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Ein befreiendes Gefühl

Schon früh machten sich die Kund*innen auf den Weg, um die Kevelaerer Friseurläden aufzusuchen. In „Jimmys Barber Shop“ auf der Marktstraße legte Inhaber Jamil Abdullah bei seinem Kunden Andreas Valks persönlich Hand an. „Wir haben um halb 9  geöffnet. Wir lassen immer nur einen Kunden nach dem anderen rein, damit nicht so viele Menschen im Raum sind“, erzählte er. „Ich bin schon froh, es ist fast vier Monate her“, zeigte sich der Kunde erleichtert über den ersten Haarschnitt nach so langer Zeit. „Das ist ein anderes Gefühl – eher befreiend. Wenn ich morgens aufstand, standen die Haare zu Berge, als ob ich an einer Steckdose genächtigt hätte.“ Jamil Abdullah zeigte sich sehr glücklich darüber, wieder was tun zu können. „Das war eine Depression für mich, zu Hause herumzusitzen und nichts zu tun. Man hat immer Angst, dass die Kunden verlorengehen.“ 

Emre Ciftci wartete währenddessen auf seinen Schnitt. „Ich glaube, Ende November war das letzte Mal“ erzählte der 25-Jährige. In der Zwischenzeit hatte er selbst zu Hause mal Hand angelegt mit der Maschine. „Die Freundin hab ich gefragt, ob sie mal den Nacken ausrasieren kann, so dass ich wieder einigermaßen wie ein Mensch aussehe.“

Waschen, färben, schneiden

Bei „Cutters“ an der Gelderner Straße waren im Corona-Abstand voneinander drei Stühle mit Kund*innen belegt. „Wann war ich das letzte Mal hier?“, musste Sandra Hillbrecht erst mal überlegen. „Jetzt wo ich hier sitze, fühle ich mich prima“, freute sie sich „auf Strähnchen und wieder einen vernünftigen Haarschnitt.“

Auch Alexander Kempken war die Erleichterung anzumerken: „Großartig, es wurde auch mal wieder Zeit. Und die Dame macht das hervorragend“, genoss der 26-Jährige die Behandlung mit Schere und Maschine. Er habe es selbst mal mit dem Rasierer im Ansatz versucht, „aber nicht durchgezogen“. Auch die so angesprochene „Dame“ Ann-Katrin fand es „sehr schön, wieder im Laden zu stehen und arbeiten zu dürfen.“ Die Übergangszeit habe sie zwar auch irgendwie bewältigt mit Dingen, die sonst liegenbleiben. Aber das Gefühl im Laden ersetze das alles nicht. „Man führt wieder Gespräche, hat unterschiedliche Charaktere vor einem, muss sich wieder umstellen.“ Und irgendwie verliere man das nicht. „Das war heute morgen, als ich um acht den Salon betreten habe, wieder sofort drin.“ Auch bei „Cutters“ wird es in nächster Zeit mit einem spontanen Termin schwierig.  „Bis Ende März“ seien die Auftragsbücher „schon sehr, sehr voll.“

Zurück im Alltag

Im „Room Number 17“ in Wetten ordnete Friseurmeisterin Tanja van der Will-Pauli ihrer Kundin gerade die Haare. „Der erste Tag fühlt sich gut an. Wir freuen uns, die Kunden freuen sich – es macht Spaß“, hörte man durch die Maske ihren Stoßseufzer der Erleichterung. „Man hat wieder Lust zu arbeiten, ist motiviert, kann wieder seiner Leidenschaft und seinem Beruf nachgehen.“

Die Auflagen seien geblieben – „außer dass wir zehn Quadratmeter pro Person und nicht mehr pro Kunde haben. Da musste ich von der Platzfläche nicht viel ändern. Auf Termin arbeiten mussten wir vorher auch.“ Sie ist sich sicher, dass der aktive Protest der Friseure was gebracht hat. „Es war doch mal gut, auf die Situation der Friseure in der Öffentlichkeit aufmerksam zu machen. Ich hab auch das Gefühl, das hat gefruchtet.“ Die ersten 14 Tage seien ausgebucht. Danach sei vielleicht was möglich. „Aber die nächsten zwei bis vier Wochen wird es bei allen schwierig. Dann kommt vielleicht das große Loch, das war beim ersten Lockdown auch schon so. Mal abwarten.“

Kundin Andrea Hartjes wartete währenddessen nur noch auf den Feinschliff. „Ich bin das erste Mal hier. Als klar war, dass die Friseure auf haben, habe ich hier angerufen“, erzählte die Wettenerin. „Es war super, heute einen Termin zu kriegen, weil mit meinen Haaren gar nichts mehr los war. Die mussten echt geschnitten werden.“ So ein Friseurbesuch, der habe „ganz viel Normales“ an sich, meinte sie. „Man hat ja keine Termine, kommt nirgendwo hin. Man kann sich nicht verabreden, gar nichts.“ Sie fände es gut, wenn nach den Friseuren weitere Läden öffnen könnten. „Für die Leute, die Geschäfte haben, ist das hart“, meinte die Frau, die selbst aus dem Lebensmittelbereich kommt. 

Aufträge bis Anfang April

In „Kerstins´s Haarstudio“ an der Murmannstraße in Kervenheim gönnten sich Friseurmeisterin Kerstin Schubert und ihr Stammkunde Kalle van Oeffelt zwischen dem nächsten Schnitt eine Tasse Kaffee. „Heute der erste Tag ist gut. Wir haben seit 9 Uhr auf. Wir arbeiten auf Termin, man darf ja nicht anders“, erzählte Schubert. „Wir haben Stammkunden, die haben wir alle angerufen, dass die einen Termin haben. Dann klingelt nicht den ganzen Tag das Telefon.“ Dementsprechend seien die Auftragsbücher schon gefüllt. „Wir sind jetzt schon beim 1. April. Das ist kein Aprilscherz.“

Natürlich freue sie sich total über die Öffnung. „Insgesamt 16 Wochen in 11 Monaten schließen, das ist krass. Das holt man auch so schnell nicht wieder auf – auch mit der staatlichen Hilfe, die kommt.“ Kalle van Oeffelt genoss die Zeit bei der Friseurin seines Vertrauens. Der Laden existiere seit 21 Jahren. Seitdem komme er alle zehn Wochen. „Da entsteht da schon eine Verbindung“, meinte er. Zumal er in dem Salon 2007 seine Frau kennengelernt hat, als die zeitgleich einen Termin hatte. „Da hat es gezündet“, müssen Kunde und Friseurin bei dem Gedanken schmunzeln. „Das Reden miteinander, das fehlt natürlich.“

Lange Haare sind klar im Vorteil

Er sei froh, dass er am ersten Tag schon einen Termin bekommen habe, sagt van Oeffelt. „Ich trag eh lange Haare, da wäre es nicht so schlimm, wenn sie noch länger werden würden. Aber bei einigen kann ich mir vorstellen, dass sie sich durch das lange Haare unwohl fühlen.“ 

Wie aufs Stichwort hatte Schubert eine passende Anekdote dazu parat: „Ich hatte heute morgen einen Herren, der feiert heute seinen 80. Geburtstag, war seit November nicht mehr beim Friseur. Der sah aus wie ein Waldschrat.“ Man müsse bei einigen Kund*innen teilweise echt schmunzeln, „weil die richtig zugewachsen sind. Die sehen sich gar nicht mehr ähnlich, so lang sind die Haare schon geworden.“ Es sei allerhöchste Zeit. „Selbst im Krieg sind Haare geschnitten worden, mitten in der Straße zwischen den Trümmern. Da sieht man mal, wie wichtig das ist.“

Gerade bei den jungen Männern seien die Frisuren heute Statussymbole. Selbst während der Schließung der Friseure hätten viele von ihnen gut geschnittene Haare gehabt. Schubert geht davon aus, dass da die eine oder andere Frisur „unter der Hand“ fachmännisch aufbereitet wurde. „So gut kann kein Laie Haare schneiden“, empfinde sie das persönlich „als total ungerecht.“ Man habe das wohl geduldet. Aber das werde sich jetzt wieder mit dem Öffnen der Salons ändern. „Denn das, was man im Friseursalon bekommt, das kriegt man nicht zu Hause.“