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Dinslakener Räuber stürmen das Kevelaerer Bühnenhaus

Ja, so kann man das gut machen, wenn man das, was im alten Fritze Schiller stürmte und drängte, auf eine moderne Theaterbühne bringen will. Dass die Dinslakener Burghofbühne ein kleines, aber stets feines Landestheater ist, stellte sie beim Gastspiel in Kevelaer am vergangenen, schon recht Corona-verseuchten Mittwoch, wieder einmal eindrucksvoll und nachhaltig unter Beweis.

Die Puppen tanzen

Ein bisschen Action hinter Barrikaden aus umgekippten Klapptischen, bis einem das Gelaber und das Geballer der Räuber in den Ohren wehtut, ein bisschen gefühlvolles Beziehungsgespräch am Bühnenrand mit einem Ende so ganz ohne Kitsch, ein bisschen Musik, die sich selbst nicht immer ganz ernst nimmt und darum selbstverständlich nicht als E-Musik durchgeht – und ganz viele Perspektiven in Spiegeln rund um einen Schachbrett-Boden: André Rößler lässt die Puppen ordentlich tanzen – und das darf man teils wörtlich nehmen.

Der Regisseur lässt die schillerschen Figuren dafür nur ungern schillern: Schwarze Ganzkörperanzüge rauben den Räubern jegliche Mantel-und-Degen-Romantik. Die Studentenzeit verbringt Bruder Karl offensichtlich unerfüllt auf dem Disko-Klo, der Vater klammert sich maximal an seinen blass-gold bemalten Besenstiel und der undurchsichtige Franz verbirgt seine Blicke hinter einer tiefschwarzen Sonnenbrille. Die ohnehin eindimensional-emotionale, von beiden Brüdern geliebte, aber nur einen Bruder zurückliebende Geliebte Amalia hat gar keine andere Chance, als Karl zuende zu lieben.

Okay, man muss sich schon ordentlich den Respekt vor der Vorlage aus den Kleidern klopfen, wenn man so musikalisch kalauernd unterwegs sein will wie in dieser modernen Umsetzung: „More and more“ als Anspielung auf die Gebrüder Moor – muss man nicht mögen, darf man aber amüsiert drüberwegschmunzeln, wenn dem so ist.

Eine Idee dieser Inszenierung sticht so klar und logisch heraus, wird von den Mimen so fein umgesetzt, dass es einem fast den Atem verschlagen könnte: Manche Figuren werden von schwarz gekleideten Hintermännern an unsichtbaren Fäden durchs Geschehen geführt, Marionetten gleich, besser noch: wie Stabpuppen. Sie bewegen wie diese ihre Lippen und werden vom Bühnenrand aus synchronisiert. Eine inhaltlich wie ästhetisch stimmige Idee, die hier wunderbar ausgefüllt wird.

Und wenn es gar zu klassisch zu werden droht, dann fällt es diesem Regisseur durchaus ein, den schönsten Monolog auch mal durch ein Gespräch mit einer Schauspiel-Kollegin zu unterbrechen. Das wirkt alles so fein verstrickt, so frohgemut verwoben, dass man sich und dem Ensemble mehr und mehr Assoziations-Eskapaden bis dorthinaus erlaubt.

Dass dieser Klassiker ein anarchistisches Stück Literatur ist, führt diese Inszenierung schließlich gut vor Augen. Das hebt die Handlung in einen zeitlosen Rahmen und lässt Anspielungen auf unsere heutige Realität zu.

Und zwar nicht nur im Sinne der Abarbeitung einzelner elementarer Menscheitsfragen – nach Liebe, nach Gier, nach Macht, Rivalität, Missgunst und was sonst noch so alles die Welt auseinanderhält – sondern in der Hinführung auf das Unausweichliche, in die Katastrophe, an den Punkt wo keiner mehr mit sich und der Welt zufrieden ist.

Zufriedener Applaus in einem Bühnenhaus, das wohl auch aus Gründen der heraufziehenden Corona-Pandemie nicht besonders gut gefüllt war.

Modernisierte Räuber

Schillers Räuber gelten als Klassiker der Bühnenliteratur und sind in vielen mehr oder weniger stürmisch-drängenden Versionen über die Bretter gegangen. Konfliktpotenzial bietet der Bruderzwist genug, Aktualisierungsmöglichkeiten sind schon mit den gemeinhin gesellschaftlich beteiligten Gruppen reichlich vorhanden – man denke nur daran, wer allein in den vergangenen zehn Jahren auf die eine oder andere Art unter die Räuber entweder gefallen oder gegangen ist – und werden mit jeder neu entstehenden Raubrittergattung ja nicht weniger.

Faust, Courage, Räuber

Doch gerade die Modernisierung eines verstaubten Klassikers will wohlüberlegt sein – wie oft hat schon die Schönheit Schaden genommen unter schrillem Anstrich. Ein glückliches Händchen bewies die Burghofbühne Dinslaken bei sowas nun schon mehrfach: Vor ein paar Jahren haute man hier Goethes Faust nachgerade hemdsärmelig vom fest im Mittelalter verankerten Sockel und vor nicht allzu langer Zeit die olle Mutter Courage vom Bock ihres Bollerwagens, um nur zwei herausragende Beispiele zu nennen. Der couragierte Courage-Erneuerer André Rößler hat sich jetzt mit den Räubern und diese darüber neu angelegt und mit Blick auf das junge, feine Ensemble der Burghofbühne darf man sicherlich auf die eine oder andere schauspielerische Sternstunde gefasst sein.

Zum Schillerschen Drama schreibt die Burghofbühne selbst in ihrer Ankündigung:

„Karl und Franz, zwei Brüder, die beide die alte Weltordnung des Vaters verachten und die dennoch unterschiedlicher nicht sein könnten: Karl, der Ältere, vom Vater geliebt und gefördert, auf dem besten Wege, durch das Erbe reich zu werden und liiert mit einer tollen Frau, ein Gefühlsmensch und Lebemann. Und daneben Franz, der Jüngere, weniger attraktiv, ohne Erbaussichten, dafür frustriert und eifersüchtig. Natürlich will er all das, was Karl hat: Macht, Geld und Amalia. Und zum Glück ist er nicht auf den Kopf gefallen. Er nutzt seinen kalten Intellekt, um eine raffinierte Intrige zu spinnen, durch die er Karl gegen den Vater ausspielt, bis dieser ihn verstößt.

Getrieben von einem starken Gefühl der Ungerechtigkeit in der Welt, wird Karl Anführer einer Räuberbande und zieht durch die Wälder, wo er plündert und mordet – alles unter dem Deckmantel einer Art Robin-Hood-Ideologie als moralische Absolution. Ein konkretes politisches Ziel verfolgt der Student dabei nicht – es gilt mehr ein politisches Unbehagen und eine persönliche Verletzung zu heilen. Karls Losung „Tod oder Freiheit“ lässt keinen Spielraum und zwingt alle Räuber zum Äußersten. Erst als Karl in seine Heimat zurückkehrt, kommen die dreisten Lügen seines Bruders Franz ans Licht und ein blutiger Rachefeldzug nimmt seinen tragischen Lauf.

In „Die Räuber“ zeigt Schiller anhand des privaten Konflikts der Brüder zwei gesellschaftliche Radikalisierungsmuster: Franz instrumenteller Rationalismus und Karls blutiger Idealismus. In einer gemeinsamen Hoffnung auf eine bessere Welt befinden sie sich im permanenten Kriegszustand mit sich selbst und dem Gegenüber. Beide Wege führen zu Radikalität und Brutalität. So steht am Ende wie so oft wieder einmal die Frage: Wie konnte das passieren?“

Aufführung

Passieren wird‘s am Mittwoch, 11. März 2020, im Konzert- und Bühnenhaus Kevelaer. Die Burghofbühne Dinslaken zeigt eine moderne Fassung „Die Räuber“ von Friedrich Schiller. Die Aufführung beginnt um 20 Uhr. Karten gibt es im Vorverkauf im Service-Center im Rathaus. Sie kosten 11 Euro bis 16,50 Euro.