Stromausfall im Rampenlicht

Wie Sie sehen, sehen Sie alles: Wer noch glaubte, dass trockener englischer Humor nur funktioniert, wenn man gleißende Spots auf die Gags setzt, dem ging ein gehöriges Licht auf, am Mittwochabend zum Abschluss der Theatersaison im Kevelaerer Bühnenhaus. Mit der „Komödie im Dunklen“ von Peter Shaffer setzte das Rheinische Landestheater Neuss einen strahlenden Stern aus Slapstick und subtilem Spiel.

Kunstgriff des Autors ist die Beleuchtung im heruntergekommenen Londoner Appartement des erfolglosen Bildhauers Brindsley Miller (Josia Krug). Denn ausgerechnet als er seinen Schwiegervater in spe, Colonel Melkett (Joachim Berger), und den russischen Millionär und Kunstsammler Gudonow (Christoph Bahr) von seinen Qualitäten überzeugen will, fällt der Strom im Haus aus. Schade, denn so sind weder seine Kunstwerke, noch die beim Nachbarn ungefragt ausgeliehenen antiken Möbel zu sehen. Größtenteils im „Blindflug“ stolpern deshalb auch der unerwartet zurückkehrende Nachbar Harold Gorringe (Andreas Spaniol), die spröde Nachbarin Miss Furnival (Katharina Dalichau), sowie die Tochter des Colonels Carol (Juliane Pempelfort) und Brindsleys Ex-Geliebte Clea (Alina Wolff) durchs Appartement. Und das alles bestens beleuchtet, denn dem Zuschauer geht nach dem Stromausfall das Licht auf. Die wunderbare Idee, den Stromausfall bei voller Bühnenbeleuchtung und die beleuchteten Szenen im Halbdunkel zu spielen, macht die Schwierigkeit für die Darsteller, aber auch den Reiz für die Zuschauer aus. Wenn die Bühnenfiguren im übertragenen Sinne im Dunklen tappen, werden sie für das Publikum umso besser sichtbar.

Ungeheuer viel Spaß

Das führt dazu, dass die nicht allzu skurril, fast schon stereotyp angelegten Charaktere (der Künstler ist erfolglos, der Colonel poltert, der Nachbar ist schwul, die Nachbarin wandelt sich mit Hilfe von Alkohol von der grauen Maus zur Exzentrikerin und so weiter und so bekannt) nicht allzu überzeichnet gespielt werden müssen. Und das tut das Ensemble des Landestheaters unter der Regie von Andreas Rehschuh dann auch, reißt damit den größtenteils einfachen und absehbaren Plot aus dem Dunkel der Langeweile und schießt diesen in den Fokus des heimlichen Betrachters im Zuschauerraum. Man sieht, was man eigentlich nicht sehen kann und soll. Wie Brindsley im Dunkeln die Möbel um die anderen Gäste herum wieder in die richtige Wohnung bringt und durch sein eigenes Mobiliar ersetzt. Wie Nachbar und Colonel den armen Künstler mit Stock und Stange über Stock und Stein schicken. Wie der Alkohol der Nachbarin schließlich die Augen öffnet und sie zur enthemmten Furie werden lässt. Das macht natürlich ungeheuer viel Spaß, da kann die Handlung noch so vorhersehbar sein.

Großes Augenmerk haben Regie und Darsteller zudem auf die Choreografie der ungewollten Begegnungen der Charaktere im Raum gelegt. Das zahlt sich aus: Slapstick, der ohne Text und zeitlich perfekt aufeinander abgestimmt funktioniert und der dank großartiger Beiläufigkeit immer wieder Höhepunkte im Bühnenspiel setzt. Das Zusammenspiel passt, die Schauspieler leben ihre Rollen voll aus, beleuchtet wie unbeleuchtet. Und nach fast zwei Stunden im Zuschauerraum findet man es beinahe schon schade, aus der Rolle des heimlichen Voyeurs entlassen zu werden. Wer hätte nicht schon einmal von Röntgenaugen geträumt? Hier wurden sie einem einen schönen Augenblick lang verliehen.

Fazit: Die Idee der verkehrt herum beleuchteten Welt macht aus einer simplen Handlung einen äußerst unterhaltsamen Abend. Das Kevelaerer Publikum im leider nicht ausverkauften Saal belohnt die Darsteller mit begeistertem Applaus. Und nimmt, neben einem Teelicht, das neben dem Zettel „Kevelaerer Kultur bringt Licht ins Dunkel“ auf jedem Theatersitz im Bühnenhaus lag, auch eine weitere großartige Theatererfahrung mit nach Hause.