Stille Rundgänge – Nachdenkliches

Jeden Morgen prüfe ich mit einem Blick aus dem Fenster, ob sich ein Rundgang durch die Stadt wettermäßig normal durchführen lässt oder ob es ein kalter, vielleicht nasser Tag werden wird. Nach diesem langen und heißen Sommer wäre das ja auch mal eine Option.

So etwas wie Wettervorhersage kennt unsereiner ja nicht so gut. Da muss ich mich immer auf Anzeichen in der Natur verlassen. Heute Morgen stelle ich fest, dass der Herbst tatsächlich gekommen ist und so beschließe ich, mich einmal aus dem geschäftigen Treiben der Stadt auszuklinken und meinen Rundgang anders zu gestalten. Also habe ich für eine Stunde die Kiepe abgeschnallt: denn dort, wohin ich gehen will, wird es nichts zu verkaufen geben.

An der Gelderner Straße biege ich hinter dem ehemaligen Postamt ab und bin mit wenigen Schritten auf dem Friedhof. Viele bekannte Kevelaerer liegen hier in ihrer letzten Ruhestätte.

Als erstes sehe ich das Grab des berühmten Künstlers und Kirchenmalers Friedrich Stummel, später bete ich kurz bei den Heimatdichtern Theodor Bergmann und Jupp Tenhaef. Und dann schlendere ich weiter und betrachte nachdenklich die teils liebevoll gepflegten Ruhestätten der mir unbekannten Leute, angefangen von A wie Arians über J wie Jansen (in allen möglichen Schreibvarianten) bis Z wie Zumkley.
Liebevoll gepflegt? Ja, gottlob gibt es sie immer noch, aber:

Es fällt mir auf, dass ihre Anzahl geringer geworden ist. An einigen Grabstellen hat es einen gewissen Kahlschlag gegeben, will sagen: Es gibt sie nicht mehr. Unkraut und / oder Rindenmulch bedecken die Stellen, wo man einst dem oder der Verblichenen gedachte. Nach kurzem Nachdenken fallen mir ein paar Gründe ein: Es gibt keine Angehörigen mehr, verzogen oder verstorben, die sich um die Grabpflege kümmern können, oder diese Angehörigen sind selbst zu alt für diese Arbeit. Vielleicht fehlt auch hier und da das Geld für einen Friedhofsgärtner.

Not macht erfinderisch – auch auf dem Friedhof: Man entscheidet sich verstärkt für Rasengräber oder Urnen. Die Stunde auf dem Kevelaerer Friedhof hat mir, wie im Vorhinein zu erwarten war, keinen geschäftlichen Gewinn eingebracht und dennoch bin ich ein wenig reicher geworden: Ich sehe auf jeden Fall den christlichen Brauch, seine Verstorbenen in Ehren zu bestatten – auf welche Weise auch immer.

Mechel meinte nachher zu mir und dann, wenn sie hochdeutsch spricht, wird sie ernst: „Man lebt tatsächlich nicht nur vom Geld allein. Rundgänge dieser Art sind mindestens ebenso wichtig.“

Euer Hendrick