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Luca de Graaf modellierte einen Rundgang durch die Festungsstadt von 1750

Ein Kevelaerer lässt das alte Geldern aufleben

Dass in der Kevelaerer Nachbarstadt Geldern die Akten verstauben, kann dank des dortigen Historischen Vereins niemand behaupten. Immer wieder wirbeln die aktiven Mitglieder mit Projekten Staub auf.

Kernsanierung wird wohl teuer

Es ist ein sehr umfangreiches Erbe, das der Merseburger Stadtbaurat Friedrich Reinhard Balthasar Zollinger (1880 – 1945) der Nachwelt hinterlassen hat. Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelte er eine Dachkonstruktion in Systembauweise, bei der vorgefertigte Einzelelemente rautenförmig zu einer Art tragfähigem Netz zusammengesetzt werden. Sieht man, wie schnell sich die einfache und günstige Bauweise verbreitete, möchte man fast das alte Bild vom „Lauffeuer“ bemühen. Mehr als 100 Standorte von Gebäuden mit Zollinger-Dächern findet man nach kurzer Recherche leicht, in Orten von A wie Annaberg-Buchholz bis Z wie Zella-Mehlis. Auch die Nutzung scheint ähnlich weit gefächert: Unter Zollinger-Dächern finden sich landauf, landab ehemalige „Reichsheimstätten“ ebenso wie alte Zechensiedlungen, Wohnhäuser wie Industrie- und Lagerhallen, Kirchen wie landwirtschaftliche Anwesen, Garagen, Galerien, Gewerbehöfe. 

Schnell und günstig

Wer schnell und günstig bauen wollte, setzte lange auf den findigen Merseburger und sein Patent. Die ersten, heute noch erhaltenen Zollinger-Lamellendächer wurden einem Porträt des Stadtbaumeisters zufolge bereits ein Jahr vor der Patenterteilung in Merseburg errichtet und in den Jahren 1923–1926 zur Standardkonstruktion für verschiedene Bauaufgaben. Unter anderem auch für Turnhallen, falls die schon jemand in der Aufzählung vermisst haben sollte. Schön für ihn, schön für die Nachwelt. Schön auch für Kevelaer. Und möglicherweise bald ganz schön teuer.

Die Diskussion um die mehr als 90 Jahre alte „Kroatenhalle“ gegenüber der Tankstelle an der Kroatenstraße zieht sich schon eine Weile hin. 2010 war die Halle – beziehungsweise das Dach – unter Denkmalschutz gestellt worden. Ins Rollen gebracht hatte die Sache der damalige SPD-Ratsherr Ralf Angenendt. Der wies den Landeskonservator auf die Halle hin, dieser begutachtete die Halle und befand sie für denkmalwürdig. Sie wurde in die Denkmalliste der Stadt eingetragen. Die Nutzung als Sporthalle sollte davon nicht berührt werden. So weit, so immer noch gut.

Nun ist es ein offenes Geheimnis, dass große Teile der Kevelaerer Politik die Eintragung der Halle in die Denkmalliste – zumindest mittlerweile – kritisch sehen. Den einen steht sie mit Blick auf die städtebauliche Entwicklung des Areals am Wasserturm und am Schulzentrum im Weg, anderen ist die sehr aufwendige Instandhaltung zu teuer und sie würden lieber abreißen und an anderer Stelle neu bauen. Im Auftrag der Politik gab‘s daher mehrere Versuche seitens der Verwaltung, die Kroatenhalle wieder aus der Denkmalliste zu löschen – bisher vergebens. Aktuell startete die CDU mal wieder einen Anlauf. 

Nicht mehr sanieren

Anlass für den Haushaltsantrag der Christdemokraten war die Einstellung von Ansätzen für die „Kernsanierung der über 90 Jahre alten Kroatenturnhalle“. Zwar ist für das laufende Jahr noch keine entsprechende Ausgabe vorgesehen, doch in 2022 sollen laut Entwurf zunächst 200.000 Euro, in 2023 dann knapp 2 Millionen Euro für diese Sanierung ausgegeben werden. Das ist den Christdemokraten dann doch zu viel. „Seit Jahren besteht in der Kevelaerer Politik Einigkeit darüber, dass es in städtebaulicher Hinsicht mehr als sinnvoll ist, die Kroatenturnhalle nicht mehr zu sanieren“, schreibt die CDU in ihrem Antrag, entsprechende Positionen im Haushalt mit einem Sperrvermerk zu versehen und einen erneuten Anlauf zur Aufhebung des Denkmalschutzes zu unternehmen. „Wird das Ansinnen von der Unteren Denkmalschutzbehörde abschlägig beschieden, sind die nächsthöheren Instanzen anzusprechen“, heißt es im Antrag.

Ob der wiederholte Anlauf zum Erfolg führen wird, darf angesichts der Tatsache bezweifelt werden, dass die Halle, respektive das Dach, mehreren Museen angeboten wurde, die alle dankend ablehnten, und auch eine eingehende Dokumentation und ein anschließender Abriss aus Sicht des zuständigen LVR-Referenten Dr. Andreas Stürmer nicht in Frage komme. Es gehe dem LVR nicht zwingend darum, das Dach an dieser Stelle zu erhalten. Hauptsache sei, das Dach überhaupt zu erhalten“, erläuterte Bürgermeister Dominik Pichler in einer Sitzung des Haupt- und Finanzausschusses, in der es auch um den schon erwähnten CDU-Antrag ging.

Darauf hob dann auch Frank Jakobs (KBV) ab und regte an, das Dach „mal selbst zu nutzen“, etwa als Element bei der Umgestaltung des Peter-Plümpe-Platzes. Darüber habe man bereits nachgedacht, erwiderte der Bürgermeister, doch das sei „nicht ganz so einfach“.

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Das Denkmal

Die nach Angaben des Landschafsverbandes (LVR) 1927 eingeweihte Turnhalle wurde Anfang 2010 als Baudenkmal mit der laufenden Nummer A221 in die Denkmalliste der Stadt Kevelaer eingetragen. „Das herausragende, seltene und überregional bedeutsame Merkmal der Turnhalle ist ihre Dachkonstruktion in ,Zollinger-Bauweise‘“, heißt es in der Eintragung. Mittlerweile gilt als gesichert, dass allein das Dach Denkmalwert besitzt, da die Halle mehrfach umgebaut und beispielsweise 1974 um einen Anbau erweitert wurde. Dadurch sei das Gebäude „stark verändert“ worden.

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Anlässlich der Debatte um die Sanierung der Halle teilt KB-Reporter Wilfried Schotten ein paar Erinnerungen aus Schülertagen  unter dem Titel Folterwerkstatt statt „frisch“ und „fröhlich“:

Die Halle 2003, mit dem Turnerkreuz aus vier „F“. Foto: WiScho

„Ein paar entsprechende Sätze im KB vor gut zwei oder drei Wochen brachten mich auf die Idee, Erlebnisse aus Schülertagen der späten 50er-Jahre mit dieser Turnhalle in Verbindung zu bringen. Dabei erinnere ich mich an einen kleinen, aber drahtigen Lehrer des Kevelaerer Gymnasiums, dessen Namen ich aus Datenschutzgründen besser nur mit …ski enden lasse. Wenn das Wetter zu schlecht war, um den benachbarten „TuS-Platz“ aufzusuchen, blieb zu meinem Leidwesen nur diese Alternative: Turnhalle Kroatenstraße. Schon auf dem Weg dorthin trauerte ich dem Fußballspielen nach, das auf erwähntem Platz für mich die einzige sportlich akzeptable Alternative war. Über der Eingangstür das vierfache „F“ – was ist daran eigentlich frisch und fröhlich? Was mich jenseits dieser Tür erwartete, außer einem fürchterlichen Miefgeruch nach Schweiß und Gummi, waren diese seltsamen Geräte wie Seitpferd, Bock, Kasten – igitt!

Ein dezenter Verweis auf die obige Überschrift sei an dieser Stelle gestattet. Viele Jahre später – ich hatte tatsächlich diese unsäglichen Turnstunden überlebt – erhielt ich als Erwachsener und Stadtfotograf die Gelegenheit und Erlaubnis, besagte „Werkstatt“ mir von oben ansehen zu dürfen. 

Nun ist sie sichtlich in die Jahre gekommen, hat seit ihren Anfängen aus dem Jahr 1926 außer sportverweigernden Schüler*innen aber auch wirklich Sportbegeisterte beherbergen dürfen: Kwoon-Do – Bogenschütz*innen – Kevelaer Kings, um nur einige zu nennen. Und was das Beherbergen angeht, so diente die altehrwürdige Halle auch irgendwie als Notbehelf für Asylsuchende.

Seit Januar 2010 wird der Ehrwürdigkeit Genüge getan: die Halle steht also seit gut 11 Jahren unter Denkmalschutz. Nun kann ich sie ehrfürchtig und nicht mehr fürchtend betrachten – ihren Schrecken hat sie für mich verloren. Ich muss ja nicht mehr da hinein.”

Von der Gaststätte zum Discounter

Wenn ich mich diesmal aus dem Stadtzentrum hinaus begeben will, habe ich unter anderem die Wahl, die Walbecker Straße entlang zu wandeln. Und wenn ich rechtzeitig abbremse, was mir beim Wandeln aber wohl nicht schwerfallen dürfte, dann komme ich noch vor der OW1, an dieser Stelle auch bekannt unter dem Namen Weller Straße, an einem alten Sportplatz vorbei. Nun sind OW1 und dieser Sportplatz zeitgeschichtlich eigentlich nicht unter einen Hut zu bekommen – die eine „erfreut“ uns erst seit einigen Jahren, den anderen, den es schon lange Jahre nicht mehr gibt, benutzten unsere Großväter zum Beispiel im Jahre 1928 zur körperlichen Ertüchtigung, zuweilen wohl auch zum Fußballspielen. Um es nun konkret werden zu lassen: Ich befinde mich ganz nahe an einem Gebiet, das seit Jahrzehnten nach einem Herrn namens Klinkenberg benannt ist.

Der Betrieb der Familie Schiffer…

Hier zeigt uns der Archivfund in schwarz-weiß die Gaststätte eines Karl Klinkenberg, der auf einer Werbepostkarte kundtat, dass es sich um eine Gartenwirtschaft mit Milchkurhaus handelte. Das Anwesen lag in unmittelbarer Nähe des erwähnten Sportplatzes.

Die Jahre vergingen, der Weltkrieg II  gottlob auch, danach gab  es dort in den 1960ern auch  einen Kinderspielplatz. Das Haus erfuhr  mehrere Umbauten, vor allem initiiert durch die inzwischen hier ansässige Familie Schiffer. Franz Josef Schiffer, Vater der späteren Wirtin Christine, hatte das Anwesen von der befreundeten Familie Klinkenberg übernommen. Unter ihrer Ägide entstand das Erscheinungsbild, das die Kevelaerer auch heute noch gerne in Erinnerung behalten.

…wich einem „ALDI“-Markt.

Schon vor 2016 fiel dann die Entscheidung, das Anwesen nebst Grundstück an den Discounter „ALDI“ zu verkaufen, und für eine kurze Umbauzeit sah das Areal nicht sehr ansprechend aus. „Es war keine Zeit des Ärgers und des Stresses“, sagt Christel Schiffer heute, sie behält diese Monate in positiver Erinnerung.

Und noch jemand ist heute mehr als zufrieden: Die Kevelaerer Südbevölkerung, weil sie viel kürzere Einkaufswege bewältigen muss.

Aus Alt mach’ Neu

Zwischen historischen, also geschichtsträchtigen Häusern und Gebäuden einerseits und alteingesessenen Geschäftshäusern oder auch Gaststätten andererseits besteht zuweilen nur ein geringer Unterschied.

In meiner Sammlung von Straßen- und Gebäudefotos finden sich zuweilen Zufallsaufnahmen, die erst viel später zu einer damals nicht vorhersehbaren Bedeutung kommen sollten.

Hier ist ein solcher Fall, aufgenommen im Januar 2005. Zwei ältere Damen, die Geschwister Boes, betrieben seinerzeit bis zu ihrem Ableben dieses Geschäft für Haushaltswaren (Foto oben). Es gehörte zu einem kleinen Gebäudekomplex, in welchem Josef Boes, ein weiteres Familienmitglied, eine Installations- und Heizungsfirma betrieb.

Daher die Aufnahme, die in die Schulstraße zeigt (Foto unten); der Name „Kurze Straße“ ist vielen Kevelaerern noch geläufig, sind sie doch im Marien-Kindergarten an derselben Straße betreut worden.

Die Eheleute Rogmann kauften den Komplex im September 2016 und begannen in 2018 mit Abbruch und anschließendem vollständigen Neubau. Entstanden ist dieses schöne Wohnhaus (Foto links) an der Ecke Maasstraße / Schulstraße. Letztere liefert die Fortsetzung einer interessanten Geschichte.

Das Foto rechts zeigt einen Schaukasten mit der „Lazarus-Gruppe“. Die Person des Lazarus ist allen Bibelfesten geläufig, aber warum stellt Rogmann im Dezember 2020 diese Szene in einen Schaukasten und woher kommen die Figuren?

Es begann im Jahre 2010/2011, als Rogmann das Haus der bekannten Künstlerfamilie Dierkes, Gelderner Straße, umbaute und renovierte. Dabei fand er Gipsabdrücke, zum Teil signiert mit „August Dierkes 1904“ und Figuren, von denen die Lazarus-Figur auf dem Grabmal des Josef Thum, Buchbinderei und Devotionalienfabrik Weezer Straße, gestanden hat.

Die Firma Wollweber, Nachf. von Steinmetz Karl Hoß, bereitete die Sandsteinfiguren auf und Rogmann vollendete das Ganze in 2020 mit dem erwähnten Schaukasten. Was mich persönlich so an dieser Story berührt, ist die Tatsache, dass ich einen Onkel namens Ferdy Dierkes hatte, der aus eben dieser Künstlerfamilie stammte, selbst einige Kunstwerke in und für Kevelaer schuf (u.a. in der Josefkapelle) und eine der sechs Töchter aus dem „Goldenen Löwen“ heiratete. Kevelaer und seine Geschichte(n).

Aller guten Dinge sind drei

Dreimal habe ich die Hauptstraße „bereist“, nun soll diese Zahl auch für die Busmannstraße gelten. Und da kann ich ganz bequem anknüpfen an den Bericht über die Hausnummer 7 (KB Nr. 42), als es um Bruno Fleurkens und die Ritterklause ging. Nun gehe ich „mal ebkes“ nach gegenüber zur „Brauerei“, wo ich ab 1968 einer der Stammgäste sein durfte.

Gleicher Ausschnitt wie oben, 29 Jahre später… Foto: WiScho

Meine Erinnerung geht leider nicht weit genug zurück, sodass ich die Namen der ehemaligen Inhaber Peter und Josef Valks meinem Vetter Kalli Renard und seinem schon öfter erwähnten, sorgfältig erstellten Bildband über die Kevelaerer Gastronomie verdanke. Wie mir seine Tochter Hanni verriet, die sich mit 97,5 Jahren zusammen mit ihrer Schwester Magdalene gottlob rüstiger Gesundheit erfreut, war ihr Vater Josef Valks der letzte Brauer, der in Kevelaer diesem Handwerk nachging. Kein Wunder also, warum seine Gaststätte diesen Namen erhielt.

Sehr gerne erinnere ich mich allerdings an die beiden freundlichen guten Geister des Hauses: das Geschwisterpaar Hanni und Magdalene, die zunächst mit ihrer Mutter, nach deren Ableben in 1985 allein verantwortlich das Haus führten. Sie versorgten mit viel Liebe und Herzblut ihre Gäste, die aus den unterschiedlichsten Gründen gerne in die Gaststätte kamen: Da waren zunächst die Mannen des KMGV, die bei Valks ab 1929 für 50 lange Jahre ihr Domizil hatten (Quelle: Chronik des KMGV) und im kleinen Saal wöchentlich für ihre Auftritte übten. Eine zweite Gruppe, zu der ich gehörte, traf sich dort wegen des Billardtisches, der als einer von wenigen im Stadtgebiet übrig geblieben war; Jahre zuvor gehörte es fast zur Pflicht eines Kevelaerer Wirtes, einen solchen Tisch zu betreiben. Anfang der 60er-Jahre spielte im Lokal „Zur Brauerei“ der Billardklub „Picardie“, der sich wohl hauptsächlich aus Anwohnern der engeren Nachbarschaft zusammensetzte.
Es ist leider immer wieder dasselbe Klagelied: „Die schönen Tage von Aranjuez“ gehen einmal zu Ende, denn das Beständigste auf der Welt ist nun mal der Wechsel. Das Haus trug in früheren Zeiten den Namen „Bierstall“, woraus später „Zur Brauerei“ wurde, und in den 1970ern ergab sich durch Besitzerwechsel der Name „Bierbrunnen“. Unsere beiden freundlichen Damen gaben zu der Zeit die Regie ab an die Wicküler Brauerei, die für den neuen Namen sorgte.

Der neue Pächter Ilija Menesi kam von „Alt München“, dem ehemaligen „Weißen Schwan“ (Düngelhoff / Hermann Keens), einem weiteren Traditionshaus an der heutigen Egmontstraße. Menesi übergab eines Tages den Bierbrunnen an seinen vormaligen Kellner Jovan Milojkovic, der wiederum nach einigen Jahren an seinen Landsmann Stevan Rujevic übergab.

Auf obigem Foto ist die Stelle markiert, an der man 1992 den Haupteingang der LuGa baute; aber auch der kleine Außenbereich der Gaststätte ist zu sehen, der, sehr zur Enttäuschung von Hanni und Magdalene Valks, von Jovan M. leider ziemlich vernachlässigt worden war. Der einst so liebevoll gepflegte Brunnen, der quasi zum Inventar der Gaststätte gehörte, findet sich heute in einem Innenhof der LuGa wieder. Spätestens ab 1992 verlor die Stadt an der Busmannstraße 22 ein weiteres traditionsreiches Haus – doch die Erinnerung stirbt nicht.

Jubiläum der Burg Kervenheim

Erstmals Erwähnung fand die Burg Kervenheim in einer Urkunde vom 4. März 1270 – die Grundlage für die 750-Jahr-Feier, die eigentlich im Jahr 2020 stattfinden sollte, wegen der Corona-Pandemie aber verschoben werden musste. In dieser Urkunde übertragen der Ritter Stephan von Wissel und sein Sohn Wilhelm ihr Eigentum an der Burg „Keruenheim“ an den Grafen Dietrich VII. von Kleve. Wie lange die Burg vor der Übertragung an den Grafen von Kleve schon in Kervenheim gestanden hat, ist bis heute nicht geklärt. Ob Stephan von Wissel der Erbauer war, ist ebenfalls unbekannt. In einer Schrift des 17. Jahrhunderts wird eine Familie von Korbenheim genannt. Von dieser Familie soll Stephan von Wissel die Burg erhalten haben. Jedenfalls sind er und sein Sohn Wilhelm die ersten nachweisbaren Besitzer. Mit der Burg gingen 1322 auch die Stadtrechte Kervenheims einher.

Es sei davon auszugehen, dass die Burg sogar wesentlich älter ist und zu den ältesten Burganlagen am Niederrhein zählt, meint der aus Kervenheim stammende frühere Rektor der St.-Hubertus-Grundschule, Bernd Kibilka, der sich mit der Historie der Burg ausführlich beschäftigt hat. Er sieht einen Bezug zu den „Mottenburgen“, die im 11. und 12. Jahrhundert errichtet wurden. Eine „Motte“ ist ein mittelalterlicher Burgtyp, dessen Hauptmerkmal ein künstlich angelegter Erdhügel mit einem meist turmförmigen Gebäude ist. Ob die Burg Kervenheim aber tatsächlich eine „Motte“ war, sei bisher wissenschaftlich noch nicht untersucht, sagt Kibilka. 

Graf Dietrich VII. von Kleve übergab die Burg dem Ritter Stephan sogleich als klevisches Offenhaus wieder zurück – als Lehen. Damit stand die Burg dem Grafen jederzeit zur Verfügung. Denn „Offenhaus“ bedeutete, dass der Lehnsherr im Kriegs- und Fehdefall ein befestigtes Haus unentgeltlich nutzen konnte. Bereits im Jahr 1283 allerdings waren Stephan von Wissel und sein Sohn Wilhelm aus unbekannten Gründen nicht mehr mit Kervenheim verbunden. 

Burganlage wurde zum „Kastelitypus“ ausgebaut

Um die darauf folgenden Besitzverhältnisse der Burg aufzuschlüsseln, ist ein Blick zur Dynastie Luf von Kleve notwendig: In der Zeit von 1299 bis 1369 begründete ein Bruder des Klever Grafen Dietrich VII. die Dynastie. Luf II. gilt als der eigentliche Gründer des Ortes Kervenheim. Luf III. gründete den Ort Oedt, erbaute dort die Burg Uda und nannte sich „Herr von Kervenheim“. Die Burg Kervenheim wurde schließlich durch eine Enkelin von Luf III., Jolenta, bis in die Pfalz vererbt. Jolenta war verheiratet mit einem Grafen Emicho von Leiningen. Sie verkauften ihre Besitzungen an den Grafen von Jülich – und über das Jülicher Grafenhaus kam die Burg 1367 zurück an den Grafen von Kleve. Zu Beginn des 14. Jahrhunderts wurde die Burganlage zu dem „Kastelitypus“ ausgebaut, wie er auf einer Zeichnung von Jan de Beyer aus den 1740er Jahren zu sehen ist.

Burg und Ortschaft nahmen dann unter Adolf von Kleve im 15. Jahrhundert einen Aufschwung. Er machte bereits zu Beginn des Jahrhunderts die Kervenheimer Burg kurzzeitig zu einem Amtssitz. Mit der Zeit ersetzten Burggrafen die Ritter, die sich erst Drost und später Amtmann nannten. Der letzte Verwalter von „borgh end huys van Kervenhem“ war ein Johann Tengnagel von Merwick. 

Kirchbau

Aus der Zeit Herzog Adolfs sind zudem Baumaßnahmen an der Burg überliefert. 1445 wurde auf Betreiben des Herzogs eine eigene Pfarrei Kervenheim gegründet. Mit dem Kirchbau um 1500 endete auch die Geschichte der katholischen Kirche auf der Burg. 

In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts schließlich verfiel die Burg aufgrund der vielfältigen Kriege immer mehr. Eine Schrift des Kervenheimer Pastors Theodor Klucken aus dem Jahre 1932 beschreibt, wie 1587 „der berüchtigte Martin Schenk von Niddegen mit seinen wüsten Gesellen“ den ganzen Niederrhein brandschatzte. Dazu kam der Clever Erbfolgestreit seit 1609 und der Dreißigjährige Krieg 1618 bis 1648.

Klärung weiterer Besitzverhältnisse

Im Jahr 1521 gelangte die Burg in den Besitz eines Goedart van Bemell, 1525 findet sich ein Derick von Bronckhorst auf der Burg. Im Jahr 1555 gelangte die Burg zurück an die Adelsfamilie Wylich, die schon einmal der Besitzer der Burg war. Ab da ist dieses Adelsgeschlecht bis 1730 lückenlos belegbar. 

1609 bildete sich in Kervenheim eine reformierte Kirchengemeinde. Aufgrund fehlender Räumlichkeiten gewährte die Familie von Wylich der Kirchengemeinde, die Burg für ihre Gottesdienste zu nutzen. Am 20. Oktober 1675 erfolgte die Einweihung der Kirche. Bis auf den heutigen Tag findet der evangelische Gottesdienst auf der Burg statt. 

Im Jahr 1757 wurde schließlich die Burg und auch Kervenheim durch einen verheerenden, bis heute ungeklärten Brand fast vollständig zerstört. An der Stelle, wo der Turm stand, soll die große Kastanie gepflanzt worden sein, die den Platz vor der Burg heute mit prägt. Ein Rest des Gebäudes blieb zurück, wurde im Anschluss als Gutshof genutzt, der durch Erbschaft an die Herren von Hertefeld übergegangen war. Mitglieder der Familie Gerdts waren Gutsverwalter auf der Burg. Deren bekanntester Vertreter war Anton Eberhard Gerdts, dem viele Ländereien gehörten. Er war auch von 1812 bis 1949 Bürgermeister der beiden Bürgermeistereien Weeze und Kervenheim. 

Seit 1898 gehörte dann ein Teil des Burggeländes der evangelischen Kirchengemeinde, der andere Teil war in Privatbesitz. Eine Renovierung der Kirche erfolgte im Jahre 1912. 

Im Zweiten Weltkrieg wurden die restlichen Gebäude dann schwer beschädigt. Heute ist nur noch der Nordflügel erhalten, der die evangelische Kirche beherbergt. In den 70er-Jahren wurden weitere Teile des Gutshofes abgerissen. Und am 28. September 1985 eröffnete die evangelische Kirche ihr neues Gemeindehaus, das im Stile der alten Remise errichtet wurde.

Seit 2009 ist die evangelische Kirche Eigentümer des kompletten Burggeländes. Seitdem stellt sie der Bevölkerung das Gelände für diverse Veranstaltungen zur Verfügung. Der renovierte Burgkeller kann für Vorträge, Lesungen oder kleine Feiern verwendet und seit 2013 neben dem Gewölbekeller auch der Gemeinderaum genutzt werden. 

Planungen für die Feierlichkeiten 2021 laufen

Man sei „der evangelischen Kirchengemeinde dankbar, dass vor der imposanten Burgkulisse solche Veranstaltungen wie der Weihnachtsmarkt und die Kirmes hier ihre Heimat gefunden haben“, sagt der Kervenheimer Ortsvorsteher Martin Brandts. Er hofft wie alle, dass man die 750-Jahr-Feier dieses „gesellschaftlichen und emotionalen Mittelpunkts unserer Ortschaft“ mit Verspätung 2021 realisieren kann. Die offiziellen Feierlichkeiten zum Burgjubiläum sollen voraussichtlich am 12. Juni stattfinden. Angedacht ist ein Rockgottesdienst mit Bands. Ob es ein darüber hinausgehendes Begleitprogramm geben wird, konnte Jan van Zadelhoff von der evangelischen Kirchengemeinde Kervenheim noch nicht sagen. 

Mitmachbuch zur Freiheit und Demokratie verteilt

Schon viele grenzüberschreitende Projekte zwischen den niederländischen und deutschen Kommunen der Euregio Rhein-Maas-Nord wurden in den vergangenen Jahren auf den Weg gebracht. Nun ist zum ersten Mal in gemeinsamer Arbeit mit der „Stichting Vredeseducatie“ und der deutschen Kriegsgräberstätte in Ysselsteyn ein Buch entstanden. Dieses beschäftigt sich im Zeichen des 75-jährigen Bestehens mit der Befreiung der Niederlande und dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Es trägt den Titel „75 Jahre Freiheit – Mitmachbuch für Kinder“. Durch Bürgermeister Dr. Dominik Pichler und Michael Simons von der Stadtverwaltung Kevelaer wurde es an allen Kevelaerer Schulen für Kinder zwischen 10 und 14 Jahren verteilt. 

Phil und Tudor von der Klasse 4e waren selbst dabei, als 700 Exemplare für ihre St.-Antonius-Grundschule ankamen. Schulleiter Andreas Berndt nahm die druckfrischen Mitmachbücher für seine Schule gerne entgegen. „Wir werden die Bücher wohl in den Sachunterricht der vierten Klassen einbauen. Wir haben den Zweiten Weltkrieg immer als Thema. Oft laden wir auch Zeitzeugen ein und stellen dann immer fest, wie viele Fragen die Kinder an sie haben.“

Geschichte für Kinder erlebbar machen

Michael Simons hat selbst an dem Buch mitgearbeitet. Auf der Seite über Kevelaer, wo die geplante Sprengung des Basilikaturmes und der Stolperstein, der an Maria Wackers erinnert, zur Sprache kommt, hat er die Informationen der Kevelaerer Stadtführerinnen und der Stadtarchivarin verschriftlicht. „Es sollte alles ganz kurz zur Sprache kommen, damit auch alle Kommunen gleichermaßen vertreten sind“, meinte er. „Das Projekt begann im September 2019, die Verteilung war für den Mai geplant, pünktlich zum Jahrestag des Kriegsendes. Aber durch Corona wurde alles um einige Monate verschoben, aber immerhin findet die Verteilung noch im Jubiläumsjahr statt“, so der geschichtsinteressierte Stadtmitarbeiter. Bürgermeister Dominik Pichler hat im Oktober kurz vor dem Druck schon mal einen Blick in das Mitmachbuch werfen können. Sein Fazit: „Mein Gesamteindruck ist gut. Ich bin vor allem froh, dass Geschichte durch den häufigen Lokalbezug so für die Kinder deutlich erlebbar wird.“ 

Neben Lokalbezügen zum Kriegsgeschehen in Kevelaer, Weeze, Goch, Uedem, Kranenburg und Geldern steckt das Buch voller Rätsel und Geschichten über Frieden, Demokratie und Freiheit. Ein Fragetest lädt etwa dazu ein herauszufinden, ob man Probleme durch Diskussionen oder als Kämpfer löst, es werden mutige Kinder von damals und heute vorgestellt und es gibt ein Rezept für Friedensplätzchen. Das Buch kann kostenlos über www.kevelaer.de/de/aktuelles/75-jahre-freiheit eingesehen werden. Es hat  eine Auflage von 25.000 Exemplaren und wird an zahlreichen Schulen verteilt. 

Vom Schnellimbiss zu erlesenen Antiquitäten

Ich meine, es habe auch im damaligen „Kevelaerer Blatt“ der frühen 70er-Jahre gestanden. Da ließ sich der Verfasser / die Verfasserin des Artikels über eine nicht gut beleumundete Adresse an der Busmannstraße aus. Um es gleich vorweg zu sagen: Schon ein paar Wochen später und bis in die heutige Zeit hinein war und ist die Nr. 7  eine integre und angesehene Hausnummer samt Inhaber und Geschäft.

Worum ging es vor gut 40-50 Jahren? Der Name „Ritterglocke“ ist nicht mehr vielen Kevelaerern geläufig, als zu der damaligen Zeit eine junge Dame erwähnt wurde, die „einen etwas schmal geratenen Gürtel, sprich Mini-Mini-Rock trug, an dem ein paar Zentimeter Kattun fehlen“.

Ernas und Marthas letzter Arbeitstag.

Schon bald wurde aus der „Ritterglocke“ die „Ritterklause“, als die Familie Bruno Fleurkens das Geschäft zu einem angesehenen und gern besuchten Lokal gestalteten. Noch heute(!) ist einigen Kevelaerern die Qualität von „Erna’s Schaschlik und Pommes“ ein Begriff. Und ihr Ehemann Bruno stand hinter der Theke und war ein jovialer und umgänglicher Wirt, beide unterstützt von Martha, dem guten Geist des Schnellrestaurants. Und die fast schon erwachsenen Kinder Irene, Karin und Ernst schauten ihren Eltern bei der Arbeit zu, halfen zum Teil sogar mit.

Fässer austrinken – Abschied nehmen

Das Leben ging weiter, viele, viele Gäste frequentierten die Busmannstraße Nr. 7 als ihr Stammlokal, bis – ja, bis im Juni 1985 der berühmte Vorhang fiel. Fässer austrinken – Abschied nehmen. Stammkundschaft und Belegschaft waren betrübt und traurig, das beliebte Lokal wurde aus Altersgründen geschlossen.

Das Haus Busmannstraße 7 im Jahre 2012. „ERBAUT 1890“ – so steht es hoch oben am Giebel in erhabenen Lettern.

Die bis dato gelblich-grüne Fassade erhielt einen neuen Anstrich und in der Folge etablierten sich zunächst und für eine gewisse Zeit ein Modeladen und das Optikergeschäft Bruckschen.

Danach und das bereits seit über 20 Jahren bietet die heutige Besitzerfamilie Niessen nicht nur der Kevelaerer Kundschaft Antiquitäten und erlesene Weinsorten an und verwöhnt sie mit viel Erfolg, den wir auch für die Zukunft von Herzen wünschen.

Im Jahr 1993 kam der Bagger

Hinter den Straßen und Gebäuden der Wallfahrtsstadt verbergen sich viele Geschichten. Nachdem wir bereits einen Blick auf die Hauptstraße 36 geworfen haben, stellt das KB heute das Gebäude an der Hauptstraße 38 vor.

Man nannte sie früher einmal Dorfstraße; ein Name, den man z.B. in Twisteden durch die Zeit hat erhalten können. Nicht so in der „City“. Da wurde aus der Dorfstraße schon vor vielen Jahren die Hauptstraße. Seit Langem schon zählt sie zu den wichtigsten Achsen unserer Stadt, trägt daher wohl zu Recht ihren Namen. Und hier lohnt sich ein genauerer Blick auf unterschiedliche Häuser. In direkter Nachbarschaft zu der letztens beschriebenen Haus-Nr. 36 „Kölner Hof“ steht die 38, wohl besser gesagt: stand – denn die „alte“ 38 wurde 1993 abgerissen und erstand ab 1994 neu als modernes Geschäftshaus.

Drehen wir das Rad der Zeitgeschichte wieder einmal ein wenig zurück: Dr. Robert Plötz (700 Jahre Kevelaer, Bd. I) kommt in seiner „Beschreibung der Hauptstraße vor 130 Jahren“ auf Umwegen an die Nr. 38: „[…] Der dann folgende Teil (nach Nrn. 42-40, später Paepen bzw. Labonté; Anm. d. Red.) bis zum jetzigen Hof war unbebaut und hieß „Beyers Koolgarden“.[…]“ Erst ab 1900 erhalten wir ein Bild vom Haus Nr. 38, das damals „Gasthof Roter Hirsch“ genannt wurde und im Besitz einer Wwe. Gerh. Rütter, danach einer Familie Peter Kisters war (Quelle: Karl Renard, 2011, „Gastronomie in Kevelaer“).

In der Folge der kommenden Jahre sollten sich ausgerechnet um dieses Haus einige recht amüsante Anekdoten ranken. In den Jahren 1958 bis 1975 habe ich, Wilfried Schotten, selbst dort gewohnt, meine Eltern „JoScho mit Frau“ sogar bis 1983 bzw. 1992. Somit weiß ich um einige der amüsanten Dinge, die dort passierten.

Das Gebäude hatte seinen Namen weg

Ein genaues Datum für die folgende Anekdote ist nicht notiert, wenngleich wohl jeder ältere Kevelaerer weiß, wie dieses Haus an seinen anrüchigen Namen „de Cond“ gekommen ist. Auf dem obersten Foto in diesem Artikel sind schwach die Fensterbeschriftungen zu erkennen: „Conditorei  Café“. Hier soll ein Malermeister die Beschriftung „Conditorei“ samstags mittags um 12 Uhr abgebrochen und sich ins Wochenende verabschiedet haben. Ganz Kevelaer las also über den gesamten Samstag und Sonntag die angefangene Schrift „Cond“ – und das Gebäude hatte fortan seinen Namen weg.

Viele Jahre später kauften Heinrich Dickmann und seine Frau Anna das Haus, wobei rechts wie links Geschäftsräume und Ladenlokale entstanden. 1957/58 mietete Josef Schotten das linke Ladenlokal nebst anschließenden Räumen von Heimkunst Kocken im Tausch gegen  Lokal und Wohnung der Hauptstraße 21.

Mehrere Mietparteien zogen in den ersten und zweiten Stock und auch in den Anbau Richtung Annastraße ein, darunter auch Aenne Kisters (verwandt mit dem damaligen Besitzer) und Anna Intveen, die resolute Leiterin vom Lebensmittelgeschäft C.F. Beck. (Kevelaerer Aussprache: Bääk) Dazu unterhielt Anna Dickmann auch eine kleine Kammer im dritten Stock (unterm Dach, juchhé) zur Aufnahme von Pilgern.

Die „Du-Frau”

„Du-Frau“ Anna Dickmann im Jahr 1985 an der Hauptstraße.

Die Jahre gingen ins Land, von der „Cond“ sprach fast niemand mehr; vielmehr hatte sich ein anderer Begriff in Kevelaer festgesetzt und der hing mit der Vermieterin zusammen. Sie verstarb 1990 im Alter von 87 Jahren, zählt aber heute mit Sicherheit immer noch zu den bekannten Kevelaerer Originalen. Von ihrem einzigen Sohn Heinz immer liebevoll „Herzchen“ gerufen, hatte sie sich auch dieses Attribut redlich verdient. Sie konnte extrem gutherzig sein, vor allem Kindern gegenüber, aber auch extrem robust und lautstark im Umgang mit den Mietern. Noch ein Attribut? Ja – natürlich, ganz Kevelaer kannte sie mehr als „die Du-Frau“. Ein ehrwürdiger Herr, Gymnasial-Klassenlehrer ihres Sohnes, kam über die  Hauptstraße und wurde von Anna freudig  begrüßt: „Hach, Herr Studienrat, dat is abba schön, dat du mal vorbeikommst.“ Gräfin von Loë wurde konfrontiert mit der Frage: „Kannst du dat auch bezahlen?“

Zurück zum Gebäude, das nach  gut 90 Jahren seit seiner Erbauung einen gewissen Alterungs- und leider auch Verfallprozess erkennen ließ. Sohn Heinz verkaufte es an den Kevelaerer Bäckermeister  Peters, was für den inzwischen  92 Jahre alt gewordenen Mieter Josef Schotten (eigener Kommentar: „NRWs dienstältester Fachverkäufer“) bedeutete, seinen geliebten und beliebten Malkasten aufgeben zu müssen.

Im Jahr 1992 – kurz bevor der Bagger kam.

Der Bagger kam 1993 und „de Cond“ nebst „Du-Frau“ nebst „Joschos Malkasten“ waren Geschichte. Anna Dickmann verstarb wie erwähnt in 1990, ihr Nachbar Josef Schotten in 1997. Nr. 38 existiert weiterhin – seit 26 Jahren im neuen Gewand.

Die Geschichte eines Traditionshauses in Kevelaer

Kevelaer und seine Straßen und Häuser. So manche haben eine lange Geschichte zu erzählen. Das KB stellt heute die Hauptstraße 36 vor:

Fast täglich laufen wir an der Adresse Hauptstraße 36 vorbei oder treten dort ein, um Kosmetikartikel, Schreibwaren oder andere Dinge des täglichen Bedarfs zu kaufen. Wenn man in die Vergangenheit blickt, kommen einem die 17 Jahre „bei Müller“ vor, als seien es gerade mal sieben oder noch weniger. Die Rede ist vom ehemaligen Kölner Hof, seit 2003 vom Konzern Müller in Pacht und Beschlag genommen.Doch wie sah es hier früher aus?

Kevelaer vor 150 Jahren – wir schreiben das Jahr 1870: An der Hauptstraße liest man Namen von Pilgergaststätten, die manchem Kevelaerer Bürger auch im Jahr 2020 noch in Erinnerung sind, z.B.: „Zum Bürgerhaus“, „Zur Windmühle“, „Zum St. Antonius“…

Nur in Kevelaer-spezifischen Geschichtsbüchern finden wir weitere Namen, die sonst längst vergessen wären. Viele der dazu gehörenden Gebäude existieren heute noch, dienen aber einem anderen Zweck als der gastlichen Aufnahme von Pilgern: „Zum Blauen Kreuz“ – „Zum Pelikan“. Unser Augenmerk soll sich auf zwei vergangene Namen richten, die für ein und dasselbe Gebäude standen.

Dazu gehen wir 30 Jahre weiter in das Jahr 1900: „Zum Kranen“ nannte sich an der Hauptstraße 36 eine Gaststätte um die Wende des vorigen Jahrhunderts; Personen namens „Mathias Brüx und später Johan Vanhaef“ waren die Eigentümer. (zit.: R. Plötz „700 Jahre Kevelaer; Das Lesebuch Bd. I“).

Schon 1906 hatte das Gebäude einen anderen Namen, wurde fortan bekannt als „Kölner Hof“, eine Bezeichnung, die sich bis in die 1970er-Jahre halten sollte.
Weitere 30 Jahre später erfolgte der erste größere Umbau, wodurch das Gebäude mehrere attraktive Balkone erhielt (Foto 1936).

Was nun bis 1978 geschah, ist eine schier unglaubliche Abfolge von verschiedensten Nutzern und Besitzern, die in den Räumlichkeiten des „Kölner Hof“ ihren Tätigkeiten und Geschäften nachgingen.

Die folgende Liste ist wahrscheinlich nicht ganz vollständig; die korrekte Reihenfolge einzuhalten mag „ganz alten“ Kevelaerern vorbehalten bleiben:
Ab 1940 ist für mehr als ein Jahrzehnt die Sester Brauerei die Besitzerin, deren Firmengebäude auf dem Hoogeweg standen, wo auch gebraut wurde.

Englische Soldaten unterhielten im „Kölner Hof“ eine Art „officers‘ mess“; der Kindergarten St. Antonius war ab 1953 zeitweilig mit Gruppen dort vertreten. Auch die Hotellerie versuchte ein Revival, einmal mit dem „Hotel Europa“ 1968, danach mit einem chinesischen Restaurant. Nicht zu vergessen die Deutsche Bank, die hier kurzzeitig eine Filiale unterhielt, bevor sie an der Hauptstraße ein paar Hausnummern weiter Richtung Basilika in die Räumlichkeiten des ehemaligen Kaiser’s Kaffee-Geschäftes einzog.

1978 rollten die Bagger dem Kölner Hof zu Leibe mit dem Auftrag, den größten Teil des Gebäudes bis zum Parkplatz Annastraße einzureißen. Somit gelangte der Lebensmittelmarkt von Josef Timte von seinem provisorischen Standort endgültig hinüber zum neuen KaufCenter an der Gelderner Straße. Kevelaer bekam im selben Jahr mit dem neu zu errichtenden Bau für das kommende Kaufring-Haus eine zweite Großbaustelle. Am Kapellenplatz war mit dem „Heidelberger Fass“ ein weiteres Traditionshaus weitgehend abgerissen worden, um dort das Petrus-Canisius-Haus nebst Forum-Pax-Christi entstehen zu lassen.

Zurück zur Hauptstraße 36 und zurück zu den Abrissarbeiten der Jahre 1978/79:
Arbeiter der Firma Willems fanden statt des heutzutage gebräuchlichen Kupferzylinders eine Flasche, die in einer Wand eingemauert war. Sie enthielt einen Grundrissplan und eine Botschaft aus dem Jahr 1909, ausgestellt vom damaligen Besitzer Josef Tomberg, der Folgendes festhielt:

„Heute, den 6. Dezember 1909 St. Nikolaustag, unter der Regierung Kaiser Wilhelm II., dessen Reichskanzler von Bethmann-Hohlweg (Hollweg, Anm. d. Red.), unter dem Pontifikat Pius des X., des Bischofs von Münster Hermann Dingelstädt (Dingelstad, Anm. d. Red.), der Regierungspräsident von Schalemann-Lieser (verm. Schorlemer-Lieser, Anm. d. Red.), des Landvaters van Nell, des Bürgermeisters Marx, des Prälaten Brocks, des Gemeindebaurates van Essen, wurde der Grundstein zum Neubau des Kölner Hofes gelegt.

Der Neubau ist entworfen von Architekt Hötschler, Crefeld, ausgeführt von der Firma Hoymann-Hoyer, Kevelaer. Mit dem Abbruch des alten Hauses wurde am 4. November 1909 begonnen. Die großen baulichen Änderungen waren mit der Konzessionsübertragung verknüpft, die von meinem Schwiegervater auf mich übertragen wurde.

Der Finder dieser Urkunde kann selbige behalten in unserem Gedenken. Kevelaer,6. Dezember 1909. Josef Tomberg und Frau, geb. Boes, Josef Tomberg, 28 Jahre, kleine Tomberg Franz 4 Jahre, Josef 1 ½ Jahre.“

Es wurde Oktober 1979, bis eine gewisse Anny Greiner stolz verkünden konnte, dass „ihr“ neues Kaufring-Haus und seine restaurierte Fassade einen schönen Anblick darboten. Es war nicht aufgefallen, dass nach den Malerarbeiten am Giebel ein alter Spruch in verstümmelter Form übriggeblieben war:

„Lasst zum Bau Gedeih verliehn, jetzt, Herr beschützt und Segen.“
Dieser Spruch in seiner seltsamen Form blieb bis zum Jahr 2003 erhalten; es hat ihn fast keiner bemerkt. (Foto 1992)

Wir alle wissen, dass die Kaufring-Kette mit Hauptsitz in Düsseldorf von 2002 an nicht mehr existieren konnte, die Filialen in verschiedenen Städten aufgelöst werden mussten. Dieses passierte leider auch der engagierten Frau Greiner (+ 2003) und dem Haus an der Hauptstraße.

Ein guter Spruch

So war es, wie anfangs beschrieben, dem Müller-Konzern als nächstem Pächter vorbehalten, die Fassade in 2003 ein weiteres Mal zu restaurieren, wobei auch gleich der entstellte Satz wieder in seine ursprüngliche Form gebracht wurde: „Du hast dem Bau Gedeih’n verlieh‘n, jetzt, Herr, beschütz und segne ihn.“ (Foto 2004)

Ein guter Spruch, dem wir uns vom Kävels Bläche gerne anschließen und dem altehrwürdigen Gebäude noch viele Jahrzehnte des Gedeihens wünschen.