Sie war immer engagiert für das Menschliche

Im Alter von 84 Jahren ist die Ehefrau des früheren Ortsvorstehers Hans Broeckmann, Lore Broeckmann, nach einem Jahr schwerer Krankheit gestorben.
Im Rahmen der Beisetzung in der Wettener Kirche würdigte ihre langjährige Freundin Bernarde Vos die Verstorbene als „eine moderne und mutige Frau“, die „ihrer Zeit weit voraus“ war und die „in unseren Erinnerungen“ weiterleben wird. Was aber machte diese Frau so besonders, dass viele Menschen in der vollbesetzten Kirche das Bedürfnis in sich trugen, sich persönlich von ihr zu verabschieden ?
Allein schon ihre Lebensgeschichte ist ungewöhnlich: In Rostock geboren, war ihre Kindheit als Älteste von vier Geschwistern „gezeichnet von ständigem Aufbruch und Abschied“ , wie Bernarde Vos in ihrer Trauerrede ausführte.
„Mein Großvater war Halbjude, deshalb hat er ständig seine Stelle verloren“, erinnerte Lore Broeckmanns Sohn Werner an die damalige Situation unter den Nationalsozialisten. „Meine Mutter musste deshalb immer die Schule wechseln.“ So war es für das junge Mädchen kaum möglich, irgendwo eine Heimat zu finden – von Rostock über Karlshafen, Bonn, Rethwisch bis nach Romansweiler im Elsass führte sie ihr Weg. Erst mit dem Umzug nach Weeze nach Kriegsende kam etwas Ruhe in ihr Leben. Sie ging in Geldern auf das Gymnasium, machte ihr Abitur. Dann starb ihr Vater überraschend mit 44 Jahren – für die junge Frau eine Zäsur. „Lore musste sich mit dem großen Verzicht auf ihren Herzenswunsch zu studieren, arrangieren“, sagte Bernarde Vos.
In Krefeld machte sie daraufhin eine Ausbildung zur Postinspektorin, arbeitete dann drei Jahre, bevor sie 1959 „ihren“ Hans heiratete, den sie bereits seit ihrer Schulzeit kannte. Lore Broeckmann konvertierte vom evangelischen zum katholischen Glauben. Aus der Ehe gingen insgesamt vier Kinder – zwei Mädchen und zwei Jungen – hervor.
Nach verschiedenen Wohnstationen in Wetten und Duisburg baute das Paar 1966 auf dem Pastoratsweg einen Bungalow, in dem es viele Jahre zusammen lebte – und sein Haus für zahlreiche Gäste öffnete. Zweimal lebte für ein Jahr eine Familie aus der ehemaligen DDR in dem Haus, zwei Tanten erhielten dort für ein Jahr eine Unterkunft. Oftmals kamen auch Gäste durch die britische Freundschaft von Kevelaer nach Laarbruch und aufgrund der Städtepartnerschaften nach Lebendorf und Bury-St. Edmunds bei ihnen unter.
Ihr eigenes Schicksal schuf in Lore Broeckmann eine tiefe Empfindsamkeit für das Schicksal anderer Menschen. „Sie hatte Kontakte nach Schopau in Ungarn, da war sie federführend bei der Unterstützung eines Kinderheims“, erinnert sich Werner Broeckmann an „Stapel von Bananenkisten“ im Feuerwehrhaus. „Ohne sie wäre das nicht in Gang gekommen. Sie legte nie Wert auf die erste Reihe oder Präsenz, aber ohne sie ging nix. Es ging ihr immer um die Menschen.“
Und neben der Erziehung der Kinder und der Unterstützung ihres als CDU-Fraktionschef und Ortsvorsteher aktiven Mannes fand sie immer wieder die Möglichkeit, ihren „Drang nach Unabhängigkeit“ und ihre „Wissbegierde, ihren Intellekt und ihr ungemeines kulturelles Interesse“ (Bernarde Vos) auszuleben.
Jahrzehntelang war sie in der KFD aktiv, war von 1977 bis 1989 Sprecherin der KFD im Dekanat Goch. Sie sei da „sehr engagiert“ gewesen, so Bernarde Vos. „Da war sie insofern kritisch, weil sie sich sehr für die Stellung der Frau in der Kirche eingesetzt hat – vor dem Hintergrund, dass Frauen genauso berufen sind wie Männer.“
In dem Rahmen habe sie sich auch „für eine gerechtere Sprache mit der Begrüßung „Liebe Brüder und Schwestern“ eingesetzt und den Weltgebetstag der Frauen jahrelang vorbereitet. „Die Aktion Maria 2.0 hätte ihr sicher gefallen“, zeigte sich Bernarde Vos überzeugt. Emanzipation sei ihr sehr wichtig gewesen, sagt Werner Broeckmann. „Dieses klassische Rollenbild war ihr ein Graus.“
Von 1988 bis 2003 leitete Lore Broeckmann die Wettener Bücherei, nachdem sie eine Bibliothekaren-Fortbildung absolviert hatte. „Nie wieder ist mir ein Mensch begegnet, den ich für so belesen hielt wie Lore“, sagte Bernarde Vos während der Trauerfeier. „In meiner Vorstellung las Lore immer und überall.“ Sie habe gleichzeitig Socken für einen guten Zweck stricken und dabei lesen können.
Die „letzten zwölf Jahre hat sie nur gestrickt und gelesen“, meint ihr Sohn Werner. „Und allein hier im Haus stehen locker über 5000 Bände“, machte er deutlich, wie sehr sich die Frau, die keinen Fernseher besaß und pro Woche 20 Briefe schrieb, um Kontakte persönlich aufrechtzuerhalten, selbst weiterbildete.
„Nebenbei“ agierte sie 23 Jahre lang als Stadtführerin in Kevelaer, begleitete jahrelang Sterbende im Wettener Hospiz, das ihr Mann mit auf den Weg gebracht hatte, sang im Kirchenchor. Nach dem Tod des Mannes 2003 bezog sie drei Jahre später eine Wohnung im ersten Stook des Hospizes auf der Hauptstraße, als ihr die Pflege des großen Hauses mit dem Garten zuviel wurde.
Und bis vor zwei Jahren war sie im Eine-Welt-Laden aktiv. Auch da sagte sie wie so oft leise, aber bestimmt, ihre Meinung, ohne allen gefallen zu wollen. „Sie hat mal den Wallfahrtsrektor Lohmann angesprochen, er solle doch im Priesterhaus Eine-Welt-Kaffee ausschenken – was er nicht tat“, erinnert sich Sohn Werner. Ihre letzte Zeit verbrachte sie im Josef-Haus, bevor sie am 27. Mai verstarb.
Die heutige Wettener Ortsvorsteherin Beate Clasen sprach von einer „omni-talentierten“ Frau und einem „Vorbild“. Für sie persönlich sei Lore Broeckmann eine Stütze gewesen. „Sie war einfach immer da und wollte nie den Eindruck erwecken, eine Macherin zu sein – obwohl sie eine war.“