Kreis Kleve schweigt zu Ressourcen

Bundesweit wird sie kommuniziert, die Zahl der vorhandenen und die Zahl der belegten Intensivbetten in Deutschlands Kliniken. Denn in der Covid-19-Pandemie ist diese Zahl der Schlüssel dazu, ob weniger als ein Prozent der Erkrankten oder – wie zum Beispiel in Italien – rund sieben Prozent sterben. Gibt es keine Behandlungsplätze mehr, sterben nicht nur zusätzliche schwer erkrankte Covid-19-Patienten, sondern auch Herzinfarktpatienten oder Verkehrsunfallopfer können nicht mehr behandelt werden. Weil dieses Szenario auch für Deutschland nicht ausgeschlossen werden kann, haben Ärzteverbände auch bei uns gemeinsam Triage-Regeln entwickelt, die festlegen, welche Patienten im Zweifel sich selbst überlassen werden, wenn die Ressourcen in den Kliniken nicht mehr ausreichen. Wie nah dran an einem solchen Extrem ist die Versorgungssituation im Kreis Kleve?

Darauf verweigern sowohl der Kreis Kleve als zuständiges Gesundheitsamt als auch das Karl-Leisner-Klinikum, das auch das Marienhospital in Kleve betreibt, eine Antwort. Stattdessen heißt es dazu in einer Pressemitteilung: „Der Kreis Kleve teilt [zur Bettensituation] keine statistischen Zahlen mit. Alle Krankenhäuser im Kreisgebiet und der Kreis Kleve betonen, dass sie die Veröffentlichung dieser Zahlen für sinnlos halten, da sie für die Bürgerinnen und Bürger keinerlei Erkenntniswert haben.“

Grenze rechnerisch erreicht

Wer also wissen möchte, ob die Intensivbetten fast alle belegt oder noch große Reserven vorhanden sind, muss zu anderen Datenquellen und dem Taschenrechner greifen. So teilt die Deutsche Krankenhausgesellschaft mit, dass unter normalen Umständen – ohne Pandemie – die Auslastung der Intensivstationen kleinerer Krankenhäuser bei etwa 80 Prozent liegen. Das Statistische Landesamt IT.NRW berichtet, dass im Kreis Kleve Ende 2017 63 Intensivbetten im Kreis Kleve existiert haben. Demnach wären durchschnittlich 13 Betten frei.

Am Dienstag meldete der Kreis Kleve 317 bestätigte Covid-19-Infektionen. Das Robert-Koch-Institut berichtet, dass bundesweit 14 Prozent der Infizierten hospitalisiert werden. Das entspräche am Dienstag im Kreis Kleve 44 Personen. Aus einem internen Expertenpapier des Bundesinnenministeriums, das einigen Medien vorliegt, geht hervor, dass bis zu 30 Prozent der hospitalisierten Patienten eine Intensivbehandlung benötigen, 20 Prozent ein Beatmungsgerät (zu deren Anzahl sich das Klinikum ebenfalls ausschweigt). Nach dieser auf Durchschnittswerten beruhenden Berechnung benötigen derzeit 13 Covid-19-Patienten ein Intensivbett – exakt so viele, wie nach den Zahlen von 2017 frei sein sollten.

Sind wir also im Kreis Kleve an der Schwelle zur Triage? Die Antwort enthalten diejenigen, die es wissen, der Bevölkerung vor. Noch dürfte es wohl Reserven geben, denn einige Faktoren konnten bei der Berechnung nicht berücksichtigt werden: Viele Kliniken haben die Zahl ihrer Intensivbetten seit 2017 erhöht. Im Kreis Kleve auch? Und in welcher Höhe? Außerdem werden derzeit keine elektiven Behandlungen ausgeführt, wie das Karl-Leisner-Klinikum mitteilt – aber welchen Anteil haben die an der regulären Belegung der Intensivbetten? Nicht zuletzt erscheint der Anteil derer, die laut Expertenpapier eine Intensivbehandlung benötigen, eher ein Worst-Case-Szenario zu beschreiben, kann also derzeit in Deutschland durchaus niedriger sein.

Ausweichende Antworten

Doch die Auskunftsverweigerung des Kreises Kleve hat System. Sollten demnächst die Kontaktrestriktionen gelockert werden, hängt alles davon ab, dass die Gesundheitsbehörden schnell genug alle Verdachtsfälle testen und deren Kontaktpersonen identifizieren können, damit diese bis zum Testergebnis in Quarantäne verbleiben. Nur so kann ein erneutes exponentielles Wachstum der Infektionszahlen verhindert werden, ohne die Kontaktsperre bis zur Verfügbarkeit eines Impfstoffes – und damit noch viele Monate – aufrechtzuerhalten. Bis zu welcher Zahl täglicher neuer Verdachtsfälle der Kreis Kleve dies aktuell gewährleisten könne, haben wir beim Kreis angefragt. Die Antwort weicht wieder aus: „Der Kreis Kleve setzt bei entsprechendem Bedarf alle verfügbaren Ressourcen für die Kontaktermittlung ein.“

Entweder ist der Kreis Kleve demnach mit den Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie restlos überfordert – denn genau jetzt müssten die Kontaktermittlungsressourcen unter Hochdruck aufgestockt werden –, oder die Zahlen zu Betten und Kontaktermittlungsressourcen sind so schlecht, dass man Sorge hat, die Bürger damit zu verunsichern.

Derzeit kommen wenige Neuinfektionen hinzu und die Situation der Intensivbetten dürfte sich entspannen. Versagen die Behörden beim Testen und Nachverfolgen, könnte sich die Entwicklung schnell wieder umkehren.