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„Wir müssen noch einiges tun“

Seit 2018 hat Kevelaer mit Dr. Nina Jordan eine Klimaschutzmanagerin. Jetzt steht die Verlängerung der Stelle um zwei Jahre an. Das Kevelaerer Blatt sprach mit Nina Jordan über ihre bisherigen Erfahrungen, Klimakrise in der Coronakrise und die vor uns allen liegenden Aufgaben.

KB: Frau Dr. Jordan, wie haben Sie die Situation in Kevelaer bei Ihrem Amtsantritt erlebt?

Dr. Nina Jordan: Mein erster Eindruck war der European Energy Award und eine große Teamsitzung dazu. Der Energy Award ist in Kevelaer ja ein seit vielen Jahren gut etabliertes System. Da habe ich gemerkt: Hier fängt man nicht bei null an.

Womit haben Sie selbst denn angefangen?

Ich habe mich zunächst in allen Ortschaften vorgestellt, mit einem Vortrag zu Klimawandel und Klimaschutz. Das war natürlich sehr allgemein, aber ich wusste ja nicht, wo die Leute stehen. Viele dieser Menschen sehe ich noch heute regelmäßig wieder, wenn ich etwas organisiere, zum Beispiel bei der Filmreihe, da waren die gleichen Leute oft bei drei bis fünf der Filme dabei.

Welche Aufgaben haben Sie hier seitdem erwartet?

Das meiste sind Dinge, die man einmal anfängt und die dann nicht mehr weggehen (lacht). Oft macht es keinen Sinn, die Dinge nur einmal zu machen, zum Beispiel den Handwerkermarkt, der in diesen Tagen leider ausfallen muss. Letztes Jahr habe ich für die Medien das Thema Photovoltaik aufbereitet. Das müsste ich eigentlich dieses Jahr wieder machen, denn viele Anlagen werden jetzt 20 Jahre alt und fallen aus der Förderung heraus.

Ein großes Thema, das mich begleitet, ist zudem die Altbausanierung, verbunden mit dem Netzwerk Altbauneu. Da ist immer was los wie jetzt die geänderten Förderbedingungen und damit eine neue Broschüre. Man erreicht auch nicht immer jeden zu jeder Zeit. Wer jetzt ein Haus kauft, interessiert sich heute und nicht in einem Jahr für das Thema Sanierung.

Welches Thema konnten Sie noch nicht so voranbringen, wie Sie es gern getan hätten?

Ich versuche schon länger, das Thema Neubau zu platzieren, aber da muss man viel erklären. Das Potenzial beim Altbau verstehen viele, aber wir dürfen den Neubau nicht aus den Augen verlieren, denn neue Häuser stehen für 100 Jahre. Wir wollen 2050 klimaneutral sein, also müssen wir jetzt schon klimaneutral bauen. Dazu müssen wir mehr beraten und als Verwaltung mit gutem Beispiel vorangehen. Aber das ist abhängig vom politischen Willen.

Am politischen Willen ist auch die Ausrufung des Klimanotstands für Kevelaer gescheitert. Wie beeinflusst das Ihre Arbeit?

Es hat keinen Einfluss auf meine Arbeit, weil dadurch nicht beschlossen wurde, alle Anträge der Politik auf die Klimafolgen abzuklopfen, wie das andere Kommunen machen. Für mich ist die Entscheidung ein zweischneidiges Schwert: Mit Klimanotstand würde ich wohl nicht mehr von den Vorlagen loskommen. Aber ich mache gerne Vorschläge, was man noch anpacken kann. Wir sind auf einem guten Weg, aber mehr geht immer.

Bedeutet Ihr Job oft Reibung mit den Kollegen und der Politik?

Klimaschutzmanager sind per se Störenfriede in der Verwaltung. Es ist nicht meine Aufgabe, mich beliebt zu machen, sondern das „Wir-haben-das-immer-so-gemacht“ zu hinterfragen. Ist das so gut für uns und fürs Klima? Das gilt natürlich auch für jeden einzelnen von uns, wenn wir zum Beispiel entscheiden: Fahren wir mit dem Auto oder dem Fahrrad zum Sport?

Wie beeinträchtigt die Coronakrise Ihre Arbeit gegen die Klimakrise?

Durch Corona war es ein paar Wochen etwas ruhiger, gut um Dinge abzuarbeiten. Es trifft meine Arbeit, weil keine Veranstaltungen mehr stattfinden, aber ich mache Medienarbeit, kann Maßnahmen vorbereiten und stehe zur Telefonberatung zur Verfügung. Im Moment läuft die Vorbereitung für das Stadtradeln, das in diesem Jahr mehr Vorbereitung erfordert, da erstmals alle Kommunen im Kreis teilnehmen. Außerdem laufen ja meine beiden Wettbewerbe zu klima- und insektenfreundlichen Vorgärten ganz normal.

Wenn der Haupt- und Finanzausschuss wie erwartet die Stelle der Klimaschutzmanagerin verlängert – welche Aufgaben bringt das dann für die zusätzlichen zwei Jahre mit sich?

Ich sehe wie schon angesprochen großes Potenzial beim Thema Neubau, aber auch für das Thema Grün in der Stadt – Dach- und Fassadenbegrünung – sowie bei nachhaltiger Mobilität. Die Sitzung des Haupt- und Finanzausschusses wird diesbezüglich sehr spannend, weil sie richtungsweisend wird beim Thema Peter-Plümpe-Platz. Da kann man vieles richtig oder falsch machen. Ich wünsche mir weniger Parkplätze und mehr Aufenthaltsqualität. Man plaudert miteinander, wenn man zu Fuß unterwegs ist, aber nicht, wenn man im Auto sitzt. Eine lebenswerte Stadt hat viele Vorteile für die Bürger, auch beim Umgang mit ganz unterschiedlichen Krisen, selbst bei einer Pandemie.

Zusammengefasst: Ist Kevelaer denn beim Klimaschutz auf Kurs?

Ich habe im vergangenen Jahr die CO2-Bilanzierung gemacht. Da kam heraus, dass wir Stand 2017 gegenüber 1990 20 Prozent eingespart haben. Damit stimmen wir in etwa mit dem Landesziel von NRW überein. Das bedeutet aber auch, dass wir noch einmal ungefähr den gleichen Zeitraum haben, um 80 Prozent einzusparen. Da müssen wir noch einiges tun. Schwierig. Wir können aber auch nicht alles als Kommune erreichen. Manche Hebel liegen höher, in Berlin oder Brüssel.

Das Interview führte Björn Lohmann.

„Man lernt immer dazu“

In unserem Blick hinter die Kulissen des Kevelaerer Blattes stellen wir heute Doris de Boer vor, eine unserer „rasenden Reporterinnen“, die sich jetzt allerdings erst einmal etwas Ruhe gönnen wird.

KB: Doris, Du stammst gebürtig aus Süddeutschland. Was hat Dich nach Kevelaer geführt?

Doris de Boer: Die Liebe. Mein Mann ist Holländer, eigentlich „fliegender Holländer“, denn er ist beruflich sehr viel in der ganzen Welt unterwegs. Als ich noch in München Theologie studiert habe, haben wir uns dort auf einer Wallfahrt kennengelernt. Er hat sich schließlich in Kevelaer niedergelassen, weil er mehr in Deutschland arbeitet als in Holland und hier nah an seiner Heimat ist. Der Wallfahrtsort gefiel ihm schnell. Er war calvinistisch und ist dann zum Katholizismus konvertiert, den er hier natürlich in Fülle vorfindet. Nach meinem Studium bin ich ihm sehr gerne nach Kevelaer gefolgt.

Und wie bist Du schließlich zum KB gekommen?

Ich habe anfangs für die RP geschrieben und war dafür auch oft in den umliegenden Städten, zum Beispiel in Aldekerk und Nieukerk unterwegs. Aber ich bin gern mit dem Fahrrad unterwegs und wollte lieber über Kevelaer schreiben, schließlich gibt es hier auch genug zu berichten. Mich interessieren die Heimatgeschichte und natürlich das Wallfahrtsleben. Deshalb habe ich einfach mal beim KB angerufen und stieg dann gerne beim KB ein.

Wie gehst Du ans Schreiben ran?

Früher hat es immer gedauert, einen Einstieg in den Text zu finden. Inzwischen bin ich seit zehn Jahren dabei, und wenn ich erst mal den ersten Satz habe, schreibt sich der Text fast wie von allein. Man lernt schnell zu formulieren. Ebenso wie man lernt, die richtigen Fragen zu stellen.

Fürs KB schreibst Du oft über Kirche und Wallfahrt. Woher stammt Dein Bezug zum Thema?

Ich interessiere mich einfach für Spiritualität, gelebten Glauben und die frohe Botschaft der Bibel. Glaube heißt für mich, dass es mehr gibt als das Sichtbare, dass wir uns einem höchsten Wesen verdanken, der aus Liebe die Welt ins Sein rief, der mit den Sinnen nicht greifbar ist, aber der doch hinter allem steht. Glaube im Alltag hat für mich viel mit Reifen und Wachsen zu tun, aus den Erfahrungen des Lebens, auch aus Fehlern oder Krisen zu lernen, in Dankbarkeit heraus jeden Tag zu leben, seine Talente zu entfalten, Gutes zu tun oder Freude zu schenken.

Trotzdem berichtest Du über viele Themen – das KB ist ja auch keine Kirchenzeitung.

Ja, das stimmt. Aber man lernt immer dazu, wenn man etwas aus einer anderen Perspektive sieht. Sich mit neuen Themen zu beschäftigen, ist stets ein Gewinn. Und jeder Mensch hat seine Geschichte, seine Botschaft, die einem auf Vieles einen neuen Blick eröffnen.

Was interessiert Dich persönlich neben dem Glauben besonders?

Musik. Kevelaer ist wunderbar, was das Angebot an Musik angeht. Die Chöre, die Orchester, die vielen Möglichkeiten, ein Instrument professionell zu erlernen… Aber ich finde es schwierig, über Musik selbst zu schreiben. Gern schreibe ich Porträts von Menschen – ob über eine Hundertjährige oder einen Handwerker am Lebensabend. Menschen interviewen finde ich unglaublich toll. Ich habe meine Großeltern kaum gekannt, darum liebe ich es, von alten Menschen zu hören, von ihren Lebenserfahrungen, was ihnen weiterhalf, gerade auch in den schlimmen Zeiten. Ich finde es auch toll, dass man als Journalist herausragenden Menschen Fragen stellen kann – was man sonst nicht so leicht kann. Gern bin ich auch bei Veranstaltungen und frage die Beteiligten, Veranstalter oder Künstler, warum etwas so oder so gemacht wurde.

Als Mutter zweier, bald dreier Kinder sieht man Dich fürs KB besonders bei Veranstaltungen für Familien.

Ich finde Kindertheater toll. Da kann ich als Mutter mit meinen Kinder hingehen und berichten. Oder über Veranstaltungen aus dem Kindergarten oder der Schule berichten. So lässt sich prima Berufliches und Privates verbinden.

Die baldige Geburt Deines dritten Kindes bedeutet aber auch, dass für die rasende Reporterin jetzt erst einmal Babypause ist, oder?

Ja, der Termin ist im Februar. Ich habe mal über Bischof Johann Michael Sailer geforscht, der vor gut zwei Jahrhunderten für die Kirche und das Glaubensleben in Deutschland ganz entscheidend war und ich würde gern ein Buch mit seinen heute noch wegweisenden Gedanken herausbringen. Dafür nutze ich die Zeit, während ich auf die Geburt warte oder dann danach. Nach der Geburt werde ich erst einmal keine Zeit für Termine haben – aber man wird sicher weiter immer mal was von mir im KB lesen.

Durch Achtsamkeit mehr Lebensglück erlangen

Im Herbst 2016 hat sich Ruth Plege als Achtsamkeitstrainerin in Kevelaer selbständig gemacht. Sie möchte den Menschen mit ihren Kursen zu einem entspannteren, glücklicheren Leben verhelfen. Zahlreiche Teilnehmer äußern sich begeistert über ihre eigenen Erfahrungen mit dem Coaching bei der Achtsamkeitstrainerin: „Ruth Plege steckt einen mit ihrer Begeisterung für das Thema ‚Achtsamkeit’ nicht nur an, sie lebt es. Das Training hat mir Techniken an die Hand gegeben, den Alltag gelassener und bewusster zu leben und auch die kleinen Dinge im Leben zu achten und zu schätzen.“ – „Meine Tage sind nun gefühlt länger und die Wochen rasen nicht so schnell an mir vorbei.“ – „Der Kurs liefert wichtige Erkenntnisse, um das Leben viel bewusster und gelassener genießen zu können.“ oder „Man lernt, sich aus der Zukunft und Vergangenheit zurückzuholen, um im Jetzt zu leben.“

Das Kevelaerer Blatt traf Ruth Plege, um mit ihr über das Thema Achtsamkeit zu sprechen.

Kevelaerer Blatt: Was meint genau „Achtsamkeit“?

Ruth Plege: Ich unterrichte nach dem Unified Mindfulness-Ansatz. Ausgebildet wurde ich von der Achtsamkeitslehrerin Sabine Heggemann, die den von dem Amerikaner Shinzen Young entwickelten Ansatz nach Deutschland gebracht hat. Achtsamkeit oder achtsame Wahrnehmung bezeichnet hier das Zusammenwirken von drei Aufmerksamkeitsfertigkeiten, nämlich Konzentration, Klarheit und Gelassenheit. Es geht um die Fähigkeit zu Präsenz, um mehr Bewusstheit. Die Qualität unserer Aufmerksamkeit ist also entscheidend und vor allem auch, mit welcher inneren Haltung wir etwas erleben und tun.

Achtsamkeit im Alltag bedeutet, sich trotz wiederkehrender Belastungen und zahlreicher Ablenkungen auf das Wesentliche konzentrieren zu können, einen klaren Kopf zu behalten und im Umgang mit alltäglichen Herausforderungen gelassen zu bleiben. Damit ist Achtsamkeit eine innere Ressource, die durch Training entwickelt beziehungsweise vertieft werden kann. Sie hilft uns, Stress zu reduzieren und uns selbst und anderen mit mehr Wohlwollen und Mitgefühl zu begegnen.

Wie kamen Sie selbst dazu, sich mit Achtsamkeit auseinanderzusetzen und es auch zu lehren?

Im Grunde waren es körperliche Erkrankungen, mit denen ich viele Jahre zu kämpfen hatte und durch die ich seit Beginn meines Studiums oftmals stark im täglichen Leben eingeschränkt war. Auf meiner inneren Reise durfte ich unter anderem lernen, all dies anzunehmen und nicht länger dagegen anzukämpfen. Das ist immer ein Prozess und individuell unterschiedlich.

Schließlich nahm ich mein Schicksal selbst in die Hand, fühlte mich den Umständen nicht länger hilflos ausgeliefert. Das setzte große Energien in mir frei, die mir halfen, mein Leben positiv zu verändern. Ich fing an, mich intensiv mit unterschiedlichen Achtsamkeitsansätzen zu beschäftigen und regelmäßig zu trainieren. Ich absolvierte eine Weiterbildung zum Stress- und Mentalcoach, ließ mich zur Achtsamkeitslehrerin ausbilden und machte mich selbstständig. In meiner Arbeit möchte ich nun andere Menschen auf ihrem Weg begleiten und ihnen Mut machen, in sich hineinzuhorchen und sich selbst besser kennenzulernen.

Wie läuft das Achtsamkeitstraining konkret ab?

Jeder kann Achtsamkeit lernen. Es sind keine Vorkenntnisse für die Teilnahme an einem Kurs nötig. Einzig und allein hilfreich ist die Entscheidung beziehungsweise die Bereitschaft, sich regelmäßig Zeit zu nehmen, um eine Achtsamkeitstechnik zu üben. Der Einführungskurs läuft über einen Zeitraum von acht Wochen. In diesem Zeitraum findet einmal pro Woche ein Gruppentreffen statt, wo dann ausgewählte Achtsamkeitstechniken aus dem Unified Mindfulness-Ansatz erläutert und praktiziert werden. Die Teilnehmenden lernen, wie sie ihre achtsame Wahrnehmung an einem geschützten Ort sowie im Alltagsgeschehen trainieren können. Zu Beginn erfordert das Training circa 10 Minuten täglich.

Es ist hilfreich, sich für diesen Zeitraum einen geschützten Rahmen zu schaffen, ohne Unterbrechungen oder Ablenkungen. In den Kursen finden die Teilnehmenden oft zu einem innerlichen Perspektivwechsel im Umgang mit Stress oder herausfordernden Situationen. Viele finden zu mehr Ruhe und Gelassenheit, lernen, in Kontakt mit sich selbst und dem Körper zu sein, sind erfüllter und zufriedener.

Erleben Sie die Menschen heute auch zunehmend gestresst?

Ja, denn wir alle – Kinder, Jugendliche und Erwachsene – sind mehr oder weniger Symptomträger eines Lebens in einer Konsum- und Leistungsgesellschaft. Wir alle kennen und erleben Stress. Tagtäglich müssen wir eine Reihe von Entscheidungen treffen und eine Vielzahl an Anforderungen im Alltag bewältigen. Wir stehen unter Druck. Selbst in unserer Freizeit muss es oft „höher, schneller, weiter“ gehen. Hinzu kommt die ständige Erreichbarkeit.

Die vorherrschende Reizüberflutung führt zu einer körperlich-mentalen Daueranspannung, zu chronischem Stress. Die Menschen sind selten bei sich, dafür sehr oft im „Außen“, ständig auf Empfang, auf der Suche nach „Likes“. Auch im Job stehen viele Arbeitnehmer unter Druck, sich gleichzeitig auf mehrere Dinge konzentrieren zu müssen. Das ist neurobiologisch gar nicht möglich und kostet nicht nur unserem Gehirn viel Energie.

Wir sind überall und nirgends, aber nur selten wirklich präsent im gegenwärtigen Augenblick – mit erheblichen Konsequenzen für unsere Konzentrations- und Aufmerksamkeitsfähigkeit und für unsere psychische und physische Gesundheit. Der Krankenstand steigt in vielen Berufen: Schlafstörungen, Depressionen und Rückenleiden nehmen zu, um nur einige Auswirkungen zu nennen. Parallel dazu wird die Sehnsucht nach Ruhe, Stille, Entspannung und Entschleunigung immer größer.

Was ist denn das wichtigste Rezept gegen Stress?

Es gilt, mehr Bewusstheit, mehr Klarheit in die eigenen Gedanken zu bringen. Denn zu fast 50 Prozent denken und handeln wir im sogenannten Autopilotenmodus, im Unbewussten. Um weniger zu leiden, um Stress zu reduzieren, ist es hilfreich, die Aufmerksamkeit immer wieder zurückzuholen in den gegenwärtigen Moment – mit seinen Gedanken weniger in die Vergangenheit oder in die Zukunft abzudriften und dafür mehr im Hier und Jetzt zu sein. Nur so ist man in der Lage, zu erkennen, was jetzt wirklich wichtig ist und kann aus dem Gedankenkarussell oder aus dem Hamsterrad aussteigen.

Das erfordert allerdings ein systematisches Training unserer Aufmerksamkeit. Und genau dort setzen meine Kurse an. Diese mache ich nicht nur für Privatpersonen, sondern auch als Fortbildungen oder für Unternehmen.

Welchen   Tipp   könnten   Sie   den   KB-Lesern   geben, um   das   neue   Jahr achtsam anzugehen?

Öfter mit seiner Aufmerksamkeit im gegenwärtigen Moment ankommen. Wahrnehmen und sich bewusst machen, dass es trotz vieler Widrigkeiten und Schicksalsschläge auch viel Gutes im eigenen Leben gibt. Regelmäßig in sich hineinhorchen, die eigenen Bedürfnisse spüren. Und sich dann mehr Zeit nehmen für die wirklich wichtigen Dinge im Leben.

Vieles, wofür wir dankbar sein können, wird uns erst bewusst, wenn wir psychisch oder körperlich krank werden. Trainieren wir aber die Fähigkeit, immer öfter präsent im Trubel des Alltags zu sein, dann haben wir gute Chancen, all die Selbstverständlichkeiten in unserem Leben schätzen zu lernen. Solange es das Negative und Unangenehme gibt, existiert auch immer das Schöne und Positive in unserem Leben. Es liegt an uns, dieses zu erkennen. Wir haben immer eine Wahl, worauf wir unseren Fokus richten wollen.

Nächster Kurs startet im Januar

Der nächste Einführungskurs für Erwachsene Mit Achtsamkeit zu mehr Wohlbefinden in Alltag und Beruf beginnt mit einer unverbindlichen Informationsveranstaltung am kommenden Dienstag, 21. Januar 2020, um 19.30 Uhr in Kevelaer. Die Veranstaltung endet gegen 21 Uhr. Die darauf folgenden Termine dieses Kurses sind: 28. Januar, 4. Februar, 11. Februar, 18. Februar, 25. Februar, 3. März und 17. März. Informationen erhalten Sie im Internet unter: www.impulse-der-achtsamkeit.de. Dort finden Sie auch die nötigen Kontaktdaten für die Anmeldung zum Kurs.

Interview: Doris de Boer

Einer der ältesten Berufe der Welt

Eine Frau, die unzählige Geburten von Kindern in Kevelaer und am ganzen Niederrhein erfahren hat und nun schon fast 40 Jahre lang als Hebamme schwangeren Müttern und neugeborenen Kindern beistand, ist Agnes Tebarts. 15 Jahre leitete sie mit Lucia Bald das Geburtshaus Geldern und versuchte, die Stunden rund um eine Geburt so häuslich und angenehm wie möglich zu gestalten. Das KB traf die erfahrene Hebamme zum Gespräch über das Wunder einer Geburt und die Berufung als Hebamme.

KB: Wussten Sie eigentlich schon früh, dass Sie den Beruf der Hebamme ergreifen möchten?

AT: Nein, eigentlich komme ich aus der Krankenpflege. Ich kümmerte mich anfangs um kranke Erwachsene und musste oft Alter, Krankheit und Tod erleben. Ich wollte lieber das Leben sehen. Ich machte dann eine zweite Ausbildung zur Hebamme, die ich 1983 in Paderborn abschloss.

Wie erscheint einer Hebamme eigentlich die Weihnachtsgeschichte?

AT: Das Staunen über das Wunder neuen Lebens ist uralt. Ein Kind verändert das Leben von Mann und Frau. Eine Geburt hat für mich immer etwas Heiliges: Vater, Mutter und Kind sehen sich zum ersten Mal gegenseitig, bestaunen sich, versuchen zu begreifen, was geschehen ist. Der Esel von Maria und Josef ist mittlerweile durch ein Auto ersetzt und der Stall gewöhnlich durch ein Krankenhaus, aber Flucht und Vertreibung, auch von Schwangeren und jungen Familien mit Kindern ist auch heute noch ein großes Thema. Gerade beim Höhepunkt der Flüchtlingskrise im Jahr 2015 dachte ich mir: Alles wiederholt sich, auch heute gibt es Flüchtlingsströme durch Leid, Krieg und Katastrophen.

Ist für Sie trotz aller Routine jede Geburt noch ein Wunder?

AT: Natürlich habe ich schon viele Geburten erlebt, aber jede Geburt bleibt geheimnisvoll und heilig. Wenn das Kind der Mutter auf die Brust gelegt wird, und Eltern und Kind sich gegenseitig bestaunen, habe ich mich als Hebamme meist zurückgezogen, um der Familie diesen besonderen Moment ungestört zu schenken. Der Blick eines neugeborenen Kindes ist einmalig. Durch das Adrenalin haben Neugeborene pechschwarze Augen. Nach einer Zeit hebt das Kind den Kopf und schaut Mama und Papa mit großen Augen an. Es ist wie Liebe auf den ersten Blick.

Sie erleben Kinder vom ersten Moment ihrer Geburt an und haben einen besonderen Blick auf und Bezug zu Kindern in ihren ersten Lebenstagen und -wochen. Was ist das Faszinierende an Neugeborenen?

AT: Es gibt nichts Reineres und Ehrlicheres als ein Neugeborenes. Für mich ist es ein Rohdiamant. Und es ist pur. Nicht nur der Blick, auch die Körperspannung eines Babys sprechen Bände: Man kann darin auch ein Stück weit seinen Charakter und sein Naturell herauslesen. Es gibt Kinder, die ganz in sich ruhen, andere haben weit aufgerissene Augen, wirken angespannt und neugierig, als wollten sie bloß nichts verpassen. Aber jedes Kind ist einmalig und einzigartig und das schon ab dem ersten Augenblick.

Wo haben Sie als Hebamme überall gearbeitet?

AT: Direkt nach meinem Hebammenexamen war ich ein Jahr in Kenia. Dort arbeitete ich bei Nonnen, die eine Art Geburtshaus hatten. Es war in einem Slum in Nairobi, Geburten waren dort reine Frauensache. Natürlich waren die hygienischen Bedingungen viel schlechter. Handschuhe und Einmalspritzen wurden dort nur ausgekocht und wieder verwendet. Oft haben wir notfallmäßig auch ganz ohne Handschuhe gearbeitet. Als ich 1984 zurückkam, ließ ich auch als erstes einen Aidstest machen, aber zum Glück hatte ich mich durch die Arbeit nicht angesteckt.
Danach arbeitete ich in den geburtshilflichen Abteilungen in Emmerich und Duisburg. 1985 lernte ich meinen Mann kennen und ich zog 1986 zu ihm an die Elfenbeinküste. Dort wurden 1986 und 1990 unsere beiden Kinder geboren. An der Elfenbeinküste arbeitete ich mit Kinderärzten zusammen, aber nicht geburtshilflich. Dort gab es viele Probleme mit Malaria und parasitären Erkrankungen. 1991 gingen wir zurück nach Deutschland, wo ich in Kevelaer und Moers in der Geburtshilfe arbeitete. 2001 gründete ich mit Lucia Bald das Geburtshaus Geldern.

Das Geburtshaus Geldern wurde 2015 geschlossen. Warum eigentlich? Es hatte doch einen hervorragenden Ruf…

AT: Die Zeit am Geburtshaus war eine tolle Zeit. Ich habe dort in 15 Jahren Arbeit die schönsten Geburten betreut und erlebt. Wir haben den Gebärenden eine 1:1-Betreuung ermöglicht. Wir hätten noch mehr arbeiten können, aber irgendwann ging es nicht mehr. Oft kamen wir an die Grenzen unserer Belastbarkeit, waren aber zufrieden mit unserer Arbeit. Wir mussten leider aus personellen Gründen schließen. Die Betreuung von Geburten rund um die Uhr war sehr kräftezehrend. Mein Körper war durch die vielen Nachtschichten nicht mehr auf die normale Nachtruhe eingestellt und es fehlte mir die Kraft. Da ich selber bald zweifache Oma bin, genieße ich es auch, mehr Zeit für meine eigene Familie zu haben. Ich leiste nun keine Geburtshilfe mehr. Mein Schwerpunkt liegt nun in der Arbeit mit Schwangeren, Wöchnerinnen und in der Kursarbeit, in der die Familienorientierung im Zentrum steht.

30 Prozent der Geburten in Deutschland sind Kaiserschnittgeburten. Warum ist diese Quote bei uns so hoch und wie beurteilen Sie als Hebamme diese Entwicklung?

AT: Vieles in unserem Gesundheitswesen kommt aus den USA. Dort ist die Rate an Kaiserschnitten übrigens noch höher. Für Krankenhäuser selbst sind Geburten durch Kaiserschnitt attraktiv, weil sie besser vergütet werden und für die Mütter und das Krankenhaus planbar sind. Heute bekommt jede dritte Frau einen Kaiserschnitt. Oft ist ein Kaiserschnitt sicherlich als lebensrettende Maßnahme auch berechtigt. Aber einen Wunschkaiserschnitt halte ich für fraglich: Sind wir nicht mehr bereit, Schmerzen und Stress auf uns zu nehmen? Für etwas zu kämpfen? Was heißt das für unsere Gesellschaft: Soll man alles geschenkt bekommen, ohne selbst etwas dafür tun zu müssen? Bei einer physiologischen Geburt kämpfen Mutter und Kind für das neue Leben.
Ein Kind, das sich durch den Geburtskanal durcharbeitet, ist sicher gestresst, aber die Geburt wurde erarbeitet, beim Kaiserschnitt wird das Kind einfach aus dem Bauch genommen. Ich kann in meiner ganzen Tätigkeit als Hebamme nur immer die normale, natürliche Geburt hochhalten und erklären, warum alles, auch der Schmerz, seinen Sinn hat. Auch eine PDA (Periduralanästhesie) ist nicht nur Segen, sondern auch Fluch:
Die Mutter kann bei der Geburt nicht mehr so mitwirken wie ohne Schmerzhemmung, die Zusammenarbeit zwischen Mutter und Kind wird gekappt. Solche Geburten dauern statistisch auch zwei Stunden länger.

Durch den Anstieg der Versicherungsprämien haben viele Hebammen aufgehört, selbstständig zu praktizieren. Wird es künftig nur noch Hebammen geben, die von Krankenhäusern angestellt sind?

AT: Die häufigst beklagte Berufsgruppe in der Medizin sind Geburtshelfer und Anästhesisten. Auch bei uns in Deutschland stehen immer höhere Klagesumme im Raum, wenn es etwa zu Geburtsschäden kommt. Wünschenswert wäre auf jeden Fall eine 1:1-Betreuung durch eine Hebamme während der Geburt. Leider werden viele kleine Geburtsabteilungen geschlossen, wie auch Kevelaer, Goch und Emmerich. Heute kann man im Kreis Kleve nur noch in Geldern und Kleve entbinden. Diese Geburtsabteilungen werden mit aktuell 1.000 und mehr Geburten im Jahr immer größer und eine Hebamme muss unter Umständen mehrere Gebärende gleichzeitig betreuen. Anders als etwa in den Niederlanden, wo durch ein völlig anderes Gesundheitssystem viele Frauen zuhause ihre Kinder bekommen, ist bei uns der Anteil an Hausgeburten mit 0,6 Prozent aktuell denkbar gering. Geburtshäuser gibt es auch nur sehr selten. Kinder werden heute fast ausschließlich in den Krankenhäusern, stationär oder ambulant, geboren.

„Don’t google with a Kugel. Frag‘ einfach mich.“

Viele Hebammen, die bis vor wenigen Jahren noch freiberuflich tätig waren, können sich die erst 2018 noch einmal gewaltig erhöhten Versicherungsprämien einfach nicht leisten. Viele freischaffene Hebammen können und möchten auch nicht 365 Tage im Jahr abrufbereit und angebunden sein oder scheuen den hohen bürokratischen Aufwand in Bezug auf die anteilmäßige Rückerstattung der Haftpflichtprämie. Demnächst soll der Beruf der Hebamme zudem akademisiert, also zum richtigen Studium werden, begleitet von Hebammen-Professorinnen. Ich bezweifle, dass es so mehr Interessenten für diesen Beruf geben wird. Für die Zukunft des Berufes gibt es, außer in der Arbeit an den Kliniken, keine gute Aussichten. Dabei ist dieser Beruf einer der ältesten Berufe der Welt.

Auch der Schwerpunkt des Berufes hat sich in der letzten Zeit sehr gewandelt: Heute sind die Frauen meistens über Google und Co bestens informiert. Ich als Hebamme sage gerne: „Don’t google with a Kugel. Frag‘ einfach mich.“ Ich möchte die Frauen darin bestärken, vom Kopf weg zu einem guten, gesunden Bauchgefühl zu kommen und Vertrauen in sich und den eigenen Körper zu entwickeln. Mein Ziel ist es, Schwangere und deren Familien ganzheitlich und kompetent zu begleiten, so dass sie gestärkt in die Geburt gehen können und ich diesen Ansatz im sensiblen Wochenbett fortsetzen kann.

Nähere Informationen über das Kurs- und Betreuungsangebot von Agnes Tebarts gibt‘s unter: www.hebamme-agnes-tebarts.de

Pichler bekräftigt Kandidatur aus dem Amt heraus

In weniger als einem Jahr steht in Kevelaer die Kommunalwahl an. Für Bürgermeister Dr. Dominik Pichler stellt sich die Frage nach der Wiederwahl. Bislang sieht es so aus, als werde er keinen Herausforderer haben. Das KB sprach mit Dominik Pichler über die politische Situation in Kevelaer und die kommenden Aufgaben.

Im Kreis Kleve kündigen die ersten Bürgermeister an, bei der Kommunalwahl im September 2020 erneut zu kandidieren. Bleibt es dabei, dass auch Sie wieder antreten?

Dr. Dominik Pichler: Offiziell ist eine Kandidatur ja noch gar nicht möglich. Aber dass ich die Absicht habe zu kandidieren, gilt weiterhin – auch, dass ich es für richtig halte, aus dem Amt heraus zu kandidieren.

Was ist Ihre Motivation dafür, nicht als SPD-Kandidat anzutreten?

DP: Mir war es immer schon wichtig, weniger ein SPD-Bürgermeister zu sein, sondern ein Bürgermeister möglichst aller Bürger. Ich möchte damit das Parteibuch nicht verleugnen. Es sollte aber bei der Ausübung des Amtes nach meinem Amtsverständnis keine große oder gar übergeordnete Rolle spielen. Ich brauche auch mehrheitsfähige Vorschläge im Rat und muss im Rat Brücken bauen. Man kann es nicht immer allen gleich recht machen, aber man kann versuchen, Mehrheiten für Ideen in der Bevölkerung zu gewinnen. Und das meine ich nicht populistisch. Das Gradierwerk war ja auch umstritten, aber jetzt, wo wir ein stimmiges Konzept umsetzen und die Leute es erleben können, hat die Kritik nachgelassen.

Alle Bürger zu überzeugen, kann aber nicht immer gelingen…

DP: Nein, beispielsweise wollte eine Mehrheit ein Mehrzweckbecken. Das bedeutete das Aus für die Sauna. Da musste ich eine Entscheidung treffen und die habe ich dann früh und klar kommuniziert. Das Pflaster der Hauptstraße wurde emotional diskutiert, weil es – neben den fachlichen Aspekten – eine Geschmacksache ist. Die gesamte Gestaltung der Innenstadt ist ein Beispiel dafür. Die Vorstellungen dazu sind sehr unterschiedlich. Es wird nicht gelingen, etwas hinzuzaubern, das allen gefällt. Aber wir müssen solche Entscheidungen treffen, um die Stadt weiterzuentwickeln.

Die teils große Harmonie, die sich nach der Kommunalwahl im Rat zeigte, ist mit der Zeit aber weniger geworden. Nicht zuletzt beim wichtigen Zukunftsthema „Klimanotstand“ gab es sehr unterschiedliche Positionen…

DP: Die Grünen fanden, da habe es „gerumst“. Das habe ich so nicht wahrgenommen, es ging doch vor allem um die Wortwahl. Jetzt muss die Abschlusserklärung mit Leben gefüllt werden. Aber Kevelaer macht beim Klimaschutz schon lange eine Menge. Die Kooperation mit den Landwirten zum Grundwasserschutz und die Teilnahme am European Energy Award haben sogar schon weit vor meiner Amtszeit begonnen.

Was tut sich aktuell beim Klimaschutz?

DP: Ganz aktuell beschäftigen wir uns mit der Klimafolgenanpassung. Da geht es vor allem um Starkregen und Dürren. Das ist natürlich kein Klimaschutz, gehört aber zum Thema dazu. Wir müssen uns aber auch fragen: Was können wir als Stadt sinnvoll tun? Wir sind ein Mosaiksteinchen im weltweiten Klimaschutz. Dabei dürfen wir die Menschen nicht verlieren: Wir machen das nicht, um jemanden zu entreichern oder jemandem das Leben schwer zu machen.

Was sagt die SPD in Kevelaer dazu, dass Sie aus dem Amt heraus und nicht als SPD-Kandidat antreten wollen?

DP: Der Vorstand weiß, dass ich auch 2015 ohne SPD-Emblem erfolgreich Wahlkampf gemacht habe. Die SPD sieht, dass ich das nötige Standing auch bei anderen habe. So falsch kann nicht sein, was ich gemacht habe.

Zum zweiten Mal in wenigen Jahren hat ein engagiertes Fraktionsmitglied unlängst die SPD-Fraktion verlassen. Kommt die Partei mit einem überparteilichen Bürgermeister nicht zurecht  oder warum brodelt es immer wieder in der Fraktion?

DP: Die Entscheidung von Brigitte Middeldorf war eine höchstpersönliche. Ich selbst habe kein Problem mit ihr und habe lange mit ihr als meiner Stellvertreterin gut zusammengearbeitet. Jetzt muss man akzeptieren, dass sie sich in einer anderen politischen Partei wohler fühlt.

Die CDU hat nun beantragt, Geschwisterkinder vom Kindergartenbeitrag zu befreien, eine Forderung, für die Sie als Mitglied SPD-Fraktion und auch als Bürgermeister jahrelang erfolglos geworben haben…

DP: Es ist richtig, dass jetzt die CDU die Geschwisterkinderregel kippen will. Den Antrag dazu habe ich vor sieben Jahren gestellt. Wir müssen jetzt schauen, ob wir das nicht auch auf die Ganztagsschule ausweiten können. Mehrkindfamilien zu unterstützen ist wichtig. Das merke ich mit meinen sechs Kindern selbst, obwohl ich wirklich gut verdiene.

Wie ist Ihr heutiges Verhältnis zur CDU?

DP: Ich finde, bei uns in der Lokalpolitik spielen links/rechts oder libertär/konservativ keine Rolle. Obwohl wir uns in unseren politischen Ansichten erheblich unterscheiden, komme ich mit dem CDU-Fraktionsvorsitzenden Paul Schaffers gut klar. Wir sind beide pragmatisch und suchen gut umsetzbare Ergebnisse. Bei politischen Themen auf Bundesebene kämen Paul Schaffers und ich wahrscheinlich längst nicht so häufig überein. Es gibt ja Gründe, weshalb ich in der SPD bin und er in der CDU.

Während der Grünkohlwoche schwört Dr. Dominik Pichler (hier mit Annette Strähnz und Heinz-Josef Kuypers) auf Deftiges. Ansonsten erwartet ihn im Rathaus aber nicht immer nur “Hausmannskost”.

Die CDU erwägt laut ihrem Fraktionsvorsitzenden, keinen eigenen Kandidaten zur Kommunalwahl aufzustellen. Manche sagen, weil sie keinen hat, andere, weil auch die Konservativen mit Ihrer Arbeit zufrieden sind. Ändert sich etwas an Ihrer Entscheidung, sollte eine Mehrheit der CDU doch einen eigenen Kandidaten präsentieren wollen?

DP: Klares Nein. Ich habe Ihnen ja meine Gründe genannt, und ob ich gegen fünf Kandidaten, gegen einen aus der CDU oder gegen keinen antrete, daran würde sich dadurch nichts ändern. Der Bürgermeister hat nicht aus dem Parteiprogramm heraus zu wirken, sondern sollte Brücken bauen und stets die Stadt und die Bürgerschaft im Blick behalten.

Sie haben kürzlich den Wegfall der Stichwahl bei der Bürgermeisterwahl in NRW kritisiert. Weshalb?

DP: Wenn fünf Kandidaten antreten und jeder ähnlich viele Stimmen holt, könnte ohne Stichwahl jemand mit knapp über 20 Prozent der Wählerstimmen den Sieg davontragen, der mit Stichwahl vielleicht von drei Vierteln der Wähler abgelehnt worden wäre. Und plötzlich hat man auch in NRW einen AfD-Bürgermeister, den kaum einer wollte.

Welche Themen werden für Sie in der kommenden Wahlperiode für Kevelaer zentral sein?

DP: Vor zwei Jahren hätte ich gesagt: die Integration Geflüchteter. Heute ist das kein Thema mehr. Die Geflüchteten, die wir hier haben, fallen nicht negativ auf. Das Klima könnte das Thema sein – aber vielleicht haben wir auch jetzt schon die richtigen Konzepte. In jedem Fall wird es weiter großen politischen Raum haben. Dauerbrenner bleiben sicher Jugend, Schule und Familie. Die Stadt gibt viel Geld aus, um Schulen modern zu halten und gut auszustatten. Wir haben uns um den Skatepark gekümmert, ums Mehrzweckbecken, den Kleinkaliberstand der SSG, die Kunstrasenplätze … Das ist immer auch Jugendförderung. Wir werden weiter die Turnhallen sanieren. Andere große Themen ergeben sich oft aus der Situation heraus.

Vor dem Hintergrund Klimaresolution, Neuplanung Plümpe-Platz, Verkehrskonzept: Gibt es bei der Stadt eigentlich jemanden, der ein übergeordnetes Konzept entwickelt, wie Kevelaer künftig in der Innenstadt attraktiv sein will, wie Radverkehr/Busverkehr/Bahnverkehr stärker gefördert und Autoverkehr begrenzt werden soll und wie dabei die Hüls gut einbunden wird?

DP: Im Rahmen der Peter-Plümpe-Platz-Planungen entsteht auch ein Verkehrskonzept über den Nahraum hinaus. Das hat den Auftrag zu prüfen, wie der motorisierte Individualverkehr verringert werden kann und wie Fußgänger und Radfahrer besser unterstützt werden. Davon erhoffe ich mir diverse Verbesserungen. Da meine Eltern Anwohner des Peter-Plümpe-Platzes sind, bin ich zu den Planungen formell befangen und kann mich daher nicht in den politischen Gremiensitzungen, sondern nur privat zu den Planungen einbringen. Ich bin schon dafür, ein Stück Verkehr rauszuziehen und im nördlichen Bereich ein Stück für Grün oder Begegnung zu schaffen.

Dann fallen natürlich Parkplätze weg. Steigen dann mehr Kevelaerer aufs Fahrrad um?

DP: Das kann ich nicht beantworten. Wir haben auch vom ADFC Vorschläge erhalten, wie Kevelaer fahrradfreundlicher werden kann und müssen schauen, wie wir die berücksichtigen können.

Und die Hüls?

DP: Eine erfolgreiche Anbindung ist wichtig für die Nutzung der Angebote auf der Hüls. Ich will da ja kein Millionengrab hinstellen. Die Entfernung zur Innenstadt wäre in einer Großstadt lächerlich. Aber auf dem Land muss man die Verbindung fußläufig attraktivieren. Man könnte überlegen, die Verkehrsberuhigung von der Marktstraße bis zur Antoniusschule auszuweiten oder sogar bis zur Kreuzung Walbecker Straße. Und wenn einmal die technischen Möglichkeiten so weit gediehen sind, dass sicheres autonomes Fahren im Straßenverkehr möglich ist, dann wäre das eine ideale Lösung für die Anbindung der Hüls an die Innenstadt mit einem Shuttlebus.

Dem Klimaschutz als Stadt Priorität einräumen

In bislang 138 Städten und Kreisen in Nordrhein-Westfalen haben Bürger oder Parteien beantragt, den Klimanotstand auszurufen. Vergangene Woche hat der Rat in Kleve einstimmig den Klimanotstand beschlossen, als erste Stadt am Niederrhein und 13. Stadt in NRW. Vier NRW-Kommunen haben entsprechende Anträge abgelehnt.

In Kevelaer hat die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen einen entsprechenden Antrag gestellt, der am Donnerstag, 11. Juli 2019, im Rat diskutiert werden wird. Die öffentliche Sitzung beginnt um 18.30 Uhr im Ratssaal.
Das KB sprach mit den Initiatoren des Antrags, den Kevelaerer Fraktionssprechern der Grünen, Ulrich Hünerbein-Ahlers und Wolfgang Röhr.

KB: Herr Hünerbein-Ahlers, Herr Röhr, Ihre Fraktion hat den „Klimanotstand“ beantragt. Das klingt ziemlich dramatisch.

Röhr: Ich kann verstehen, wenn jemand mit dem Begriff Schwierigkeiten hat. Der klassische Notstand erlaubt ja auch Eingriffe in Freiheiten. Aber der Begriff ist nicht von uns, der war schon in der Welt. Wir könnten auch Klimanotfall sagen. Dennoch: Viele Menschen denken, wir haben beim Klimaschutz noch viel Zeit. Da musste erst die Jugend drauf hinweisen, dass das nicht stimmt – was wir Grünen ja schon lange sagen.

Hünerbein-Ahlers: Wir nutzen jetzt schon 1,3 Erden!

KB: Aber ist das Klima nicht eher ein transnationales als ein lokales Thema?

Hünerbein-Ahlers: Wir halten es mit dem Motto „Global denken, lokal handeln“. Jeder sollte in seinem Bereich aktiv werden. Wir haben nicht nur in Kevelaer heiße Sommer und Starkregenereignisse, sondern weltweit. Natürlich sind auch Bundesregierung und EU gefragt, aber die sitzen das Problem ja aus.

KB: Welche Konsequenzen hätte denn ein Klimanotstand in Kevelaer?

Hünerbein-Ahlers: Der Antrag soll bewirken, dass wir das Ziel Klimaschutz im Auge behalten und unser Handeln daran ausrichten, dort, wo wir Einfluss haben. In diesem Fall als Stadt und als Rat.

Röhr: Es wäre gut, wenn bei Entscheidungen im Rat vorher die Klimamanagerin ihre Einschätzung dazu abgegeben hat – bislang wird neben der Sinnhaftigkeit nur die Bezahlbarkeit geprüft.

KB: Wenn die Stadtverwaltung jede Maßnahme auf ihre Klimafolgen prüfen muss, kommt auf die Mitarbeiter einiges an Arbeit zu.

Röhr: Kevelaer hat eine Klimaschutzmanagerin und wir haben eine Stelle für eine Umweltschutzmanagerin beantragt. Wenn das Personal trotzdem nicht ausreicht, dann muss man jemanden einstellen.

Hünerbein-Ahlers: Wenn man jetzt nichts macht, wird es später viel teurer. Früher sprach man bei Wetterextremen von Jahrhundertereignissen. Heute ist das überhaupt nicht mehr vorhersagbar.

KB: Haben Sie Beispiele, wie der Klimanotstand zum Tragen kommen könnte?

Röhr: Beispielsweise in Form einer effizienten Bauweise städtischer Gebäude, aber auch bei Verkehrskonzepten. Soll das Auto weiter Vorrang haben und die Radfahrer an den Rand gedrückt werden? Ein gutes Beispiel ist die Debatte um das kostenlose Kurzzeitparken, die „Brötchentaste“, die es in Kevelaer nicht gibt. Muss man wirklich zum Bäcker mit dem Auto fahren? Uns ist wichtig, dass diese Entscheidungen von Fachleuten geprüft werden. Wenn wir die Innenstadt für Autos sperren, ist das infolge der Umwege für das Klima vielleicht sogar schädlich? Das kann ich als ehrenamtliches Ratsmitglied nicht selbst beurteilen.

Hünerbein-Ahlers: In Keylaer entsteht eine energieautarke Klimaschutzsiedlung. Eine ähnliche Bauweise könnte man auch auf städtischen Grundstücken vorschreiben. Andere Städte haben Straßen zu Einbahnstraßen gemacht und eine Spur zu Radwegen. Wir müssen das Rad ja nicht neu erfinden.

Röhr: Bei der Straßenplanung könnte die Stadt die Vernetzung von Grünstreifen berücksichtigen, denn nur dann haben sie ökologisch einen Sinn.

Hünerbein-Ahlers: Im Betriebsausschuss wurde über E-Bürgerbusse diskutiert. Das Problem ist, dass die dann zu schwer würden und Fahrer mit Pkw-Führerschein sie nicht mehr fahren dürften. Aber es ist zumindest drüber nachgedacht worden – darum geht es uns. Außerdem wollen wir die Menschen für die Dringlichkeit sensibilisieren, denn auch jeder Bürger kann natürlich etwas tun.

KB: Sie haben es selbst angesprochen: In Kevelaer passiert doch schon viel für den Klimaschutz. Braucht es da den Klimanotstand?

Hünerbein-Ahlers: In Kevelaer wurden viele gute Sachen auf den Weg gebracht oder sind schon erfolgt. Mit dem Antrag wollen wir diesen Weg weitergehen, das Ziel im Auge behalten. Und wir zeigen den jungen Leuten damit: Wir nehmen euch ernst! Darum ist unsere Bitte an alle Fraktionen im Rat, dem Antrag zuzustimmen.

Ein eigenes Radio für Kevelaer

Fynn von der Höh und Noel Schmidt sind die Gründer von „Radio Kevelaer“. Gemeinsam mit Nova Marie Narzynski als Chefredakteurin und Hendrik Barz als Musikredakteur stellt das Team ein eigenes Radio für die Marienstadt auf die Beine. Die beiden Gründer haben das KB in der Redaktion besucht und ihr Projekt vorgestellt.

KB: Wie seid ihr auf die Idee gekommen, ein Radio für Kevelaer zu machen?

Fynn: Wir machen das Radio seit August 2018. Ende April ist es auf Sendung gegangen. Ich leite schon seit eineinhalb Jahren ein eigenes Webradio und als Noel dazugekommen ist, haben wir uns gedacht‚ dass wir auch ein Webradio zusammen machen können, wenn wir schon aus der gleichen Stadt kommen. Wir haben uns allerdings gesagt‚ dass wir ein Webradio mit Erwachsenen nicht zusammen bekommen, aber eventuell ein Jugendradio. Das heißt jedoch nicht direkt, dass dieses Radio nur für Jugendliche ist. In erster Linie ist es von Jugendlichen. Natürlich ist es auch für Jugendliche, aber eben auch für Erwachsene. Wenn dann alles klappt, wollen wir immer öfter auf Sendung gehen, sodass wir vielleicht irgendwann in der Woche durchgehend auf Sendung sein können.

Wie oft seid ihr momentan auf Sendung?

Noel: Im Moment ist es schwierig. Wir bauen noch auf und wollen eigentlich in einem Raum zusammenkommen, sodass nicht jeder von Zuhause arbeitet. Wir haben bisher nur eine Sendung hinter uns, ein bisschen probeweise. Wann es jetzt weiter geht, hängt davon ab, wann wir endgültig eigene Büroräume kriegen.

Woher bekommt ihr Räumlichkeiten für eure Arbeit?

Fynn: Wir sind aktuell in Gesprächen mit der Stadt und wir wissen, dass wir die Unterstützung auf jeden Fall bekommen werden. Herr Bruns hat uns zugesichert, dass er alles gibt, um Räumlichkeiten für uns zu finden. Es wird ein Raum sein, der uns von der Stadt kostenlos zur Verfügung gestellt wird. Mehr können wir zu dem Thema momentan aber noch nicht sagen.

Woher habt ihr das Equipment, das ihr benötigt?

Fynn: Wir haben momentan Equipment, das wir vorher schon hatten. Wenn wir das Ganze weiterführend machen, brauchen wir aber auf jeden Fall neues Equipment. Die Kosten können wir allerdings nicht alle decken, deswegen brauchen wir auf jeden Fall auch Sponsoren. Wir dürfen allerdings keine Werbung abspielen. Es wird zwar welche gespielt, die ist aber von unserem Vertragspartner, der finanziert damit unsere Gema-Lizenz. Natürlich sind wir auf der Suche nach Sponsoren, die uns etwas abnehmen können. Erwähnen können wir sie dann, wir dürfen nur keine klassische Werbung schalten.

Wollt ihr euer Team noch vergrößern?

Fynn: Auf jeden Fall. Wir suchen Leute im Alter zwischen 14 und 21 Jahren, die da wirklich Bock drauf haben. Wir hätten eine Nachrichtenredaktion, eine Musikredaktion und Moderatoren suchen wir natürlich auch. Das ganze Projekt ist keine Pflicht. Das soll auf jeden Fall ein Hobby bleiben. Es sollte auch allen anderen Leuten bewusst sein, dass wir das Radio als Hobby machen. Das ist eine Sache nebenbei, die wir für die Stadt Kevelaer und Umgebung anbieten möchten.

Macht ihr das alle neben einem Hauptberuf?

Noel: Fynn ist gerade dabei, in den Beruf zu starten und wir anderen drei sind noch Schüler. Nova ist 15 Jahre alt, Hendrik 14, ich bin auch 14 und Fynn ist 19. Wir wollen den Jugendlichen den Spaß am Radio vermitteln und ihnen zeigen, wie die Arbeit abläuft.

Kann man als Bürger mit Themen auf euch zukommen?

Fynn: Natürlich, auf jeden Fall. Wir sind für alle Themen offen und versuchen, die Anliegen bestmöglich zu bearbeiten. Es können wirklich alle Leute auf uns zukommen, nicht nur Jugendliche.

Was sind eure Pläne für die nächste Zeit?

Fynn: Wir hatten ein Gespräch mit einem Musiker, Nils Schink. Der hat seine eigene Band gegründet, „The Ohana Crew“. Nils würde gerne was mit den lokalen Musikern machen. Wir wollen in Zukunft ein paar Sachen zusammen starten, unter anderem wollen wir die Musiktitel der Band bei uns ausstrahlen. Eventuell wollen wir auch Planungen für ein Jugendfestival angehen, das steht aber noch nicht fest. Wir wollen das ganze Projekt auch einfach zum Anlass nehmen, zu zeigen, dass die Stadt Kevelaer mehr kann, als Kirche. Wir wollen einfach was für die Jugendlichen machen.

OW1-Trasse geprüft: Nordumgehung brächte keine Entlastung

In einem Leserbrief und einem Gastbeitrag haben zuletzt KB-Leser Kritik am Bau der Ortsumgehung OW1 geäußert. Im Interview mit dem KB nimmt Bürgermeister Dr. Dominik Pichler zu den darin geäußerten Punkten Stellung.
Kevelaerer Blatt: Herr Dr. Pichler, in der vergangenen Woche haben zwei Leser des Kevelaerer Blattes die Sinnhaftigkeit der OW1 aus heutiger Sicht bezweifelt. Ein Argument war, dass die Umgehungsstraße das Verkehrsproblem nicht lösen, sondern nur mehr Verkehr erzeugen würde. Teilen Sie diese Einschätzung?
Dr. Dominik Pichler: Nicht Umgehungsstraßen generieren Kfz- und Lkw-Verkehr, sondern der Mensch. Der Mehrverkehr ist bereits da und rollt täglich durch Kevelaer. Das sind nicht nur Lkw oder ein- und auspendelnde Einwohner, sondern auch Hunderttausende Pilger und die übrigen Gäste unserer Stadt. Seit Ende der Neunziger ist die Gruppe der Irrland-Besucher hinzugekommen. Der Freizeitpark in Twisteden hatte im vergangenen und vorvergangenen Jahr eine Million Besucher – auch etliche Kevelaerer und Familien aus der näheren Umgebung, aber eben auch mehrere Hunderttausend Besucher etwa aus dem Rheinland und dem Ruhrgebiet, die die An- und Abreise über die BAB 57 bewerkstelligen und seit einigen Jahren nun zusätzlich jedenfalls durch Winnekendonk fahren und dann entweder über die Rheinstraße oder über Wetten. Menschen, die sich nach besserer Luft sehnen, sollten daher, wenn sie denn in der Stadt bessere Luft haben wollen, einer Umgehungsstraße positiv gegenüberstehen. Einer Umgehungsstraße noch dazu, deren entlastende Wirkung im aktuellen Planfeststellungsbeschluss untersucht worden ist mit dem Ergebnis, dass prognostiziert worden ist, dass mit dieser OW1-Trassenführung der Verkehr der Ortsdurchfahrt Winnekendonk und der Rheinstraße nahezu halbiert würde. Dass die OW1 überflüssig sei, weil die Vorschläge von Herrn Lüdke die verkehrlichen Probleme lösen könnten, teile ich nicht.
Müssen wir nicht weg vom Individualverkehr hin zu mehr geteilten Verkehrsmitteln?
Dr. Dominik Pichler: Der ÖPNV, insbesondere der Busverkehr, wird derzeit von den Einwohnern nicht als Alternative zum Pkw wahrgenommen. Die geringe Auslastung spricht eine deutliche Sprache. Die Realität, dass der Großteil der Menschen auf dem Land den Pkw als Mittel der Wahl in Sachen Mobilität begreifen – leider mitunter auch für Strecken von nur wenigen Hundert Metern – kann als vorhandener Umstand nicht geleugnet werden. Der Einfluss der Stadt Kevelaer auf die NordWestBahn oder den Trassenbetreiber Deutsche Bahn ist sehr gering, auch wenn zur Verbesserung der Situation Gespräche geführt werden. Für den überregionalen Verkehr und auch für den Lastverkehr bietet Herr Lüdke überhaupt keinen Lösungsansatz an.
Der Schwerlastverkehr ist es, über den sich die Anwohner der Rheinstraße seit Jahren besonders beklagen. Sie wünschen sich, die Straße für diese Verkehrsteilnehmer zu sperren.
Dr. Dominik Pichler: Rechtlich verhält es sich so, dass eine Landesstraße, und eine solche ist die Straße zwischen Winnekendonk und der B9, für den gesamten Verkehr zur Verfügung steht. Eine Sperrung für den Lkw-Verkehr ist faktisch nahezu unmöglich. Es gibt zwar keinen Paragrafen, in dem steht, dass klassifizierte Straßen nicht für einzelne Verkehrsarten gesperrt werden dürfen. Dass dies nicht möglich ist, ergibt sich aber aus der Definition dieser Straßen. In § 3 Straßen- und Wegegesetz NRW steht zu öffentlichen Straßen: „Landesstraßen sind Straßen mit mindestens regionaler Verkehrsbedeutung, die den durchgehenden Verkehrsverbindungen dienen oder zu dienen bestimmt sind; sie sollen untereinander und zusammen mit den Bundesfernstraßen ein zusammenhängendes Netz bilden.“ Durch die Sperrung auch nur einzelner Verkehrsarten würden die Verkehrsverbindungen unterbrochen, was der Definition und der Funktion der Straßen widerspricht. Eine Einschränkung auf bestimmte Benutzerkreise ist eine Teileinziehung gemäß § 7 StrWG NRW und nur möglich, wenn überwiegende Gründe des öffentlichen Wohls vorliegen. Eine Teileinziehung kann nur die Straßenbaubehörde verfügen. Angesichts der erheblichen Verkehrsbelastung ist eine solche Teileinziehung nach meiner vorläufigen Bewertung nicht darstellbar. Hier wartet die Verwaltung allerdings noch auf eine Stellungnahme von Straßen.NRW auf den Bürgerantrag der IG pro OW1.
Würde man den Verkehr von der Autobahn über die Schloss-Wissener-Straße nach Kevelaer lenken, ließe sich die Rheinstraße doch sicher herabstufen, was eine Sperrung für Schwerlastverkehr ermöglichen würde?
Dr. Dominik Pichler: Eine Herabstufung zur Gemeindestraße ist nur möglich, wenn die Straße nicht bedeutsam ist. Das Verkehrsaufkommen spricht allerdings eine andere Sprache. Eine in der Nähe befindliche Ausweichroute ist nicht vorhanden. Erst mit einer Ortsumgehung wird die Straße entlastet und erst dann ist an eine Herabstufung zu denken. Diese Herabstufung kann im Übrigen nicht von der Stadt Kevelaer oder dem Rat vorgenommen werden. Sie kann allenfalls beim Landesbetrieb Straßen.NRW beantragt werden – derzeit eben wegen der erheblichen Verkehrsbelastung und der fehlenden Ausweichroute mit äußerst geringen Chancen auf Erfolg.
Ist die Schloss-Wissener-Straße in Ihren Augen keine geeignete Ausweichroute?
Dr. Dominik Pichler: Wenn man einmal für einen kurzen Augenblick unterstellt, es ginge doch und die Lkw müssten an der Abfahrt Uedem Richtung Schloss Wissen fahren, um dann über die B9 nach Kevelaer zu kommen, bedeutet dies zweierlei, und dies scheint von den Befürwortern einer solchen Lösung nicht hinreichend bedacht worden zu sein. Zum einen wird aufgrund der längeren (Um-)Wege mehr Sprit verbraucht, was zu einer größeren Stickoxid- und Umweltbelastung führt als derzeit – allerdings an anderer Stelle. Das Sankt-Florian- Prinzip sollte allerdings hier nicht handlungsleitend sein. Zum anderen würden die Fahrtwege für die in Kevelaer ansässigen Firmen um ca. sieben Kilometer länger. Unternehmerisch gedacht macht ein Standort in der Nähe einer Autobahn schon Sinn, denn Zeit ist Geld. Ein Umweg über die Schloss-Wissener-Straße führt mit Sicherheit zu Überlegungen bei Arbeitgebern hier vor Ort, den Standort in die kommunale Nachbarschaft oder an einen ganz anderen Standort zu verlagern, und wenn das passiert, bricht auch die Gewerbesteuer ein, eine der Haupteinnahmequellen der Stadt Kevelaer (und noch mehr Menschen müssen zur Arbeit aus- und einpendeln, nutzen den Pkw und erhöhen die Stickoxid- und Umweltbelastung). Mit den Einnahmen aus der Gewerbesteuer werden derzeit auch die Schulen saniert, das Hallenbad und die Turnhallen instand gehalten, nur um einige wenige Beispiele zu nennen. Ich persönlich halte den Vorschlag, den Schwerlastverkehr über die Schloss-Wissener-Straße zur Auffahrt Uedem zu zwingen, aus den genannten Gründen aus Verwaltungssicht, aus Unternehmersicht und auch aus ökologischen Gesichtspunkten insgesamt für wenig zielführend.
Ich habe den Eindruck, dass viele Zusammenhänge beim Thema OW1 und vorhandenen bzw. nicht vorhandenen Alternativen weiten Teilen der Öffentlichkeit nicht bekannt sind. Das unterstreicht doch die Kritik der Initiative „Rettet die Binnenheide“, dass in den vergangenen Jahren dazu nicht genug informiert und diskutiert worden ist.
Dr. Dominik Pichler: Zunächst einmal habe ich nicht den Eindruck, dass die von Frau Wouters unterstützte Initiative „Rettet die Binnenheide“ eine (ergebnis-)offene Aufklärungskampagne führt, um die Bürger umfassend zu informieren, wie von Frau Wouters dargestellt. Vielmehr wird eine PR-Kampagne in eigener Sache betrieben mit eben jenem Gastbeitrag in der KB-Ausgabe von vergangener Woche, aber auch seit Wochen und vermutlich auch in nächster Zeit mit Leserbriefen der Mitglieder der Initiative „Rettet die Binnenheide“ und mit einer entsprechend ausgestalteten Social-Media-Kampagne. Das kann man so machen, wenn man die eigene Position möglichst breit dargestellt wissen will und eine Zeitung findet, die dabei mitmacht. Es werden aber lediglich Bedenken und Kritik geäußert. Die Kehrseite der Medaille wird nicht betrachtet, denn dies würde dem Ziel, die Binnenheide so zu erhalten, wie sie jetzt ist, nicht entsprechen. So passiert es dann aber hier und da, dass die Darstellung eben sehr einseitig ausfällt und der Blick aufs Ganze verloren geht.
Irritiert bin ich im Übrigen vom Hinweis von Frau Wouters, die die Bürger auffordert, sich nicht den Mund verbieten zu lassen. Ich zumindest ziehe mir diesen Schuh nicht an. Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut. Man muss ja nicht immer einer Meinung sein.
Der Wert der Binnenheide als Natur- und Erholungsgebiet wird aber auch außerhalb der Initiative von vielen Kevelaerern hoch geschätzt.
Dr. Dominik Pichler: Jede Infrastrukturmaßnahme, auch der Bau von Bahntrassen und Fahrradwegen, stellt eine Versiegelung von Flächen und einen Eingriff in die Landschaft dar. Die Umweltbewegung hat insbesondere durch die Umweltthemen des vergangenen Jahres noch einmal deutlichen Auftrieb erhalten. Der Klimawandel und die anhaltende Zerstörung der Natur sind vor der Haustür angekommen. Beispielhaft seien genannt das Bienen- und Insektensterben, die Zunahme von Jahrhundertwetterereignissen (zuletzt Starkregen oder – wie im vergangenen Sommer – Dauerhitze und anhaltende Trockenheit), der Dieselskandal mitsamt dem offenen Lobbyismus des Bundesverkehrsministers zugunsten der Autoindustrie, nicht zu vergessen die symbolträchtige Debatte um den Hambacher Forst. Dass man vor diesem Hintergrund über erheblich in die Natur eingreifende Maßnahmen nachdenkt und über deren Sinnhaftigkeit, ist zunächst völlig nachvollziehbar und legitim.
Die OW1 hat ihre Wurzeln aber in der Mitte des 20. Jahrhunderts. Da hatte Verkehr gegenüber der Umwelt noch eine ganz andere Priorität als heute.
Dr. Dominik Pichler: Herr Vollstedt von der Bezirksregierung hat in dem Gespräch mit den OW1-Gegnern erläutert, dass er den Planfeststellungsbeschluss nicht unterschrieben hätte, wenn er ein natur- oder artenschutzrechtliches No-Go vorgefunden hätte.
Manche Bürger vermuten, die aktuelle Landesregierung würde schlicht dem Naturschutz weniger Gewicht beimessen als ihre Vorgängerin.
Dr. Dominik Pichler: Die schwarz-gelbe Regierung setzt beim Thema Infrastruktur andere Schwerpunkte als die Vorgängerregierung und forcierte durch politischen Druck das Tempo der Entscheidungsfindung. Herr Vollstedt teilte in dem erwähnten Gespräch allerdings mit, dass er in Fragen der Planfeststellung nicht weisungsgebunden sei, sondern aus eigener Überzeugung zu dem gefundenen Ergebnis gelangt sei. Da sei er unabhängig und ließe sich nicht reinreden.
Die Trassenführung ist zwar heikel aus wasser-, natur- und artenschutzrechtlicher Sicht, sodass die Abwägung gerade für diesen Bereich sehr ausführlich ausfällt und mit großem Aufwand erfolgt ist. Doch durch Ausgleichs- und Kompensationsmaßnahmen ist die Trassenführung vertretbar und ist daher – vorbehaltlich einer gerichtlichen Entscheidung – genehmigt worden.
Hätte eine Nordumgehung nicht das Verkehrsproblem gelöst und weniger Eingriffe in die Naturlandschaft bedeutet?
Dr. Dominik Pichler: Die Darstellung von Frau Wouters, eine Südumgehung sei bereits um 1960 entschieden worden, ist schlicht falsch. Ein Verlauf der Trasse wurde erstmals 1978 festgelegt. Anschließend wurde viel hin- und herdiskutiert, erst 1993 das Planfeststellungsverfahren für den ersten Bauabschnitt der OW1 eingeleitet und im Jahr 1996 beschlossen. Auch damals schon wurden vier Varianten diskutiert für den zweiten Bauabschnitt. Dass die OW1 nicht als Ganzes geplant und beschlossen worden ist, kann man aus unterschiedlichen Gründen bedauern. Die Entscheidung, dass die nun in der Diskussion stehende Trasse gebaut werden kann, wurde allerdings von der Bezirksregierung erst Ende 2018 getroffen. Die ökologischen und verkehrlichen Abwägungen sind auf dem Stand Ende 2018.
Die drei alternativen Nordvarianten wurden verworfen, obwohl sie weniger in die Natur eingreifen. Einleuchtender Grund: Die Bezirksregierung stellte keine entlastende Wirkung durch diese Varianten fest und der Bau einer Straße ist in der Tat entbehrlich und sollte nicht realisiert werden, wenn die infrastrukturellen Erwartungen nicht erfüllt werden können. Die Entlastung ist ja gerade der Sinn einer Umgehungsstraße. Anders fällt die aktuelle Beurteilung der Bezirksregierung für die nun in der Diskussion stehende Trasse aus. Hier wird eine entlastende Wirkung bejaht.
Sie erwähnten das Gespräch mit Herrn Vollstedt von der Bezirksregierung. Die IG pro OW1 kritisiert, dass sie nicht dabei sein durfte. Wieso nicht?
Dr. Dominik Pichler: Mir ist es tatsächlich durchgegangen, der IG pro OW1 ausdrücklich mitzuteilen, dass sie nicht am Gespräch mit Herrn Vollstedt teilnehmen darf. Die Spielregeln für dieses Gespräch bestimmte allerdings die Bezirksregierung und danach war klar: Gespräch in kleiner Runde mit Herrn Vollstedt, zwei Vertretern der Stadtverwaltung – konkret: Herr Heckens und ich – und vier Vertretern der OW1-Gegner.
Die Mitglieder der Initiative „Rettet die Binnenheide“ glauben, dass die Beurteilung der Bezirksregierung die anstehende Verkehrswende nicht hinreichend berücksichtigt. Lokal emissionsfreie Fahrzeuge, Shared Economy, Home Office – die Probleme der Rheinstraße könnten sich in 20 Jahren von alleine erledigt haben, aber dann ist die Binnenheide zerschnitten.
Dr. Dominik Pichler: Es ist auch hier wieder legitim, gefundene Ergebnisse und Abwägungen zu bezweifeln. Dann darf ich als Rat und Verwaltung und auch als Bürger allerdings nachprüfbare und substantiierte Belege für diese Zweifel erwarten, denn sonst sind wir rasch im Bereich der alternativen Fakten. Aktuell besteht die Kritik an der verkehrlichen Notwendigkeit der OW1 allerdings lediglich im „Prinzip Hoffnung“, weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Vielleicht wäre die Straße tatsächlich nicht nötig, wenn die Menschen sich in Sachen Mobilität anders verhalten würden, als sie es tun. Dies ist aber auf absehbare Zeit nicht zu erwarten. Substantiiert mag dieser Aspekt im Rahmen des Verfahrens beim Verwaltungsgericht Düsseldorf vorgetragen werden. Derzeit besteht allerdings keinerlei Grund, am gefundenen Ergebnis der verkehrlichen Notwendigkeit dieser Trasse ernsthaft zu zweifeln.
Im Planfeststellungsbeschluss wurde das infrastrukturelle Erfordernis der OW1 und die Entlastung für die Stadt Kevelaer und die Ortschaft Winnekendonk prognostiziert – ein Ergebnis nicht der 60er- oder der 90er-Jahre, sondern ein Ergebnis des Planfeststellungsbeschlusses von Ende 2018.
Frau Wouters sieht die OW1 nur als einen Teil des Problems. Auch ein möglicher Ausbau des Flughafens Weeze und zusätzliche Kiesausbaggerungen bereiten ihr Sorge. Können Sie dazu etwas sagen?
Dr. Dominik Pichler: Bei Lichte betrachtet ist derzeit ja nicht die von Frau Wouters befürchtete Ausweitung des Flughafens Thema. Der Flughafen hängt derzeit am Tropf einer einzigen Fluggesellschaft und die hat im vergangenen Herbst das Angebot zurückgefahren und wird es wohl im Sommer diesen Jahres noch weiter zurückfahren. Spitz formuliert droht dem Flughafen eher die Schließung als die Ausweitung, selbst wenn er nun als landesbedeutsam eingestuft werden soll. Mit dem Kiesabbau verhält es sich ähnlich: Der aktuelle Regionalplan sieht im betroffenen Gebiet keinen Kiesabbau vor. Insbesondere der Eigentümer, der vor zehn Jahren über Kiesabbau im Außenbereich von Wetten nachgedacht hat, hat mir gegenüber erst kürzlich erklärt, dass das zurzeit kein Thema sei. Insofern malt Frau Wouters ein dem aktuellen Sachstand nicht im Ansatz entsprechendes Schreckensszenario. Der erwartbare Einwand, dass die von Frau Wouters beschriebenen Dinge aber vielleicht in zehn oder 20 oder 50 Jahren möglich sind, verfängt meines Erachtens nicht. Der Blick in die Vergangenheit zeigt, dass es bislang noch nie irgendjemandem möglich war, die Zukunft auf Jahrzehnte im Vorhinein so zu planen, dass absolute Sicherheit besteht. Wir müssen die Dinge also, wenn wir seriös argumentieren wollen, so beurteilen, wie sie sich uns aktuell darstellen, nicht danach, wie sie sich vielleicht in vielen Jahren darstellen könnten.