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„Liebe Grüße an den Vater“

Die Tradition des Christkindbriefes in Kevelaer reicht einige Jahre zurück. „Irgendwann Ende der 70er-Jahre gab es mal ein gebundenes Buch des Otto-Versandes mit einer Malvorlage für den Wunschbrief – und dann konnten die Kinder das da hinschicken“, erzählt Andrea Hoenselaer, die den Job als „Christkind“ in der Verwaltung schon seit 28 Jahren macht. Das Buch gebe es schon lange nicht mehr, den Brief aber schon. „Und vor gut 25 Jahren gab es dann für die Briefe den Briefkasten am Krippenmarkt. Das hat immer sehr viel Zulauf gehabt.“

Den Zulauf gibt es in etwas geringerem Umfang immer noch, aber angesichts des ausgefallenen Advents- und Krippenmarktes und der Corona-Pandemie musste man nach einer anderen Lösung suchen. „Dann haben wir diesen schönen, nostalgischen, roten Briefkasten gekauft.“ Der steht  direkt vor dem Büro des Tourismusbüros am Rathaus. „Die Briefe sind teilweise frankiert, aber die meisten werden von den Familien oder den Kindern eingeworfen“, sagt Hoenselaer. Und es gebe einige Email-Anfragen über christkind@kevelaer.de. Die Familien kämen hauptsächlich aus Kevelaer und der Umgebung. „Oft ist es auch die Großmutter, die was einwirft“, erzählt Andrea Hoenselaer. „Die Briefe gingen teilweise sogar zurück bis nach Hamburg.“

Bis zum 23. Dezember war ein Einwurf möglich. „Das, was da reinkommt, das beantworten wir auf jeden Fall. Ich habe auch schon mal nach Weihnachten Sachen notfalls in die Post gegeben.“ Durchgezählt hatte sie den Umfang vor einer Woche noch nicht. „Ungefähr hundert“, war zu diesem Zeitpunkt ihre Schätzung.

Persönliche Antworten

Natürlich gebe man sich Mühe, die Briefe entsprechend kindgerecht zu beantworten. „Je nachdem was drinsteht, antworten wir digital oder wir schreiben selber, damit es natürlich noch persönlicher ist.“ Dabei versuche man, sich etwas einfallen zu lassen. Da ist dann auch mal eine Bastelanleitung mit QR-Code dabei – gerade für die Corona-Zeit, in der die Familien viel daheim sind. Tragisch sei allerdings, dass viele Kinder ihre Adressen vergessen würden. Das führe dazu, dass sie keine Antwort des „Christkindes“ erhalten. „Da sind wir auch selber dann mit ein Stück traurig. Die warten ja auch darauf.“

Was sie immer wieder begeistere, ist die Tatsache, wie aufwendig die Briefe teilweise gebastelt wurden. „Die schönsten Motive sind die, die man nicht erkennen kann, weil die soviel Fantasie haben“, sagt Hoenselaer. Ganz häufig findet sich das Engelmotiv auf den Botschaften. Man lege selbst Wert darauf, da als „Christkind“ persönlich zu antworten. „Wir sind eine Wallfahrtsstadt und möchten die Geschichte des Christkindes weiter aufleben lassen.“ Was man in diesem Jahr deutlich bemerke, sei, dass die Kinder mehr Zeit haben. Und die Pandemie ist in den Christkind-Briefen allgegenwärtig. „Ich habe dich lieb, hoffe, dass Corona bald weg ist, dass ich meine Freundin Sophia sehen kann“, heißt es in einem der Schreiben. Oder man kann dort auch lesen: „Ich wünsche mir zu Weihnachten, dass alle in meiner Familie gesund bleiben“ und man „Heiligabend mit der Familie“ hat. „Das steht weit vor den materiellen Wünschen, das ist ganz deutlich.“

„Passt auf euch auf“

Natürlich denken die Kinder auch an das Christkind selbst. „Liebes Christkind, bleib gesund“, findet sich in einem der Schreiben. Und immer wieder lese man so schöne Sätze wie „Wie geht es euch im Himmel?“ oder „Passt auf euch auf“ – in dem Bewusstsein, dass das Christkind bald auf die Erde zum Geschenkeverteilen kommt. Als Spielzeuge würden „Klassiker“ wie Lego, Playmobil, Nintendo oder PC-Spiele gewünscht, selten Handys.

In den Briefen selbst verbergen sich unzählige kleine, anrührende und persönlich sehr bewegende Geschichten. „Ein Kind von neun Jahren hat geschrieben: ‚Schicke doch auch einen Gruß an unsere Hilde, die so viel für uns tut.‘ Da hat Hilde eine Antwort dazu bekommen“, erzählt die Verwaltungsmitarbeiterin. Es komme häufig vor, dass die Kinder einfach nicht nur an sich denken würden. „Sie denken an ihre Geschwister – oder wie hier, auch an Hilde.“

„Ein kleiner Brieffreund, der vor ein paar Jahren seinen Vater verloren hat, schreibt an das Christkind: ‚Liebe Grüße an den Vater‘ und möchte mitbekommen, ob der Vater auf ihn stolz ist und ob er alles mitkriegt“, erzählt Hoenselaer. Solche Geschichten treffen sie persönlich sehr. „Diese Geschichte kenne ich ein bisschen, aber man ist immer erstmal gerührt. Man spürt, der Gedanke ist beim Vater. (…) Da muss man erstmal selbst durchatmen. Und das freut einen, dass da das Vertrauen zum Christkind da ist.“ Im vergangenen Jahr habe das Kind zum ersten Mal selbst einen Brief ans Christkind geschrieben. „Ich habe den Brief sofort Papa gezeigt, der war ganz stolz“ – so ungefähr lautete die Antwort. Eine persönliche Ansprache sei wichtig, meint Hoenselaer. Den Rest könne man sicher allgemein gestalten, weil man den Kindern ein Stück Fröhlichkeit mitgeben wolle. „Da muss man eine Mischung finden. Das ist nicht so leicht, aber ich hoffe, ich habe das die letzten Jahre über immer hinbekommen.“

Die Antworten sollen berühren

Briefe von Erwachsenen, die alleine sind – ja, die gebe es auch mal. „Aber so als ‚Sorgenbrief‘ habe ich wenig in diesem Jahr bekommen“, sagt Hoenselaer. Entscheidend sei, dass sie den Adressaten mit den Antworten etwas mitgeben kann. „Eine Mutter berichtete, dass ihr Sohn derart fasziniert war, als sie ihm den Brief vorlas, dass es ihn ganz zufrieden gemacht hat. Der hat da gesessen, zugehört und nur gelächelt. Und dann habe ich das erreicht, was ich erreichen wollte.“ 

Auch das Christkind wird oft reichlich beschenkt. „Ich kriege die vielen guten Wünsche, die Bilder. Manche stecken auch Süßigkeiten in die Umschläge, basteln, kleben was auf. Ein Kind hat Törchen zum Aufklappen gebastelt.“ Nach 28 Jahren als „Christkind“ kann sich Andrea Hoenselaer nicht vorstellen, diese Aufgabe mal nicht zu machen. Für diese besondere Aufgabe – aber nicht nur dafür – sei eines sehr wichtig. „Wir müssen ein Stück weit noch Kind bleiben, sonst werden wir in dieser Welt nicht weit kommen.“ Und das oberste Gebot bleibe auch in Zukunft, „dass die Kinder so glücklich sind, wie es nur geht.“ 

Selbst will sie dazu so lange beitragen, wie es möglich ist – und am liebsten gar nicht aufhören. „Wenn es so wäre, ist es der Lauf der Zeit. Aber ich werde da immer meine Finger mit im Spiel haben.“