Sich vom Leben berühren lassen

Es ist 6 Uhr morgens und Kevelaer scheint noch zu schlafen. Da treffen sich Menschen zur Frühschicht. Frühschicht hat hier aber nichts mit Arbeitszeit zu tun. Im Gegenteil, hier kommen Menschen zusammen, um in der Passionszeit innezuhalten und einen Impuls für ein bewusstes Leben zu bekommen.

Frühschichten in der Fastenzeit bietet die Pfarrgemeinde St. Marien im Petrus-Canisius-Haus jeden Mittwoch bis vor die Karwoche an. Wie Papst Franziskus in seiner Enzyklika „Laudato si‘“ schrieb, war Jesus kein Verächter des Leibes und der „Dinge dieser Welt“. Trennung von Körper und Geist seien ungesund und verfälschten das Evangelium. Deshalb werden die Frühschichten sich mit den Sinnen des Menschen beschäftigen.

Das Thema an diesem Morgen lautet: „Sich vom Leben berühren lassen“. Im Halbkreis sitzen 14 Teilnehmer vor dem Misereor-Hungertuch. Eine Straßenlaterne steht daneben und wirft ihren Schein auf die zwei Menschen, die sich gegenseitig an der Schulter fassen und mit offenem Blick sich innerlich und äußerlich berühren. Viktor Fischer Emmerich, der an diesem Morgen Kaplan Schwerhoff vertritt, stellt Fragen, die jeder für sich überdenken soll. „Kann ich Nähe zulassen? Was oder wen habe ich heute zuerst berührt? Was oder wer hat mich heute berührt? Welche Gefühle habe ich bei Berührungen? Wo vermisse ich Nähe, Berührung und Intimität? Wer oder was war mir zu nah und zu dicht?“

Leise, weiche Klaviertöne erklingen im Raum, dabei werden Bilder einer Geschichte gezeigt, die in Lukas 7,36ff. steht. Eine stadtbekannte Prostituierte benetzt mit ihren Tränen die Füße Jesu, salbt sie mit kostbaren Ölen und trocknet sie mit ihren langen Haaren. Der Pharisäer, bei dem Jesus zu Gast ist, sieht nur, dass eine „Unreine“ Jesus berührt und er es sich gefallen lässt.

Wer seine Sinne schärft, der kann von Jesus lernen. Jesus hat keine Berührungsängste. Er sieht tiefer als nur nach dem Hörensagen. Er sieht nicht die Sünderin, er sieht die Frau, die Not von Menschen, weil er sie im Inneren berührt und sich von ihnen berühren lässt.
Mit den Liedern „Wo Menschen sich verschenken … da berühren sich Himmel und Erde“ und „Liebe ist nicht nur ein Wort, Liebe, das sind Worte und Taten …“ wird darauf hingewiesen, dass Gott uns berührt und wir ihn berühren dürfen, dass wir durch unsere Taten Menschen berühren können und uns von ihnen berühren lassen dürfen.

Die Frühschichten sollen die Sinne sensibilisieren und schärfen. Sie sollen dazu führen, dass wir uns selbst wahrnehmen, um dann auch Gott und die Mitmenschen wahrnehmen zu können. Sie sollen still machen, damit wir in der lauten Zeit aufmerksam werden und uns das Leben bewusster machen.

„Fasten“ kommt ursprünglich von „festmachen“. So wie die Schiffe im Hafen gefastet (festgemacht) werden, so können wir in der Fastenzeit durch die Nutzung unserer Sinne an Gott festmachen und auf Karfreitag und das Osterfest vorbereiten.
In den nächsten Frühschichten geht es um die anderen Sinne: das Schmecken (Das Leben auskosten), das Hören (Auf das Leben hören), das Sehen (Das Leben sehen lernen) und das Riechen (Das Leben atmen). Nach den geistigen Impulsen sind alle zu einem gemeinsamen Frühstück eingeladen (hierzu darf jeder etwas beisteuern).

Auch wer an den anderen Frühschichten nicht teilgenommen hat oder teilnehmen kann, ist herzlich eingeladen: Petrus-Canisius-Haus, jeden Mittwoch um 6 Uhr. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich.