„Wir haben dadurch gewonnen“
Einfach mal rauskommen. Frische Luft schnappen. Durchatmen. Danach sehnen sich in der Pandemie-Zeit viele Menschen. Und das nicht nur Bewohner*innen Berliner Plattenbauten. Auch bei uns auf dem Land war und ist das Bedürfnis vieler Menschen, über die eigenen Grundstücksgrenzen hinaus mal etwas zu sehen. Besonders gut lässt sich die eigene Region mit dem Fahrrad erkunden – man hat mehr Freiheit als im Auto und einen größeren Radius als bei Spaziergängen zu Fuß. Doch dass lange nicht alle Kevelaerer*innen eine fahrbereite „Fiets“ daheim stehen haben, das haben besonders die lokalen Fahrradhändler zu spüren bekommen.
So auch Gregor Peters, Inhaber von „Zweirad Peters“. „Man hatte das Gefühl, die Leute konnten nicht weg. Sie haben mal die eigene Gegend erkundet“, schildert er seine Eindrücke. Bei ihm schlugen sich diese Beobachtungen nicht nur in einem höheren Aufkommen in der Werkstatt nieder, sondern auch im Verkauf. Rund 20 Prozent höhere Verkaufszahlen als im Vorjahr habe er im Pandemie-Jahr 2020 verzeichnet.
Eine deutlich erhöhte Nachfrage im Fahrradhandel bestätigen die Beobachtungen des Statistischen Landesamtes „Information und Technik Nordrhein-Westfalen”. Umsatzsteigerungen in Höhe von 47,8 Prozent habe der Einzelhandel mit Fahrrädern, Fahrradteilen und – zubehör in NRW im November 2020 im Vergleich zum Vorjahresmonat verbucht.
Seinen Laden musste Peters sowohl im Frühjahr 2020 als auch zum jetzigen Shutdown schließen. Die Werkstatt war und ist weiterhin geöffnet. Aktuell darf er telefonische Bestellungen annehmen – keine Beratung, keine Probefahrten möglich. „Ein Fahrrad muss ausprobiert werden, da gehört eine gescheite Beratung dazu“, gibt der Fachmann zu bedenken. Für Zubehör sei das alles halb so wild. Für viele Kund*innen muss es allerdings gar kein neues Zweirad sein. Viele von ihnen hätten im vergangenen Jahr den alten Drahtesel in die Werkstatt gebracht, der zuvor lange Zeit ein trostloses Dasein in der Garage gefristet hatte. Das sei, so schildert Peters, nicht nur durch den Wunsch nach mehr Bewegung im Freien verursacht, sondern habe auch wirtschaftliche Gründe. „Man hat gemerkt, dass viele auf ihr Geld gucken müssen“, sagt der Unternehmer. Andererseits hätten viele Bürger*innen auch wirklich investiert, um sich bessere Voraussetzungen zu schaffen: „Viele sind auf ein E-Bike umgestiegen, um ihren Radius zu vergrößern.“
Der Frühling kommt oft plötzlich
Bevor im Frühjahr vielleicht die Läden wieder geöffnet haben dürfen, hofft Peters darauf, dass die Leute die aktuell ruhigere Winterzeit nutzen, um sich nach der Fahrtüchtigkeit ihres Fahrrades zu erkundigen. Denn erfahrungsgemäß komme für viele Radfahrer*innen der Frühling genauso plötzlich wie Weihnachten und Ostern. Und dann wollten auf einmal viel zu viele Leute gleichzeitig eine Überholung des Zweirades.
Ob er zu Beginn der Pandemie erwartet habe, mit seinem Geschäft im Jahr 2020 höhere Verkaufszahlen zu erzielen als im Vorjahr? „Nein“, sagt Peters. Er habe nicht nur eine schlaflose Nacht hinter sich gebracht. Denn keiner habe vorhersehen können, wie sich das Jahr unter einer Pandemie entwickeln würde. Und ob er sich wirtschaftlich als ein Gewinner der Corona-Pandemie sieht? „Wir sind wahrscheinlich der Gewinner von 2020, aber ich denke, dass es dieses Jahr definitiv abflacht“, erklärt Peters. Sobald die Maßnahmen deutlich gelockert werden, würden die Leute wieder verreisen und den Fokus auf andere Dinge als das Fahrradfahren legen. „Und das kann man niemandem verübeln“, betont der 34-jährige Geschäftsinhaber, der trotz des erhöhten Umsatzes im vergangenen Jahr nicht ganz unbesorgt in die Zukunft schaut. „Im Moment gebe ich das Geld aus, das ich im Hochsommer verdient habe.“ Und nicht nur das: Ein großes Problem sei zudem die Beschaffung der Fahrräder und Ersatzteile. Die Pandemie verursache Störungen in den Lieferketten. Und was nicht lieferbar ist, kann eben nicht an die Kund*innen weitergegeben werden.
„Lieferzeiten wie ein Tesla“
Von großen Lieferschwierigkeiten berichtet auch Christian Michalik, Inhaber des Kevelaerer Unternehmens „Zweirad Michalik“. Aktuell erfolge teilweise erst die Lieferung von Bestellungen aus 2020. Wo vor der Pandemie eine Wartezeit von zwei bis drei Monaten einzuplanen war, müssen die Kund*innen nun bis zu einem Jahr warten. „Auch die Ersatzteilversorgung ist sehr problematisch geworden“, schildert Michalik. „Wir haben das ganz stark gemerkt bei den Rennrädern. Die haben fast Lieferzeiten wie ein Tesla“, sagt der Unternehmer zwar schmunzelnd, ist sich aber zugleich der Lage bewusst.
Während er bei den Verkaufszahlen kein deutliches Plus im vergangenen Jahr habe verzeichnen können, sei der Betrieb in seiner Werkstatt dafür deutlich erhöht. Rund 20 Prozent mehr Aufkommen beschreibt Michalik. Zwei Monteure habe er dafür zusätzlich eingestellt. Die Strukturen im Unternehmen seien zudem völlig umgestellt worden, um sich den Pandemie-Bedingungen anzupassen. Wo vorher vier bis sechs Monteure tätig waren, arbeiten nun acht Kräfte. „In der Werkstatt hat das Anfang Januar nochmal richtig zugenommen“, berichtet der Unternehmer. Was dort tatsächlich spürbar sei, ist der Ausfall der Bürgerbusse in Kevelaer und den Ortschaften. Es gebe einige Kund*innen, die aktuell ein betriebsbereites Fahrrad benötigen, weil sie nicht wie sonst den Bürgerbus nutzen können.
Der Verkauf steht aber auch bei Michalik nicht still. Der eigene Online-Shop der seit gut zwei Jahren aktiv ist, spielt dabei eine entscheidende Rolle. Denn alle Räder, die bei Michalik im Laden stehen, sind auch auf der Website zu finden. Dort können sie ausgewählt und eine Probefahrt vor Ort vereinbart werden. Der Nutzen der Digitalisierung im Unternehmen werde aktuell in der Pandemie sehr deutlich, sagt Michalik, der sich noch gut an den Moment im Frühjahr erinnert, als der erste Shutdown kam: „In dem Moment schoss das Online-Geschäft hoch.“ Diese Entwicklung ziehe sich bisher durch die ganze Zeit der Pandemie. „In dem Moment, wo die Läden zu sind, kommen online Anfragen aus ganz Deutschland.“ So habe er kürzlich erst über das Online-Geschäft zwei Rennräder verkauft, die nun auf den Straßen Berlins und Hamburgs zu finden sind. Aufgrund der Lieferengpässe seien die beiden Käufer extra nach Kevelaer gereist, um das gewünschte Modell zu ergattern.
Ähnlich wie Gregor Peters, ist sich auch Christian Michalik sicher, dass die Nachfrage wieder abflachen wird. Sobald der Shutdown vorbei ist, erwarte er allerdings zunächst einen hohen Betrieb – in der Hoffnung, dass die Lieferwege bald wieder störungsfrei laufen, sagt Michalik. Und ob er sich rückblickend auf das Jahr 2020 als ein Gewinner der Pandemie sieht? „Wir haben dadurch gewonnen. Aber nicht so viel, wie die Leute meinen.“
Weniger Autos, mehr Fahrräder
Fragt man Eckehard Lüdke, Vorsitzender des ADFC Kreisverbandes Kleve, ist das erhöhte Interesse am Radfahren während der Pandemie nicht nur wirtschaftlich ein Gewinn: „In all dem Leid, das in der Pandemie steckt, gibt es auch Entwicklungen, bei denen man denkt: Das geht in die richtige Richtung.“ Auch in Kevelaer sei seit Beginn der Pandemie – verstärkt während der Shutdowns – zu beobachten gewesen, dass mehr Fahrräder auf den Straßen sind. Viele Leute hatten schließlich mehr Zeit, fuhren nur noch kurze Strecken und konnten durch den geringeren Autoverkehr entspannter mit dem Rad fahren.
Lüdkes Erfahrung nach ist mit der Pandemie und dem erhöhten Interesse am Fahrradfahren auch das Interesse an der eigenen Region gestiegen. Für viele Menschen seien Radtouren in Pandemie-Zeiten eine Art „Fenster im Kopf aufreißen und durchlüften. Ich glaube, das ist ein wichtiges Ventil.“ Dass die geführten Touren des ADFC ausfallen mussten und weiterhin müssen, sei bedauerlich. „Die Nachfrage und das Interesse sind groß. Das Tourengeschehen ist im letzten Jahr bei uns leider zum totalen Stillstand gekommen.“ Auch die „fahrRad-Pause“ Ende April in Kevelaer musste ausfallen. Vorerst sind keine weiteren Veranstaltungen des ADFC in der Marienstadt geplant.
Neben diesem Bedauern hofft Lüdke für die Zukunft darauf, dass die Corona-Pandemie auch etwas Positives hinterlassen wird. Seine Erwartung ist, dass viele Menschen durch die Erfahrungen ihre Mobilität ein Stück weit ändern werden. „Der Wunsch ist, dass möglichst viele Menschen gemerkt haben, dass es auch schöner sein kann, mit dem Rad unterwegs zu sein als mit dem Auto“, erklärt der Kreisverbandsvorsitzende.