Sonntagsruhe zwischen Bibel und Recht

Der regelmäßig Bibelgesprächskreis im PCH der Gemeinde St. Marien beschäftigte sich beim jüngsten Treffen mit der Sonntagsruhe aus biblischer und juristischer Sicht.

Dr. Gerhard Hartmann führte zunächst mit einem religionshistorischen Überblick in das Thema ein. Er bezeichnete die Sonntagsruhe als ein wichtiges Merkmal des Christentum und des Judantums. Der Sabbat und in Folge der Sonntag sei als Ruhetag einzigartig in einer Religion.

Im Islam gebe es zwar das gemeinschaftliche Gebet am Freitag in den Moschee, der Tag habe aber nicht die Konsequenz wie der Sonntag als Ruhetag. In der Bibel könne man die sozialpolitische Dimension der Sonntagsruhe erkennen. Der Sonntag wird als Ruhetag festgelegt, wo sich alle Menschen erholen sollen, auch die Tiere, die den Menschen dienen.

In Exedus 19-23, welches im 9. Jahrhundert vor Christus geschrieben wurde wird ein Gebot der Ruhe festgelegt: „Gedenke des Sabbats, halte ihn heilig.“ Während alle Gebote kurz gehalten werden, beschreibt das 3. Gebot aus dem 5. Jahrhundert vor Christus ausführlich den Ruhetag mit Bezug zur Schöpfungsgeschichte.

Mit dem Neuen Testament wurde der Ruhetag in Frage gestellt. Jesus streitete mit den Pharisäern darum, ob am Sabbat geheilt werden darf. Jesus deutete dies so, dass der Sabbat, also der Ruhetag für den Menschen da ist.

Zum Abschluss beschrieb Hartmann noch einmal die sozialpolitische Errungenschaft des Sonntag, die weltweit Gültigkeit hat und durch Kaiser Konstantin als Ruhezeit festgelegt wurde.

Dr. Franz Norbert Otterbeck mutete den 14 Zuhörern danach einen mutigen Exkurs in juristische Grundgedanken und in die tieferen Schichten deutscher Staatsrechtslehre zu:

„Der Sonntagsschutz ist ein eigenartig Ding, verfassungsrechtlich betrachtet. Vor Ende des ersten Weltkriegs gab es hierzu diverse Regelungen in den Mitgliedstaaten des Reichs. Die Nationalversammlung in Weimar wollte dann eine reichsweite Regelung schaffen. Der Kompromiss war schwer zu finden. Die Rechtsparteien strebten entlang der `bewährten´ Trias von Gott-König-Vaterland nach möglichst viel explizitem Christentum im öffentlichen Raum. Von links warb man für säkulare Freizügigkeit. Der Kompromiss wurde vom liberalen Abgeordneten Naumann eingefädelt: Man öffnete den Sonntags- und Feiertagsschutz für religiöse Pluralisierung, setzte aber doch auf Kontinuiät. Daher bleibt der Sonntag (der Feiertag) ein Tag der Arbeitsruhe und seelischer Erhebung. Letzterer Zentralbegriff ist aber ein religiös neutraler Rechtsbegriff. Der christliche Hintergrund schimmert zwar noch durch. Doch seelisch erheben darf sich der Bürger explizit auch nicht-religiös schon seit 1919. Der Artikel 139 Weimarer-Reichs-Verfassung (WRV) gilt auch heute noch. Denn auch im Ringen um das Grundgesetz fiel es wieder schwer, einen neuen Konsens zu finden. Diesmal brachte der Abgeordnete Süsterhenn den doppelten Kompromiss zustande: Der Kompromiss von 1919 wird, so der Kompromiss von 1949, mit Artikel 140 Grund Gesetz (wie sämtliche staatskirchenrechtliche Regelungen) zum Bestandteil des Grundgesetzes erklärt. Im viel beachteten Urteil des Verfassungsgerichts vom Dezember 2009 – es ging um die Öffnung sämtlicher Geschäfte in Berlin an allen vier Adventssonntagen – wurde allerdings die etablierte Grudrechtsdogmatik auch auf den Sonntagsschutz erstreckt.“

Die früher herrschende Auffassung war nach Meinung von Otterbeck die richtige Ansicht, dass Artikel 139 WRV eine rein institutionelle Garantie enthält, die keinem Bürger eine Klagebefugnis gegen konkrete Regelungen oder Anweisungen zum Ladenschluss gewährt, um z.B. eine Schließung zu erzwingen. Das hätte das Bundes Verfassungs Gericht gekippt. Grundsätzlich stehe jetzt der Rechtsweg offen.

Otterbeck zweifelte massiv daran, ob diese Rechtsprechung dem Sonntagsschutz auch nur im Entfernten nützt. Er fand teils harte Worte für „verfassungswidrige Verfassungsrechtsprechung“. Diese wäre allerdings nur durch verfassungsändernde Gesetzgebung aus der Welt zu schaffen. Dafür sei das Thema aber erkennbar nicht gravierend genug. Was jetzt die konkrete Ladenschlussproblematik in Kevelaer angehe, müsse man festhalten, dass an sich nicht zu erkennen sei, warum eine moderate Ladenöffnung an Orten mit hohem Freizeitwert (ganz unabhängig von religiösem Begriffen) überhaupt die Arbeitsruhe derart beeinträchtige, dass eine „seelische Erhebung“ dadurch vereiltelt werde.

Für den Wallfahrtsort gelte jedenfalls, dass hier, ob für Pilger oder eben auch andere Besucher, etwas „Leben in der Bude“ sonntags wie feiertags auch „für den Sonntag“ arbeite. Die Ladenöffnung im Heiligen Bezirk sei völlig unfähig, unabhängig vom angeboten Warentyp, die explizit religiöse seelische Erhebung an den Gnadenstätten zu untergraben. Freilich müssten Grenzen gewahrt werden und sei Klugheit anzuraten.

Ein Ausschuss, der sich im Anschluss an die lebhafte Diskussion zusammenfand, wird eine Eingabe an die Spitzen des Landes NRW formulieren.