Nach Sturz ignoriert und allein gelassen

Die Enttäuschung steht Heinrich Benna immer noch ins Gesicht geschrieben. „Der erste Zorn ist vorüber“, versichert der 59-Jährige. Dennoch: Denkt Heinrich Benna an die Ereignisse, die ihm vor wenigen Wochen widerfahren sind, überkommt ihn sofort eine enttäuschende Traurigkeit.
Ja, natürlich habe auch er von zunehmender fehlender Hilfeleistung gelesen und gehört, „aber dass so etwas hier auf dem Dorf, hier in Twisteden, passiert“, das kann der Mann, der zeitweise auf den Rollstuhl angewiesen ist und war, immer noch nicht so recht glauben.
Was war geschehen?
Der gebürtige Düsseldorfer Heinrich Benna hatte im Frühjahr 2018 einen schweren Unfall. Diagnose: Fersenbein gebrochen, Trümmerbruch am Sprunggelenk, zwei Nerven gerissen. Ein langwieriger Heilungsprozess erwartete den gelernten Bäcker und Koch. Zum Glück konnte er etwa acht Monate zuvor eine kleine Wohnung an der Dorfstraße beziehen. „Zwar im ersten Stock, dafür aber näher am Geschehen“, berichtet Benna, der sich schnell mit der neuen Situation abfand und sich selber zu helfen weiß.
Denn bis dahin wohnte er außerhalb Twistedens, nahe der niederländischen Grenze. „Dort waren die Wege etwas weiter.“ Sein Heilungsprozess gestaltete sich bis dahin allerdings schwierig. Am 20. Juni dieses Jahres erfolgte eine weitere Operation in einer Spezialklink in Meerbusch. Ein Knochenimplantat wurde mit Erfolg eingesetzt. „Allerdings wurde mir eine Heildauer von ungefähr einem Jahr prognostiziert“, sagt der kräftige Mann.
Hoffnung auf schnelle Hilfe
Ab diesem Zeitpunkt hieß es dann: den vollvergipsten Fuß hochlegen und Fortbewegung im Rollstuhl. Anfang August stand ein Kontrolltermin im Krankenhaus in Meerbusch an. „Der Termin sollte nur wenige Stunden dauern“, erklärt Benna, der an jenem Morgen seinen örtlichen Nahversorger bat, ihm einige Lebensmittel zu bringen. Von hier aus setzte er seinen Weg im Rollstuhl fort, um zur Bank zu gelangen. Schon das gestaltete sich als schwierig.
„Nun sind die Gehwege im Ort für Rollator- und Rollstuhlfahrer nicht optimal und keinesfalls altersgerecht angelegt“, weiß Benna aus eigener Erfahrung. In Höhe des Dorfplatzes passierte es dann: Um von der Straße auf den Gehweg zu gelangen, verhinderte eine Unebenheit einen nahtlosen Übergang. Heinrich Benna konnte seinen Rollstuhl nicht mehr halten. Er kippte ungehindert nach hinten. Unsanft schlug er mit Kopf und Rücken auf den Asphalt der Straße.
Aus den Augenwinkeln hinaus vernahm er eine Frau, die auf der gegenüberliegenden Straßenseite lief. Von ihr erhoffte er sich dringend benötigte Hilfe.
„Hilfe, bitte helfen Sie mir“, rief er ihr zu. Was Benna in diesem Moment wahrnahm, war ein kurzer Blick der Frau, ein irritiertes Wegschauen und ein eiliges Weiterlaufen. Da es noch früher Morgen in der Ferienzeit war, befand sich sonst weit und breit keine Menschenseele. Aus eigener Kraft richtete Benna den Rollstuhl auf, hob sich irgendwie hinein und rollte zu seiner nahegelegenen Wohnung. Hier kroch er auf allen vieren die Treppe hoch.
Ein enttäuschendes Erlebnis
Im geschockten Zustand und mit Taubheitsgefühl in den Armen ruft er im Meerbuscher Krankenhaus an und erklärt die Situation. Auf Empfehlung seines hier zuständigen Arztes verständigt er die 112. „Ein Lob an den Rettungsdienst. Kaum hatte ich angerufen, waren sie schon in meiner Wohnung“, berichtet Benna.
Da man innere Verletzungen vermutete, ihn nicht den schmalen Treppenaufgang hinuntertragen konnt, wurde die Feuerwehr zum Transport eines Verletzten gerufen. Auch die war innerhalb weniger Minuten vor Ort. Im Krankenhaus angekommen, ergaben Untersuchungen keine neuen Verletzungen. „Ich habe Glück im Unglück gehabt“, sagt er.
Dennoch bleibt ihm ein bitterer Beigeschmack. „Dass in dem Moment, als ich gefallen bin, nicht mehr Menschen unterwegs waren, das ist Pech. Dass aber eine Person, die in der Nähe war, ihre Hilfe verweigert oder Hilfe herbeizuholen, das finde ich unglaublich und enttäuschend“, sagt Heinrich Benna mit einem traurigen Blick auf die Dorfstraße.
„Es kommt auch auf die Hilfe eines Einzelnen an“, fügt er hinzu. Gesundheitlich geht es für Heinrich Benna bergauf. Der Vollgips ist abgenommen und mittlerweile kann er sich ohne Gehhilfen fortbewegen. „Es kann jetzt nur noch besser werden“, hofft er mit einem kleinen Lächeln.