Sieben Fragmente durch drei

„Seven“ oder eben zu Deutsch „Sieben“ ist der schlichte und doch inhaltlich aufgeladene Titel der jüngst erschienenen CD von Hansjörg Fink (Posaune), Elmar Lehnen (Orgel) und Dr. Bastian Rütten (Texte), die am vergangenen Mittwoch in einem Konzert mit vorangehender Werkeinführung ihre Premiere erlebte. Gut 40 Interessierte hatten sich auf der Orgelempore eingefunden, um durch die drei Künstler einen Einblick in ihre „Werkstatt“ zu erhalten. Und bewusst sind an dieser Stelle alle drei gleichrangig benannt, bedingte doch der kreative Schaffensprozess im Sinne eines Dialoges das Arbeiten miteinander auf Augenhöhe.
Widmet man sich der Symbolik der Zahl sieben, sind die sich einstellenden Assoziationen in gleichem Maße vielfältig wie auch ambivalent: Sieben Tugenden stehen sieben Laster gegenüber, sieben Sakramente kennt zumindest die katholische Kirche, ist die Sieben in Europa zumeist Glückszahl, symbolisiert sie in China das genaue Gegenteil und natürlich: Sieben Tage hat die Woche, die es brauchte, um nach christlichem Glauben unsere Welt in Gänze zu erschaffen.
Wer nun eine musikalische Interpretation der Schöpfungsgeschichte erwartete, war allerdings auf dem Holzweg. Vielmehr ist es Bastian Rütten ein Anliegen, dazu zu animieren, sich von der Gegenständlichkeit eines bildlich-naiven Schöpfungsglaubens zu lösen und sich der Frage zu öffnen, was das wesentliche, immaterielle und überzeitliche an allem wodurch auch immer Gewordenen ausmacht – kurzum: Was macht unsere Lebenswelt so wunderbar? – Was macht Menschsein aus? Sich derart tiefgehenden Fragen zu stellen heißt, die eigene Begrenztheit anzunehmen, denn „die eine Antwort“ wird es nicht geben können. Vielmehr sind die sieben literarischen Fragmente, die schließlich Fink und Lehnen zum gemeinsamen Musizieren animierten, bewusst unfertige Denkanstöße, die durch einen jeden ihre individuelle Deutung erfahren. Das ist dankenswert harte Kost in einer Welt schneller und vermeintlich definitiver Antworten.
Man ist geneigt zu sagen, „der Inhalt bedingt die Form“, denn sowohl die im Konzert präsentierte Fassung als auch die auf die CD gebannte stellen gewissermaßen nur eine Momentaufnahme dar, im Sinne einer Möglichkeit. Jedes der sieben musikalischen Fragmente besteht aus komponierten und improvisierten Elementen – eine exakte Reproduzierbarkeit ist damit genauso unmöglich, wie auf existenzielle Fragen immer die gleiche Antwort zu geben.
Im Dialog gaben die drei Künstler unter anderem Einblicke in ihre Arbeit am Beispiel „Von der ‚Wasserwelt‘“, jenem Teil des Werks, den sie selbst als den plakativsten und programmatischsten bezeichnen. Wasser als Schlüsselelement auf diesem Planeten kann gleichermaßen Medium für die Entstehung von Leben wie auch todbringend sein. Dieses klangmalerisch abzubilden ist, natürlich verlockend, dennoch wurde allen Zuhörern klar, dass die beiden Musiker keineswegs nur Freunde der Wasseroberfläche sind, sondern ihrer Musik eine derartige Tiefendimension mitgegeben haben, dass der analytische Hörer hier genauso auf seine Kosten kommt wie der genießende.

Von der „Wasserwelt“
Kommt Untergang und Tod durch Wasser,
so kommt auch
Leben und Lebendigkeit durch Wasser.

Sehnt man sich im Durst nach Wasser,
so fürchtet man auch
die drohende Flut des Wassers.

So sind Leben und Tod,
so sind Anfang und Ende,
so sind Erquickung und Gefahr
des Menschen Weggefährten.
Leben bleibt lebensgefährlich.

Eine besondere Wirkung erhält der Werkkomplex durch die Verbindung der einzelnen Fragmente mit Hilfe einer Sequenz. Keine neue Technik in der Musikgeschichte, wählte doch Modest Mussorgski in „Bilder einer Ausstellung“ einen ähnlichen Weg, indem er den reflektierenden Gang von einem Bild zum nächsten mit einer ‚Promenade‘ verband, die musikalisch das Vorangegangene mit dem Nachfolgenden verknüpft. Die fragende Tonfolge zwingt einen durch ihre harmonische Offenheit geradezu in eine zweifelnde und hinterfragende Superposition – das Gehörte war nur eine Möglichkeit.
Die beinahe einhundert Zuhörer erlebten im sich der Werkeinführung anschließenden Konzert einen Abend mit Musik, die sich der eindeutigen Zuordnung zu einem bestimmten Genre entzieht, sondern vielmehr Spiegel der stilistischen Breite und Offenheit der beiden Musiker ist. Klassische Formen gefüllt mit spätromantischer Harmonik fanden ebenso ihren Raum wie Elemente aus dem Jazz, der ‚Minimal Music‘, bis hin zu moderneren collageartigen Techniken. Man spürte, dass Hansjörg Fink und Elmar Lehnen in gewisser Weise Seelenverwandte sind. Anders lässt sich ein derartig durchwobenes gemeinsames Musizieren kaum erklären.
Die präsentierte CD beinhaltet keine Musik für „zwischendurch“, sondern verdient und verlangt bewusstes Hinhören, ein sich auf dieses Wagnis Einlassen. Wer sich jedoch dafür öffnet, mit den Texten und der Musik der Frage nach dem Anfang nachzugehen, wird sich, egal ob religiös geprägt oder nicht, im Sinne Aristoteles‘ ein Stück der Erkenntnis annähern, dass das Ganze mehr ist als nur die Summe seiner Teile.