Platt à la carte im „Kävelse Lüj“

Gastgeber Thomas Molderings genoss den Vortrag des Rezitators Wilfried Renard, ehe er sich nach der Begrüßung wieder um das leibliche Wohl der Gäste im Nebenraum kümmerte. Als Inhaber des „Kävelse Lüj“ freute er sich sehr darüber, dass die plattdeutsche Lesung mit dem stadtbekannten Wilfried Renard tatsächlich zustandegekommen war. „Das wäre vor zwei Wochen so vielleicht noch nicht möglich gwesen, aber ich habe daran festgehalten.“ Schade war lediglich, dass nur eine Handvoll Zuhörer das 75-minütige Eintauchen in die besondere Sprachwelt der beiden Kevelaerer Heimatdichter Jupp Tenhaef und Theodor Bergmann verfolgten.

Dafür befanden sich mit Theo Janßen und dem Großneffen von Theodor Bergmanns Frau, Heinrich Baumanns, zwei ausgewiesene Sprachexperten unter den Zuhörern, die die Zeit zwischen den Texten spontan mit plattdeutschen Plaudereien überbrückten. „Die Schwester meiner Oma war Lehrerin, hat den Bergmann geheiratet. Die war auch gebildet und stellte was dar. Ich war damals noch klein, habe sie nur in Erinnerung, so wie ich sie sah“, erzählte Heinrich Baumanns und gab freimütig zu, „dass das einen berührt, wenn man das hier hört und dann darüber nachdenkt.“

„Der Theodor Bergmann ist wahrscheinlich von den beiden der Gebildetere, auch Politiker, hat hier die CDU mit begründet. Das merkt man an der Sprache“, beschrieb Renard die Unterschiede beider Dichter. „Bergmanns Sprache ist noch tiefer ausgeformt. Er arbeitet sozusagen mit dem Florett. Und Jupp Tenhaef ist der, der den Leuten noch mehr auf das Maul schaut, der direkter und einfacher ist, aber dann auch geraderaus sagt, was er denkt. Der hat das sicher nicht so leicht gehabt wie der Bergmann, ist mein Gefühl.“

Quasi spontan trug Renard „auf Zuruf“ eines der 40 Gedichte vor, das sich die Anwesenden von den neben ihm aufgestellten „Carte“-Wandtafeln – mit Tenhaef zur Linken und Bergmann zur Rechten – aussuchen konnten. Und so entwickelte sich eine entspannt-unterhaltsame Rezitation philosophischer, nachdenklicher, humorvoller und alltagsbeschreibender Texte in einer Sprache, die heute nicht mehr ganz so viele, aber noch immer einige verstehen. So erzählte Renard mit seiner sparsam, aber überlegt eingesetzten Mimik und Gestik in Tenhaefs „Üt enne pott“ die Geschichte von „Hond“ und „Katt“, die sich um den Inhalt des Potts streiten, ehe sie feststellen: „Wat sinn wej dann toch Esels!“ Bergmanns Liebesgeschichte „Piche on Griche“ und seinem Glück, „dat sin lief Griche dor stond. On an den Prummenboom Appele bond.“

Er erzählte in Tenhaefs „Wülderej“ die Geschichte von „Wülder (=Maulwurf) Jann, wo die Menschen „gönne mej nit ens de Loch (=Luft)“ , erinnerte in „Kermes vor de Dör“ an die Zeit, als „Maj hiew ek op de Lukas drop met all Pet on Krachte.“ Und er gab am Ende eine „Gujje Roat“: „Nit alstevööl verwachte/Et besten es, me hält merr Moat, on drevvt nit soviel Stuss on Stoat/ on Wönß on met Gedachte.“

Neben so intelligent-humorvollen Texten wie „Jann well traue“ über den „döchtege Tömmermann“, der „en beggen döseg, en beggen domm“ mit zwei Frauen vermählt werden möchte („Ek häb se allebeij lief.“) und dem wunderbaren „Antöneke“ in der Schule, wo der Lehrer daran verzweifelt, dass er nicht eins und eins zusammenzählen kann, spiegelte er mit Bergmanns Texten auch Themen, die heute hochaktuell sind. So debattierte er das Thema „Europa“ im gleichnamigen Gedicht („Off dann van ons Jonges in kommenden Tit waell ens no dat Europa kömt?“) und beschrieb in „Ohme Pit“ die Grausamkeit des Menschen im Krieg – mit einer unfreiwilligen Anspielung auf die Unruhen in den USA heute. „Es alles verlore? – Helpt nimand nit? – Eck ersteck – Ohme Pit!“
Trotz der geringen Zuhörerschaft war Molderings von den besonderen literarischen Momenten sehr angetan. „Ich hoffe, dass ich Sie nochmal ansprechen darf, wenn wieder mehr geht und es noch etwas populärer gemacht worden ist. Ich würde das gerne fortsetzen“, wandte er sich danach mit einem persönlichen Dank an Renard, der sich einer weiteren Lesung nicht abgeneigt zeigte.