KB-Leser Bodo Behlau aus Stolberg hat uns Aufsätze mit Kindheitserinnerungen aus Twisteden zugesandt
Kindheitserinnerungen: „St. Quirinus Twisteden“
Eigentlich war mein Besuch in Twisteden ein trauriger: Theo, mein großes Vorbild aus meiner Kinderzeit, war verstorben. Matt, auch „Klömpkes-Matt“ liebevoll genannt, begrüßte mich vor dem Seiteneingang von St. Quirinus. Die Kühle im Inneren der Kirche tat gut. Ich setzte mich rechts in die Bank, wo seit Menschengedenken die Männer saßen. Alles hatte Tradition in Twisteden. Ordnung muss sein, auch in der Kirche. Ich setzte mich also zu den Männern. Hinter mir hörte ich leise, als einer sagte: „Da ist Bodo.“ Ich war angekommen in meiner Heimat. So, wie ich sie in guter Erinnerung habe. Die Gläubigen hatten, wie es immer war, ihre Plätze eingenommen. Vorne rechts in den kleinen Bänken saßen die Schulkinder, in der ersten Bank die kleinen Jungen, dann folgten die weiteren Jahrgänge bis zum 8 Schuljahr. Das waren schon richtige junge Männer mit langen Hosen, nicht wie ich mit der kurzen Hose und den kratzenden braunen Kniestrümpfen. Die linke Seite war die Seite, die den Frauen vorbehalten war. Vorne entsprechend der Schuljahrgänge die Mädchen. In der ersten Reihe wurde leise gekichert. Einige der Mädchen hatten ihre weißen Kommunionkleider angezogen, die sie bei Prozessionen wie Engelchen trugen.
Hinter den Schulmädchen saßen dann die jungen und älteren Frauen. Die Kirche war schon gut gefüllt, dann erschien die „Grande Dame“ von Twisteden wie immer etwas zu spät. Mit weitausholenden Schritten strebte sie ihrem reservierten Platz zu, sie benötigte, da sie schon vom Alter gezeichet war, zwei Plätze. Der Hut, einem kleinen Karrenrad ähnlich, verbarg bis auf einige kleine Stellen das weiße, in die Jahre gekommene Haar. Um den mageren faltigen Hals trug sie einen Rotfuchs, der mit spitzer langer Schnauze und starren Augen listig die versammelte Gläubigermannschaft im Blick hatte. Noch stehend blickten der Rotfuchs und seine Trägerin verstohlen in die Runde, um festzustellen, dass die von ihr erwartete Bewunderung auch gezeigt wurde.
Ein Plätzchen an der Theke
Hinten, unter der Orgel, die von dem gefürchteten einäugigen Dorfschullehrer G. Koenen bespielt wurde, standen die Jungbauern. Sie belagerten alle Ausgangstüren, um nach dem letzten Amen, von August Hegenkötter, dem Pfarrer, die Kirche schnell zu verlassen, um bei Schmiddem/Cox in der Kneipe ein gutes Plätz-chen an der Theke zu ergattern.
Der einäugige Orgelspieler ermahnte noch kurz, bevor er die Tasten und Register traktierte, den großen Schüler seiner 8. Klasse, kräftig den Blasebalg zu treten, damit die Stimme der Orgel bis ins Mark der anwesenden Gläubigen zu spüren sei.
Alles war vorbereitet für das Hochamt, sogar die sonst quietschende Türe der Sakristei hatte wohl Öl bekommen und öffnete sich wie von Geisterhand leise der hohen Stimmung angepasst.
Die Hand des links laufenden Messdieners zog den Griff mit der Hand umspannend an der Kette und ließ die Glocke erklingen. Der helle Klang der Glocke schwebte in Wellen durchs gesamte Kirchenschiff bis zu den Jungbauern hinten unter der Orgel. Der rechts laufende Messdiener – beide Messdiener waren rot und weiß gewandet – trug die Kanne mit dem Weihwasser und dem Klöppel mit innen liegendem Schwamm. Dann erschien – als die wichtigste Person des gesamten Geschehens – Pfarrer August Hegenkötter. Die Last des schweren Brokatumhanges drohte die kleine Person fast noch kleiner erscheinen zu lassen. Der einäugige Organist spielte, was die Pfeifen hergaben. Der zur Höchstleistung ermahnte Schüler trat den Blasebalg, was das Zeug hergab.
Das Trio näherte sich dem Mittelschiff der Kirche und die Gemeinde empfing stehend den Segen, den der Pfarrer zuerst der Männerwelt erteilte. Ein Messdiener hielt den Talar etwas zur Seite, damit der segenspendende Pastor den Klöppel mit dem sich vom Weihwasser vollgesogenen Schwamm das Wasser mit vollem Schwung spritzend über die Männer verteilen konnte.
Da geschah es!
In einer Parabel, in Richtung der Kreuzigungsgruppe, flog ein Teil der gelöcherten bis auf den letzten Gewindegang präparierten und sich nun gelösten Kugel davon. Die männlichen Schüler hatten Glück, der geschossähnliche Gegenstand flog noch über sie hinweg, aber die ergrauten Altbauern hatten das Fürchten gelernt. Der gelöste Teil der Kugel schlug an der Mauer ein und kullerte über den Boden und blieb dann, sich nicht entscheiden könnend, ob sie nun ihre Mission erfüllt hat, liegen.
Einem ergrauten Altbauern flog der sich aus der Kugel gelöste voll Weihwasser gesogene Schwamm mit einem lauten Platsch auf das schwarze Festtagsjacket.
Der Rotfuchs und seine Trägerin verfolgten das ganze Geschehen mit sichtlich listiger Heiterkeit. Das Brokatgewand schien den Pastor zu erdrücken. Der einäugige Spieler hatte von alledem nichts mitbekommen und hämmerte weiter mit Händen und Füßen auf die Tasten und Pedale ein. Helfer eilten herbei, stopften den Schwamm in die Kugel, verschraubten beide Teile nochmals prüfend auf Haltbarkeit, und der Rotfuchs und seine Trägerin sowie die restlichen Damen wurden mit reichlich Weihwasser bedacht. Die kleinen Engelchen in der zweiten oder dritten Reihe tuschelten noch, ob das Weihwasser auch keine Flecken auf dem weißen Kleidchen hinterlassen würde.
Wie dieser Einschlag mit Weihwasser diskutiert wurde, ist unbekannt. Der stets mit großem Respekt behandelte, ob seiner großen Taten bekannte Pfarrer August Hegenkötter wird später darüber gelächelt haben und den Tätern, auch mir, die wir heute noch reuig sind, verziehen haben. Der gekreuzigte Jesus der Station, der den Einschlag unter sich erlebt hatte, wird die aufrichtige Reue der Täter erkannt haben und Absolution erteilt haben.