Aufsätze mit Kindheitserinnerungen aus Twisteden von KB-Leser Bodo Behlau
Kindheitserinnerungen: “Namenstagsfeier”
Ach, was war es ein Erlebnis, wenn Tante Roos Namenstag hatte. Dann kamen abends Nachbarn mit den absurdesten Geschenken, auch Quoij als Jagdpächter mit seinem grauen Opel Olympia, um Rosalinde – wie Tante Roos mit amtlichem Vornamen hieß – ein Ständchen zu bringen. Ein Ständchen, auch zwei wären ja angebracht gewesen, es waren jedoch ungezählte Variationen, die bis nach Mitternacht vorgetragen wurden.
Zuerst mit sonoren, getragenen Männerstimmen, natürlich mehrstimmig, das Lobeslied für das Namenstagskind, „Sah ein Knab‘ ein Röslein stehen.“ Brav mit einem freudigen, gütigen Blick, ohne Schürze, mit dem großen Dutt am Hinterkopf, saß Tante Roos und nahm die Ovationen der „Don Kosaken von Twisteden“ entgegen. Nach der Begrüßung und der Übergabe der skurilen Geschenke gab‘s zur weiteren Stärkung, der Abend sollte ja noch lange andauern, Schnaps und belegte Brötchen.
Ich, oben in meinem Zimmer, hatte den Text des Rösleins auf der Heide dank der häufigen Wiederholungen schon gelernt und leise mitgesungen.
Welch wichtige Gespräche wurden wohl zwischen den unzähligen Wiederholungen der Lobeshymne auf Rosalinde geführt worden sein? Vor allem Jägerlatein. Geschichten von Hasen so groß wie Rehe, wo mit einem Schuss gleich zusätzlich fünf Fasane mit umfielen. Der mehrstimmige Chor lief zwischenzeitlich zur Höchstform auf, dann nämlich, wenn es statt mehrstimmig zuvielstimmig wurde, das Röslein war dann plötzlich nicht mehr auf der Heide, sondern im Wald. Die Vorträge wurden eine Herausforderung für alle Beteiligten. Kurz nach Mitternacht wurden die Choräle lauter und unverständlicher. Textsicher war keiner mehr. Schuld an allem war der Klare, der Bees oder sonstige alkoholische Wässerchen, die traditionsgemäß nach jedem Vortrag reichlich gereicht wurden.
Das Festkind wird wohl erste körperliche Auflösungerscheinungen gehabt haben, denn gegen 3 Uhr verließ heimlich, keinem war es mehr aufgefallen, Rosalinde die Runde und tauschte die lila blühende Heide mit einem dicken, weißen Federbett in der Kammer ein.
Die ersten drei nicht mehr ganz jungen Chorknaben waren in sich zusammengesunken, aber sich noch gegenseitig stützend auf dem Canapee eingeschlafen. Einige Solokünstler versuchten es noch einmal mit einer gemeinsamen Darbietung, doch die Gehirn-Impulse erreichten nicht mehr Zunge und Stimmbänder, so dass nur noch ein unverständliches Gebabbel zu hören war.
Einige noch halbwegs wache Chormitglieder saßen zusammen-gesunken auf ihren Stühlen, die Arme links und rechts baumelten wie nicht mehr zum Körper gehörende Teile herab. Mit einem letzten Versuch wackelte ein noch halbwegs seine Beine koordiniert Bewegender zum Tisch, auf dem Reste von Brötchen und ein Rollmops, der vergebens versuchte, in einer kleinen Schnapslache zu schwimmen, lagen. Er ergriff, nach mehreren fehlgeschlagenen Versuchen, ein letztes Mal zielstrebig den aufgerollten Mops und lutschte ihn ab. Von der beschaulichen Heidelandschaft war nur noch ein Schlachtfeld geblieben. Die letzten Gratulanten verließen teilweise gestützt mit plierigen, glasigen Augen die verunstaltete Heidelandschaft. Einer, der sich nicht mehr aus eigener Kraft vorwärts bewegen konnte und gestützt werden musste, drehte noch den Kopf in Richtung der Kammer, in der das Röslein tief und fest schlief, und sabberte einige unverständliche Worte, mit denen er wohl sagen wollte: „Im nächsten Jahr kommen wir wieder.“
Es dämmerte schon leicht, die ersten Frühaufsteher gingen in die Frühmesse zu St. Quirinus.
Bodo Behlau