Opfer schildert Überfall

Auf eine Krücke gestützt betrat das 92-jährige Opfer aus Kevelaer in Begleitung der Zeugenbetreuerin Cornelia Zander den Saal 101 des Klever Landgerichts. Aufgrund des Alters der zierlich wirkenden Frau hatte das Gericht am zweiten Prozesstag für ihre Aussage und die ihrer im Rollstuhl sitzenden Nachbarin kurzfristig den Gerichtssaal gewechselt.
“Sitzt die mir gegenüber?”, fragte die 92-Jährige die Betreuerin kaum vernehmbar angesichts der Enge des Gerichtssaales und bezog sich dabei auf die 51-jährige Angeklagte, die sie am 3. Juni vergangenen Jahres überfallen hatte.
Ein paar Minuten später schilderte das Opfer in Anwesenheit der Angeklagten mit fester Stimme dem Gericht unter dem Vorsitz von Jürgen Ruby die Ereignisse des Morgens. “Es klingelte um 7.30 Uhr an der Tür, da hab ich die Tür aufgemacht, ohne zu fragen, wer da ist.” Sie habe gedacht, das wäre die Heike, ihre Putzfrau, sie habe sie aber nicht erkannt.
Erst einen Tag später sei ihr aufgrund der Stimme bewusst geworden, dass es die Angeklagte gewesen sei und das habe sie der Polizei nachträglich geschildert. Beide Frauen seien eben dick und groß und hätten blonde Haare, so dass sie sie erst verwechselt habe. Außerdem habe ihr eine Nachbarin bedeutet, dass die Heike in England sei. “Das ist mir peinlich, da habe ich mich dumm benommen. Ich hab am nächsten Tag gedacht, wo war da mein Verstand. Das ganze Zimmer saß voll mit Polizei. Das gab’s ja noch nie so in Kevelaer.”
Den Beutel über den Kopf gezogen
Die Angeklagte habe um einen Euro gebeten, um telefonieren zu dürfen. Sie habe im Wohnzimmer und im Portmonee danach gesucht, die Angeklagte währenddessen ein Glas Wasser getrunken. Danach habe sie im Schlafzimmer im Schrank die Blechdose herausgeholt, um der Frau aus einem Briefumschlag die fünf Euro zu geben. Vorher sei ihr am Fußende des Bettes ein dunkelblauer Beutel mit Kordel aufgefallen, der dort vorher nicht gewesen sei und ihr nicht gehört habe.
Plötzlich habe sie den Beutel über dem Kopf gehabt. “Ich dachte, das kann die doch nicht machen.” Sie habe die Schnur um den Hals gehabt und laut um Hilfe geschrien. Die Angeklagte habe das Seil dann zugezogen, so dass sie nicht mehr habe um Hilfe rufen können. “Ich stand vor dem Bett und sie hinter mir – immer wenn ich mich bewegte, hat sie zugezogen, bis ich bewusstlos war.” Ob sie gestürzt oder gesackt sei, könne sie nicht sagen.
Sie sei dann kniend vor dem Bett mit der Bettdecke halb über sich aufgewacht. Die Dose mit 330 Euro sei weg gewesen, die Wohnungstür angelehnt. Zuerst habe sie versucht, ihre Tochter zu erreichen, anschließend ihre Nachbarin angerufen. Dann sei die Polizei gekommen.
Sie habe bei dem Überfall am Ohr und am Arm Hautabschürfungen erlitten. Außerdem hatte sie Würgemale am Hals. Der Kiefer sei wohl gebrochen gewesen, weil Wochen später alle Zähne ausgefallen waren.  “Da fallen doch sonst nicht alle Zähne aus?”, meinte sie ihn Richtung des Richters. “Ist mir auch noch nicht passiert”, entgegnete Ruby souverän.
Die Anwältin der Angeklagten versuchte in Frage zu stellen, ob es sich um einen Beutel mit Kordel gehandelt habe. “Ich will Sie nicht angehen, weil Sie eine Sehschwäche haben” – doch die Anwältin erhielt vom Opfer die klare Antwort, dass es so ein Beutel gewesen sei und kein Stoffbeutel mit Henkel, wie von der Angeklagten in den Prozess eingebracht worden war.
Der Nebenklage-Vertreter zog daraufhin selbst den Stoffbeutel mit Henkel über den Kopf, um die Situation plastisch zu machen. Er wies später juristisch auf die mögliche “Heimtücke” in Tateinheit mit einem “hinterlistigem Überfall” hin, weil es sich um eine vertraute Person gehandelt habe.
Die Angeklagte nutzte die Chance, sich persönlich an die Angeklagte zu wenden: “Es tut mir unheimlich leid, was ich getan habe. Ich weiß nicht, was mich da gerittten hat.” Später war zu bemerken, dass sie von der Situation leicht angefasst war.
Aussagen des Opfers “authentisch und glaubwürdig”
Die Nachbarin bestätigte anschließend das, was ihr die 92-Jährige von dem Überfall erzählt hatte. Auch ein zuständiger Polizeibeamter aus Kevelaer, der die Angeklagte an dem Morgen vorgefunden hatte, bestätigte im Wesentlichen die Angaben, die das Opfer gemacht hat. “Sie hat solche Atemnot empfunden, dass sie sich entschieden habe, sich totzustellen”, schilderte er die Ausführungen der Frau nach der Tat.
Es seien ein Nasenkratzer und Würgemale rechtsseitig am Hals zu sehen gewesen, die Fahndung sofort eingeleitet und die Kripo eingeschaltet worden. An dem Tag habe man aber ein  “Tuch” als Tatwerkzeug ins Protokoll aufgenommen, ergänzte ein Kollege der Klever Polizei.
Eine Kripobeamtin schilderte das Opfer und auch deren verspätete Angaben als “authentisch und glaubwürdig.” Die Angeklagte habe bei der Vernehmung erst abgestritten, mit der Tat etwas zu tun gehabt zu haben. Später habe sie eingeräumt, zur Tatzeit dort gewesen zu sein.
Sie wäre in finanzieller Not gewesen, es wäre kaum Geld für die Woche da gewesen und sie hätte ihre Anwesenheit nicht sofort zugestanden, weil sie sonst sofort verdächtigt worden wäre. Sie hättee die Frau aber nicht angefasst – was DNA-Spuren am Nachthemd später widerlegt hätten. Die Beamtin schilderte ihren Eindruck, die Angeklagte hätte “taktiert” – auch was das angebliche Berühren von alten Klamotten des Opfers im Schlafzimmer betraf, um mögliche DNA-Spuren zu rechtfertigen.
Der Prozess wird am 23. März fortgesetzt.