KB-Leser Bodo Behlau hat uns aus Stolberg Aufsätze mit Kindheitserinnerungen aus Twisteden zugesandt
Kindheitserinnerungen: „Die Angelrute“
Unser Enkel kam vom Angeln mit einer Ausrüstung der modernsten Art. Na, fragte ich, wie war‘s, was hast du gefangen? Nix, nix hab ich gefangen. Das kam mir bekannt vor, wenn ich mich an meine Angelzeit als 11-jähriger Schüler in Kevelaer erinnere.
Oft fuhren wir mit dem Fahrrad zum verkrauteten Baggerloch hinter Schoofs. Unsere Ausrüstung damals 1950 war bescheidener als die unseres Enkels.
Mutters weißer Zwirn
Die Rute wurde aus einem Haselnussstrauch geschnitten. Mutters weißer Zwirn aus der Flickerkiste musste herhalten. Und als sichtbares Zeichen, dass an dem Haken, eine umgebogene Stecknadel, sich ein Fisch an dem Wurm, der als Köder diente, zu schaffen machte, ein Korken. Eine Ausrüstung aus dem Katalog, was die alten Germanen oder Römer im Gallischen Krieg schon kannten, als sie im Rhein fischten. Asterix und Obelix am Baggerloch.
Nach dem Motto, in der armen Zeit waren wir reich an Ideen und heute, in der reichen Zeit, sind wir arm. Arm an Werten sind wir geworden.
Ein Traum von einer Angel
Der Traum war, eine richtige Angel zu besitzen. Keine komplette Angel, so mit Rolle und allem Schnickschnack, eine richtige Angelrute sollte es zumindest sein, eine Rute aus fernen Ländern, schwarzes Pfefferrohr aus Afrika.
Wie es im Märchen so ist: Träume sind so schön, aber sie in die Tatsache umzusetzen, dazu bedurfte es eines guten Planes. Die Erfüllung dieses Traumes lag zur damaligen Zeit weit weg von Kevelaer, ein Geschäft eingangs Geldern, in der Verlängerung der B9. Der Plan beinhaltete das Bereitstellen von Geld und eine günstige Fahrgelegenheit. Die Fahrgelegenheit war, wie bei uns allen damals gegeben, die Fietz. Es war Herbst und die Bauern waren froh, fleißige Hände beim Kartoffelsammeln zu haben, so also erstmal in das Kartoffelfeld. Wie schön war es später, dem über das abgeerntete Kartoffelfeld wabbernden Rauch über das Feld kriechen zu sehen und die aus dem Kartoffelfeuer gerösteten oder auch verbrannten Pippers zu probieren. Dann kam der Bauer in seiner abgewetzten, viel zu großen Hose, die über einem karierten Hemd mit Helpen (Hosenträger) gehalten wurde, und der erste Lohn wurde in Empfang genommen. Eine Mark und fünfzig Pfennige. Viele Lohntage mussten folgen, bis die große Fahrt nach Geldern anstand.
Jeden Abend wurde Geld gezählt
Jeden Abend wurde der wundersame Zuwachs an Geld gezählt.
Zwischen allen Zahltagen lagen die endlosen Träume: Wie und wann fahre ich ab, habe ich das Geld bei mir? Was für ein Gefühl wird es sein, die Rute aus Pfefferrohr aus Afrika oder sonst woher in Händen zu halten, was werden meine Freunde sagen? Immer und immer wieder der Traum vom kleinen großen Glück. Mit einem schmutzigen Fahrrad kann man keine Angelrute kaufen und schon gar nicht in der Kreisstadt Geldern. Also wurde mein Drahtesel auf den Kopf gestellt und gebührend für die große Fahrt vorbereitet.
… als gehe es auf eine Weltreise
Mit Wasser die Schutzbleche säubern, die Kette ölen, das Licht kontrollieren, Scheinwerfer und Rücklicht, als gehe es auf eine Weltreise. War es nicht zumindest eine kleine?
Der Tag der Reise begann morgens früh. Abfahrt nach dem Frühstück. Venloer Straße, Gelderner Straße, dann auf die B9, an der Krütpasch vorbei und am Ziel angekommen. Schnell noch die Nase an dem Schaufenster platt gedrückt, dann palim palim – und ich stand im Laden. Da lag sie, die Rute aus fernem Land, mein lang geträumter Traum.
Dann hatte ich voller Stolz den wertvollen Gegenstand in meiner Hand.
Die schwarze Pfefferrohrrute aus Afrika.
Nun aber schnell nach Hause. Die Fahrt verging wie im Fluge. Was mögen die Freunde sagen? Fragen über Fragen gab es.
Wertschätzung steigerte sich durch Warten
Der besondere Wert dieses Gegenstandes wurde durch die lange Vorgeschichte, die vielen Träume, das Warten auf den Tag, wo ich die Angelrute in den Händen hielt, zu einem ganz besonderen Ereignis. Eine Wertschätzung steigert sich auch durch Warten können. Heute, in unserer armen reichen Zeit, ist zum Großteil dieses Wertgefühl, das Wartenkönnen, verloren gegangen. So verlieren sich viele wertvolle Werte. Es ist eine ärmer an Werten gewordene Zeit.