„Ich bin hier einfach zu Hause“
Gut drei Jahrzehnte wirkte er als Pastor von Kevelaer. Künstlerisch tragen die Kirchen und Kapellen von St. Marien seine Handschrift. 1987 konnte er den Papst Johannes Paul II. und Mutter Teresa in Kevelaer begrüßen. 2002 wurde er zum Ehrenbürger der Stadt ernannt. Dabei schien die berufliche Laufbahn von Richard Schulte Staade erst in eine ganz andere Richtung zu gehen:
Als einziger Sohn eines Landwirts stand für ihn zunächst fest, dass er den Hof der Eltern, den Große Entropshof in Lüdinghausen, übernehmen werde. Schon als junger Mann wurde er für den besten Bullen ausgezeichnet, ein Erfolg, auf den mancher Landwirt sein Leben lang hinarbeitet. Doch führte dieser Erfolg letztlich zu einem Umdenken und der Suche nach Mehr.
Letzten Mai ist Schulte Staade nach Kevelaer zurückgekehrt und wohnt im Deutschordens-Wohnstift St. Marien. Das KB sprach mit dem verdienten Geistlichen über sein Leben und Wirken.
Von 1974 bis 2006 wirkten Sie als Pastor von St. Marien. Mit gut 30 Jahren als Rektor der Wallfahrt konnten Sie so Einiges bewegen. Was waren die wichtigsten Änderungen und Weichenstellungen Ihrer Zeit als Verantwortlicher der Wallfahrt und der Pfarrei?
Schulte Staade: Als ich hier als junger Priester ankam, war die Wallfahrt noch provinziell. Die Eröffnung war erst zum Fest Peter und Paul am 29. Juni und die Pilger, die hierher kamen, stammten überwiegend aus dem Gebiet zwischen Rhein, Maas und Mosel. Ich habe versucht, das Ganze zu erweitern: So habe ich die Eröffnung mit dem 1. Mai begonnen und wollte die Wallfahrt internationaler machen. Ich wollte die Niederländer, Belgier, Luxemburger auch hierher einladen. Auch im Priesterhaus habe ich eine Öffnung erreichen können: Vorher durften keine Frauen rein; auch die Schwestern gingen nie durch den Haupteingang, sondern über die Küche. Ich habe das Priesterhaus für das ganze Jahr geöffnet. So erreichten wir bis zu 14.000 Übernachtungen im Jahr. Auch die Pilgerzahlen gingen deutlich hoch: Statt 250.000 am Anfang meiner Zeit als Pastor kamen um die Jahrtausendwende schon 800.000 Pilger. Früher eröffnete immer der Weihbischof von Münster die Wallfahrt und der Bischof von Münster schloss sie ab. Dies haben wir auch viel internationaler gemacht. So kamen um das Jahr 2000 etwa 50 Bischöfe jährlich hierher.
Wie waren die Anfänge Ihrer Zeit in Kevelaer?
Schulte Staade: Eigentlich wollte ich nie an den Niederrhein. „Nie der Rhein!“, so habe ich mir immer gesagt. Für mich war das Münsterland maßgebend. Aber ich habe dann natürlich den Niederrhein kennen, schätzen und lieben gelernt. 1974 wurde dringend ein Nachfolger für Johannes Oomen gesucht. Als sich ein Stein vom Basilikaturm löste und eine Frau erschlug, bekam er seinen dritten Herzinfarkt. Da war wirklich „Holland in Not“!
Zwei Niederrheiner, die schließlich für dieses Amt gefragt wurden, hatten Nein gesagt. So hat mich Bischof Heinrich Tenhumberg zum Niederrhein dirigiert und zum Pastor von St. Marien berufen, und das nach nur drei Kaplansjahren.
Die ersten vier, fünf Jahre hatte ich selber noch Probleme mit Kevelaer. Ein Pastor von St. Marien sollte im Idealfall Jahrzehnte, nicht nur Jahre hier sein. Münsterländer wie ich haben einen dicken Kopf. Ich habe auch noch ein dickes Fell. Nach anfänglichen Schwierigkeiten gab es eine großartige Kooperation hier in Kevelaer.
Sie haben neben Theologie auch Kunstgeschichte studiert und hier in Kevelaer viele Spuren künstlerischer Art hinterlassen…
Schulte Staade: Es war mir ein Herzensanliegen, dass Kevelaer immer schöner wurde. Über mein Studium in München wusste ich einiges über Kunst und hatte als Grundsatz gelernt: Kunst muss narrativ sein. Otto und Anna müssen erkennen können, worum es geht. Als ich eineinhalb Jahre lang hier Pastor war und mich mein Vater besuchte, sah er die schlechte Tür an der Beichtkapelle. „Junge“, sagte er zu mir, „die kannst du nicht so lassen. Das sieht wie eine Stalltür. Das ist eine Schande für den Kapellenplatz. Änder das! Dafür will ich später kein Grabmal haben. Da bekommst du lieber eine vernünftige Tür.“ So hat mein Vater die Tür zur Beichtkapelle gestiftet, den Künstler Roland Friedrichsen kannte ich aus der Zeit meines Studiums. Mein Vater konnte die vollendete Tür nicht mehr sehen, weil er 1977 starb. Meine Mutter aber war sehr zufrieden mit dem Ergebnis. Beide waren erst sehr enttäuscht, weil ich ihren Hof nicht übernahm, aber schließlich waren sie sehr glücklich über mich und meine Berufung und unterstützten mich gerne. Meine Mutter hat am Ende ihres Lebens acht Jahre hier in Kevelaer gewohnt. Heute sind beide auf dem Kevelaerer Friedhof begraben. Ein Grabmal gibt es nicht, aber dafür ist das wunderschön gestaltete Portal der Beichtkapelle ein sehr lebendiges Andenken an sie.
Ein großes Anliegen von mir war auch die Fertigstellung der Ausmalung der Marienbasilika. Zum Glück fand ich Originalpläne von Stummel im Archiv und ich lernte den Kölner Erzdiözesanbaumeister Schloms kennen, der für den Dom in Köln maßgeblich war. „Die Basilika müssen Sie im Hauptschiff so machen, wie sie vorne ist“, sagte er mir. So machte ich es dann auch. Mit Dr. Schloms hatte ich immer einen guten Fachmann im Rücken.
Ich habe mich dann gemeinsam mit Bischof Reinhard Lettmann auch an den Bau der orthodoxen Johanneskapelle gemacht.
Schon im Studium hatte ich besonderes Interesse an dem Grund für das Schisma für Ost und West im Jahr 1054. Ich sang auch in einem Russenchor und erlebte die ukrainische Liturgie. „Wenn du Pastor bist“, sagte ich mir, „dann stiftest du einen byzantinischen Chor, damit wir im Westen etwas von der Schönheit der ostkirchlichen Gesänge und Liturgie erahnen.“ Ich war selbst oft bei unierten und orthodoxen Ostkirchen und wollte den Ostkirchen auch in Kevelaer mit der Johanneskapelle ein Stück Heimat in Kevelaer schenken.
Bei den Holzschnitzarbeiten in der Sakramentskapelle oder an der Kommunionbank der Basilika hatte ich viele großartige Künstler und Kunsthandwerker aus Kevelaer, die mir halfen.
Wie konnten Sie die ganzen Kunstaufträge eigentlich bezahlen?
Schulte Staade: Ich musste in der Pfarrei St. Marien nur ein Mal kollektieren: nach dem Papstbesuch wollten wir ein Portal mit Papst Johannes Paul II. und Mutter Teresa gestalten lassen. Die Kollekte war so reichlich, dass Bert Gerresheim sagte: „Dann machen wir zwei Portale davon.“ Sonst habe ich nie die Gemeinde angesprochen, sondern immer über private Spenden die Kunstwerke bezahlen können. Ein Pilger etwa schlug die Holzaussstattung der Sakramentskapelle vor. Er überwies jedes Jahr 1.000 Gulden und tat dies 22 Jahre lang bis zu seinem Tod. Ein anderes Paar kam immer zum Jahrestag der Hochzeit hierher. Als sie den 13. Jahrestag hatten, meinten sie einmal zu mir, dass ein Engel als Dachreiter auf der Beichtkapelle doch schön wäre. Norbert Vorfeld machte einen Entwurf.
Zur Silberhochzeit hatte das Paar dann das Geld zusammen und stiftete den Engel. Einmal kam ein belgischer Lehrer, der gerne etwas in Kevelaer stiften wollte. Ich sagte: „Sie kommen wie gerufen.“ Ich wusste von dem belgischen Pater Damian de Veuster, schon eine Grundschullehrerin erzählte mir von dem Apostel der Leprakranken. So kam schließlich auch dieser belgische Heilige mit ins Portal der Nachfolge. Auch das Pilgerportal an der Basilika wurde von einem Kevelaerer gestiftet. Generell war es so: War eine Sache fertig, kamen oft Pilger und Kevelaerer auf mich zu und fragten: „Wäre nicht dieses oder jenes noch schön?“ Viele stifteten dann Kunstwerke, welche Kevelaer künstlerisch immer mehr ausschmückten.
In der Basilika findet sich an einer Säule auch der Davidsstern. Möchten Sie auch den Juden in der Basilika ein Stück Heimat geben?
Schulte Staade: Jesus und Maria waren selber Juden. Im ganzen Altarrraum gab es keinen einzigen Davidstern, der als Zeichen für das Judentum steht. Damals gab Joseph Ratzinger gerade ein neues Buch heraus mit dem Titel „Tochter Zion“. So bekam ich die Idee für den Davidsstern. Alle waren von meiner Idee begeistert, nur ein paar Bürger aus Kevelaer übten Kritik. Doch der Davidsstern ist ein Heilszeichen und ich wollte, dass sich auch Juden hier zuhause fühlen können. Im Zugang zur Basilikasakristei ist zudem auch der siebenarmige Leuchter des jüdischen Tempels dargestellt, gemeinsam mit den zehn Geboten und dem Schema Israel, dem täglichen Hauptgebet der Juden.
Was war das schönste Erlebnis Ihrer Zeit als Pastor von Kevelaer?
Schulte Staade: Ganz klar der Papstbesuch. Acht Jahre lang wurde dieser vorbereitet. Kardinal Höffner half dabei auch viel. Kevelaer war der einzige Ort, den der Papst besuchte, der kein Sitz eines Bischofs oder Administrators ist. Ich hatte vorher auch noch selber einen Probeflug mit dem Helikopter, um zu sehen, ob der Papst dann auf der Hüls gut landen kann.
Wie war für Sie der Besuch von Mutter Teresa?
Schulte Staade: Der Kontakt kam über Dr. German Rovira zustande, der zwei Schwestern gut kannte. Mit ihm zusammen hatte ich den IMAK gegründet und dieser hat 1987 den Marianisch-Mariologischen Weltkongress ausgerichtet. Mutter Teresa musste ihren Urlaub extra verschieben, damit sie auch dabei sein konnte. Ich habe sie persönlich erst in Kevelaer kennengelernt. Sie war sehr beeindruckend. Wir hatten den ganzen Tag über Programm mit ihr organisiert. Mittags dann ließ sie mich kommen und sagte: „Dear Pastor, I need my meeting with my Lord!“ So machten wir rasch um 14 Uhr noch eine Zeit der Anbetung möglich. Es war großartig, wie viele Leute spontan dabei waren, obwohl dies nicht lange geplant war: Die Basilika war trotzdem brechend voll.
Was haben Sie sonst noch alles in Kevelaer auf den Weg gebracht?
Schulte Staade: Im Jahr 1976 ließ ich die Seifert-Orgel umfassend restaurieren, gemeinsam mit Martin Willing gründete ich die Motorradwallfahrt, mit Egon Kamann die Wallfahrt der Karnevalisten und ich bin in der Medjugorje-Vereinigung Kevelaer aktiv.
Und jetzt leben Sie wieder fest in Kevelaer…
Schulte Staade: Als ich 2006 verabschiedet wurde, dachte ich: „In fünf Jahren bin ich wieder da!“ Ich hatte immer vor, nach Kevelaer zurückzukommen. Aus den fünf Jahren wurden nun zwölf Jahre. Ich fühlte mich in Wesel im Haus meiner Cousine so wohl. Ich kümmerte mich um ihren Garten. Ich machte daraus einen reinen Blumengarten mit 400 verschiedenen Sträuchern und Blumensorten. Es gab schließlich 13 verschiedene Phlox, je sieben Arten Schwertlilien und Glockenblumen. Mein Hobby war das Gärtnern. Das machte mir viel Freude. Und meine Cousine, deren Mann mit nur 40 Jahren starb, und die sich nun allein die drei Kinder kümmert, war froh, etwas weniger Arbeit zu haben.
Seit Mai lebe ich wieder in Kevelaer im Deutschordens-Wohnstift St. Marien. Das Gärtnern fehlt mir, aber immerhin kann ich von meinem kleinen Balkon aus die Goldfische hier im Teich sehen. Gerade war ich wegen meiner Füße elf Wochen im Krankenhaus, eine lange Zeit. Ich hoffe, dass ich noch lange hier im Haus leben kann. Kevelaer ist meine Heimat geworden und ich bin wieder zu Hause.