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Eine Stadt sieht rot

Die Bandbreite der Reaktionen im Gestaltungsbeirat reichte von Erstaunen bis Entsetzen: Hatten die Mitglieder bei ihrem Rundgang durch die Kevelaerer Innenstadt gerade noch die in frisches Grün gekleideten Bäume bewundert, am Kapellenplatz beinahe ehrfürchtig etwas von „einmalig in Deutschland“ geflüstert und die Baumriesen am Luxemburger Platz als „Kathedrale der Natur“ bezeichnet, verschlug es ihnen im Ratssaal die Sprache. Da sahen sie buchstäblich „rot“. Auf dem Plan, den Stephanie Janning von der Wallenhorster „IPW Ingenieurplanung GmbH“ vorstellte, waren diejenigen Bäume auf den Plätzen rot eingezeichnet, die laut „kumulierender Bewertung“ des Planungsbüros gefällt werden sollten. Das waren fast die Hälfte der Bäume auf dem Kapellenplatz, auf dem Johannes- Stalenus- und dem Luxemburger Platz gar alle. Mit einem solchen Kahlschlag hatte in der Runde niemand gerechnet.
Entsprechend harsch fielen die Kommentare zu den Entwürfen der Wallenhorster in der anschließenden Diskussion aus. „Lieblosigkeit“ und „mangelnde Sensibilität“ waren noch die zurückhaltenden Bewertungen der Gestaltungs-Experten; manche sprachen gar von „mutwilliger Zerstörung“.
Stephanie Janning beeilte sich zu erklären, dass die vorgestellten Pläne quasi nur ein „worst case“-Szenario seien und die Kirche als Besitzerin weiter Teile der Flächen Vorgaben gemacht habe, bestimmte Bäume zu fällen, weil sie zu nahe an kirchlichen Gebäuden stünden und dort Schäden oder Mehrarbeit verursachten.
Aber da war der GAU bezüglich der Vorstellung schon nicht mehr abzuwenden. In Bausch und Bogen zerpflückten die Mitglieder des Gestaltungsbeirates den Entwurf, von der wahllosen Aufstellung von Spielgeräten über die fragwürdigen Methoden der Kanalsanierungen bis hin zur Frage, ob eine neue Pflasterung möglich und tatsächlich erforderlich sei. Dass sich Kirche und Politik im Nachgang mit dem Thema befassen würden, war zu erwarten.
Reaktionen aus Kirche, Politik und Verwaltung
Als erster reagierte der Wallfahrtsrektor und Pfarrer von St. Marien, Gregor Kauling: Die Pfarrei befinde sich „in einem intensiven Abwägungsprozess im Hinblick auf die sich an die Gestaltung der Plätze stellenden Erfordernisse. Argumente, welche von unterschiedlichen Personenkreisen in Kirche und Gesellschaft vorgetragen werden, können miteinander abgewogen werden“, erklärte der studierte Stadtplaner und nannte Themen wie „Baumgutachten, Barrierefreiheit, Aufenthaltsqualität, Notwendigkeit von Kanalarbeiten, etc.“
„Erst im Herbst“ solle das Planungsbüro einen Vorentwurf vorlegen, erläuterte er als 1. Vorsitzender im Namen des Kirchenvorstandes von St. Marien. Die Pfarrei stelle klar, „dass es auch noch keine verbindlichen Entscheidungen über den Umgang mit auf diesen Plätzen befindlichen Bäumen gibt.“
Angesichts mahnender Stimmen aus der Bevölkerung und einem entsprechenden Kommentar im Kevelaerer Blatt reagierten Politik und Verwaltung am Dienstagnachmittag. Da kann man schon von einer „Chefsache“ sprechen: Bürgermeister Dr. Dominik Pichler versandte die Pressemitteilung vom eigenen E-Mail-Account: „Die Fraktionen der CDU, SPD, KBV und der Grünen sind sich mit der Verwaltungsspitze einig, dass es einen Kahlschlag am Kapellenplatz und an den benachbarten Plätzen nicht geben soll“, heißt es darin.
Und weiter: „Die Fraktionsberatungen am Montag ergaben, dass die vier Fraktionen dem Votum ihrer Vertreter im Gestaltungsbeirat folgen wollen. Demnach soll die im Gestaltungsbeirat vorgestellte Planungsidee, die unter anderem die Fällung von mehr als der Hälfte der vorhandenen Bäume vorsah, nicht realisiert werden. Auf Nachfrage teilte Bürgermeister Dominik Pichler den Fraktionen mit, dass er bereits in der vergangenen Woche veranlasst hat, dass das Planungsbüro an einer nur minimal in die Platzstruktur eingreifenden Lösung arbeiten soll.“
Für die fünf vom Baumgutachter als schwer geschädigt eingestuften Bäume kommt allerdings jede Hilfe zu spät. Eine Linde vor dem Petrus-Canisius-Haus soll noch in dieser Woche gefällt werden. Allerdings sind Ersatzpflanzungen vorgesehen, „um den Charakter des Platzes auf Dauer erhalten zu können.“