Patienten haben die Wahl

Nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes dürfen ausländische Versand-Apotheken Preisnachlässe und Boni für verschreibungspflichtige Arzneimittel gewähren und diese vertreiben. Wie sieht es mit der Zukunft der Apotheken vor Ort aus? Das KB hat sich umgehört.
In der Winnekendonker Urbanus-Apotheke herrscht entspannte Stimmung. Apothekerin Petra Schnatz spricht an dem Thekentisch mit ihrer Kundin Susanne Keitel und gibt ihr dann das Medikament, das sie benötigt. „Die meisten Kunden haben das nicht verfolgt“, versichert Schnatz. „Hier sind Leute, die den persönlichen Kontakt suchen. Die denken über sowas nicht nach.“ Die Kunden bestätigen diesen Eindruck: „Ich bin lieber in der Apotheke. Wenn ich Fragen habe, werden die hier schnell und kompetent beantwortet“, zeigt sich ein junger Mann skeptisch gegenüber dem Internet-Versandhandel. Susanne Keitel (51) hält auch nicht viel davon: „Es ist einfacher, ich komm direkt hierhin, hol mir die Sachen ab und hab noch Unterhaltung dabei.“
Auch in der Stern-Apotheke von Monika Schwarz an der Busmannstraße sieht man das Ganze noch relativ gelassen. „Ich halte mich da noch etwas bedeckt. Man muss sehen, wie der deutsche Gesetzgeber jetzt reagieren wird“, meint die seit 1983 approbierte Apothekerin, die seit gut 25 Jahren selbstständig ist. „Uns sind ja eh die Hände gebunden, weil das für den deutschen Markt nicht gilt.“ Es werde sich zeigen, wie viele auf diesen Zug aufspringen. Das Szenario, das vorausgesagt würde, wäre jedenfalls verheerend. Ein Rechtsanwalt hätte vorausgesagt, dass 50 Prozent der verschreibungspflichtigen Medikamente dann an den ausländischen Versandhandel gehen könnten.
Auf eventuelle Stürme scheint Schwarz aber eingestellt. „Ich hab angefangen mit der ersten Gesundheitsreform, da war mir klar, dass es so ausgehen würde.“ Zumal es auf die Kundenreaktion ankomme und darauf, was die Krankenkassen dazu sagen. „Auf ACTA, die Apothekerkammer und den -verband können Sie nicht allzusehr bauen.“
Der Vorsitzende des Apothekerverbandes Duisburg/Niederrhein, Peter Vogt, sieht langfristige Folgen, die das Urteil für die Apotheken und den Arzneimittelmarkt hat: „Natürlich wird das dann Rosinenpickerei und stellt das System in Frage.“ Er sieht die Gefahr, dass Arbeitsplätze verloren gehen und Apotheken schließen werden: „Es gibt Apotheken, denen geht es gut, in Kevelaer gibt es ein paar, aber gerade im ländlichen Raum wird es eng.“ Wenn man wirklich eine Zukunft wolle, wo es „Beratung am Telefon und keinen Apotheker vor Ort gibt, dann muss man den Weg gehen.“ Das Urteil bedeute nicht nur, dass der Patient sagen kann: „Hurra, der Preis ist frei und billiger. Letztendlich zahlen wir dafür alle“, so Vogts Überzeugung.
„Von selbstgemachten Säften und Zäpfchen können wir nicht leben, und wenn wir nicht die gleichen Chancen wie die Wettbewerber im Internet haben, ist es eng“, prognostiziert der Homberger Apotheker. Diese Chancengleichheit sehe er aber so nicht.
Den Beruf des Apothekers könne man nicht mit anderen Berufen vergleichen. „Das ist ein Gesundheitsberuf, den man nicht nur für Luft und Liebe machen kann. Das Urteil sehe das aber nur unter der wirtschaftlichen Wettbewerbssituation.“ Der deutsche Gesetzgeber habe klar geregelt, dass man zum Beispiel Betäubungsmittel wie Morphium oder verschreibungspflichtige Medikamente als „erklärungsbedürftige Güter nicht vertreiben darf wie ein paar Schuhe“, so Vogt.
Als Problem sieht Vogt, dass das Gericht in Luxemburg den ausländischen Versandapotheken eine Preisveränderung erlaubt. Deutsche Apotheken dürften das aber nicht, „Die deutschen Apotheken dürften aber nicht schlechter gestellt werden als die europäischen. Dann dürfen auch die stationären nicht schlechter gestellt werden als europäische.“ Sollte da mal jemand gegen klagen, „dann haben wir ein Problem und einen Rieseneinfluss auf die stationäre Apotheke. Wenn die Politik da nicht gesetzgeberisch eingreift, haben wir ein großes Apothekensterben.“ Dann gebe es nur noch ein paar große Versandapotheken. Kritik übt er zudem an den freien Versand verschreibungspflichtiger Medikamente. Die seien ein besonderes Gut „und keine Packung Milch aus dem Supermarkt. Da ist es nicht gut, wenn es über den Preis geht.“ Der Gesetzgeber müsse tätig werden. „Der muss das so hinkriegen, dass die Versandapotheke anders vergütet wird als die Apotheke vor Ort“, ist sein Vorschlag. Denn aus seiner Sicht „kann es nicht im Sinne Deutschlands sein, dass wir alle Apotheken in Deutschland so in Bedrängnis bringen, dass die alle zumachen.“ Ein schlechtes Schuhgeschäft müsse auch zumachen, aber ein Gutes auch überleben können. „Und das gilt auch für eine gute Apotheke mit gutem Service und Dienstleistungen.“
Die Kevelaerer Ärzteschaft reagierte auf das Urteil eher zurückhaltend. Einigermaßen deutlich ist aber die Haltung des Wettener Allgemeinmediziners Dr. Johannes Hoffmann. Er lässt durchblicken, dass sich in der Entscheidung eine europaweite Entwicklung abzeichnet, die man wohl nicht aufhalten kann.
Aus der Frage, welche Apotheken seine Patienten nun aufsuchen oder nutzen sollten, halte er sich persönlich komplett heraus. „Die Patienten haben die Wahl, da habe ich Respekt vor dem Handeln der Patienten.“ (aflo)