Kein Fest der Freude

Silvia Weyers, Günther Fleischer und Klaus Glücks stehen gemeinsam in der „Kevelaerer Tafel“ für Lebensmittel an. Frisches Gemüse, Brot, Salat wandern in die Taschen der drei Kevelaerer, die die Hilfe der „Tafel“ alle drei gerne in Anspruch nehmen.
Dass Silvia Weyers überhaupt den Weg nach Kevelaer fand, das „verdanke ich meinem Mann“, scherzt die gebürtige Viersenerin. Vor 25 Jahren heirateten die beiden, kam Weyers in die Marienstadt. „Wir sind noch heute sehr, sehr glücklich“, meint die 50-Jährige und man spürt die Überzeugung, die aus diesen Worten spricht.
Als Kind war sie im Heim. „Ich habe erst mit 18 Jahren erfahren, wer meine leiblichen Ektern sind“, erzählt sie von der Hypothek, die ihren Lebensweg mit geprägt hat. Zwischenzeitlich flieht sie aus dem Heim, wird ein halbes Jahr lang polizeilich gesucht. Mit 16 kommt sie in diverse Pflegefamilien. „Aber da so reingedrückt werden, ist nicht so ohne.“
Stigma Heimkind
Sie wird mit einem Sohn schwanger, lernt mit 19 ihren Mann in Weeze kennen, der das Kind „wie seinen eigenen Jungen“ akzeptiert und ihr „Rettungsanker“ im Leben wird. Beide haben noch eine gemeinsame Tochter, die heute bei der Schwägerin lebt – ein Thema, über das Weyers nicht so gerne spricht. „Ich hab auch früher mal Alkohol getrunken“, meint sie später.
Unter dem Ruf, ein Heimkind gewesen zu sein, leidet sie noch heute. „Wenn ich mich bewerbe, kommt dann ja immer die Frage nach Vater und Mutter. Und Heimkinder klauen ja alle und sind unzuverlässig.“ Sie erzählt, dass sie immer gearbeitet hat. „Ich hab‘ Automatten genäht, war bei Essig Kühne, in Holland, hab‘ Zeitungen ausgetragen.“ Ihr Weg zeugt von einem bewegten Berufsleben.
Ihr Mann – Maler und Lackierer – ist krank. „Er hatte 500 Zucker und kam damit ins Krankenhaus“, sagt sie und dass sie bis heute nicht verstehe, warum er sich immer wieder damit anbieten müsse, obwohl das gesundheitlich gar nicht gehe. „Ich hab‘ jetzt ein Kleingewerbe mit Internetverkäufen angemeldet und versuche damit, von Hartz IV loszukommen.“ Damit möchte Weyers sich behaupten. „Ich versuche mich immer wieder freizuschwimmen.“
Für den Internetverkauf kalkuliert sie 350 Euro Verdienst pro Monat. Vom Amt gibt es noch 100 Euro und die Miete. Ihr Mann bekommt nichts. „Es bleiben so 150 Euro am Ende für uns über. Ohne die Tafel hätten wir ein großes Problem.“
Wenn Günther Fleischer seine Lebensgeschichte erzählt, glaubt man fast in einem Film zu sein. Ursprünglich kommt der 65-jährige frühere Kautschuk-Facharbeiter aus Halle/Saale, der früheren DDR.
Nach dem Tod seiner Frau gibt er seine drei Kinder schweren Herzens zur Adoption frei, weil er das alles nicht bewältigt bekommt. Zweimal versucht er, aus der DDR zu flüchten – und landet deswegen für insgesamt sieben Jahre in Dessau und Naumburg im Gefängnis.
Zwei Monate vor der Grenzöffnung gelingt ihm mit einem Freund, der einen Grenzsoldaten als Bruder hat, mit einem geklauten Moskvich die Flucht. „Das waren nur 100 Meter – aber wir wussten nicht, dass da auch Minen lagen.“
Drei Tage lang trampen die beiden durch ein „unbekanntes Land“. Von Franken aus geht es erst nach Lüllingen, dann nach Kevelaer. Jahrelang arbeitet Fleischer in Gärtnereien, unter anderem bei Landgard in Geldern. Als er in Herongen weiterarbeiten soll, muss er passen: „Das geht mit dem Fahrrad schlecht.“
50 Jahre gearbeitet
Seit 2015 geht er deshalb zur „Kevelaerer Tafel“ und trägt Zeitungen aus. „Ich habe fünfzig Jahre gearbeitet, war noch nie arbeitslos“, betont es. Das ist ihm wichtig.
Seit zwei Jahren bekommt er Rente. „Aber nicht von der DDR. Daher fehlen mir gut 25 Jahre, weil ich das nicht nachweisen kann, vieles an Unterlagen in der Wendezeit verlorengegangen ist. Das ist ein Manko der Regierung.“
Unter dem Strich bleiben 300 Euro Rente, „da muss ich die Grundsicherung nehmen“. Und von den 210 Euro für die Zustellung „nehmen sie mir 50 Euro auch noch weg“. Mit seinem Flucht-Freund wohnt er in einer Wohngemeinschaft, sonst wäre das alles nicht machbar. „Zum Sterben zu viel, zum Leben zu wenig.“
Klaus Glücks ging bis zum neunten Schuljahr in Weeze zur Schule und wollte dann Maschinenschlosser lernen. „Meine Eltern sagten mir aber: Du musst erst arbeiten“, erzählt der 59-Jährige. Diese Entscheidung prägte sein zukünftiges Leben.
In diversen Firmen ist er als Bauhelfer unterwegs, erleidet einen Arbeitsunfall. Später ist er bei einem Landschaftsgärtner in Winnekendonk beschäftigt, macht Saisonarbeit im technischen Bereich in den Niederlanden. „Jetzt bin ich im Ruhestand, da kriegt man nix mehr.“ Und das trotz seiner „erst“ 59 Jahre.
Seine Frau hat früher in der Polsterei Mertens genäht, ist aber jetzt Herz-Kreislauf-erkrankt und gehbehindert. „Spaziergänge kann sie nicht mehr machen. Und ich hab auch schon Herz-Kreislauf-Probleme.“
Trotzdem erledigt er noch die großen Einkäufe. Beide leben sie von seiner Rente – 651 Euro – und ihrer Teilrente plus Grundsicherung. Nebenbei engagiert er sich noch als Bürgerbusfahrer.
Weihnachten ist schwierig
Viel geht da natürlich nicht, und aus eigener Betroffenheit kommt der Ärger dann beim Amt schon mal hoch, wenn er sieht, was Flüchtlinge dort an Geld erhalten. Er will diesen Menschen keine unlauteren Motive unterstellen oder ihnen das missgönnen. Aber er sagt auch deutlich: „Ich hasse das, wenn ich sparen und davon die Wohnung auch renovieren soll, und die werden unterstützt.“
Weihnachten, das hat für die drei Kunden der „Tafel“ aufgrund ihrer Situation eine relative Wertigkeit. „Weil wir eine Enkelin und einen Enkel – beide acht Jahre – haben , wird schon ein Tannenbaum aufgestellt“, meint Silvia Weyers. „Da ist aber seit sechs Jahren immer der gleiche Schmuck dran.“
Und einen Braten, den kann man sich nicht leisten. „Für die Kinder gibt es einen Süßigkeitenteller.“ Für sie, die sie ohne Mutter und Vater aufgewachsen ist, ist diese Zeit oft schwer. „Im Heim war ich oft zu Weihnachten allein.“
Günther Fischer hat da eine klare Haltung: „Ich freue mich auf Weihnachten gar nicht, das ist auch eine finanzielle Frage.“ Dazu kommt noch, dass keine Kinder da sind. „Das gibt kein rundes Bild für mich.“ Deshalb versucht er, Sendungen zu Weihnachten wie „Bitte melde Dich“ zu vermeiden. „Da hab‘ ich immer Tränen in den Augen.“
„Meine Frau ist für Weihnachten, da wird geschmückt“, erklärt Klaus Glücks, weshalb bei ihnen 2017 wohl mit dem alleinstehenden Sohn, der Tochter, dem angehenden Schwiegersohn und dem Enkel gefeiert werden wird. Süßigkeiten wird es geben, für den Enkel vielleicht Geschenke.
Die eigenen Wünsche für das neue Jahr sind bescheiden. „Einfach nur ein vernünftiges reales Leben, wo man vernünftig einkaufen kann“, darauf hofft Silvia Weyers. „Ein gutes, warmes Essen hier für ein, zwei Euro – wenn sich dafür ein Sponsor findet“, fände Günther Fleischer als Einrichtung sinnvoll. Und Klaus Glücks sagt: „Ein bisschen mehr Geld – und dass das Umfeld der Ämter freundlicher und die Menschen zugänglicher werden“