Ist der Wohnraum falsch verteilt?

Im Kevelaerer Sozialtreff können Hilfeempfänger und Arme Beratung und Unterstützung im Gespräch erfahren. Ein aktuelles Thema waren zuletzt die „Mietrichtwerte und die Wohnsituation“ in der Wallfahrtsstadt.

Der Sozialtreff ist ein Angebot des Sozialberatungsvereins „Selbsthilfe“, was es mittlerweile in vielen Städten des Kreises Kleve gibt. Jeden ersten Dienstag im Monat bietet der Kevelaerer Sozialtreff in der Tagesstätte „Zur Krone“ Menschen, die Sozialhilfe oder Leistungen nach Hartz IV beziehen, die Gelegenheit, sich mit jemanden über ihre Situation und konkrete Probleme miteinander auszutauschen.

An diesem ersten Abend kamen zwei Betroffene, um ihre Anliegen auszutauschen und um einfach mal über ihre Situation zu sprechen. „Ich wohne seit einem halben Jahr mit vier Leuten in einer WG“, meinte einer der Beiden. Der Mann leidet an Depressionen. „Vorher habe ich alleine gewohnt. Da muss man Kompromisse schließen“, sagt er. Früher habe er gut verdient , einen guten Job gehabt. Die Krankheit in Verbindung mit Alkohol habe sich in sein Leben geschlichen. „Man muss lernen, mit wenig Geld umzugehen“, sieht er füŕs Wohnen noch Potenzial: „In Kevelaer stehen so viele Häuser leer. Kann man da nicht als Stadt daraus Wohnraum machen?“

Für Alleinstehende würde es immer schwerer oder sogar unbezahlbar, kleine Wohnungen zu finden, versichrte Ricarda Lambertz. Die Fachanwältin für Sozialrecht ist beratend im Kreis tätig. Sie schilderte den aktuellen Fall einer Frau mit kleinem Kind, die mit Zwillingen schwanger sei, Hartz IV beziehe und keine Aussicht auf eine Wohnung habe. „Das Jugendamt sagt: Das ist nicht unser Problem und die Vermieter sagen: die nicht.“ Und auch die Räumungsklagen würden zunehmen. Dazu käme, dass in einigen Städten die Zinsbindung für Sozialwohnungen ablief: „Das ist ein langfristiges Problem.“

Ein wesentliches Thema, das die Menschen betreffe, seit die Frage nach dem zukünftigen Mietspiegel. „Das ist kein Kevelaerer Thema. Das haben wir genauso gut in Kleve, Geldern und Emmerich“, erläuterte Herbert Looschelders, Ansprechpartner für den Treff in Kevelaer.

Problem mit Nebenkosten

Aus seiner Sicht sei es „erfreulich, dass die Mietrichtwerte leicht angehoben werden. Zufrieden sind wir auch mit den Werten für die Grundmieten, was den Mietspiegel betrifft. Was nicht passend ist, ist die Ermittlung der durchschnittlichen Nebenkosten und Heizkosten, das passt auch nicht in allen 16 kreisangehörigen Städten.“

Eine Immobiliengesellschaft habe die Zahlen dazu geliefert. „Die versucht das jetzt gerichtsfest zu machen. Wir glauben, dass das nicht gerichtsfest ist.“ Dementsprechend sei jetzt beim Landessozialgericht Essen ein Gerichtsverfahren anhängig. Looschelders hofft, dass die Sache zu Neben- und Heizkosten zugunsten seiner Klienten entschieden wird. „Denn die Hälfte der Haushalte muss nach deren Ermittlung als unangemessen dastehen.“ Das bedeutet am Ende, „dass die tatsächliche Miete nicht übernommen wird, sondern ein Teil fehlt, der vom Mund abgespart werden muss.“

Den Begriff „angemessen“ erläutert Looschelders an einem Beispiel. „Nehmen wir den Mietrichtwert für einen Singlehaushalt in Kevelaer bei 450 Euro brutto warm als angemessenen Wert. Nehmen wir an, dass durch Nebenkosten Nachzahlungen 240 Euro für das Jahr anstehen. Dann würde die vorher angemessene Wohnung durch die Nebenkostennachforderung unangemessen.“

Das Grundsicherungsamt sei geneigt, „zu sagen, die Nachzahlung ist unangemessen und die muss vom Hilfebezieher aufgebracht werden.“ Wenn die Vorauszahlung vom Vermieter dann angehoben würde, sei die Miete 20 Euro zu hoch.“ Und der Hilfebezieher muss jeden Monat 20 Euro „vom Mund absparen“. Dieses Verhalten der Behörde wäre aber eindeutig rechtswidrig.

Dann eine neue angemessene Wohnung zu finden, sei hart, sagt Looschelders. „Ein halbes Jahr ist da Zeit. Aber oft ist es nicht möglich, eine neue angemessene Wohnung zu finden. Aber die Sachbearbeiter bestehen auf einer Kostensenkung.“

Und der Wohnungsmarkt sei umkämpft. „Dazu kommen noch wie in Kleve die Studenten. Jemand, der alleinerziehend ist oder Alkoholprobleme hat, wird nicht so gerne als Mieter genommen.“ Dazu komme noch, dass es für günstige Angebote oft 20 bis 30 Bewerber gäbe. „Da haben die Sozialempfänger weniger Chancen.“

Das Problem habe es schon vor den Hartz-Reformen gegeben. „Aber dadurch ist der Personenkreis derjenigen größer geworden, die in Armut leben und die von Armut bedroht sind. Und der Unterschied zwischen arm und reich spreizt sich immner stärker. Die Einen bewohnen immens teuren Wohnraum und die Anderen kommen nicht einmal bei bescheidenstem Wohnraum zum Zuge.“

Seine Folgerung lautet: „Der Wohnraum ist falsch verteilt. Ein alter Mensch lebt auf 150 Quadratmeter, weil es keinen passenden Wohnraum gibt.“ Man könne nicht „auf Teufel komm raus die Gegend zersiedeln, das geht auf die C02- Bilanz. Wir müssen das gut bewirtschaften und verteilen.“

Modell der Zukunft

Aus seiner Sicht wäre ein Mehrgenerationen-Wohnen wie im Klostergarten sowas wie „ein Modell der Zukunft“. Und auch bei bestehenden Häusern könne man sanieren. „Da haben wir ganz viele Ressourcen, die nicht gut verteilt sind.“

Looschelders würde sich mehr Impulse für den sozialen Wohnungsbau wünschen: „Beim sozialen Wohnungsbau ist es nicht immer so, dass Größe und Preis angemessen sind, aber in der Regel schon.“ Aber der Wohnraum selbst wird immer kleiner. „Da mietet man nur 35 bis 40 Quadratmeter an.“

Einige Vermieter nutzten das auch aus und nähmen „für die letzte Kaschemme 450 Euro, weil das Amt das zahlt. Da haben wir es fast schon mit Wuchermieten zu tun.“ Die Mieten des sozialen Wohnungsbaus bestimme das Land nach der „Kostenmiete“.„Aber sie schlagen beispielsweise mit einem Stellplatz von 30 Euro quasi etwas oben drauf, obwohl unsere Klientel keine Autos hat.“