Heinz Henschel – Präzision ist auch eine Kunst
Kevelaer. Ein „Wanderer zwischen den Welten“ sei er gewesen, heißt es im Titel der Ausstellung mit Werken des unbekannten Künstlers Heinz Henschel, die das Niederrheinische Museum Kevelaer ab Februar zeigt. Wie kreativ und scheinbar chaotisch verlaufend, wie aber andererseits auch akribisch vorbereitet und präzise durchgeführt diese „Wanderungen“ im Leben dieses künstlerischen Autodidakten waren, davon zeugen viele seiner Werke. Aber davon können auch zwei Kevelaerer eine Menge erzählen, die Heinz Henschel ein kleines Stück weit auf seinem Lebensweg begleiten durften und in deren Hände er seine künstlerische Hinterlassenschaft vertrauensvoll legte.
Noch heute tut sich Matthias David schwer damit, diesen Mann mit dem dicken Schnauzbart zu beschreiben. Er hat über 1200 Exponate Henschels katalogisiert. Er verfolgte bei der Suche nach einer Vita Lebensspuren, die Henschel teils absichtlich auslöschte. Aus seinen Begegnungen in dem Haus, in dem er, seine Eltern, aber auch Henschel und andere lebten, und den Besuchen Henschels im Achterhoek hat sich eine Art Menschenbild geformt, das ihm doch noch fast jeden Tag neue Facetten zeigt. Denn darauf, und das ist vielleicht schon ein Hinweis auf der Spur nach diesem Mann hinter diesen oft buchstäblich unglaublichen Werken, hat es Heinz Henschel wohl niemals angelegt.
„Er hat für sich gelebt“, sagt André Gomolka, der Vater von Matthias David, der bis zu seinem Umzug nach Bayern in dem Haus in Dülken lebte, das Heinz Henschel bis zu seinem Tod bewohnte. Er erinnert sich trotzdem gut an gemeinsame Fahrten, Urlaube und Aktivitäten. Und dass Heinz Henschel ein freundlicher, „lustiger“ Mensch war, oft zu einem Scherz aufgelegt, oft aufgeschlossen seinen Mitmenschen gegenüber. Aber auch daran, dass Heinz Henschel sich immer wieder zurückzog, dass seine Kunst für ihn immer ein Rückzugsgebiet gewesen ist. Fast schon gewinnt man dabei den Eindruck, dass er sich wohl manchmal in seine Werke „flüchtete“.
Über die Gründe dafür können auch die beiden Kevelaerer nur spekulieren. Denn so wie es Heinz Henschel in seiner Kunst meisterhaft verstand, Spuren zu legen, so nachhaltig verwischte er die sonstigen Spuren seines Lebens. Seine Vita, die Matthias David aufgeschrieben hat, beschränkt sich auf wenige Eckdaten.
Natürlich finden sich im Berufsleben, beispielsweise über seine Arbeit als Feinmechaniker, Hinweise auf die Grundlagen der ungeheuren Präzision, mit der Henschel künstlerisch tätig war. Und Matthias David fand im Nachlass unzählige Bücher und Beschreibungen, anhand derer sich Henschel mit Themen wie etwa Schiffen oder indigenen Völkern auseinandersetzte.
Wie präzise Heinz Henschel arbeitete, hat er am Druck eines Eichhörnchens festgemacht. Allein das Auge muss eine unglaubliche feine Geduldsarbeit gewesen ein: „Auf fünf Quadratmillimetern hat er 367 Segmente gearbeitet“, sagt Matthias David.
Verschwenderisch und spartanisch zugleich
So verschwenderisch Heinz Henschel Zeit in seine Arbeit investierte, so spartanisch war sein Materialeinsatz: Matthias David zeigt ein farbiges Küchenbrettchen, auf dem man im Gegenlicht feinste Strukturen erkennt. „Eine Druckplatte für ein Bild“, sagt David, in dessen Haus der Druck dazu hängt: Ein verschneiter Winterwald. Offen gestanden: Betrachtet man das Brettchen in den schreiend bunten 70er-Jahre-Farben, könnte man die schmierig-graue Struktur auf der Oberfläche auch schlicht für eine Verschmutzung halten. Henschel machte daraus – natürlich mittels einer selbst gebauten Druckerpresse – ein ungeheuer detailreiches Bild. Radierungen auf der Rückseite alter Reklameposter, Frühstücksbrettchen als Druckplatten, Arbeiten mit Kugelschreiber auf Papp-Verpackungen, Collagen aus feinsten Zeitungsauschnitten – fast scheint es, als habe Heinz Henschel alles als Material verwendet, was ihm in die Finger fiel.
Und plötzlich, wenn man die Akribie, die Präzision der Arbeit, aber auch die Offenheit und Interessiertheit gegenüber scheinbar völlig unzusammenhängenden Themen näher betrachtet, versteht man auch, warum dieser Mann ein „Wanderer zwischen den Welten“ sein soll. Der gelernte Schlosser erschließt sich künstlerische Ausdrucksformen. Er schreitet mit Riesenschritten auf ein Thema los und sagt wissbegierig jede noch belanglos scheinende Information auf. Und dann setzt er das um. Beispiel hierfür sind etwa Pfeile zum Bogenschießen, die Henschel, als er sich dem Thema widmete, nach alten Vorlagen sebst anfertigte.
Oder eine Symbolschrift, die Heinz Henschel entwickelte, um seinen Bildern Titel zu geben, die doch niemand lesen konnte – bis Davids Tochter Amelie diese in akribischer Arbeit entschlüsselte.
Manchmal fühle sich das schon komisch an, sagt Matthias David, wenn er heute in den Hinterlassenschaften, in den Werken, Themen und damit auch in den Kosmen und im Leben dieses Ausnahmekünstlers herumstöbere. Aber er ist sich sicher, dass Heinz Henschel, der zuletzt oft nach Kevelaer kam, Interesse an den Aktivitäten des NuK-Achterhoek zeigte und leider im Sommer 2016 im Alter von 77 Jahren in einem Mönchengladbacher Krankenhaus verstarb, trotz aller Zurückgezogenheit und Scheu mit der Ausstellung seiner Werke im Museum einverstanden gewesen wäre.
„Am 18. Februar 2018 löse ich mein Versprechen ein.“
Kurz vor seinem Tod habe er sogar selbst Bilderrahmen gekauft, um eine Präsentation möglich zu machen, sagt David. „Er hätte keinen besseren für seinen Nachlass finden können“, sagt André Gomolka. Er sei kein Kunstexperte, antwortet Davis bescheiden. Da hätten ihn Gerd Baum, Veronika Hebben und Dr. Burkhard Schwerig vom Museum großartig unterstützt. Sie teilten mittlerweile seine Begeisterung für die Werke von Heinz Henschel, ist sich David sicher. Und die Beschäftigung mit dem Nachlass habe ihm – wie die Werke von Heinz Henschel – eine neue Welt eröffnet. „Am 18. Februar 2018 löse ich mein Versprechen ein“, freut er sich auf die Ausstellungseröffnung im Niederrheinischen Museum Kevelaer.
Info: www.heinzhenschel.de