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Einer der ältesten Berufe der Welt

Eine Frau, die unzählige Geburten von Kindern in Kevelaer und am ganzen Niederrhein erfahren hat und nun schon fast 40 Jahre lang als Hebamme schwangeren Müttern und neugeborenen Kindern beistand, ist Agnes Tebarts. 15 Jahre leitete sie mit Lucia Bald das Geburtshaus Geldern und versuchte, die Stunden rund um eine Geburt so häuslich und angenehm wie möglich zu gestalten. Das KB traf die erfahrene Hebamme zum Gespräch über das Wunder einer Geburt und die Berufung als Hebamme.

KB: Wussten Sie eigentlich schon früh, dass Sie den Beruf der Hebamme ergreifen möchten?

AT: Nein, eigentlich komme ich aus der Krankenpflege. Ich kümmerte mich anfangs um kranke Erwachsene und musste oft Alter, Krankheit und Tod erleben. Ich wollte lieber das Leben sehen. Ich machte dann eine zweite Ausbildung zur Hebamme, die ich 1983 in Paderborn abschloss.

Wie erscheint einer Hebamme eigentlich die Weihnachtsgeschichte?

AT: Das Staunen über das Wunder neuen Lebens ist uralt. Ein Kind verändert das Leben von Mann und Frau. Eine Geburt hat für mich immer etwas Heiliges: Vater, Mutter und Kind sehen sich zum ersten Mal gegenseitig, bestaunen sich, versuchen zu begreifen, was geschehen ist. Der Esel von Maria und Josef ist mittlerweile durch ein Auto ersetzt und der Stall gewöhnlich durch ein Krankenhaus, aber Flucht und Vertreibung, auch von Schwangeren und jungen Familien mit Kindern ist auch heute noch ein großes Thema. Gerade beim Höhepunkt der Flüchtlingskrise im Jahr 2015 dachte ich mir: Alles wiederholt sich, auch heute gibt es Flüchtlingsströme durch Leid, Krieg und Katastrophen.

Ist für Sie trotz aller Routine jede Geburt noch ein Wunder?

AT: Natürlich habe ich schon viele Geburten erlebt, aber jede Geburt bleibt geheimnisvoll und heilig. Wenn das Kind der Mutter auf die Brust gelegt wird, und Eltern und Kind sich gegenseitig bestaunen, habe ich mich als Hebamme meist zurückgezogen, um der Familie diesen besonderen Moment ungestört zu schenken. Der Blick eines neugeborenen Kindes ist einmalig. Durch das Adrenalin haben Neugeborene pechschwarze Augen. Nach einer Zeit hebt das Kind den Kopf und schaut Mama und Papa mit großen Augen an. Es ist wie Liebe auf den ersten Blick.

Sie erleben Kinder vom ersten Moment ihrer Geburt an und haben einen besonderen Blick auf und Bezug zu Kindern in ihren ersten Lebenstagen und -wochen. Was ist das Faszinierende an Neugeborenen?

AT: Es gibt nichts Reineres und Ehrlicheres als ein Neugeborenes. Für mich ist es ein Rohdiamant. Und es ist pur. Nicht nur der Blick, auch die Körperspannung eines Babys sprechen Bände: Man kann darin auch ein Stück weit seinen Charakter und sein Naturell herauslesen. Es gibt Kinder, die ganz in sich ruhen, andere haben weit aufgerissene Augen, wirken angespannt und neugierig, als wollten sie bloß nichts verpassen. Aber jedes Kind ist einmalig und einzigartig und das schon ab dem ersten Augenblick.

Wo haben Sie als Hebamme überall gearbeitet?

AT: Direkt nach meinem Hebammenexamen war ich ein Jahr in Kenia. Dort arbeitete ich bei Nonnen, die eine Art Geburtshaus hatten. Es war in einem Slum in Nairobi, Geburten waren dort reine Frauensache. Natürlich waren die hygienischen Bedingungen viel schlechter. Handschuhe und Einmalspritzen wurden dort nur ausgekocht und wieder verwendet. Oft haben wir notfallmäßig auch ganz ohne Handschuhe gearbeitet. Als ich 1984 zurückkam, ließ ich auch als erstes einen Aidstest machen, aber zum Glück hatte ich mich durch die Arbeit nicht angesteckt.
Danach arbeitete ich in den geburtshilflichen Abteilungen in Emmerich und Duisburg. 1985 lernte ich meinen Mann kennen und ich zog 1986 zu ihm an die Elfenbeinküste. Dort wurden 1986 und 1990 unsere beiden Kinder geboren. An der Elfenbeinküste arbeitete ich mit Kinderärzten zusammen, aber nicht geburtshilflich. Dort gab es viele Probleme mit Malaria und parasitären Erkrankungen. 1991 gingen wir zurück nach Deutschland, wo ich in Kevelaer und Moers in der Geburtshilfe arbeitete. 2001 gründete ich mit Lucia Bald das Geburtshaus Geldern.

Das Geburtshaus Geldern wurde 2015 geschlossen. Warum eigentlich? Es hatte doch einen hervorragenden Ruf…

AT: Die Zeit am Geburtshaus war eine tolle Zeit. Ich habe dort in 15 Jahren Arbeit die schönsten Geburten betreut und erlebt. Wir haben den Gebärenden eine 1:1-Betreuung ermöglicht. Wir hätten noch mehr arbeiten können, aber irgendwann ging es nicht mehr. Oft kamen wir an die Grenzen unserer Belastbarkeit, waren aber zufrieden mit unserer Arbeit. Wir mussten leider aus personellen Gründen schließen. Die Betreuung von Geburten rund um die Uhr war sehr kräftezehrend. Mein Körper war durch die vielen Nachtschichten nicht mehr auf die normale Nachtruhe eingestellt und es fehlte mir die Kraft. Da ich selber bald zweifache Oma bin, genieße ich es auch, mehr Zeit für meine eigene Familie zu haben. Ich leiste nun keine Geburtshilfe mehr. Mein Schwerpunkt liegt nun in der Arbeit mit Schwangeren, Wöchnerinnen und in der Kursarbeit, in der die Familienorientierung im Zentrum steht.

30 Prozent der Geburten in Deutschland sind Kaiserschnittgeburten. Warum ist diese Quote bei uns so hoch und wie beurteilen Sie als Hebamme diese Entwicklung?

AT: Vieles in unserem Gesundheitswesen kommt aus den USA. Dort ist die Rate an Kaiserschnitten übrigens noch höher. Für Krankenhäuser selbst sind Geburten durch Kaiserschnitt attraktiv, weil sie besser vergütet werden und für die Mütter und das Krankenhaus planbar sind. Heute bekommt jede dritte Frau einen Kaiserschnitt. Oft ist ein Kaiserschnitt sicherlich als lebensrettende Maßnahme auch berechtigt. Aber einen Wunschkaiserschnitt halte ich für fraglich: Sind wir nicht mehr bereit, Schmerzen und Stress auf uns zu nehmen? Für etwas zu kämpfen? Was heißt das für unsere Gesellschaft: Soll man alles geschenkt bekommen, ohne selbst etwas dafür tun zu müssen? Bei einer physiologischen Geburt kämpfen Mutter und Kind für das neue Leben.
Ein Kind, das sich durch den Geburtskanal durcharbeitet, ist sicher gestresst, aber die Geburt wurde erarbeitet, beim Kaiserschnitt wird das Kind einfach aus dem Bauch genommen. Ich kann in meiner ganzen Tätigkeit als Hebamme nur immer die normale, natürliche Geburt hochhalten und erklären, warum alles, auch der Schmerz, seinen Sinn hat. Auch eine PDA (Periduralanästhesie) ist nicht nur Segen, sondern auch Fluch:
Die Mutter kann bei der Geburt nicht mehr so mitwirken wie ohne Schmerzhemmung, die Zusammenarbeit zwischen Mutter und Kind wird gekappt. Solche Geburten dauern statistisch auch zwei Stunden länger.

Durch den Anstieg der Versicherungsprämien haben viele Hebammen aufgehört, selbstständig zu praktizieren. Wird es künftig nur noch Hebammen geben, die von Krankenhäusern angestellt sind?

AT: Die häufigst beklagte Berufsgruppe in der Medizin sind Geburtshelfer und Anästhesisten. Auch bei uns in Deutschland stehen immer höhere Klagesumme im Raum, wenn es etwa zu Geburtsschäden kommt. Wünschenswert wäre auf jeden Fall eine 1:1-Betreuung durch eine Hebamme während der Geburt. Leider werden viele kleine Geburtsabteilungen geschlossen, wie auch Kevelaer, Goch und Emmerich. Heute kann man im Kreis Kleve nur noch in Geldern und Kleve entbinden. Diese Geburtsabteilungen werden mit aktuell 1.000 und mehr Geburten im Jahr immer größer und eine Hebamme muss unter Umständen mehrere Gebärende gleichzeitig betreuen. Anders als etwa in den Niederlanden, wo durch ein völlig anderes Gesundheitssystem viele Frauen zuhause ihre Kinder bekommen, ist bei uns der Anteil an Hausgeburten mit 0,6 Prozent aktuell denkbar gering. Geburtshäuser gibt es auch nur sehr selten. Kinder werden heute fast ausschließlich in den Krankenhäusern, stationär oder ambulant, geboren.

„Don’t google with a Kugel. Frag‘ einfach mich.“

Viele Hebammen, die bis vor wenigen Jahren noch freiberuflich tätig waren, können sich die erst 2018 noch einmal gewaltig erhöhten Versicherungsprämien einfach nicht leisten. Viele freischaffene Hebammen können und möchten auch nicht 365 Tage im Jahr abrufbereit und angebunden sein oder scheuen den hohen bürokratischen Aufwand in Bezug auf die anteilmäßige Rückerstattung der Haftpflichtprämie. Demnächst soll der Beruf der Hebamme zudem akademisiert, also zum richtigen Studium werden, begleitet von Hebammen-Professorinnen. Ich bezweifle, dass es so mehr Interessenten für diesen Beruf geben wird. Für die Zukunft des Berufes gibt es, außer in der Arbeit an den Kliniken, keine gute Aussichten. Dabei ist dieser Beruf einer der ältesten Berufe der Welt.

Auch der Schwerpunkt des Berufes hat sich in der letzten Zeit sehr gewandelt: Heute sind die Frauen meistens über Google und Co bestens informiert. Ich als Hebamme sage gerne: „Don’t google with a Kugel. Frag‘ einfach mich.“ Ich möchte die Frauen darin bestärken, vom Kopf weg zu einem guten, gesunden Bauchgefühl zu kommen und Vertrauen in sich und den eigenen Körper zu entwickeln. Mein Ziel ist es, Schwangere und deren Familien ganzheitlich und kompetent zu begleiten, so dass sie gestärkt in die Geburt gehen können und ich diesen Ansatz im sensiblen Wochenbett fortsetzen kann.

Nähere Informationen über das Kurs- und Betreuungsangebot von Agnes Tebarts gibt‘s unter: www.hebamme-agnes-tebarts.de