Hospiz Wetten – kein dunkler Ort

„Hospiz hat ursprünglich nichts mit der Begleitung sterbender Menschen zu tun, sondern war, wie die Bedeutung ‚Herberge‘ schon erahnen lässt, ein Ort, an dem Menschen übernachteten oder für eine kurze Zeit wohnten“, erklärt Birgitt Brünken, seit fast 20 Jahren ist Leiterin des Hospizes und 1. Vorsitzende des Hospiz Verein Kevelaer. „Heute bezeichnet man Häuser, in denen Menschen für kurze Zeit leben und soweit eben möglich selbstbestimmt sterben möchten, als Hospiz“.
Die Kostenübernahme erfolgt in der Regel durch die Krankenkasse, wobei ein Arzt bescheinigen muss, dass die Lebenserwartung nicht über einem halben Jahr liegt und der Gast nicht in einem Altenheim wohnt. Wer bereits in einem Pflegeheim versorgt wird, kann im Normalfall nicht ins Hospiz wechseln. Ausnahmen sind möglich, müssen aber mit dem Kostenträger zuvor abgeklärt werden.
Im Wettener Hospiz gibt es zehn Betten, in denen nicht etwa Patienten liegen, sondern Gäste. Diese Gäste werden von 16 hauptamtlichen und 28 ehrenamtlichen Mitarbeitern betreut. Jährlich sind im Wettener Hospiz etwa 120 zu Gast, von denen der größte Teil auch verstorben ist. Das Durchschnittsalter der Gäste liegt bei 64 Jahren, der Aufenthalt um die 23 Tage. Die medizinische Versorgung wird durch ortsnahe Palliativ-Mediziner sichergestellt, die mit den Hausärzten zusammenarbeiten. Es wird alles getan, um den Gästen Erleichterung im Sterbeprozess zu ermöglichen. Sterbehilfe ist im Hospiz keine Option.
Eine ganz spezielle Betreuungskraft ist aus der Arbeit nicht mehr wegzudenken. Immer wenn Barbara Holloh, Krankenschwester und stellvertretende Hausleitung im Dienst ist, ist auch ihre Hündin Bella, ein Labradoodle, im Haus. Dieser Hybridhund verliert keine Haare und seine Haare sind für Allergiker auch keine Gefahr. Bella „arbeitet“ als Therapiehund mit den Gästen, geht in allen Zimmern, in denen sie gewünscht wird, ein und aus. Das Tier bereitet vielen Menschen in ihren letzten Tagen schöne Momente. Als Dank bekommt Bella neben ihrem Futter so viel Streicheleinheiten, wie man sich es kaum vorstellen kann.
Welche Vorlieben und Abneigungen hat ein Gast, welche Wünsche hat er noch, welche Begleitung und von wem, wünscht er sich, wenn er seinem Abschied entgegengeht? Was möchte er gerne angezogen bekommen, nachdem er verstorben ist? Diese und viele weitere Fragen werden mit den Gästen besprochen. Es kommt keine bedrückende Atmosphäre auf, wie es zu erwarten wäre, wenn man das Hospiz betritt. Helle Räume, fröhlich wirkende Bilder und gemütliche Sitzecken, ein großes Wohnzimmer und ein schön angelegter Garten wirken einladend. Wenn Birgitt Brünken über einige Erinnerungen (natürlich ohne Namen zu nennen) berichtet, verleitet dies zum Schmunzeln und sogar zum Lachen. Da gibt es Geschichten von Haustieren, die Gäste mitgebracht hatten. Besonders in Erinnerung hat sie noch den Papagei, der Türen öffnen konnte und Katheterbeutel aufgepickt hat.
Sie erinnert sich an einen Gast, der gleich seine 20-köpfige Familie dabei hatte. Sie berichtete, dass jeder Gast seine eigenen Möbel mitbringen kann und von dem Versuch, einen liebgewonnenen Küchenschrank während eines Aufenthaltes blau zu streichen. Dann erzählte sie, dass sie besonderen Wert darauf legt, dass alle Gäste zum Ende ihres Lebens hin noch einmal das machen dürfen, wonach ihnen ist. So gab es im Hospiz schon Erstkommunionen, Eheschließungen, Pferde in Gartentüren, Einkaufstouren durch den Ort im Pflegebett, Reisen zur Nordsee und sogar einen Flug zur weit entfernten Verwandtschaft.
Bei allen Aktivitäten und bei aller „normaler Stimmung“ stehen die Bedürfnisse und die Würde der Gäste im Vordergrund. „Hospizarbeit ist eben individuell und fantasievoll“, meint Brünken lachend.
An jeder Wand kann man Fotocollagen aus dem Hospizalltag entdecken. Auch längst verstorbene Gäste haben hier noch immer ihren Platz.
Im Eingangsbereich steht eine Kerze, die angezündet wird, wenn ein Gast verstorben ist. Daneben steht ein großes Glas, das mit Blütenblättern gefüllt ist. Diese Blütenblätter, erklärt die Hausleitung, legen sie und die Mitarbeiter auf das Bett des gerade Verstorbenen und sammeln sie wieder ein, nachdem dieser das Hospiz verlassen hat. Die Blütenblätter heben sie in diesem Glas auf, um sie, wenn das Glas gefüllt ist, gemeinsam im Garten zu verstreuen. Dies zeigt, dass man auch nach 20 Jahren in der Hospizarbeit nicht abstumpft und noch immer um Gäste trauert.
Viele Gespräche im Team und, wenn nötig auch mit Supervisoren, helfen den Mitarbeitern ihre Arbeitserlebnisse zu bewältigen. Bei aller Nähe zu den Gästen und den befriedigenden Gedanken, ihnen ein würdiges Leben und Sterben ermöglicht zu haben, muss eine gesunde Distanz gehalten werden, um diese Arbeit auf Dauer durchführen zu können. (jvdh)