„Licht an, bevor es ganz ausgeht“
2021, das ist für Tanja van der Will-Pauli eigentlich ein besonderes Jahr: „Ich werde 50 – und ich bin seit 25 Jahren selbstständig“, sagt sie und hätte das natürlich gerne zusammen mit ihren Kunden gefeiert. „Ich hatte mir das ganz anders vorgestellt“, gesteht die gelernte Friseurmeisterin.
Sie habe sich „ immer schon für Mode und moderne Erscheinung“ interessiert, erzählt die gebürtige Kevelaerin. „Dass man Leute positiv verändern kann durch Schnitte und die Beratung, das Beste aus einem Typ rausholen kann“, das habe sie an dem Beruf so angesprochen. „Wenn ich mit der Arbeit fertig bin, gehen die Menschen in der Regel mit einem Lächeln raus.“
Bei Marlene Schumacher in Kevelaer ging sie mit 16 in die Lehre, danach folgten noch drei Gesellenjahre bis zum Meister. In dieser Zeit übernahm van der Will-Pauli eine von Schumachers Filialen in Wetten.
Erfahrung sammeln
„Es ist besser, Erfahrung zu sammeln, bevor man die Meisterprüfung macht. Heute machen sich viele schnell mit geringem Erfahrungsschatz selbstständig.“ Zumal es gut sei, im Vorfeld mit betriebswirtschaftlichen Dingen, Paragraphen und Gesetzen vertraut zu werden.
Nachdem sie ihren Meister in Duisburg bei Hader abgeschlossen hatte, setzte sie sich mit Schumacher zusammen „und ich hab ihr die Filiale abgekauft.“ Die Aussicht, sich dafür acht Stunden oder länger am Stück in den eigenen Laden zu stellen, „fand ich nicht abschreckend. Man macht das mit Liebe, kennt es ja nicht anders.“ Und später zog sie in den Laden gegenüber.
Was war das Erste, was sie persönlich dachte, als sie im März letzten Jahres vom ersten Shutdown hörte? „Ach Du Scheiße“, ist die Unternehmerin ganz ehrlich. Es sei zu Beginn „sehr abstrakt“ gewesen. „Ich habe eine Woche gebraucht, um das zu realisieren“, sagt sie heute.
Tausende von Fragen
Mit Corona tauchten „Tausende von Fragen auf, was passiert jetzt.“ Und sie saß zu Hause fest, „musste lernen, runterzukommen.“
Bis zum Shutdown hatte sie zwei Festangestellte, bis 2019 immer wieder Azubis gehabt, „auch wenn es immer weniger werden.“ Die Innung habe daran gearbeitet, den Beruf attraktiver zu machen. „Das Einkommen ist jetzt da, wo man so als Arzthelferin ist.“ Jetzt ist noch eine Festangestellte da.
Es sei bitter gewesen, „dass das gesamte Ostergeschäft weggebrochen ist.“ Den Antrag auf Soforthilfe stellte sie sofort. „Das ging ganz problemlos vonstatten.“ Zu Beginn der Pandemie sei „viel Euphorie“ dabei gewesen. „Aber lange war unklar, was darf ich nutzen“, tauchten Existenzängste auf. „Und ich war überrascht, wie schnell das Geld weg war, ohne damit Trallafitti zu machen“, sagt sie.
„Wovon sollen wir leben?“, war für die Selbstständige keine abstrakte Frage. Denn nicht nur die laufenden Kosten, sondern auch laufende Verbindlichkeiten wie Steuerabschläge, Warenbestellungen oder Rechnungen mussten bedient werden. Und Ende des Jahres steht ja auch die Frage im Raum, das nicht genutzte Geld zurück zu überweisen. „Ich hätte es vielleicht im Nachhinein nicht in Anspruch nehmen sollen.“
Als der Laden Anfang Mai wieder öffnen durfte, „haben wir uns alle gefreut.“ Da kamen dann aber die Hygienevorschriften und die Frage: „Wie setze ich das um, was ist erlaubt/nicht erlaubt?“ Da sei man von der Innung gut auf dem Laufenden gehalten worden.
So trugen Friseur und Kunde jeder eine Maske. „Jeder Kamm, jede Schere wurde sofort desinfiziert, jeder Platz nach einer Behandlung.“ Dazu kamen die Kundenerfassungslisten, Hygienepläne, Mitarbeiterschulungen zum Eigenschutz.
Großes Lob für die Kunden
Und die Kunden hätten sich „alle konsequent“ an alle Vorgaben gehalten. „Ihnen gebührt großes Lob.“ Denen, die ihre Maske vergessen hatten, habe man eine Maske zur Verfügung gestellt.
„Da haben wir uns als Hygienevorbild als Friseure gesehen“, sagt die Frau die mit im Vorstand und im Prüfungsausschuss der Kreis-Friseurinnung aktiv ist. Denn ihr sei „so gut wie kein Coronafall“ bekannt.
Auf Termin zu arbeiten, das habe ihr nichts ausgemacht. „Aber es durfte keine Wartezeit entstehen, das war eine Auflage.“ Und problematisch war durchaus, dass sie nur noch die Hälfte der Plätze nutzen konnte, um Kunden zu bedienen. Die hätten sich aber „alle konsequent dran gehalten“.
Ein weiterer heftiger Einschnitt wartete dann am 16. Dezember auf die Friseure, als kurz vor Weihnachten der zweite Shutdown kam. „Das ist die Zeit wo wir den Hauptumsatz machen.“
An die Rücklagen sei man schon im ersten Shutdown gegangen. „Und dadurch, dass man weniger Umsatz erzielen konnte und die Umsätze Ostern und Weihnachten weggebrochen sind“, habe man „keine Rücklagen für einen weiteren Shutdown“ aufbauen können.
Ausbildungssituation
Jetzt laufe der zweite Shutdown bis zum 14. Februar. „Es wird substanziell, und das nicht nur für mich, sondern für die gesamte Friseurbranche – immerhin 80.000 Fachbetriebe mit 240.000 Mitarbeitern und 20.000 Auszubildenden“, macht sie die Dimension mal klar. Und alles andere laufe weiter. Dazu gehöre auch die Ausbildung der Lehrlinge, die man weiter bezahlen muss. „Wir dürfen sie in den Betrieben nur an „Medien“, also Puppenköpfen, ausbilden lassen und eins zu eins – also jeweils nur ein Lehrling im Betrieb oder auch online.“ Sie könnten auch Aufgaben mit nach Hause nehmen, via Chat Fragen stellen. „Das ersetzt aber alles keine Kunden.“ Man sei aber froh, dass Friseurprüfungen an der Berufsschule Kleve überhaupt unter den Bedingungen stattfinden. „Da muss ja jeder Prüfling mehrere Modelle mitbringen, mindestens drei Prüfer anwesend sein.“ Das geht nur über reduzierte Gruppen, Mindestabstand. „Es waren jetzt 18 Prüflinge für den gesamten Kreis. Das ist sehr wenig.“ Würde der Shutdown nochmal verlängert, „wird sich die Situation noch mehr zuspitzen“, wagt sie eine Voraussage. Wenn keine Hilfen kommen, „stehen viele vor dem Aus.“
Mitte Dezember habe die Politik noch von Überbrückungshilfen gesprochen. „Dann kam die Hiobsbotschaft für uns alle: Es gibt keine, weil wir den halben Monat gearbeitet haben.“ Und jetzt gebe es nur noch die Überbrückungshilfe III.
Die Forderungen des Bundesverbandes des deutschen Friseurhandwerks sind klar: Passgenaue, schnelle und unbürokratische Überbrückungshilfen, nachhaltige Förderung der Ausbildungsbegleitung, die Berücksichtigung der Ladenchefs, die bislang in den Regelungen leer ausgehen und die dringende Eindämmung der Schwarzarbeit.
Diese Dinge einzufordern, auf die Situation aufmerksam zu machen, darin liege der Sinn der 24-Stunden-Aktion „Licht an, bevor das Licht ganz aus geht“. Wobei von vornherein klar war, dass es „eine stille Demo sein sollte. Wir wollten uns nicht mit Scheren und Plakaten auf den Marktplatz stellen.“ So sehe es so aus, als sei der Laden auf, obwohl er geschlossen sei.
Seitens der Politik müsse jetzt „definitiv was passieren“, sagt van der Will-Pauli. „Ich habe nicht vor, zu schließen oder aufzugeben“, gibt sie sich kämpferisch. Zur Not müsse sie einen Kredit aufnehmen. „Aber dann fange ich an dem Punkt von vor 25 Jahren wieder an.“
Und in Sachen Schwarzarbeit wird die Innung jetzt mit der Plakataktion „Wartet auf den Profi“ in dieser Woche aktiv. „Das muss gestoppt werden“, sagt van der Will-Pauli. Denn den Betrieben nutze es nichts, wenn die Kunden jetzt woanders ihr aktuelles Heil suchten, weil sie an ihm nichts verdienen könnten – und es vielleicht sogar zu einer Abwanderung von Kunden darüber komme.