Pichler will zweite Amtszeit

Am 13. September 2015 gelang Dr. Dominik Pichler die Überraschung: Er wurde zum Bürgermeister der Stadt Kevelaer gewählt – und damit nach Kriegsende der erste Bürgermeister der Wallfahrtsstadt ohne CDU-Parteibuch. Zur Mitte seiner Amtszeit sprach das Kevelaerer Blatt mit ihm über Erreichtes und offene Ziele.

Herr Pichler, haben Sie bislang erreicht, was Sie sich bei Ihrer Wahl vorgenommen haben?
Dominik Pichler: Ich hatte mir vorgenommen, einiges für Kevelaer in Gang zu setzen, etwas zu bewegen. Ich denke, das ist gelungen. Exemplarisch ist dafür vielleicht das Mehrzweckbecken, das in meiner ersten Ratssitzung auf den Weg gebracht worden ist und bei dem jetzt die Bauarbeiten voranschreiten. Insgesamt lief es besser als gedacht, weil die CDU keine Verhinderungspolitik betreibt, sondern konstruktiv mitmacht. Die CDU macht natürlich nicht alles mit, was ich will – die SPD übrigens auch nicht.

Was haben Sie als SPD-Bürgermeister für die sozial Schwächeren umsetzen können?
Pichler: Wir machen nicht die Sozialgesetze und haben als Kommune begrenzte Möglichkeiten. Wir versuchen, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, aber sobald es um konkrete Flächen geht, wie am Beethovenring, heißt es: Bitte nicht vor unserer Haustür. In Winnekendonk plant die GWS ein drittes Gebäude und auf der Hüls ist auf den städtischen Flächen auch bezahlbarer Wohnraum vorgesehen. Da hakt es aber noch immer bei der Entwässerung.
Darüber hinaus haben wir die Sozialraumstudie in Kevelaer und den Ortschaften durchgeführt. Die Daten liegen vor und wir müssen jetzt sehen, welche Maßnahmen wir hieraus entwickeln.

An welchen Vorhaben sind Sie bislang gescheitert?
Pichler: Es ist mir nicht gelungen, die Kindergartenbeiträge zu senken, auch nicht für Geschwisterkinder.

Was haben Sie in der Verwaltung verändert?
Pichler: Im Bereich Personal sind manche Entscheidungen leicht, andere schwer. Schwer war die Entscheidung zur Hausmeisterstelle an der Hubertusschule – das ist ja auch „meine“ Schule. Das musste aber gemacht werden. Insgesamt ist die Zusammenarbeit mit den Fachbereichsleitern, insbesondere mit Marc Buchholz, aber auch mit dem Personalrat und der Gleichstellungsbeauftragten vertrauensvoll. Soweit ich das einschätzen kann, ist auch das Arbeitsklima und die Zusammenarbeit mit den Mitarbeitern gut.

Verwaltungschef und Repräsentant der Stadt – ist diese Doppelfunktion eigentlich zeitlich zu schaffen?
Pichler: Bei einer Kommune von der Größe Kevelaers ist der Job des Stadtdirektors in 40 Stunden pro Woche zu schaffen. Da kommen dann allerdings die repräsentativen Aufgaben noch dazu, oft abends oder am Wochenende. Mit 40 Stunden komme ich allenfalls in den Ferien zurecht.

Hat sich Ihre Familie daran gewöhnt?
Pichler: Die Kinder sind da sehr anpassungsfähig. Meine Frau hat meiner Kandidatur zugestimmt und steht auch weiter hinter mir, ist aber nicht immer glücklich darüber, dass ich so selten zu Hause bin. Aber wir sind seit 1995 zusammen – das hilft. Und wenn ich gut plane, gelingt es auch, Freiräume für die Familie zu schaffen.

Fehlt Ihnen der erste Stellvertreter?
Pichler: Ich gehe davon aus, dass die CDU niemanden mehr nominieren wird und wir bis 2020 nur die beiden Stellvertreter haben werden, die wir haben. Aus meiner Verantwortung als Vorsitzender des Rates habe ich einen Kompromissvorschlag probiert – der ist von der Ratsmehrheit nicht akzeptiert und daher nicht zur Abstimmung gebracht worden. Ich wäre über eine Lösung froh, aber die Situation ist festgefahren.

Sie haben viele große Projekte auf den Weg gebracht. Was machen Sie, wenn die sich als Flops herausstellen?
Pichler: Das Risiko gibt es bei allen politischen Entscheidungen. Wird das Mehrzweckbecken ein Millionengrab? Wird der Solepark von Kevelaerern – das ist mir besonders wichtig – und Auswärtigen angenommen? Wird die Gestaltung der Innenstadt mehrheitlich positiv aufgenommen? Wie die Antworten auf diese Fragen lauten, wissen wir in fünf bis zehn Jahren. Man darf nicht aus Angst vor einer Entscheidung nicht entscheiden. Ich vertrete das, was nach meinen eigenen Überzeugungen richtig ist. Dabei darf man nicht nur ans Scheitern denken. Was wäre, wenn sich für das MVZ auf der Hüls keine Ärzte finden? Dann haben wir statt Gesundheitszentrum nur ein Hotel und wir kriegen auf die Birne. Aber wenn wir den Krankenhausstandort stützen und die Ärztesituation stärken wollen, dann kann die Entscheidung nur sein: Wir müssen es versuchen.

Man könnte die vielen Projekte auch negativ formulieren und sagen: Sie haben die Verschuldung der Stadt erhöht wie kaum ein anderer.
Pichler: Die jüngsten Haushalte waren alle besser als ursprünglich geplant, ein knapp ausgeglichener Haushalt ist in Aussicht. Das ist natürlich auch externen Faktoren wie der Gewerbesteuer geschuldet, aber wir haben auch selbst gespart und gehen mit dem Personal nicht verschwenderisch um. Wann also sollte man investieren, wenn nicht in dieser Zeit? Irgendwann haben Sie sonst einen Sanierungstau so wie beim Rathaus, und nur die Wahl zwischen Kernsanierung und Abriss. Um die rechtzeitige Sanierung und Modernisierung geht es auch jetzt bei der Neugestaltung der Innenstadt.

Auf der Hüls wird aber nicht saniert. Haben da die Fördergelder zu stark gelockt?
Pichler: Man darf Fördertöpfe nicht anzapfen um des Anzapfens willen. Beim Solepark und dem Mehrzweckbecken hätte ich auch ohne Fördertöpfe „Ja“ gesagt.

Wird Kevelaer infolge der Neugestaltung komplett verändert?
Pichler: Bis in die 70er-Jahre war die Hauptstraße eine Durchgangsstraße und auch über den Kapellenplatz ging der Verkehr. Wandel hat es immer gegeben. Ich denke aber, am Kapellenplatz sollte sich – bis auf die Barrierefreiheit – nicht allzu viel ändern. Am Peter-Plümpe-Platz haben wir unten Stein und oben Blech – da gibt es sicherlich bessere Ideen.

Haben Sie eine Gesamtvision davon, wohin es mit Kevelaer in 20 bis 30 Jahren gehen soll?
Pichler: Ich hätte gerne etwas Verkehr aus der Stadt raus, dazu ist die OW1 wichtig. Da ist endlich einiges in Bewegung, so weit sind wir noch nie gewesen. Wenn wir weniger Verkehr hätten – viel fließt auch durch die Stadt zum Irrland – gäbe es mehr Möglichkeiten. Es gibt auch Überlegungen zum Roermonder Platz und dem Kaufcenter, die wir in einer der nächsten Sitzungen des Stadtentwicklungsausschusses vorstellen werden – aber da muss der Eigentümer mitziehen und der hat ein abgeschriebenes Gebäude. Stadtplanerisch wäre es eine reizvolle Aufgabe, das Konzert- und Bühnenhaus wieder in die erste Reihe zu rücken. Wir denken also durchaus in diese Richtung, um vorbereitet zu sein, wenn die Situation kommt. Wir überlegen natürlich auch, was wir für Rewe tun können, wenn Edeka jetzt auf den Antwerpener Platz kommt. Intern gibt es schon Überlegungen zu möglichen Standorten.
Ich hätte gerne in 20, 30 Jahren auch weiter viele Pilger in der Stadt. Dafür machen wir ja die Innenstadterneuerung und haben uns „Wallfahrtsstadt Kevelaer“ genannt. Auch beim Konzept „Wallfahrt 2050“ geht es nicht um Steine, sondern um Ideen.
Mit der Hüls wollen wir auch neue Gruppen nach Kevelaer holen, aber auch eine von Kevelaerern akzeptierte Grünfläche schaffen. Heute geht man für den Spaziergang auf den Kreuzweg oder in den Grüngürtel. Die Hüls soll Naherholung bieten, Volksparkcharakter haben. Man soll dort lesen können, ein Familienpicknick veranstalten. Die älteren Jugendlichen wollen wir nicht vertreiben, sie sollen dort weiterhin ein Bier trinken und Musik hören können. Wenn auch abends viele Menschen im Park sind, verringert das die Gefahr von Vandalismus.

Aber bringt der Solepark wirklich touristisch etwas?
Pichler: Ein architektonisch derart spektakuläres Kleingradierwerk gibt es meiner Meinung nach in Deutschland nirgendwo sonst. Derzeit leben wir von Tagestouristen, die Übernachtungszahlen sinken. Viele Menschen fahren ins Irrland, aber nicht nach Kevelaer. Unser Ziel muss es sein, dass sie hierbleiben, weil man hier noch mehr erleben kann. Kevelaer muss die „Perle am Niederrhein“ sein, die man für ein Wochenende besucht. Man muss von hier aus den Niederrhein erkunden – dann haben wir viel erreicht.

Dominik Pichler stand dem KB Rede und Antwort.

Zurück zur Vision: Wie wollen Sie mit der demografischen Entwicklung umgehen?
Pichler: Kevelaer ist heute für junge Familien und auch für ältere Menschen attraktiv. Um jung zu bleiben, brauchen wir aber nicht nur Baugebiete, sondern Infrastruktur, insbesondere Schulen. Da haben wir immer schon viel investiert und sind uns seit Jahren im Rat über alle Fraktionen hinweg einig. Wir müssen attraktiv sein für Familien, damit Fachkräfte für Kevelaerer Firmen, Ärzte und Lehrer aufs Land ziehen und hier bleiben. Wir müssen Arbeitsplätze für deren Partner bieten und gut ausgestattete Schulen und Kindergartenplätze für ihre Kinder. Wir dürfen nicht nur ein Symptom erfassen wie den Ärztemangel, sondern müssen ganzheitlich denken: Wenn wir zu wenige Ärzte haben, müssen wir das Umfeld attraktiver machen.

Bei so vielen städtebaulichen und stadtplanerischen Aufgaben: Wieso lehnen Sie einen Technischen Beigeordneten ab?
Pichler: Die Chance, dass wir den gewünschten visionären Vordenker kriegen für das, was wir bezahlen können – und das ist als Kommune festgelegt – ist nicht sehr gut. Wir haben im Übrigen sehr gute Leute in diesem Bereich und jetzt auch einen Gestaltungsbeirat. Für die Innenstadterneuerung käme ein Beigeordneter eh zu spät, denn jetzt geht es weniger darum Ideen zu entwickeln, als sie umzusetzen. Wir brauchen insgesamt nicht mehr Häuptlinge, sondern mehr Indianer.

Dazu passt, dass Sie die Bürgerbeteiligung intensiviert haben – allerdings mit mäßiger Resonanz.
Pichler: Die Beteiligung klappt nicht wie vorgestellt, das ist ärgerlich. Ich glaube, wir sehen am Integrierten Handlungskonzept, wie schnell der Bürger frustriert ist: Beim Mechelner Platz und der Hauptstraße hatten viele das Gefühl, dass ihre Anregungen nicht aufgegriffen wurden. Das war so nicht gemeint, kam aber so rüber, weil es schon Entwürfe gab. Beim Kapellenplatz sind wir dann anders vorgegangen und wollten in einem Workshop ohne Vorentwurfsplanung erst mal Ideen hören – und hatten eine katastrophale Beteiligung. Vielleicht war das eine Folge der Frustration von Mechelner Platz und Hauptstraße und wir müssen erst wieder Vertrauen zurückgewinnen.

Nicht immer haben Sie mit Ihrer Partei, der SPD, auf einer Linie gestanden. Haben Sie deren Vertrauen noch?
Pichler: Ich bin Bürgermeister mit SPD-Parteibuch, es gibt aber eine Emanzipation der SPD vom Bürgermeister und umgekehrt. Die SPD folgt mir bei vielen Vorlagen.Das machen auch andere Fraktionen, wenn die Vorlagen mehrheitsfähig sind. Es gibt Einzelfälle, bei denen die SPD und ich unterschiedlich gestimmt haben, aber da sind wir im Gespräch. Das ist auch gut so, denn wer nur von Ja-Sagern umgeben ist, trifft oft keine guten Entscheidungen. Ich bin keine Marionette der SPD, ich will Bürgermeister aller Bürger sein, damit bin ich angetreten.

Werden Sie für eine zweite Amtszeit antreten?
Pichler: Ich werde mich darüber noch mit meiner Frau unterhalten, aber Stand heute ist, dass ich mich 2020 wieder zur Wahl stelle und aus dem Amt heraus antrete, weil ich die begonnenen Projekte gern zu Ende bringen möchte und noch Ideen habe. Dann entscheiden die Bürger, ob sie mich noch einmal unterstützen – oder auch nicht.