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Janik Hensen zählt mit seiner Firma „Dekor Event“ zur Veranstaltungsbranche, die wirtschaftlich mit am meisten von der Pandemie getroffen wurde. Statt zu resignieren, ist der Kevelaerer Unternehmer neue Wege gegangen.

In der Krise neu erfunden

Sie gehörten zu den Ersten, die die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie gespürt haben – und werden vermutlich auch bei den Letzten sein, die wieder zur Normalität zurückfinden: Veranstaltungstechniker*innen. Seit einem Jahr liegt die Branche brach. Doch was tun, wenn die Auftragsbücher leer sind? Ein Jahr Zwangsurlaub verbüßen?

Ein Leben ohne Staunen?

Schon von klein auf war zu bemerken, dass in Richtung Zauberei etwas in der Luft lag, erzählt Tobias Velmer. „Ich habe das schon als Kind gemacht. Nichts mit Karten – eher dieses kindliche Verständnis von Zauberei, mit Zauberstab schwingen und es passiert etwas.“ Der Zauberkasten kam dann mit sieben oder acht Jahren. Er sei kein Träumer und kein Klassenclown, aber ein Junge mit einem starken Spieldrang gewesen. „Meine Mutter hat darüber mal mit einer Lehrerin gesprochen. Sie sagte: Er spielt, spielt, spielt. Und die Lehrerin sagte: Lassen Sie ihn doch spielen.“ Den „Homo ludens“, den „spielenden Menschen“, den habe er sich bis heute erhalten.

Nach dem Abitur studierte Velmer zunächst Lehramt in Dortmund und brach das Studium ab, nachdem er in Jürgen von der Lippes „Magic store“ in Köln Zaubergerätehändler wurde. Von dieser Zeit sagt er: „Da war in jeder Schublade ein neues Wunder.“ Dem schloss sich das Kulturstudium in Hildesheim an, wo er seine Frau kennenlernte. Als Kulturwissenschaftler*in stammen beide quasi „aus dem gleichen Stall“, sagt er. „Ich habe Kulturwissenschaft und ästhetische Praxis studiert. Hauptfach war bei uns beiden Theater, wir haben am Theater auch lange gearbeitet.“ Von daher war das Verständnis für die „zauberhafte“ Ader des Mannes gegeben. Die blieb immer erhalten, bis er entschied, mit der Profession Zauberei von Kevelaer aus durchzustarten.

Wenn Tobias Velmer seine aktuelle berufliche Situation schildern soll, dann braucht er nicht lange zu überlegen. „Im Moment bin ich hauptsächlich Vater, Lehrer, Hausmann und alles, was dazu gehört“, macht der 44-jährige Kevelaerer deutlich. 

Was das Jahr 2020 angeht, kamen zwar Aufträge rein, „aber es war ein absolutes Nulljahr.“ Insge-samt habe sich in dem Zeitfenster nach dem ersten Lockdown schon etwas aufgebaut. „Es gab Spontanbuchungen – auf Hochzeiten, bei Firmen, Messen, Mittelaltermärkten, die nicht von heute auf morgen gehen. Und es gab das Angebot für einige Privatveranstaltungen in Kindergärten und Schulen. Aber das ist dann nie zustande gekommen.“ Zwischendurch gibt er Online-Zauberunterricht auf Anfrage. „Das sind so Kinder zwischen zehn und dreizehn Jahren.“ Das Unterrichten sei nicht fremd – nach 15 Jahren Schauspielunterricht an Theatern als Theaterpädagoge. Und es tut ihm gut. „Da bin ich mitten drin. Und wenn sie aktiv dabei sind, kann ich für eine Stunde abschalten.“

Das Publikum fehlt als Teil der Darbietung

Zu Anfang der Corona-Pandemie habe er gedacht: „Ich nutze die Zeit, um kreativ zu sein, wenn die Kinder im Bett sind, der Tag zur Ruhe kommt. Bei mir hat das nicht funktioniert“, gesteht er. „Wenn ich probe, denke ich immer das Publikum mit. Ich brauche die Gemeinschaft, sonst fühle ich mich in der Art, wie ich zaubere, nicht zu Hause.“ Corona habe ihn somit „künstlerisch komplett runtergefahren.“ Da halfen solche Ereignisse wie die Idee, vor den Türen der Altenheime in Kevelaer zu spielen. Da gehe die Energie dann wieder ein Stück weit hoch. „Die fällt aber sofort wieder ab, wenn die kleinen Gegebenheiten vorbei waren“, sagt Velmer.

Der Kevelaerer findet das selbst für sich „ziemlich erschreckend.“ Das sei aber irgendwie zauber-spezifisch. „Ein Musiker, der sich im ersten Lockdown noch auf den Balkon stellen konnte, das ging. Schauspieler können ihre Darbietungen noch streamen, auch wenn das Live-Erlebnis fehlt. Aber sie arbeiten, und auch im Team als Teamerlebnis.“ Zauber*innen hingegen bräuchten die aktiv mitspielenden, mithandelnden Zuschauer*innen. „Und da fehlt mir halt der Partner, egal, wie viel ich probe und entwickle. Ich brauche den mitdenkenden Verstand.“ 

Zur Überbrückung machte er zu Silvester sogar Online-Shows, die über das Netz gelaufen sind. „Da haben wir Konferenzschaltungen gemacht für Menschen, die nicht bei ihrer Familie oder mit Freunden sein konnten. Die haben sich über den Bildschirm gesehen und die habe ich nachts unterhalten.“  Er habe das lange überlegt. „Aber Silvester habe ich tatsächlich gearbeitet.“ Dafür habe er sich dann ein Konzept überlegt. „Das wichtigste Mittel war nicht der Trick, sondern der Versuch, da Leich-tigkeit reinzubringen, Corona außen vor zu lasssen, obwohl es vordergründig nicht wegzudisku-tieren ist.“ 

Zauberei lebe durch das Staunen, sagt Velmer. In dem Fall ging es dann „um ein ungewöhnliches Erlebnis in einer ungewöhnlichen Zeit.“ Dabei gestaltete er Kunststücke sehr „frontal“, machte „Dinge, die durch ihre Optik wirken“ – so wie die Münzzauberei, bei der Geldstücke von der einen in die andere Hand wandern. „Da passiert ein optischer Umgang, der vermittelbar ist.“

Was natürlich fehlte, war der Livecharakter. „Das ist nicht mein Gefühl, wie ich Zauberei mache. Die Leute sehen nur Ausschnitte, sie können nicht Requisiten anfassen.“ Für ihn gehört das aber existenziell dazu. „Die Gegenstände müssen untersuchbar“ sein, die Leute mitmachen. 

Alles was in Distanz abläuft, sei „eine Beschneidung, nicht nur im Alltag, sondern auch in der Kunst“, sagt Velmer. Da habe er keinen anderen Weg gefunden, das zu toppen. „Es ist anders. Und für mich fehlt da was.“ Sonst spielt er immer gut 40-minütige Programme. „Hier habe ich sehr genau ausgewählt, was überhaupt Sinn macht. Den Anspruch, dass es für die Zuschauer in erster Linie ein positives Erlebnis ist, da muss man viel drüber nachdenken, was man zeigt.“ Aber sich neuen Ideen zuzuwenden, zu motivieren, dafür fehlt einfach der Funke. So habe er sich dann zwei Abende hingesetzt und sich selbst ehrlich gefragt: „Für wen mache ich das?“ Dann fiel die Entscheidung: Das musst du erstmal ruhen lassen. „Es ist völlig frustrierend, was zu erarbeiten, aber man kann es nicht zeigen.“

„Man kann was, aber man darf nicht“

Was ihm künstlerisch zu schaffen mache, sei die Perspektivlosigkeit und die Frage, wie lange es noch dauert, bis es wieder losgehen könnte – „ein halbes Jahr, ein viertel Jahr, vielleicht zwei Jahre.“ Durch die Kinderbetreuung habe er keine Chance, sich auf etwas anderes festzulegen. Das sei im Moment eine Art „Verkrüppe-lung, weil es einen so in die Falle lockt. Man kann was, aber man darf nicht.“

Velmer denkt tatsächlich darüber nach, den Beruf des Zauberers an den Nagel zu hängen und „möglicherweise, sogar wahrscheinlich mich nach einem anderen Beruf umsehen zu müssen.“ Die Gelder seien „halt schwächer und die Soforthilfen nicht so glorreich, wie sie dargestellt werden“, sagt er. Zwar habe er Coronahilfen bekommen – „am Anfang diese Soforthilfe und die Novemberhilfe habe ich beantragt mit dem Steuerberater. Die ist schon da.“ Das sei aber „nix, was lange trägt.“ Für völlig absurd hält er es, dass „die Dezemberhilfe mit der Novemberhilfe aufgerechnet wurde.“ Schließlich hatte er ja im Dezember noch die Engagements an den Wohnstiften und Altenheimen – und damit Einnahmen. „Im Rechner waren dann 39 Euro zu beantragen. Das fand ich zu doof.“ Und allmählich kämen auch die Rückzahlungen. Gott sei Dank arbeite seine Frau, sagt er. „Wir müssen uns nicht verschulden.“

Die Zauberei bleibt immer Teil seines Lebens

Vier Jahre lang habe er die Rolle als Zauberer entwickelt und war sehr zufrieden damit. „Ich bin sehr dankbar, dass ich die Chance hatte, das vier Jahre meinen Haupterwerb nennen zu können.“ Schließlich habe er ja lange überhaupt mit der Idee gespielt, dass er das machen wolle. „Man kann nie mehr sagen mit 50: ich habe es nie probiert.“ Die Zauberei werde nie wirklich weggehen und Teil seines Lebens bleiben, sagt der 44-Jährige. Aktuell sei er einfach „dankbar, dass die Familie gesund ist, wir ein Dach über dem Kopf haben und die Heizung funktioniert.“ Es gebe immer einen Grund auf höchstem Niveau zu klagen, findet Velmer. Aber das relativiere sich alles, „wenn man bedenkt, dass Menschen draußen erfrieren, Kinder unter Zeltplanen leben.“ 

Es gebe viele Momente und Begegnungen in der Zauberei, die ihm in Erinnerung sind, die er mitnehme, sagt Tobias Velmer. Und es gebe Menschen, die angerufen haben und fragen: „Wie geht es Dir? Was machst Du? Wir wären froh, Dich wieder live zu sehen.“ Das baue ihn auf. „Wenn die Leute sich dran erinnern, kann man sagen: Es ist nicht nur dieses ‚man albert auf der Bühne rum.‘ Dann hat man einen Menschen wohl tiefer berührt.“ 

„450-Euro-Kräfte zählen zu den Hauptverlierern”

Im Zuge der Corona-Krise ist die Zahl der Minijobs im Kreis Kleve um sechs Prozent gesunken. Mitte vergangenen Jahres gab es rund 32.500 geringfügig entlohnte Arbeitsverhältnisse. Ein Jahr zuvor waren es noch 34.500. Besonders stark war der Rückgang im Gastgewerbe. In der Branche gingen binnen eines Jahres 845 Minijobs verloren – ein Minus von 19 Prozent. Das teilt die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) mit und beruft sich hierbei auf neueste Zahlen der Bundesagentur für Arbeit.

„450-Euro-Kräfte zählen zu den Hauptverlierern der Wirtschaftskrise. Sie haben bislang keinen Anspruch auf Kurzarbeitergeld, werden häufiger gekündigt und sind sozial kaum abgesichert“, sagt Hans-Jürgen Hufer, Geschäftsführer der NGG-Region Nordrhein. Die Statistik spiegele eine „enorme Unwucht“ auf dem heimischen Arbeitsmarkt wider. Während dank staatlicher Hilfen wie der Kurzarbeit die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Stellen in der Region nahezu konstant geblieben sei, treffe die Pandemie prekär Beschäftigte besonders hart.

Nach dem Prinzip „Hire and Fire“ (Heuern und Feuern) lebten sie in ständiger Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes. „Betroffen sind gerade Frauen, die eine 450-Euro-Stelle als Kellnerin oder Küchenhilfe oft als einzige Einnahmequelle haben. Auch für viele Studierende, die sich nebenher etwas hinzuverdienen, sind die Folgen des Jobverlustes dramatisch“, betont Hufer. 

Der Gewerkschafter kritisiert die Entlassungen, hat aber angesichts der historischen Krise Verständnis für die Lage der Hotels und Restaurants. „Das Problem ist vielmehr, dass die Politik durch abgabenfreie Minijobs schon seit Jahren falsche Anreize setzt. Es ist höchste Zeit, diese Stellen sozialversicherungspflichtig zu machen.“ Nur wenn Sozialabgaben, Kranken-, Pflege- und Rentenversicherungsbeiträge gezahlt würden, könnten Beschäftigte wirksam geschützt werden. Eine Heraufsetzung der Verdienstgrenze bei den Minijobs auf monatlich 600 Euro, wie sie derzeit Teile der Union fordern, gehe dagegen „in die völlig falsche Richtung“, so Hufer. Damit werde eine prekäre Beschäftigungsform weiter ausgebaut, statt sie einzudämmen. Nach Angaben des Deutschen Gewerkschaftsbundes würden durch eine Heraufsetzung bundesweit rund 470.000 Menschen mit regulären Stellen ungewollt zu Minijobbern. „Die Corona-Krise hat den Blick auf viele gesellschaftliche Probleme gelenkt. Dazu gehören die Minijobs. Die Politik muss hier arbeitsmarktpolitisch umsteuern“, fordert Hufer.  

„Licht an, bevor es ganz ausgeht“

2021, das ist für Tanja van der Will-Pauli eigentlich ein besonderes Jahr: „Ich werde 50 – und ich bin seit 25 Jahren selbstständig“, sagt sie und hätte das natürlich gerne zusammen mit ihren Kunden gefeiert. „Ich hatte mir das ganz anders vorgestellt“, gesteht die gelernte Friseurmeisterin.

Sie habe sich „ immer schon für Mode und moderne Erscheinung“ interessiert, erzählt die gebürtige Kevelaerin. „Dass man Leute positiv verändern kann durch Schnitte und die Beratung, das Beste aus einem Typ rausholen kann“, das habe sie an dem Beruf so angesprochen. „Wenn ich mit der Arbeit fertig bin, gehen die Menschen in der Regel mit einem Lächeln raus.“

Bei Marlene Schumacher in Kevelaer ging sie mit 16 in die Lehre, danach folgten noch drei Gesellenjahre bis zum Meister. In dieser Zeit übernahm van der Will-Pauli eine von Schumachers Filialen in Wetten.

Erfahrung sammeln

„Es ist besser, Erfahrung zu sammeln, bevor man die Meisterprüfung macht. Heute machen sich viele schnell mit geringem Erfahrungsschatz selbstständig.“ Zumal es gut sei, im Vorfeld mit betriebswirtschaftlichen Dingen, Paragraphen und Gesetzen vertraut zu werden.
Nachdem sie ihren Meister in Duisburg bei Hader abgeschlossen hatte, setzte sie sich mit Schumacher zusammen „und ich hab ihr die Filiale abgekauft.“ Die Aussicht, sich dafür acht Stunden oder länger am Stück in den eigenen Laden zu stellen, „fand ich nicht abschreckend. Man macht das mit Liebe, kennt es ja nicht anders.“ Und später zog sie in den Laden gegenüber.

Was war das Erste, was sie persönlich dachte, als sie im März letzten Jahres vom ersten Shutdown hörte? „Ach Du Scheiße“, ist die Unternehmerin ganz ehrlich. Es sei zu Beginn „sehr abstrakt“ gewesen. „Ich habe eine Woche gebraucht, um das zu realisieren“, sagt sie heute.

Tausende von Fragen

Mit Corona tauchten „Tausende von Fragen auf, was passiert jetzt.“ Und sie saß zu Hause fest, „musste lernen, runterzukommen.“

Bis zum Shutdown hatte sie zwei Festangestellte, bis 2019 immer wieder Azubis gehabt, „auch wenn es immer weniger werden.“    Die Innung habe daran gearbeitet, den Beruf attraktiver zu machen. „Das Einkommen ist jetzt da, wo man so als Arzthelferin ist.“ Jetzt ist noch eine Festangestellte da.

Es sei bitter gewesen, „dass das gesamte Ostergeschäft weggebrochen ist.“ Den Antrag auf Soforthilfe stellte sie sofort. „Das ging ganz problemlos vonstatten.“ Zu Beginn der Pandemie sei „viel Euphorie“ dabei gewesen. „Aber lange war unklar, was darf ich nutzen“, tauchten Existenzängste auf. „Und ich war überrascht, wie schnell das Geld weg war, ohne damit Trallafitti zu machen“, sagt sie.

„Wovon sollen wir leben?“, war für die Selbstständige keine abstrakte Frage. Denn nicht nur die laufenden Kosten, sondern auch laufende Verbindlichkeiten wie Steuerabschläge, Warenbestellungen oder Rechnungen mussten bedient werden. Und Ende des Jahres steht ja auch die Frage im Raum, das nicht genutzte Geld zurück zu überweisen. „Ich hätte es vielleicht im Nachhinein nicht in Anspruch nehmen sollen.“

Als der Laden Anfang Mai wieder öffnen durfte, „haben wir uns alle gefreut.“ Da kamen dann aber die Hygienevorschriften und die Frage: „Wie setze ich das um, was ist erlaubt/nicht erlaubt?“ Da sei man von der Innung gut auf dem Laufenden gehalten worden.

So trugen Friseur und Kunde jeder eine Maske. „Jeder Kamm, jede Schere wurde sofort desinfiziert, jeder Platz nach einer Behandlung.“ Dazu kamen die Kundenerfassungslisten, Hygienepläne, Mitarbeiterschulungen zum Eigenschutz.

Großes Lob für die Kunden

Und die Kunden hätten sich „alle konsequent“ an alle Vorgaben gehalten. „Ihnen gebührt großes Lob.“ Denen, die ihre Maske vergessen hatten, habe man eine Maske zur Verfügung gestellt.

„Da haben wir uns als Hygienevorbild als Friseure gesehen“, sagt die Frau die mit im Vorstand und im Prüfungsausschuss der Kreis-Friseurinnung aktiv ist. Denn ihr sei „so gut wie kein Coronafall“ bekannt.

Auf Termin zu arbeiten, das habe ihr nichts ausgemacht. „Aber es durfte keine Wartezeit entstehen, das war eine Auflage.“ Und problematisch war durchaus, dass sie nur noch die Hälfte der Plätze nutzen konnte, um Kunden zu bedienen. Die hätten sich aber „alle konsequent dran gehalten“.

Ein weiterer heftiger Einschnitt wartete dann am 16. Dezember auf die Friseure, als kurz vor Weihnachten der zweite Shutdown kam. „Das ist die Zeit wo wir den Hauptumsatz machen.“

An die Rücklagen sei man schon im ersten Shutdown gegangen. „Und dadurch, dass man weniger Umsatz erzielen konnte und die Umsätze Ostern und Weihnachten weggebrochen sind“, habe man „keine Rücklagen für einen weiteren Shutdown“ aufbauen können.

Ausbildungssituation

Jetzt laufe der zweite Shutdown bis zum 14. Februar. „Es wird substanziell, und das nicht nur für mich, sondern für die gesamte Friseurbranche – immerhin 80.000 Fachbetriebe mit 240.000 Mitarbeitern und 20.000 Auszubildenden“, macht sie die Dimension mal klar. Und alles andere laufe weiter. Dazu gehöre auch die Ausbildung der Lehrlinge, die man weiter bezahlen muss. „Wir dürfen sie in den Betrieben nur an „Medien“, also Puppenköpfen, ausbilden lassen und eins zu eins – also jeweils nur ein Lehrling im Betrieb oder auch online.“ Sie könnten auch Aufgaben mit nach Hause nehmen, via Chat Fragen stellen. „Das ersetzt aber alles keine Kunden.“ Man sei aber froh, dass Friseurprüfungen an der Berufsschule Kleve überhaupt unter den Bedingungen stattfinden. „Da muss ja jeder Prüfling mehrere Modelle mitbringen, mindestens drei Prüfer anwesend sein.“ Das geht nur über reduzierte Gruppen, Mindestabstand. „Es waren jetzt 18 Prüflinge für den gesamten Kreis. Das ist sehr wenig.“ Würde der Shutdown nochmal verlängert, „wird sich die Situation noch mehr zuspitzen“, wagt sie eine Voraussage. Wenn keine Hilfen kommen, „stehen viele vor dem Aus.“

Mitte Dezember habe die Politik noch von Überbrückungshilfen gesprochen. „Dann kam die Hiobsbotschaft für uns alle: Es gibt keine, weil wir den halben Monat gearbeitet haben.“ Und jetzt gebe es nur noch die Überbrückungshilfe III.

Die Forderungen des Bundesverbandes des deutschen Friseurhandwerks sind klar: Passgenaue, schnelle und unbürokratische Überbrückungshilfen, nachhaltige Förderung der Ausbildungsbegleitung, die Berücksichtigung der Ladenchefs, die bislang in den Regelungen leer ausgehen und die dringende Eindämmung der Schwarzarbeit.

Diese Dinge einzufordern, auf die Situation aufmerksam zu machen, darin liege der Sinn der 24-Stunden-Aktion „Licht an, bevor das Licht ganz aus geht“. Wobei von vornherein klar war, dass es „eine stille Demo sein sollte. Wir wollten uns nicht mit Scheren und Plakaten auf den Marktplatz stellen.“ So sehe es so aus, als sei der Laden auf, obwohl er geschlossen sei.

Seitens der Politik müsse jetzt „definitiv was passieren“, sagt van der Will-Pauli. „Ich habe nicht vor, zu schließen oder aufzugeben“, gibt sie sich kämpferisch. Zur Not müsse sie einen Kredit aufnehmen. „Aber dann fange ich an dem Punkt von vor 25 Jahren wieder an.“
Und in Sachen Schwarzarbeit wird die Innung jetzt mit der Plakataktion „Wartet auf den Profi“ in dieser Woche aktiv. „Das muss gestoppt werden“, sagt van der Will-Pauli. Denn den Betrieben nutze es nichts, wenn die Kunden jetzt woanders ihr aktuelles Heil suchten, weil sie an ihm nichts verdienen könnten – und es vielleicht sogar zu einer Abwanderung von Kunden darüber komme.

Kunst in Corona-Zeiten: Kreativ bleiben

Entspannt-konzentriert beugt sich Daniel Neuys im KuK-Atelier über seinen Laptop. Der 39-Jährige hat gerade mit seinem Gast eine Videosequenz gedreht und möchte sich das Ergebnis des Zusammenseins ansehen. „Sieht gut aus“, meint er zufrieden. Nein, ein Vergnügen sei die Coronazeit für Künstler*innen nicht. „Es ist herausfordernd, damit umzugehen“, sagt der kreative Kopf. „Ich handle gern spontan und improvisiere gerne, aber drumrum habe ich gerne einen feststehenden Rahmen. Und wenn der wegfällt, muss ich mich jedes Mal selbst neu ,sichern’. Das ist sehr ungewohnt.“ 

Konzerte und Veranstaltungen organisieren, sich mit anderen Künstler*innen ungezwungen austauschen – das alles ist im Moment so wie sonst nicht möglich. Dazu kommt „so ‘ne Unsicherheit, mit so einer permanenten Bedrohung irgendwie.“ Natürlich habe auch er wochenlange Phasen gehabt, wo er Angst hatte, in ein Loch zu fallen. „Aber das ist halt die Lebenskunst.“ In der Phase des ersten Shutdowns habe er viel Zeit an seinem Zeltplatz „Anna Fleuth“ in Winnekendonk verbracht. „Ich bin ja auch Permakultur-Designer. Das ist auch Kreativität“, sagt er. 

Im Sommer habe man vom Verein „wirKsam“ aus noch einige künstlerische Dinge realisieren können – wie die Performance des Kölner Künstlers Holger Maik Mertin am Museum, die mitorganisierten „Schlosskonzerte“ der Geigerin Lea Brückner oder das Malen mit den Kindern zum „Late Night-Shopping“ im KuK-Atelier. Jetzt im zweiten Shutdown verbringe er oft die Zeit im Distanzunterricht mit seinen Kindern, um am Nachmittag im KuK-Atelier einzeln jemanden zu treffen oder auch mal nach draußen zu gehen.

Am Anfang war das Kunstlokal

Die diversen Ankerpunkte und Interessen würden ihm helfen, die Situation einigermaßen gut zu bewältigen. „Ich bin auf verschiedenen Schienen unterwegs.“ Und wo eine besondere Zeit herrscht, bekommt sie nun sogar ihren Ausdruck in einer ganz besonderen Form der künstlerischen Interpretation – in dem Projekt „Distanz-Handlungen.“ Angefangen habe alles „mit dem ,Kunstlokal’ im KuK im Dezember 2020“, erzählt Neuys. Damals habe er begonnen, sich mit Video-Streaming zu beschäftigen. „Ich habe da die Künstler mit ihren Fotos von der Ausstellung hier zusammengebracht mit einer Live-Stream-Improvisation an der Gitarre.“ So wurde ein „virtueller Gang“ durch die „Wirksam-Ausstellung“ möglich.

Voller Körpereinsatz nötig.

Dazu hatte er die Videokamera an der Decke hängen. Das „Kunstlokal“ plus die aktuelle Situation inspirierten ihn zu einer Idee. „Das Einzige, was möglich ist, sich mit einer Person zu treffen. Ich wollte das, was geht, nutzen, um kreativ zu sein – und was erlaubt ist.“ So traf er sich mit dem Maler Axel Theyssen. „Er hat dann auf seiner Seite des Kamerabildes gemalt – und ich machte elektronische Musik dazu, alles improvisiert. Und alles wurde von der Kamera gefilmt.“ 

Theyssen schlug ihm vor, im Baumarkt einen grünen Teppich zu kaufen. Neuys stellte fest, dass das über die Kamera transportierte Bild aber nicht grün, sondern sehr grau und pixelig rüberkam. „Unperfekt, unfertig“, so wie er es selbst mag. Aus seinem Skizzenbuch fotografiert er Bilder, Situationen ab, scannt sie ein und fügt sie via Computer in das Bild ein. Er und die jeweils zweite Person bewegen sich am Boden, jeweils durch irgendwas in der Mitte getrennt.

So entstand dann das Konzept „Distanz-Handlungen“. „Mit einer Bekannten – einer anderen Künstlerin – habe ich eine Szene mit einem Baum gestaltet, wo wir versuchen, aneinander auf Distanz vorbeizukommen.“ Die Bewegungen entsprechen dabei nicht dem Bild, das sich auf dem Computer darstellt, weil die beiden auf dem Boden sich bewegen und dadurch eine andere Silhouette erzeugen. „So „klettert“ sie auf dem Baum – und ich „wandere um den Baum herum.“ 

Über diese Form der Darstellung bekomme der ganze Rahmen „seine ganz eigene Ästhetik“ – und die Gegenwart einen ihr angemessenen Ausdruck. „Man will sich als Künstler auch ausdrücken, nicht stehenbleiben“, sagt Neuys.

Kleine Silhouetten-Filmkunstwerke

Dabei zeichnet der Computer das Video zu der Performance auf – und Neuys unterlegt das Ganze dann mit seinen Musik-Interpretationen. „Das ist eine Mischung aus Malerei, Musik und Videokunst.“ Auf diese Weise sind kleine Silhouetten-Filmkunstwerke entstanden – wie „God is a DJ“, wo es scheint, als krabbele er aus einem Kreuz heraus. Und in dem Video „Befangen“ hat er ein „Zimmer“ als Rahmen-Fotografie eingeführt, die zwei Performern als Bewegungsrahmen für die jeweils getrennte Distanz-Bewegung dient. „Ich markiere dabei vorher mit einem Band die Konturen auf dem Boden, damit man sich im Bild bewegen kann.“

Auf YouTube sind die kurzen Sequenzen unter dem Stichwort „Daniel Neuys“ zu finden. „Das ist für mich eine Art virtueller Ausstellungsraum.“ Die Reaktionen der Leute, die am Johannes-Stalenus-Platz und dem Fenster vorbeikamen, waren schon von Erstaunen gekennzeichnet, sagt Neuys. „Dann sehen die Leute uns hier auf dem grünen Teppich räkeln. Die erwarten das gar nicht.“ 

Demnächst soll das Ganze noch eine Erweiterung finden. Zusammen mit dem Autor Max Pothmann, mit dem er im Rahmen des Projekts „Wort und Tonschlag“ seit Jahren zusammenarbeitet. „Er ist auf Elternzeit in Gran Canaria und rief mich an, ob wir bei unserer Arbeit die Projektionsebene Video nicht mit dazu packen wollen.“ Kurzerhand stellte Neuys in einer vierstündigen Arbeit das Video „Tod einer Pomeranze“ mit Pothmanns Text und seiner Musik plus Video-Performance zusammen. Und für Neuys steht fest: „Das wollen wir aufführbar machen.“

Das Warten auf Entspannung für die Wirtschaft Kevelaers

Der erneute Shutdown hinterlässt auch in Kevelaer seine Spuren. Wie ist der aktuelle Stand? Wie geht es für die Unternehmen der Wallfahrtsstadt in diesem Jahr weiter? Über diese und weitere Fragen zur wirtschaftlichen Lage in Kevelaer hat das KB mit dem Wirtschaftsförderer der Stadt, Hans-Josef Bruns, gesprochen.

Herr Bruns, wenn wir durch unsere Innenstadt gehen, sehen wir keine Besucher und leider nur geschlossene Läden. Wie ist die Lage in den Unternehmen des Einzelhandels aktuell?

Hans-Josef Bruns: Die aktuelle Stimmungslage im Einzelhandel ist nicht gut. Die Händler hat der zweite Shutdown mitten im vorweihnachtlichen Geschäft getroffen, der aus Umsatzsicht des Handels wichtigsten Zeit des Jahres. Und schon davor hatten unsere Händler monatelang mit Umsatzverlusten und deutlichen Frequenzrückgängen zu kämpfen, sicherlich auch coronabedingt durch den touristischen Totalausfall, beispielsweise bei den Pilgergruppen. Und jetzt folgt der dritte Shutdown – das hinterlässt natürlich deutliche Spuren. Fast durchgängig berichten die Unternehmen von massiven Umsatzeinbrüchen, während der Online-Handel und auch der Lebensmitteleinzelhandel sehr gute Geschäfte machen. Durch die Pandemie hat sich zudem definitiv das Kaufverhalten verändert, indem viel Kaufkraft in den Online-Kanal abgewandert ist. Die statistischen Daten sind da eindeutig.  Das wird sich vom Handel nicht mehr zurückgewinnen lassen. 

Inwieweit müssen die Geschäfte auf diesen Trend reagieren?

Bruns: Um überlebensfähig zu sein, dürfen sich meines Erachtens die Händler selbst deshalb dieser Entwicklung auch nicht verschließen. Sie müssen auf Omnichannel umstellen und am besten ab sofort auch digital sicht- und erreichbar sein. Einige haben die letzten Wochen dafür bereits genutzt. Dabei muss es zwangsläufig nicht immer direkt um einen eigenen Webshop gehen. In der Kommunikation mit den Kunden ist zum Beispiel „social media“ extrem wichtig, um gute Reichweiten zu erzielen. Und eine pfiffig gemachte Webseite hilft in den meisten Fällen auch schon richtig gut weiter. Daran werden die meisten Händler arbeiten. 

Nach wie vor bin ich zudem fest davon überzeugt, dass durch gut ausgebildete Verkäufer im stationären Geschäft ein emotionaler und fachlicher Mehrwert für den Kunden geschaffen werden kann.   Genau diese Erlebnisse sind auch im digitalen Zeitalter hier vor Ort in den Geschäften immer noch die wichtigsten Einflussfaktoren auf eine Kaufentscheidung. Wer das beherrscht, wird auch zukünftig aus Frequenz Umsatz machen können. 

Dazu müssten die Läden allerdings aber offen sein, oder? 

Bruns: Das setzt natürlich voraus, dass die Geschäfte auch geöffnet sein dürfen. Der Handel in Kevelaer ist mit seinem individuellen Angebotsmix auch für 2021 grundsätzlich gut aufgestellt. In der aktuellen Krise erleben wir gerade den inhabergeführten Einzelhandel hier vor Ort als sehr widerstands- und anpassungsfähig. Dennoch, wir wissen alle nicht, was uns die nächsten Wochen und Monate noch bringen werden.  

Müssen wir uns Sorgen machen, dass Unternehmen hier in Kevelaer existenziell bedroht sind? Inwieweit sind auch Arbeitsplätze in Gefahr?

Bruns: Die Corona-Auswirkungen sind in den einzelnen Branchen sehr unterschiedlich. Das Handwerk und das Baugewerbe beispielsweise sind in den letzten Monaten von der Corona-Krise weniger betroffen gewesen. Diese Betriebe haben sich natürlich auch bei den internen Abläufen und bei der Arbeit auf der Baustelle umstellen müssen, aber in punkto Auftragslage waren und sind die Unternehmen grundsätzlich immer noch sehr zuversichtlich. Viele Experten befürchten ja in 2021 einen deutlichen Anstieg der Insolvenzen, gerade weil jetzt auch wieder die Insolvenzantragspflicht greift. So eine Pleitewelle befürchten wir für unsere Kevelaerer Unternehmen nach jetzigem Stand  vom Grundsatz her eigentlich nicht. Man muss natürlich abwarten, wie sich die Lage in den nächsten Wochen weiterentwickelt. 

Wie lange werden die Unternehmen das noch durchhalten können?

Bruns: Die Zeit ist dabei für alle Unternehmen ganz klar der kritische Faktor. Je länger die Pandemie mit all ihren Auswirkungen dauert, umso schwieriger wird das natürlich auch in den Betrieben.  Die Unternehmen brauchen für ihr Handeln Planungssicherheit und definitiv kein Auf und Ab, das verstärkt nur die Unsicherheit. Eine grundlegende Entspannung für die ganze Gesellschaft und Wirtschaft wird hoffentlich schnell durch eine flächendeckende Impfung erreicht werden können. Wenn das nicht funktioniert, wird auch 2021 unternehmerisch definitiv wieder ein schwieriges Jahr. Die Unsicherheiten müssen weg. Zudem ist immens wichtig, dass die zugesagten Fördermittel und staatlichen Überbrückungshilfen jetzt auch tatsächlich in den Unternehmen vor Ort ankommen.

Was bedeutet das für Sie in der Wirtschaftsförderung, was kann man von dieser Seite aus dazu beitragen? 

Bruns: Wir werden in diesem Jahr unseren Kurs fortsetzen und mit den Unternehmen in engem Austausch und Kontakt bleiben. Telefonkonferenzen und Zoom-Meetings sind bei uns ja mittlerweile Tagesgeschäft, um nah an den Unternehmen zu sein. Wir werden insofern auch in diesem Jahr wieder zeitnah über alle Themen informieren, die den Unternehmen helfen, wirtschaftlich gut durch die Pandemie zu kommen. Das alles machen wir natürlich wieder in sehr guter Zusammenarbeit, beispielsweise mit den Banken hier vor Ort, den Steuerberatern, der IHK oder auch der Handwerkskammer. Eine wichtige Aufgabe wird auch 2021 die Begleitung der Unternehmen in der voranschreitenden Digitalisierung sein. Das werden wir auf jeden Fall wie in den letzten Jahren fortsetzen. 

Wie kann die Unterstützung da konkret aussehen?

Bruns: Wie bereits geschildert, hat Corona in allen Belangen die digitalen Entwicklungen in den Betrieben gepusht. Wir werden insofern für die digitale Transformation in den Betrieben Impulse geben und entsprechende Hilfestellungen bei der Bewältigung dieser Aufgabe anbieten. Uns ist dabei sehr klar, dass es mit Allgemeinlösungen für alle Unternehmen in der Regel nicht mehr getan ist.  Insofern kommt es 2021 darauf an, noch gezielter auf die Anforderungen in den Unternehmen einzugehen und, falls notwendig und gewünscht, ganz individuelle Lösungen zu entwickeln. Digitalisierung im Handwerk und Digitalisierung im Einzelhandel zum Beispiel sind unterschiedliche Dinge.   

Ein weiterer Schwerpunkt ist und bleibt auch im nächsten Jahr die Entwicklung unserer Unternehmen in der Innenstadt. Die Innenstadt ist das Gesicht unserer Stadt und unterliegt einem gewissen Veränderungsdruck, der durch Corona noch beschleunigt wird. 

Was kann die Stadt da konkret tun, um Hilfe zu leisten?

Bruns: Die Frage ist, wie wir das Zentrum stärken können, wie neue Nutzungsformate für die freien Ladenflächen in den sogenannten 1B-Lagen aussehen können oder wie wir die immens wichtigen Kundenfrequenzen sichern können, die maßgeblich sind für die Erhaltung und Ausweitung des stationären Einzelhandels. Ein Dialog mit allen verantwortlichen Akteuren, egal ob aus Politik, der Verwaltung oder mit den Nutzern und Eigentümern der Immobilien ist dabei für Ideen und Lösungen unerlässlich.

Last but not least geht es um die Entwicklung neuer Gewerbeflächen. Wir haben uns vorgenommen, in 2021 mit den verantwortlichen Kollegen und Mitstreitern ein Konzept zu erarbeiten, das perspektivisch die Entwicklung dringend notwendiger Gewerbeflächen beinhaltet. Neben der wichtigen Frage, wie diese Flächen für gewerbliche Entwicklungen überhaupt verfügbar werden können, sind sicherlich die landes- und regionalplanerischen Vorgaben dabei die größte Herausforderung. Wir haben trotz Krise viele erfolgreiche Unternehmen, die expandieren und sich weiter entwickeln werden. Das sichert nicht nur die bestehenden, sondern schafft auch neue, interessante Arbeitsplätze.

Das Interview führte Alexander Florié-Albrecht.

Kevelaers Wirtschaft trotzt der Corona-Krise

Die Kevelaerer Unternehmen kommen mehrheitlich gut durch die Covid-19-Pandemie. Das ist das Fazit, das sich aus den Wirtschaftsdaten ergibt, die der Kevelaerer Stadtverwaltung vorliegen. So jedenfalls resümieren es Wirtschaftsförderer Hans-Josef Bruns und Kämmerer Ralf Püplichuisen im Gespräch mit dem KB: „Die Corona-bedingten Auswirkungen im Jahr 2020 sind nicht so extrem“, sagt beispielsweise Püplichuisen. Bei aller Zuversicht berge das kommende Jahr jedoch Ungewissheiten.

Kämmerer Ralf Püplichuisen (Foto: loh)

Kämmerer Ralf Püplichuisen Foto: KB-Archiv

Die Vorauszahlungen der Betriebe auf die Gewerbesteuer können bei der Beurteilung der aktuellen Lage als erste Indikatoren gelten. „Die Gewerbesteuer liegt bislang sogar ganz leicht über dem Ansatz, den wir für 2020 erstellt haben“, berichtet der Kämmerer. Das sei zwar durchaus ein Rückgang gegenüber den Vorjahren, konkret rund 1,9 Mio. Euro gegenüber 2019, aber den hätte die Stadt erwartet, da man nicht davon ausgegangen sei, dass die jüngste Boomphase der Wirtschaft auf Dauer anhalten könne. In nur fünf Jahren war das Steueraufkommen um insgesamt rund sieben Mio. Euro gestiegen. Zwar lasse sich ab März ein Rückgang in den Vorauszahlungen erkennen, aber bereits ab Juni seien diese wieder höher angepasst gewesen. „Und im Jahresverlauf unterliegt die Gewerbesteuervorauszahlung immer vielen Schwankungen, die völlig normal sind“, weist Püplichuisen auf einen weiteren Aspekt zur Beurteilung hin.

Auf einen anderen Faktor macht Wirtschaftsförderer Bruns aufmerksam: „Die Zahlen sind auch davon abhängig, wie Firmen Investitionen planen. Wenn sie die jetzt zurückstellen und abwarten, werden die Erträge nicht geringer“ – und die Gewerbesteuer fällt höher aus. Das könne den Anschein erwecken, es gehe den Unternehmen besser, als es tatsächlich der Fall ist. „Viele sind durch den zweiten ,Light-Shutdown‘ verunsichert“, weiß Bruns aus Gesprächen. „Aber das muss man sehr differenziert angucken.“ Einzelhandel oder vom Export abhängige Firmen seien stärker betroffen, Industrieunternehmen oft praktisch gar nicht.

Wirksame Soforthilfen

Gleichzeitig warnt er davor, die Probleme des Einzelhandels allein in der Pandemie zu suchen und verweist auf den stetig wachsenden Onlinehandel. „Wir können den Einzelhändlern nur raten, dort mitzumachen.“ Bruns betont jedoch auch, dass man in Kevelaer sowohl sicher einkaufen als auch essen könne: „Die Hygienevorschriften werden eingehalten und die Gastronomen haben viel investiert.“ Insgesamt hätten die Soforthilfen gut gewirkt, inzwischen auch für freiberuflich Tätige. „Das war auch psychologisch wichtig.“

Keine Sorgen bereitet dem Wirtschaftsförderer derzeit das Handwerk. „Dem Handwerk ging es vor Corona konjunkturell sehr gut und die Auftragsbücher waren voll.“ Das werde noch immer abgearbeitet. Unauffällig sei zudem die Zahl der Insolvenzen. Allerdings könne dieses Bild täuschen, da die Insolvenzanzeigeverpflichtung bis Ende 2022 ausgesetzt worden ist.

Direkte Unterstützung durch die Kevelaerer Politik haben Unternehmen bislang nur insofern erhalten, dass die Sondernutzungsgebühren ausgesetzt worden sind. „Die Ausweitung von Gastronomieaußenflächen oder eine Förderung von Heizstrahlern sind politisch in Kevelaer noch kein Thema“, berichtet Bruns.

Für den städtischen Haushalt 2020 erwartet der Kämmerer Fehlbeträge. „Aber wie sehr das Corona-bedingt ist, kann ich noch nicht einschätzen, da gibt es einige andere Faktoren“, so Püplichuisen. Es sei gut möglich, dass die Auswirkungen erst 2021 richtig zu spüren seien. Die Orientierungsdaten, die das Land den Kommunen für die Finanzplanung zur Verfügung stellt, bewerte er jedenfalls mit großer Vorsicht. So rechnet der Kämmerer damit, dass die Einkommensteuer sinken wird – und damit auch der Anteil, den Kevelaer erhält. „Aber diese Zahlen kennen wir erst später.“ Immerhin wird Kevelaer nicht die Soforthilfen der Kreises mittragen müssen, wie es der frühere Landrat Wolfgang Spreen geplant hatte, was die Bürgermeister*innen des Kreises letztlich aber verhinderten. Dennoch gebe es Bereiche, in denen die Stadt durch die Pandemie höhere Kosten habe, beispielsweise bei den Hygienemaßnahmen und der häufigeren Reinigung in den Schulen. „Aber das können wir durch vorhandene Haushaltsmittel decken.“

Auf gutem Weg durch die Krise

Wenn Torsten Fleischer über die Situation seines Unternehmens spricht, konnte man hinter der Maske nur ein Lächeln vermuten. „Wir verzeichnen stetiges Wachstum über die letzten Jahre“, sagt der Geschäftsführer der Firma „Formex“, die im Gewerbegebiet unter anderem Kunststoff-Ladungsträger wie Faltboxen, Rollwagen und Paletten sowie Bürsten für Reinigungsmaschinen und Waschanlagen produziert und vertreibt. Corona sei ein „radikaler Umschwung für das Unternehmen“ gewesen. Als es im März zum ersten Lockdown kam, war Handeln angesagt. „Wir waren direkt im Homeoffice, haben auf Videokonferenzen umgestellt“, erinnert er sich. „Wir wollten da auf der sicheren Seite sein.“

Formex bestehe aus sechs Unternehmensbereichen, die räumlich voneinander getrennt seien. „Den Verkehr zwischen den Werken haben wir auf das Allernötigste beschränkt“, unterstreicht Fleischer. In allen Produktionsbereichen wurde vorher bereits in Schicht gearbeitet – bis auf den Werkzeugbau, wo man dann coronabedingt den Schichtbetrieb einführte. Und in den Räumlichkeiten wurden die Schichtgruppen voneinander isoliert. In der Produktion gebe es weitestgehend keine Probleme.

Es gebe nur einzelne Bereiche der Produktion, in denen bei der Montage zwei Mitarbeiter mal an einem Teil arbeiten, wenn Werkzeuge gebaut werden. Händedesinfektion und Maskentragen, „wo es sich nicht vermeiden lässt“, sei genauso obligatorisch geworden wie feste Schichtgruppen.

Distanzen bewahren

Beim ersten Lockdown habe man die Verwaltung in zwei Gruppen eingeteilt. „Eine Schicht arbeitete von zu Hause, eine hier.“ Jetzt seien die Mitarbeiter wieder vor Ort. „Wir stellen den Mitarbeitern frei, von zu Hause aus zu arbeiten. Und wer sich nicht gut fühlt, soll zu Hause bleiben.“ Es habe sich eine „gefühlte Normalität“ eingestellt. Jetzt habe sich die Situation natürlich wieder verschärft. Aber schon strukturbedingt könne man die Distanzen einhalten. In dem Hauptwerk, in dem 15 bis 20 Mitarbeiter zusammenkommen, müsse man schon sehen, wie man den Schichtwechsel hinbekommt. Um „Rudelbildung“ vorzubeugen, lautet die Empfehlung, lieber einzeln zu bleiben und draußen die Pause zu machen. Besucher werden auf ein Minimum beschränkt. 

Bis jetzt verzeichne man drei Quarantäne-Anordnungen, als Mitarbeiter privat Kontakt zu Corona-Infizierten hatten und daraufhin in Quarantäne gingen. „Wir hatten bislang keinen positiven Fall. Da ist sicher auch Glück dabei“, räumt Fleischer ein. Bei 200 Mitarbeitern werde man früher oder später damit rechnen müssen. „Es wäre arrogant zu glauben, uns trifft es nicht.“

Die persönliche Kommunikation fehlt 

Was man aus der Situation gelernt habe? „Wir haben drei neue Mitarbeiter eingestellt. Jemanden im Homeoffice anzulernen, ist schwierig. Da sind wir an Grenzen gekommen.“ Die vorhandenen Endgeräte hätten auch nicht für alle gereicht. „Viele haben da mit dem eigenen Rechner gearbeitet.“ Und schließlich habe sich gezeigt, dass etwas Elementares fehlt: „Die Kommunikation an dem Kaffeeautomaten oder auf dem Flur, die bleibt auf der Strecke.“ Das sei aber für das Zwischenmenschliche „extrem wichtig, dieser informelle Informationsfluss.“

Versorgungsengpässe habe es nicht gegeben. Man arbeite mit Kunststoffgranulat und da verfüge man mit knapp 1800 Tonnen über eine großzügige Silokapazität. Weder bei Produktion noch bei Beschaffung bemerke man eine spürbare Einschränkung. Und Kurzarbeit ist gar kein Thema. „Wir suchen eher feste Mitarbeiter.“ Man würde gerne junge Leute als Verfahrensmechaniker ausbilden. „Aber die meisten stürzen sich auf Sachen wie Industriemechaniker oder Kfz.“ Ein Viertel der 200 Mitarbeiter sind Leiharbeiter – aber auch die brauchen sich nach den Aussagen von Fleischer aktuell wenig Sorgen zu machen.