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Viele Fragen an drei Kandidaten

Zwei Kameras, ein paar Stühle und ein Übertragungswagen vor der Tür des Hotel Klostergarten: So sieht digitaler Kommunalwahlkampf im Jahr 2020 aus. Die Caritas Geldern-Kevelaer hatte zur Podiumsdiskussion mit Peter Driessen (parteilos), der CDU-Kandidatin Silke Gorißen und dem unabhängigen Guido Winkmann eingeladen.

„Wir sind in dieser von Corona geprägten Zeit kaum in der Lage, öffentliche Auseinandersetzungen zu führen. Damit schaffen wir dem Wähler nicht die Möglichkeit, sich systematisch mit den Aussagen der Kandidaten auseinander zu setzen“, sagte Karl Döring, Vorsitzender der Caritas Geldern-Kevelaer. „Wir wollten dazu beitragen, gerade in sozialpolitischen Themen eine Möglichkeit zu schaffen.“

Die drei Kandidaten stellten sich zwei Stunden lang den Fragen des Moderators Tobias Budde und Fachleuten aus den Verbänden. Die Veranstaltung geriet dabei zu einer sehr konzentrierten Form politischer Diskussion, in denen die Kandidaten zu den drei Themenblöcken „Pflege und Gesundheit“, „Kinder-und Jugendhilfe“ und „Armut, Wohnen und soziale Hilfen“ Stellung nahmen.

Im ersten Block stellte der Vorsitzende der Paritätischen im Kreis Kleve, Bernd Wessels, die Frage nach den Zielen der Kandidaten für die kommunale Pflege-und Gesundheitskonferenz.
Malcolm Lichtenberger stellte als Fachbereichsleiter Pflegerische Dienste bei der Diakonie zur Diskussion, ob der seit 2009 existierende „virtuelle“ Pflegestützpunkt trotz kaum vorhandener Nachfrage überhaupt so weiter existieren soll . Da brauche es den „Face-to-face“-Kontakt.

Guido Winkmann

Und Alexia Meyer, Leiterin des Fachbereichs Pflege und Gesundheit des Caritasverbandes, warf die Frage auf, wie das Instrument der Pflegebedarfsplanung gesehen und wie es mit Einfluss des Kreises weiterentwickelt werden soll.

Beim Thema „Pflegekonferenz“ müsse sie erstmal „die Akteure und Anträge kennenlernen“, um dort nachzuhorchen, was benötigt werde, gestand Silke Gorißen ein. In Sachen „Gesundheitsprävention“ solle man den Kreissportbund einbinden. Das Angebot des Pflegestützpunktes sei „nicht bekannt“, müsse von den Verbänden gezielt beworben werden.

Da könne man auch durchaus „zweigleisig“ fahren, nannte sie das Stichwort „Digitalisierung“. Vor einem Entscheid über die Ausgestaltung müsse man erst „über Konzepte und Kosten“ reden. Und in Sachen „Pflegebedarfsplan“ schlug sie einen Dialog am runden Tisch mit den Kommunen vor.

Peter Driessen forderte eine andere Geschäftsordnung für die Gesundheitskonferenz. Man müsse das Instrument besser nutzen, plädierte er für die Entlastung von pflegenden Angehörigen.

In Sachen „Pflegestützpunkt“ sprach er von dem „Dschungel“, durch den er sich behördlich bei der Pflege seiner Schwiegereltern habe bewegen müssen. Dort solle jemand „in persona“ zur Beratung angesiedelt werden. Und in Sachen „Pflegebedarfsplanung“ könne es „der Markt allein nicht regeln.“ Da solle man die Pflege-und Gesundheitskonferenz nach den Bedarfen und der Unterversorgung gezielt fragen.

Es gehe nicht, dass Ankündigungen in der Konferenz unter „Verschiedenes“ nicht angesprochen würden, sprach sich Winkmann dafür aus, den Pflegestützpunkt besser bekannt zu machen. Virtuell sei oft besser als anrufen oder vor Ort sein, weil sich viele Menschen in Not dort aus Scham nicht zeigten, „wo vielleicht Bekannte sitzen, die einen kennen .“

In der zweiten Runde fragte Peter Schönrock vom SOS Kinderdorf, welche Maßnahmen nötig seien, um den Bedarf an vorschulischer Betreuung zu decken? Er wollte wissen, welcher der Kandidaten sich für ein freies drittes Kindergartenjahr einsetze und wie die 2020 nicht mal zur Hälfte abgerufenen Landesmittel genutzt werden, um die Betreuungszeiten in den Kindertageseinrichtungen flexibler zu machen. Der Bedarf sei dafür da.

Die Zusammenarbeit mit dem Kreisjugendamt in Sachen Hilfen laufe von der „Fachlichkeit und Schnelligkeit sehr gut“, konstatierte Peter Driessen. Er sprach sich für freie Bildung „von der frühkindlichen Bildung bis zum Studium“ aus. Bei der Flexibilisierung der Betreuungszeiten renne Schönrock bei ihm „offene Türen ein“. Bei Corona habe man gesehen, wie das für „systemrelevante“ Bereiche funktioniert habe. Man müsse das wirtschaftlich und strukturell anders aufstellen, sonst falle das „den Kommunen auf die Füße.“ Er brachte auch andere Betreuungsformen wie eine Tagesmutter ins Gespräch.

Es gebe Betreuungszeiten, die mit dem Schichtdienst nicht zusammenpassen, stimmte Gorißen Schönrock zu. Es werde zu wenig an Angebot vorgehalten. In Sachen beitragsfreies Kindergartenjahr wolle sie aufgrund der Corona-Situation erstmal abwarten, „ob wir uns diese Wünsche leisten können“, ehe es in die „totale Überlastung der Kommunen“ gehe.
Winkmann sah die praktischen Probleme, die mit der Betreuung und den Zeiten einhergehen.

Es könne sich nicht jede Einrichtung leisten, bis 19 Uhr ein Angebot vorzuhalten, was Kosten und Fachkräfte angehe. Er habe gern für das Kindergartenangebot bezahlt. „Ich konnte das von der Steuer absetzen“, sagte er. Und wer weniger verdiene, werde ja nicht so sehr beeinträchtigt.

Dirk Wermelskirchen vom Caritasverband wollte wissen, wie die Kandidaten zur Hilfegewährung für sogenannte „Care Leaver“ stehen, die sich im Übergang von der stationären Kinder- und Jugendhilfe in ein eigenständiges Leben befinden, die Gelder vom Kreisjugendamt aber schnell beendet würden und wie zu einem Qualitätsdialog mit den freien Jugendhilfeträgern.

„Ich bin da persönlich betroffen“, schilderte Peter Driessen Schicksale von Flüchtlingen in seiner Gemeinde, die kurz vor dem Abitur die Einrichtungen verlasen müssten und in Aufnahmeeinrichtungen danach „verwahrlosen“. Das sei der falsche Weg, dafür gewähre das Kinderbildungsgesetz – kurz „Kibiz“ – Ausnahmen. Er werde die Jugendhilfeträger an einen Tisch holen, „als Landrat den Hut aufsetzen und sagen: da geht’s lang!“

Silke Gorißen

Sie habe bei vielen Jugendlichen mitgewirkt, Gespräche zu führen, sagte Silke Gorißen. Man müsse den jungen Menschen im Blick nehmen, wo er jeweils stehe, um für einen „geschmeidigen Übergang“ zu sorgen. Ein Qualitätsdialog könne helfen, da müsse man aber die Vorausssetzungen klären. Man müsse da mit dem Jugendamt bei jedem Einzelfall hingucken, warb Guido Winkmann um Verständnis für die Mitarbeiter und ihren Entscheidungen. Er fordere einen Qualitätsdialog ein.

Die Leiterin der AWO-Beratungsstelle im Kreis, Nicole Saat, brachte die Frage nach den Hilfsangeboten und dem Problem, da im Kreis ausreichend Anlaufstellen für sexuell missbrauchte Kinder zu finden, auf. „Da brauchen wir Profis“, lobte Silke Gorißen die Träger für ihr „starkes Netzwerk“, dass da schnelle Hilfe gewährleiste. „Das haben wir alles.“ Die Gesellchaft müsse aber auch darauf schauen.

Man könne vom Kreis aus für Lehrer und Kitas ja Fortbildungen – auch online – anbieten, um für eine höhere Sensibilität für erste Anzeichen zu sorgen, so Winkmann. Driessen verwies auf seine Erfahrungen als Ameland-Betreuer, wo es eine Präventionskurs-Pflicht gäbe. Es gebe schon viele „Tools“, sprach er auch von der Möglichkeit, dafür Sozialarbeit in Schulen einzurichten.

In der letzten Runde fragte Gerrit Hermans vom Caritasverband nach den Konzepten der Kandidaten, um der zunehmenden Altersarmut und der sozialen Dimension von Vereinsamung zu begegnen.

Im Kreis sei „auch nicht alles Gold, was glänzt“, nannte Guido Winkmann das Beispiel Kerken, wo oft die gleichen Leute allein spazieren gingen. Auf das Problem habe der Gesundheitsbericht der Träger im Kreis 2013 schon hingewiesen. Da könne anonymisierte Hilfe und „objektive Leute“, die nicht aus der näheren Umgebung stammten, helfen.
Davon halte sie nicht viel. Unterstützung müsse über die Sozialämter gehen, da müssten Hemmschwellen abgebaut werden, sagte Gorißen. „Das ist alles Bundesrecht, was wir umsetzen müssen.“ Träger, Vereine und die Tafeln, bei dem Thema seien alle vor Ort gefragt.

Driessen nannte die Erhöhung des Mindestlohns und die Anrechnung von Erziehungszeiten bei der Rente als mögliche politische Instrumente seitens des Bundes. Regional gelte es, den sozialen Wohnungsbau und neue Wohnformen zu schaffen. Er denke da an generationenübergreifende Wohnquartiere. Und für gezielte Hilfe und Beratung könnten auch Schulen und die Kirche ihren Beitrag leisten. „Jemanden, der sie an die Hand nimmt und ihnen Lebensfreude vermittelt“, das sei sein Ansatz.

Der AWO-Beratungsstellen-Koordinator Marcus Schweers diskutierte die Frage nach Verbesserung auf dem Wohnungsmarkt, auf den immer mehr Menschen mit geringem Einkommen günstigen Wohnraum brauchen und den Problemen, die Bezieher von Grundsicherung mit der Kürzung ihrer Hilfen haben, wenn die Wohnung zu teuer ist.

Peter Driessen

Das Ziel sei 30 Prozent sozialer Wohnungsbau, verwiesen Gorißen und Driessen auf die Kreis Kleve Bauverwaltungs-GmbH (KKB), die dazu ihren Geschäftsbereich erweitert hat. Da müsse noch nachgearbeitet werden, erwähnte Gorißen das Gutachten, dass zum Wohnungsmarkt im Kreis vorliegt. Als Landrat werde er mit den Kommunen reden, in Baugebieten Platz für den sozialen Wohnungsbau freizuhalten, ergänzte Driessen.

Guido Winkmann nannte das Beispiel Rheurdt, wo ein Unternehmer die ehemalige Grundschule zum Ärztehaus umgestaltet, den zweiten Teil davon aber mit sozialen Wohnungen ausgestattet hat. Er kenne den Unternehmer, unterstützte Driessen den Ansatz.
Man könne die Unternehmen dazu nicht verpflichten, aber in den Ausschreibungen entsprechende Beschränkungen einbauen, meinte der unabhängige Kandidat. „Wir dürfen nicht reden, sondern müssen machen.“

Dirk Boermann, Fachbereichsleiter des ambulant betreuten Wohnens der Diakonie, legte den Fokus auf die rund 200 opioidabhängigen Menschen, die in der Substitution sind, aber aufgrund ihres Alter immer weniger in der Lage sind, mit dem Bus zu einem der sie behandelnden Ärzte nach Kleve oder der einzigen Praxis im Südkreis nach Geldern zu fahren.
Da müsse man mit der Kassenärztlichen Vereinigung reden, der Weg nach Süchteln sei vielleicht eine weitere Möglichkeit, schlug Silke Gorißen vor. Guido Winkmann regte einen Betreuungsraum in Geldern an.

Am weitesten ging Peter Driessen. Er schlug vor, mit der LVR-Klinik Bedburg-Hau über die Einrichtung einer Dependance in Geldern zu reden und Investitionsanreize – zum Beispiel mit billigeren Baugrundstücken – zu schaffen „um Ärzte ins Gelderland zu kriegen.“