Schlüssel schmieden, Handel treiben, Vögel ansiedeln
In einem Jahr, in dem der gesellschaftliche Umgang miteinander vielerorts rauer geworden ist, ist es ein schönes Zeichen dafür, dass es auch die andere Entwicklung gibt: 209.000 Menschen haben im Herbst die SPIEL in Essen besucht, die weltgrößte Messe ihrer Art.
Das war ein neuer Rekord und Beleg dafür, dass immer mehr Menschen das gesellige Miteinander – durchaus auch im Wettstreit – suchen. Mehr als 1.500 Neuheiten wurden auf der Messe vorgestellt, und viele davon sind wirklich gelungen.
Das kann man gut finden, weil es für jeden Geschmack eine große Auswahl toller Spiele gibt, oder anstrengend, weil es fast unmöglich ist, das eine Spiel zu identifizieren, das man am dringendsten haben möchte. Um etwas bei dieser Entscheidung zu helfen, haben wir drei Spiele ausführlich getestet.
Keyforge – Ruf der Archonten
Wer Spiele mag, bei denen man mit einem Deck aus Karten den Gegner besiegen muss, sollte sich Keyforge ansehen, nominiert als „innoSPIEL 2019“. Vom Erfinder des Sammelkartenspiels „Magic – Die Zusammenkunft“ kommt dieses Spiel, das verspricht, ohne die daraus bekannte teure Sammelei auszukommen.
Das ist zumindest halb wahr. Keyforge ähnelt mehr dem Computerspiel „Hearthstone“ im Arena-Modus: Jeder Spieler benutzt ein vorgegebenes Kartendeck. Diese Decks kann man einzeln kaufen und sie sind in der jeweiligen Edition ihrer Sprache weltweit einmalig. Das Ziel ist es, mit den ausgespielten Kreaturen, Artefakten und Aktionskarten als erster drei Schlüssel zu schmieden. Das Ausspielen der Karten erfordert keinerlei Ressourcen und unterschiedliche Elemente wie in „Magic“ gibt es auch nicht.
Dafür besteht jedes Deck aus drei von sieben möglichen Fraktionen – und in jeder Runde darf man nur eine dieser Fraktionen wählen, von der man neue Karten ins Spiel bringen darf und deren ausliegende Karten aktiviert werden dürfen.
Durch die stark reduzierte Spielmechanik ist das Spiel – bis auf die umfangreiche Symbolik – schnell erlernt und spielt sich flüssig (wenngleich die Regeln nicht immer ganz präzise sind und manchmal online recherchiert werden muss).
Der Reiz besteht darin, aus den vorgegebenen Karten des Decks das Beste herauszuholen. Zwangsläufig gibt es infolge der zufälligen Zusammenstellung unterschiedlich starke Decks, und während Deck A sich gegen Deck B leicht tut, kann es gegen Deck C chancenlos sein, obwohl B locker C besiegt. Wie Schere, Stein, Papier.
Das Spiel ist kurzweilig und es macht Spaß, die optimale Spielweise des eigenen Deckes auszuloten. Wen das Zusammenstellen eines Decks schon immer gestört hat, der findet hier die Antwort. Wer gerade darin den Reiz sieht, dem könnte Keyforge zu wenig komplex sein. Davon ab verleitet es durchaus ähnlich wie „Magic“ zu weiteren Käufen. Denn wer möchte nicht mal ein anderes Deck spielen, die anderen Fraktionen testen oder noch unbekannte Karten der eigenen Lieblingsfraktion entdecken?
Keyforge von Richard Garfield, Fantasy Flight Games; 2 Spieler, 45 Minuten, ab 12 Jahren; Einzeldeck ca. 13 Euro, Starterset für 2 Spieler ca. 35 Euro.
Amul
Wer gerne mal in größerer Runde spielt, kennt das Problem: Mit jedem Mitspieler steigt die Spieldauer und verlängert sich die Zeit, die man auf den nächsten Zug wartet. Nicht so bei Amul. Ähnlich wie bei „7 Wonders“ agieren die Spieler meist gleichzeitig, allerdings ist die Komplexität deutlich geringer und der Spielfluss noch schneller.
Das Ziel besteht darin, mit Hilfe ausgelegter Karten möglichst viele Punkte in neun Runden zu erzielen. Dabei ist eine Runde denkbar einfach: Erst gibt jeder Spieler aus seiner Hand eine Karten in den gemeinsam genutzten Markt, der immer etwas größer ist als die Zahl der Spieler. Dann wird daraus reihum eine Karte gewählt.
Abschließend spielen alle gleichzeitig eine Karte aus ihrer Hand. Die Karten bringen für sich bereits Punkte, manche jedoch um so mehr, wenn man sie mehrfach besitzt oder zu bestimmten Sets kombiniert. Doch auch an die Karten, die diesen Sets ihren Wert verleihen, muss man erst einmal gelangen.
Amul ist schnell gelernt und überfordert auch Gelegenheitsspieler nicht. Trotzdem bietet der gemeinsame Markt ein nettes taktisches Element, durch das auch Vielspieler, die mal auf rauchende Köpfe verzichten mögen, auf ihre Kosten kommen.
Amul von Remo Conzadori, Pegasus Spiele; 3-8 Spieler, 30-60 Minuten, ab 10 Jahren; ca. 25 Euro.
Flügelschlag
Es hat einen regelrechten Hype ausgelöst, wurde Kennerspiel des Jahres 2019 und gewann den „Deutschen Spielepreis 2019“: Die Rede ist von „Flügelschlag“. Ob der Erfolg der Mechanik oder der schönen Spielmaterial und seinem Thema zu verdanken ist, ist schwer zu sagen. Die Spieler besiedeln ihren persönlichen Spielplan mit nordamerikanischen – in der Erweiterung auch europäischen – Vogelarten. Jede Runde können sie Karten mit neuen Arten erwerben, eine neue Art ansiedeln, Futter sammeln oder Eier legen.
Der Clou dabei: Bis auf das Ansiedeln ist jede der Aktionen mit einem Terrain-Typ assoziiert. Mit jeder Aktion aktiviert man immer auch die Spezialfähigkeiten aller Vögel, die man bereits im zugehörigen Terrain angesiedelt hat. Wer die Arten geschickt auswählt und clever auf die drei Terrains verteilt, kann zunehmend effektivere Züge ausführen. Variable Rundenziele und individuelle Zusatzziele geben am Ende ebenso Punkte wie die Eier in den Nestern der Vögel.
Dadurch gibt es viele Wege zum Sieg, was die eh schon hohe Variabilität infolge der zahlreichen Vogelarten weiter steigert.
Diese Variabilität ist aber auch der Schwachpunkt des Spiels: Da immer nur drei Vogelarten zur Auswahl stehen, ist die Umsetzbarkeit einer Strategie recht glücksabhängig. Dem Spielspaß muss das nicht schaden, zumal man nebenbei auf jeder Karte etwas über die Vogelarten lernt. Und wer erst einmal weiß, welche Fähigkeiten die Vögel so mit sich bringen und flexibel agiert, findet so einiges Potenzial, seine Territorien zu optimieren.
An die Komplexität und Planbarkeit von Engine Buildern wie „Terraforming Mars“ oder „Through the Ages“ kommt das Spiel nicht heran. Dafür ist es aber als Vielspielerspiel und Familienspiel gleichermaßen geeignet. Gerade als letzteres kann man es uneingeschränkt empfehlen.
Flügelschlag von Elizabeth Hargrave, Feuerland; 2-5 Spieler, 75 Minuten, ab 10 Jahren; ca. 40 Euro.
Und sonst? Wer ein anspruchsvolles kooperatives Spiel sucht, sollte mal einen Blick auf „Spirit Island“ werfen. Wer Escape Rooms und Krimis mag, findet mit „Detective“ ein sehr atmosphärisches und innovatives Spiel. Und auf der Suche nach einem schönen Kinderspiel führt in diesem Jahr kein Weg an „Concept Kids – Tiere“ vorbei.