ein fröhlicher Abend“, drückte er aus, dass es ihm um mehr als nur Unterhaltung ging.
Inklusion heißt Dazugehören
Später ließ er sich vom Publikum originelle Vorschläge dafür zurufen, was er alles nicht kann – vom „Klavier spielen“ über „den Hintern abwischen“ und „Schuhe anziehen“ bis „Melken“ oder „sich das Kondom alleine überziehen“ war da alles dabei. Aber auch da konterte der Kabarettist gewitzt, zeigte seine Hilfsmittel, um sich entsprechend zu reinigen. „Weil es normal ist, dass Sie sich Gedanken machen, wie der das macht. Kinder fragen das – Erwachsene nicht.“ Er machte in Sachen Klavier klar, dass auch „Leiden“ manchmal zum Dasein dazugehört, unterstrich, dass er die Kondom-Geschichte könne, dann aber „den Latexgeschmack im Mund“ habe, und sich tatsächlich mit dem Fuß die Zehennägel schneiden könne.

Rainer Schmidt demonstriert, dass körperliche Einschränkungen nicht vom Tischtennisspielen abhalten müssen. (Foto: aflo)

Rainer Schmidt demonstriert, dass körperliche Einschränkungen nicht vom Tischtennisspielen abhalten müssen. (Foto: aflo)


Jeder Mensch komme irgendwann an seine natürlichen Grenzen. „Ich bin kein Handwerker, ich musste ein Mundwerker werden“, schlug er wieder dein Bogen zur Inklusion. Entscheidend sei die Inklusion, für die es im Englischen nur einen Begriff gebe: „Sense of belonging“ – Zugehörigkeitsgefühl. Das gelte auch für ihn – und für alle anderen.
„Es geht nicht darum, ob du alles gleich gut kannst, sondern ob du dazugehörst“, nannte er das Beispiel einer Paderborner Schule, die fünf inklusive Kinder mit separatem Schulstoff von Sonderpädagogen betreuen lassen wollte. „Warum nicht gleich ein Zaun drum und ein Schild: Bitte nicht füttern?“, lautete seine ironische Antwort auf diese Situation.
Natürlich gebe es Menschen, denen sein Aussehen fremd sei, erzählte er von zwei chinesischen Putzfrauen, die ihn als Paralympics-Spieler am Flughafen in Shanghai anstarren und eine Traube von Menschen nach sich ziehen. „Aber wir treffen jeden Tag fremde Menschen“, lautete seine Antwort darauf.
Jeder Mensch hat seine Grenzen
Die zweite Botschaft des Abends lautete: Jeder hat auf seine Weise seine Einschränkungen. Es gehe darum, „mit seinen Einschränkungen und Talenten ein glückliches Leben zu führen.“ „Behinderung“ sei im Wesentlichen „Verunsicherung“, nannte er das Beispiel einer Bediensteten im Zugabteil, die ihm Kaffee verbilligt anbieten wollte, „weil Sie so arm dran sind“ – obwohl sie es als Minijobberin gegenüber dem Pastor sicher finanziell schlechter hat. Seine Antwort: er reichte ihr einen Fünfer, „weil ich dachte, dass Sie so arm dran sind.“ Die Überraschung zeigt
Die Strategie dagegen sei, einfach die Distanz zu sich zu verringern. Das gelinge ihm auf dreierlei Weise: indem er als Pfarrer bei Trauerbesuchen einfach drauflosrede, bis er nach drei Minuten im Haus ist, auf Partys die Frauen, die ihm gefallen, einfach mit „Küsschen links, Küsschen rechts“ überfalle (was er spontan bei einer Frau im Publikum umsetzte) oder Handschuhe mit Bockwürstchen trage. Und ab und an „leihe“ er sich eben mal fremde Hände.
Als „Zugabe“ zu dem normalen Kabarettprogramm zeigte der frühere Paralympics-Sieger im Zusammenspiel mit einem Gast, einem zählenden Schiedsrichter und einem „Balljungen“ seine Künste an der Tischtennisplatte – und bewies auch da, dass man auch mit seinen „Einschränkungen“ eine Menge Spaß haben kann.