Wer erwartet, dass man sich mit einem Mann wie Hansgerd Kronenberg zum ungestörten Zwiegespräch über sein Leben treffen kann, der muss sich ganz schnell von seiner Illusion verabschieden.
Kaum ist das Gespräch fünf Minuten alt, klingt im Vorraum das Telefon. „Kronenberg?“, meldet sich der Rechtsanwalt und Ortsvorsteher. Am anderen Ende ist eine Dame, die ihn auf eine Goldhochzeit hinweist. „Das ist schon verabredet“, sagt der 82-Jährige und kehrt wieder ins Büro zurück. „Wo waren wir stehengeblieben?“, setzt er an, bevor es drei Minuten später an der Tür klingelt. „Ich dachte, ich komm mal spontan. Hast du etwas Zeit?“, wird Kronenberg gefragt und bittet den so nett fragenden Gast an der Tür trotz des Gesprächs kurz höflich herein, macht mit ihm einen Termin für den kommenden Tag aus.
„Der Vorsitzende des Heimatvereins…“, sagt er nur, als könne man so eine Person allein schon aus Respekt nicht vor der Tür stehen lassen. Auf dem Fenstersims ist eine Urkunde des Heimatvereins „Ons Derp“ zu sehen – über seine Ehrenmitgliedschaft auf Lebenszeit.
„Ich kenne hier in Winnekendonk viele Menschen“, sagt der Ortsvorsteher, der das Amt seit 1969 inne hat. „Und wir sind stolz, als „Ureinwohner“ in Winnekendonk geboren zu sein“, spricht er an dem Punkt gerne für sich und seine Frau Gertrud. Ein Team, dass in diesem Jahr diamantene Hochzeit feiert.
Krieg war eine prägende Erfahrung
Wenn Kronenberg mal in den „flow“ kommt, wie man neudeutsch sagt, dann erschließt sich der Reichtum seiner Lebenserinnerungen und der Fülle von Erfahrung, die sich in seiner Person vereinigen.
Der Sohn eines Lehrers wird am 8. August 1935 geboren, die Kindheit ist von der Kriegszeit geprägt. „Als kleines Kind war ich hier an Soldaten gewöhnt“, erinnerte er sich zum Beispiel an eine Flak-Versorgungstruppe, „wo für uns Schokolade abfiel.“
Der Papa war im ersten Weltkrieg Soldat, wurde gegen Ende des Hitler-Regimes noch in den „Volkssturm“ eingezogen. „Er musste nach Gennep, kam aber einen Tag später zurück.“ Er war bei einer Übung mit Panzerfäusten in einen Bombentrichter gefallen und hatte sich den Arm gebrochen. „Zum Glück“, sagt Kronenberg heute.
Deutlich ist die Erinnerung daran, dass er am 26. Februar 1945 mit der Familie vor den alliierten Fliegern mit dem Fahrrad flüchtet. „Wir sind bis zur Achterhoeker Schule gekommen, haben da übernachtet und sind nach Sevelen weitergefahren.“
Nach ein paar Tagen ging es über den damals noch existierenden Hoerstgener Bahnhof „in einem Evakuierungstransport“ nach Wuppertal. „Ich hab noch das Bild von Soest in Flammen vor Augen“, erinnert sich Kronenberg.
Bei einem hohen Militär kommen sie unter, suchen Schutz vor Luftangriffen in einer Felsenhöhle, werden nach wenigen Tagen nach Westfalen evakuiert. In Tonnenheide im Kreis Lübbecke werden seine Schwester und er auf den einen, die Eltern auf einen anderen Bauernhof verteilt. Sein Bruder war Soldat.
Der Vater ersetzt kurzzeitig den dortigen Lehrer. „In der Nähe gab es das KZ Espelkamp, da hab ich einen Trupp ausgemergelter Menschen gesehen, die wie eine Herde die Straße langliefen.“ Als Kind konnte er das noch nicht zuordnen, heute ist klar, was diese Menschen erleiden mussten.
Zum Datum der Kirmes 1945 kehren Kronenberg und seine Familie zurück nach Winnekendonk. „Unterwegs haben wir schon gehört, unser Haus ist platt“, sagt er. Die Familie kommt bis 1952 auf dem Köthershof unter, „wo heute Familie Bröcheler wohnt“.
Der Vater wird Schulleiter in Winnekendonk und Hansgerd Kronenberg ging an die „Zubringerschule“ an der Bovenstraße. „Die grenzte an den Marien-Kindergarten, der heute noch da ist.“ 1949 geht er in Geldern zum Gymnasium. „Da waren Kinder aus Goch, Rheinberg usw. da – da lief alles zusammen.“ 1954 macht er sein Abitur, gibt als Berufswunsch „Juristerei und Betriebswirtschaft“ an.
Ein Jurist, der schon früh für alle da war
1948 wird er Mitglied von Viktoria Winnekendonk. Als Kind, das auf einer höheren Schule war, galt er als „gebildet“. „Man strebte nach Aufgaben, die man erledigen konnte -und man hat mir bei der Viktoria schon früh Verantwortung gegeben“, sagt er und betreute dann nebem dem Studium die Schüler – und legte immer großen Wert auf die Zusammenarbeit mit der Schule und dem Kindergarten.
Nach Beendigung seines Jurastudiums in Köln wird er Referendar und Assessor. Er arbeitet dann in verschiedenen Kanzleien, ehe er sich als Anwalt 1968 in Winnekendonk selbstständig macht und „bis heute“ dort praktiziert.
„Das brachte dann die Berufseinstellung automatisch mit, dass ich für alle da war. Wenn ich helfen konnte, hab ich geholfen“, sieht er das bis heute nicht als etwas Besonderes an.
„Damals war ich in der Kaplanei, wir wohnten auf vier Zimmern mit fünf Personen.“ Er bekam einen Raum zum Praktizieren und einen „Fotokopierer“ mit Kurbeln und Faser. „Da sah man abends aus wie ein Mohr.“ Später übernahm er das Grundstück vom Vater an der Sonsbecker Straße, später noch das Nachbargrundstück.
Ein Politiker, der für Winnekendonk streitet
1965 wird der Sportverein Viktoria von der Verwaltung angeschrieben, „sie möge einen Interessierten in den Jugendwohlfahrtsausschuss entsenden.“
Das war Hansgerd Kronenberg. Der Gemeindedirektor Wormland fragte ihn dann, ob er auch für den Rat kandidieren wolle. „Ich fühlte mich geehrt“, sagt der CDU-Politiker, der schon für einzelne Ratsmitglieder gearbeitet hatte, und ging in die Politik, um die Winnekendonker Interessen auch in Kevelaer zu vertreten.
Im Zuge der neuen Gemeindeordnung sahen die Winnekendonker 1969 aber ihre Selbstständigkeit als immerhin recht reiche Gemeinde gefährdet. „Da gab es ein großes Lamento – nach Kevelaer gab es keine großen Beziehungen.“
Der Ausweg: der neue Posten des Ortsvorstehers, für den Kronenberg als einziger übrig blieb. „Wir haben die Geselligen Vereine dann kräftig aufgestockt und einen „e.V.“ gegründet, um möglichst viel von der Eigenständigkeit zu erhalten. Das wollen wir uns heute noch bewahren.“
Von daher war der Gewinn der Goldmedaille beim Dorfwettbewerb auf Bundesebene 2002 für ihn etwas Besonderes . „Ob man sowas nochmal so hinbekommt“ – da hat er heute Zweifel.
Diese Haltung richte sich nicht gegen Kevelaer, es gehe stattdessen um die Identität der Dörfer. „Wenn die Identität der Ortschaft gewahrt bleibt, wird Kevelaer stärker“, ist seine Überzeugung.
Für die Identität des Dorfes
Wichtig sei ihm immer „ein gutes Verhältnis zu Rat und Verwaltung“ gewesen, sagt Kronenberg, der der 2003 mit dem Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland geehrt wurde, ebenso die Anbindung an die Winnekendonker Vereine, in denen er mitwirkt – ob als stellvertretender Vorsitzender des Heimatvereins „Ons Derp“, als Mitglied bei den Sebastianus-Schützen, bei Viktoria Winnekendonk, als Beirat für das Katharinenhaus, im Förderverein St. Urbanus, im Reiterverein, im Tennisverein oder als Aktiver für das Bildungswerk Winnekendonk.
Das ihm anvertraute Amt will er solange weiterführen wie möglich. „Ich kann niemanden erkennen, der die Gelegenheit hat, immer zur Verfügung zu stehen und die Zeit und die Räumlichkeiten hat.“ Kronenberg hofft, „dass mein Geisteszustand in Ordnung ist, das zu tun, was mir möglich ist. Wie lange es geht, überlasse ich der „höheren Gewalt“, sagt der gläubige Christ.
Wieviel Zeit er dann noch haben wird für die vier Kinder, bald fünf Enkelkinder und drei Urenkel, wird sich zeigen.
Der Vorschlag der Kevelaerer CDU, die er als Fraktionsvorsitzender eine Zeitlang durch unruhige Zeiten geführt hatte, Ehrenbürger zu werden, habe ihn „schon überrascht.“ Er fragt sich allen Ernstes: „Wie soll man überhaupt auf so einen Gedanken kommen ?“ Er könne es aber in dem Sinne mit sich vereinbaren, sollte es dazu kommen, „dass es eine Ehrung des Amtes des Ortsvorstehers und seiner Mitstreiter über lange Zeit“ sein wird.