“Planlos durch die Bildungs-Galaxis”

Die NRW-Landesregierung hat angekündigt, die Schüler wegen der Corona-Pandemie zwei Tage früher in die Weihnachtsferien zu schicken – und angesichts der Infektionen wird wieder über die Halbierung der Klassen und Digitalunterricht diskutiert. Wie stehen Lehrer, Eltern und Schüler in Kevelaer dazu?

Christina Diehr, stellvertretende Schulleiterin des Kardinal-von-Galen-Gymnasiums:
„Jeder Tag Unterricht ist ein guter und wichtiger Tag für die Schüler. Wir sind alle bemüht, möglichst viel Präsenzunterricht zu machen. Wenn die Verkürzung um zwei Tage hilft, dass die Familien zusammen feiern können, werden wir das von schulischer Seite gerne unterstützen. Viele Sachen wie Exkursionen, der Hochschultag in Münster, Klassenfahrten sind ja gestrichen. Selten hat ein Jahrgang soviel Unterricht am Stück gehabt. Wir werden den Schülern für diese zwei ausfallenden Schultage natürlich Aufgaben mitgeben. Geteilter Unterricht, das hört sich immer so leicht an, ist im Detail aber sehr diffizil. Und zu sagen, wir streamen aus dem Unterricht für die andere Hälfte – dann brechen hier alle Leitungen zusammen.“

Christoph Feldmann, Rektor der Gesamtschule:
„Ich denke, dass das eine sinnvolle Entscheidung ist vor dem Hintergrund der Infektionszahlen. Das kann ich nachvollziehen. Ich bin nicht in der Situation, so was entscheiden zu können oder zu dürfen. Da fühle ich mich als der falsche Ansprechpartner. Das ist halt für uns alle eine Herausforderung, mit der Situation umzugehen, und das versucht wird, bei allen Unwägbarkeiten alles zu realisieren. Was keiner mehr möchte, ist, dass es einen kompletten Lockdown wie in Österreich gibt. Wir müssen mit der Situation umgehen. Da nutzt es mir auch nich , die Entscheidung permanent zu hinterfragen. Mit zwei Tagen Unterricht in den Karnevalstagen haben wir einen adäquaten Ausgleich.“

Vadrin Qajani, 18-jähriger Schüler der Q2 des KvGG und Schülersprecher:
„Natürlich sind dann Ferien, aber bei der Q 2 zählt jeder Tag. Es sind ja im Sommer einige Tage weggefallen. Wenn man das vernünftig betrachtet, hat in der Q1 ein Quartal gefehlt. Das muss man im Unterricht wiederholen. Und vor allem in den Abiturfächern fehlt das. Die Schüler halten sich so strikt wie möglich an die Regeln. Wir ziehen im Schulgebäude Masken auf,  in den unteren Stufen wie in der Oberstufe. Der Abstand wird gehalten. Es gibt auch Ausnahmefälle, aber unsere Schule geht da sehr pflichtbewusst mit um. Geteilte Klassen führen natürlich dazu, dass weniger Leute in der Klasse sind und Aerosole herumfliegen. Aber dann sind Schultage wieder gekürzt, und alles läuft über einen längeren Zeitraum. Wenn man normale Stunden hat, kriegt man mehr Sachen besprochen. Das ist reines Abwägen. Das ist eine individuelle Meinung, die man sich da ausbilden muss.“ Luftfilter könnten sehr hilfreich sein. In Arztpraxen hat man das schon eingeführt. Jede Kleinigkeit, die das Infektionsgeschehen eindämmt, lohnt sich. Und jede Schule damit auszustatten ist in der Abwägung billiger als die Auswirkungen und der Effekt der Pandemie.“

Mehtap Grandt, Vorsitzende der Schulpflegschaft der Gesamtschule:
„Die Umsetzung für uns als Elternvertreter ist bedenklich. Das ist eine Hauruckaktion von Ministerin Gebauer und der Landesregierung, die nicht durchdacht ist. Da wird unterschwellig vermittelt, dass dafür zwei Tage des Karnevalsbereichs geopfert werden – was den Nachklang hat, dass vielleicht doch im Ganzen so versucht wird, die Karnevalstage in die Schulpflicht reinzudrücken. Und die Eltern sind dann arbeiten und die Kinder auf sich allein gestellt. Wenn Kinder in der OGS sind oder in Mittagsbetreuung und das weitergeführt werden müsste, dann wäre der Vorschlag ja eh schon hinfällig. Und das Zeitmanagement wird nicht berücksichtigt in einem eh schon sehr kurzen Schulhalbjahr. Die vergangenen Monate sind nicht konstruktiv genutzt worden, um die angekündigte zweite Welle zu nutzen, Konzepte zu finden, mit den Schulen in Abstimmung zu gehen, um eine umsetzbare, fachlich und sachlich bestimmte Lösung herzustellen. Schulen, die Konzepte erarbeitet haben, werden abgewiesen, wie Solingen mit dem Schichtmodell.
Und es gibt ein ständiges Hin und Her – geteilt, dann wieder zusammen, Maskenpflicht,    dann wieder aufgehoben – dass die Schulleitung versucht hat, mit guten Konzepten abzufangen. Von oben herab nach unten wurde eine Umsetzung versäumt. Die Landesregierung wirft Entscheidungen raus und lässt die Schulen alleine, weil sie ihnen die Umsetzung überlässt. Es geht da planlos durch die Bildungs-Galaxis. Es ist die Frage, inwieweit geteilter Unterricht leistbar und umsetzbar ist. Es wäre von Vorteil, wenn es kleinere Lerngruppen gäbe. Dann hätte man nicht die Lüftungsproblematik, dass Kinder mit Jacken sitzen und frieren müssen. Aber das geht nur, wenn das “go” von der Regierung käme und die personelle Situation das zulassen würde. Auch wenn die Schulträger für Luftfilter die Entscheidungen träfen, ist es nicht damit getan, weil dann ja Lieferungen dieses Jahr noch ankommen müssen. Da hätte man viel, viel früher darüber diskutieren und das abhandeln sollen. Man hat dann keinen direkten Effekt.”

Delia Sprenger, Mitglied im Vorstand der Schulpflegschaft der Gesamtschule:
„Das ist über das Knie gebrochen. Im Sommer hieß es immer, dass Schüler und Kinder keine Infektionsherde sind, aber jetzt sollen sie zur Sicherheit nach Hause – um sich dann, wenn die Eltern arbeiten müssen, trotzdem mit Freunden zu treffen. Bis zu einem gewissen Alter kann man das steuern, aber an weiterführenden Schulen hast du nicht mehr so den Einfluss. Wir wünschen uns alle Normalität, aber die Schulschließung am 21.12 ist Kokolores und am Thema vorbei. Da grätscht man den Lehrern auch ins Zeitmanagement. Das, was mich unfassbar ärgert, ist, dass die Lehrer und Schulen versuchen, alles    aufzufangen, und dann immer wieder absaufen. Solingen fanden wir mutig. Viele haben ja Lehrermangel auch wegen dem Aspekt Risikogruppe. Und wenn die Kinder nicht mehr zur Schule kommen, weil keine Busse mehr fahren, und dann wird sowas ausgebremst, ist das eine Vollkatastrofe. Seit den Sommerferien haben alle Kinder eine eigene Schul-Email, Noolde und so weiter. Die Schule hat sich in großen Schritten nach vorne bewegt. Aber Klassenteilung wäre nur sinnvoll, wenn so wirklich Unterricht stattfinden kann. Da sind wir noch nicht. Luftaustauscher wären eine sinnvolle Idee. In Neukirchen-Vluyn schafft man sie an. Das kann sich natürlich nicht jede Stadt leisten. Aber die ziehen alle möglichen Keime aus der Luft. Da sehen wir einen Mehrwert auch für die Zeit nach der Pandemie.

Andrea Foitzik, Schulpflegschaftsvorsitzende am KvGG:
„Ich denke, die Eltern am KvGG sehen das mit den zwei Tagen ambivalent. Auf der einen Seite haben sie das Interesse, dass bei dem vielen ausgefallenen Unterricht lange Präsenz stattfindet. Da sind die Eltern am KvGG eher dafür, noch zwei Tage länger Unterricht zu haben – auch wenn man sieht, dass es für untere Klassen Betreuungsprobleme gibt, wenn Schüler zuhause bleiben. Und die Abiturienten, die vorher Quartalsende haben – die müssen Klausuren durchkriegen und mündliche Noten bekommen. Alle Familien haben ein Interesse, Weihnachten möglichst infektionsunbelastet zu haben. Aber es ist  im Moment zu früh, sich über das Infektionsgeschehen an Weihnachten Gedanken zu machen. Das ist frühestens in zwei Wochen möglich. Gerade gehen die Zahlen runter, so dass ich hoffe, dass Schulen möglichst lange offen bleiben. Wir haben am KvGG Programme wie „noodle“ und Internetplattformen, aber die Schüler profitieren schon vom Präsenzunterricht. Eine klare, stringente Linie seitens der Politik ist immer gut, aber wir sind gerade in einer Pandemie, die wir noch nicht gehabt haben. Da gibt es so viele Faktoren, die zu beachten sind. Man muss frühzeitig reagieren, aber auch den Trend abwarten und Ruhe bewahren. Abstand halten halte ich für sinnvoll, Masken tragen auch. Hybrid-Unterricht ist auch möglich, das ist aber mit den Lehrerkapazitäten und den Digitalmöglichkeiten vorsichtig zu beurteilen, auch inwieweit die Schüler sich hinsetzen und das dann machen. Ich sehe das an meinem Kind, das noch in der Schule ist, da lässt digital die Motivation schon nach. Wenn alle Stricke reißen, ist das eine Option. Die Schulen sind auf einen möglichen zweiten Lock-down besser vorbereitet als im Frühjahr. Die Schulen versuchen da, das Bestmögliche aus der Situation rauszuholen.“

Die Gespräche führte Alexander Florié-Albrecht.