Schuldezernent Marc Buchholz kritisiert die Landesvorgaben zur Inklusion

Die Kommunen bleiben auf den Kosten für Inklusionsassistenten an Schulen weitgehend sitzen (s. unten). Das KB sprach mit Schuldezernent Marc Buchholz darüber, was das für die Schüler in Kevelaer bedeutet.
KB: Herr Buchholz, sind körperliche Behinderungen noch ein Kostenfaktor für Kevelaers Schulen oder herrscht überall Barrierefreiheit?
Marc Buchholz: Körperliche Einschränkungen sehe ich grundsätzlich nicht aus der Kostensicht. Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen sollen die bestmöglichen Chancen haben, am öffentlichen Leben und damit auch an den Schulgemeinschaften teil zu haben. Unser Schulzentrum ist weitestgehend barrierefrei. Am Scherenbau installieren wir in diesem Jahr noch einen Aufzug. Die Aufwendungen von geschätzten 90.000 Euro sind im Etat eingeplant. Das ist keine Einzelmaßnahme, sondern eine bauliche Investition: Wir müssen davon ausgehen, dass Barrierefreiheit für öffentliche Gebäude gesetzlich verpflichtend werden wird und dass wir immer wieder Kinder – möglicherweise in Zukunft auch mal Lehrer oder Begleitpersonen – mit körperlichen Einschränkungen im Schulzentrum haben werden. Als vor rund zehn Jahren auf Anregung des Seniorenbeirates die Rampe am Hallenbad gebaut wurde, gab es darum noch eine große Diskussion. Heute ist das selbstverständlich.
Wie sieht es an den Grundschulen aus?
Die St.-Antonius-Grundschule hat ebenerdige Klassen, die ebenfalls weitestgehend barrierefrei zugänglich sind. Hier arbeiten wir eng mit den Schulleitungen zusammen, um den Unterricht so zu organisieren, dass die Räume für eine inklusive Beschulung vorrangig benutzt werden.
Bei anderen Formen der Behinderung bezieht sich die Kostenfrage meist auf das nötige Personal. Wie sieht es da in Kevelaer aus?
Bei Schülern mit einer geistigen Behinderung liegt die Zuständigkeit beim Träger der Sozialhilfe bzw. bislang noch beim Landschaftsverband. Da wüsste ich gerade keinen Fall mit Regelbeschulung in Kevelaer. Aber wir haben mehr als 20 Kinder, bei denen wir über Integrationshilfen Leistungen übernehmen. Bei diesen Kindern liegt eine sogenannte auch drohende ‚seelische Behinderung‘ vor. Ihnen kann auf Antrag der Sorgeberechtigten ein Integrationshelfer zur Seite gestellt werden.
Und diese Kräfte bezahlt die Stadt?
Ja, darum ging es auch bei der Klage der 52 Kommunen gegen das Land in dieser Woche. Aktuell wendet die Stadt mehr als 420 000 Euro für seelisch behinderte Kinder auf. Ein Teil davon fließt in die Kosten für die schulische Integrationshilfe. Ich rechne mit bis zu einer Million Euro, die wir jährlich für Inklusionsassistenten in den nächsten Jahren werden aufwenden müssen. Vom Land erhalten wir dafür Erstattung von weniger als 10 000 Euro jährlich.
Liegen Defizite aber in erster Linie im Förderschwerpunkt „Lernen“, können die Schulen einen Nachteilsausgleich leisten. Ebenfalls auf Antrag der Eltern kann über ein sogenanntes AOSF-Verfahrens zusätzlicher sonderschulpädagogischer Bedarf für das betroffene Kind abgerufen werden.
Welche Qualifikation haben die Inklusionsassistenten?
Bei der Auswahl und Zuordnung der Inklusionskräfte steht für das Jugendamt Kevelaer das Störungsbild des Schülers oder der Schülerin und der sich daraus ableitende individuelle Bedarf im Vordergrund. Danach entscheidet sich ob eine zweckmäßige oder eine sachkundige Hilfe installiert wird. Die letztgenannte setzt im Gegensatz zur zweckmäßigen Hilfe eine (sozial-)pädagogische Ausbildung voraus. Das Berufsbild der Integrationsassistenten ist aber tatsächlich noch nicht wirklich umrissen, deshalb können auch berufsfremde Personen oder z. B. Studenten eingesetzt werden, die dann allerdings schon auch in besonderer Weise geeignet sein müssen.
Das war der zweite große Grund für unsere Klage gegen das Land: Es gibt keine verbindlichen Standards und Regeln für die Ausgestaltung der Inklusion. Darunter leiden nicht nur die Kommunen, sondern vor allem Eltern, Schüler und Lehrer. Ich bin sehr enttäuscht, dass der Verfassungsgerichtshof NRW die Klage am Formellen scheitern ließ und sich nicht an inhaltlichen Fragen der Inklusion abgearbeitet hat. Für die Landesregierung wartet da aus meiner Sicht weiterhin viel Arbeit, denn mit dem abweisenden Urteil ist das Thema ja nicht erledigt.
Welche Unterstützung können die Sonderpädagogen an den Regelschulen leisten?
Es gibt an allen Schulen zu wenig Sonderpädagogen, aber deren Einstellung ist Sache des Landes. Das Land ist hier sicherlich in der schwierigen Situation, den Mangel zu verwalten. Die Auflösung der Förderschulen und die damit verbundenen Rechtsansprüche auf Inklusion von Förderschülern im Regelschulsystem hat aus meiner Sicht zu einer Atomisierung der Sonderpädagogen geführt.
Könnte die Stadt Kevelaer nicht weitere Sonderpädagogen einstellen?
Es gibt, wie gesagt, zu wenig Sonderpädagogen auf dem Arbeitsmarkt. Aber als Stadt dürften wir auch keine Lehrer für den Unterricht einstellen.
Das heißt, die übrigen Lehrkräfte werden mit der Inklusion vom Land oft alleine gelassen?
Meine Wahrnehmung ist, dass die Lehrer im Regelunterricht mit Inklusion einen tollen Job machen. Leider fehlen die notwendigen Personalressourcen. Die vom Land eingeführten Weiterbildungen zur Inklusion pro Schuljahr helfen da nur bedingt. Das ist zwar besser als nichts, kann aber ein sonderpädagogisches Studium nicht ersetzen.
Es heißt, wegen der ungelösten Probleme wechseln einige Inklusionsschüler bereits wieder zurück an Förderschulen.
Ich habe gehört, dass diese Zahl landesweit wieder gestiegen ist. Für Kevelaer kann ich hier derzeit keine aktuellen Zahlen liefern. Die Zahl der Schüler und Schülerinnen mit Inklusionsbedarfen nimmt aber weiter zu.
Wie bewerten Sie die Situation für Regelschüler?
Wir dürfen die Regelschüler und ihre Eltern beim Thema Inklusion nicht vergessen! Auf zwei bis drei Schüler mit festgestelltem Förderbedarf kommen manchmal noch zwei bis drei Kinder ohne anerkannten Bedarf in den Klassen, die trotzdem eine besondere Förderung brauchen – und die, die einfach normalen, guten Unterricht haben möchten. Alle Schüler können vom Inklusionskonzept profitieren, wenn die Rahmenbedingungen mit Personal- und Sachausstattung stimmen. Mit Blick auf fehlende Ressourcen verstehe ich, wenn manche Eltern sich Sorgen machen.


Verfassungsgericht weist Klage Kevelaers ab

Das Land NRW muss auch weiterhin Kevelaer und den anderen Kommunen des Landes die Kosten für Inklusionshelfer in Schulen nicht erstatten. Das folgt aus einer Entscheidung, die der Verfassungsgerichtshof des Landes am Dienstag verkündet hat. Darin weist das Gericht eine Klage zahlreicher Kommunen gegen das 9. Schulrechtsänderungsgesetz als unzulässig zurück, mit dem das Land das gemeinsame Lernen von Kindern mit und ohne besonderen Förderbedarf als Regelfall festschreibt. Weil die Finanzierung dieser Aufgabe in einem separaten Gesetz, dem Gesetz zur Förderung kommunaler Aufwendungen für die schulische Inklusion, festgeschrieben sei, hätten die Kommunen gegen dieses Gesetz klagen müssen. Gegen dieses zum 1. August 2014 in Kraft getretene Gesetz können die Kommunen nun aber nicht mehr klagen, da die Klagefrist verstrichen ist. AZ: VerfGH 8/15