Kervenheimer Kirmes: Kabarett als gelebte Inklusion

Schon die Begrüßung von Mitorganisator Michael Fichte machte deutlich, wohin an diesem Abend die Reise ging: „Willkommen zum ökumenischen Gottesdienst“, scherzte er nicht ohne Hintergedanken angesichts der „Berufung“ des Gastes, der neben seiner Profession als Kabarettist als Pastor und mehrfacher Tischtennis-Weltmeister und Paralympics-Sieger weitere Persönlichkeitsfacetten aufweist.
Und so betrat ein bestens aufgelegter Rainer Schmidt an seinem ersten Auftritt nach der Sommerpause die Bühne. „Wenn du so aussiehst wie ich, hast du keinen langweiligen Tag“, verwies er gleich zum Start auf seine fehlenden Unterarme und Hände sowie seinen verkürzten rechten Oberschenkel. Und natürlich erwähnte er sein kleines „Däumchen“ an der linken Hand, die seinem Programm „Däumchen hoch“ den Namen gab.
Was es heißt, mit seiner Optik immer im Fokus zu stehen, machte er anhand von zwei Begegnungen deutlich: mit dem Portier im Hotel, wo er den Meldeschein von ihm nicht ausgefüllt haben wollte, und mit dem Kind, das ihn fragte, warum er keine Hände habe. „Abnutzung“, lautete da seine Antwort. Als „Schwarzer-Humor-Variante“ fügte er selbst noch „missglückter Suizidversuch, falsch auf die Gleise gelegt“ hinzu. Im weiteren Verlauf erzählt er überwiegend wahre Geschichten aus seinen Erlebnissen, wobei er die Namen mit einem weiblichen und männlichen Namen aus dem Publikum – „Allessandra“ und „Eckmar“ – ersetzte.
Über vergrößerte Bilder seines „Däumchens“ stellte er diesen als „ritterlichen Typ“ mit Helm und „Hypochonder“ mit Wäscheklammer dar, ehe er von dem Schrecken der Mutter („der schlimmste Tag in meinem Leben“) und der Oma bei seiner Geburt im Februar 1965 im oberbergischen Land berichtete. „Ich bin da raus wie ein Sektkorken, konnte mich nicht festhalten.“
Vielfalt statt Stigma
Der damals bestehende „Fluchtreflex“, zwischen sich und dem Problem eine Distanz zu schaffen, habe damit zu tun, dass Menschen Vielfalt nicht gewöhnt seien – wie bei den 860.000 Flüchtlingen 2015, stellte er eine Verbindung zur gesellschaftlichen Gegenwart her.
Er erzählte von seiner Einschulung in die Sonderschule, wo er nach dem ersten Schrecken feststellte, dass auch Rollstuhlfahrer und Spastiker Kinder sind, die genauso Spaß am Spielen haben wie „normale“ Kinder. Die Einteilung in „normal“ und „anders“, die habe es in Deutschland schon mal gegeben. Es wurde mucksmäuschenstill im Zelt an der Burg, als er von „David als einzigem Juden in der Klasse“ unter Nazis sprach.
Danach seien es die Sinti und Roma, die Schwulen und später Gewerkschaftler gewesen, sprach er davon, wie „brandgefährlich“ solche Stigmatisierungen wie „die Flüchtlinge“ oder „die Schmarotzer“ auch heute seien. „Ich wollte es so dramatisch machen, damit ihr nicht denkt, es war nur ein fröhlicher Abend“, drückte er aus, dass es ihm um mehr als nur Unterhaltung ging.
Inklusion heißt Dazugehören
Später ließ er sich vom Publikum originelle Vorschläge dafür zurufen, was er alles nicht kann – vom „Klavier spielen“ über „den Hintern abwischen“ und „Schuhe anziehen“ bis „Melken“ oder „sich das Kondom alleine überziehen“ war da alles dabei. Aber auch da konterte der Kabarettist gewitzt, zeigte seine Hilfsmittel, um sich entsprechend zu reinigen. „Weil es normal ist, dass Sie sich Gedanken machen, wie der das macht. Kinder fragen das – Erwachsene nicht.“ Er machte in Sachen Klavier klar, dass auch „Leiden“ manchmal zum Dasein dazugehört, unterstrich, dass er die Kondom-Geschichte könne, dann aber „den Latexgeschmack im Mund“ habe, und sich tatsächlich mit dem Fuß die Zehennägel schneiden könne.

Rainer Schmidt demonstriert, dass körperliche Einschränkungen nicht vom Tischtennisspielen abhalten müssen. (Foto: aflo)

Rainer Schmidt demonstriert, dass körperliche Einschränkungen nicht vom Tischtennisspielen abhalten müssen. (Foto: aflo)


Jeder Mensch komme irgendwann an seine natürlichen Grenzen. „Ich bin kein Handwerker, ich musste ein Mundwerker werden“, schlug er wieder dein Bogen zur Inklusion. Entscheidend sei die Inklusion, für die es im Englischen nur einen Begriff gebe: „Sense of belonging“ – Zugehörigkeitsgefühl. Das gelte auch für ihn – und für alle anderen.
„Es geht nicht darum, ob du alles gleich gut kannst, sondern ob du dazugehörst“, nannte er das Beispiel einer Paderborner Schule, die fünf inklusive Kinder mit separatem Schulstoff von Sonderpädagogen betreuen lassen wollte. „Warum nicht gleich ein Zaun drum und ein Schild: Bitte nicht füttern?“, lautete seine ironische Antwort auf diese Situation.
Natürlich gebe es Menschen, denen sein Aussehen fremd sei, erzählte er von zwei chinesischen Putzfrauen, die ihn als Paralympics-Spieler am Flughafen in Shanghai anstarren und eine Traube von Menschen nach sich ziehen. „Aber wir treffen jeden Tag fremde Menschen“, lautete seine Antwort darauf.
Jeder Mensch hat seine Grenzen
Die zweite Botschaft des Abends lautete: Jeder hat auf seine Weise seine Einschränkungen. Es gehe darum, „mit seinen Einschränkungen und Talenten ein glückliches Leben zu führen.“ „Behinderung“ sei im Wesentlichen „Verunsicherung“, nannte er das Beispiel einer Bediensteten im Zugabteil, die ihm Kaffee verbilligt anbieten wollte, „weil Sie so arm dran sind“ – obwohl sie es als Minijobberin gegenüber dem Pastor sicher finanziell schlechter hat. Seine Antwort: er reichte ihr einen Fünfer, „weil ich dachte, dass Sie so arm dran sind.“ Die Überraschung zeigt
Die Strategie dagegen sei, einfach die Distanz zu sich zu verringern. Das gelinge ihm auf dreierlei Weise: indem er als Pfarrer bei Trauerbesuchen einfach drauflosrede, bis er nach drei Minuten im Haus ist, auf Partys die Frauen, die ihm gefallen, einfach mit „Küsschen links, Küsschen rechts“ überfalle (was er spontan bei einer Frau im Publikum umsetzte) oder Handschuhe mit Bockwürstchen trage. Und ab und an „leihe“ er sich eben mal fremde Hände.
Als „Zugabe“ zu dem normalen Kabarettprogramm zeigte der frühere Paralympics-Sieger im Zusammenspiel mit einem Gast, einem zählenden Schiedsrichter und einem „Balljungen“ seine Künste an der Tischtennisplatte – und bewies auch da, dass man auch mit seinen „Einschränkungen“ eine Menge Spaß haben kann.