Gute Politik braucht Informationen

Die KB-Serie der Interviews mit den Vorsitzenden der Ratsausschüsse geht weiter. Diesmal hat das KB Heinz Ermers (SPD), den Vorsitzenden des Sozialausschusses eingeladen.

KB: Herr Ermers, diese Ratsperiode ist die erste, in der es in Kevelaer einen Sozialausschuss gibt.
Heinz Ermers: Ja, wir hatten im Wahlkampf gefordert, diesen Ausschuss zu bilden. Erstaunlicherweise gab es dann bei den anderen Parteien keinen Widerstand und auch die CDU hat früh positive Signale gesetzt.

In dieser Ratsperiode gelingt es den Ausschüssen erstaunlich oft, Beschlüsse mit großen Mehrheiten zu fassen. Ist die Harmonie auch in einem konservativ dominierten Sozialausschuss so groß?
Die Findung war sicherlich spannend, aber man merkt, dass die Parteien ihre Sozialpolitiker in den Ausschuss geschickt haben. Es ist eine gute Besetzung aus allen Parteien und ein gutes Miteinander.

Und die Zusammenarbeit mit der Verwaltung, insbesondere mit dem Sozialdezernenten Marc Buchholz, der ja ein CDU-Parteibuch hat?
Besser, als ich gedacht hatte. Sein Amt ist sehr gut aufgestellt und die Zusammenarbeit mit ihm und seinen Mitarbeitern ist super. Das freut mich sehr.

Gibt es denn in einer recht gut situierten Stadt wie Kevelaer überhaupt viel für einen Sozialausschuss zu tun?
Auch in Kevelaer ist nicht alles Gold, was glänzt. Es gibt auch bei uns Ecken, wo man hinschauen sollte, wenn auch anders als in Ballungszentren. Letztes Jahr waren wir sehr aktiv mit dem Programm „NRW hält zusammen“. Da haben wir gesehen, dass ein großer Teil der Familien ein recht gutes Einkommen hat, aber ein geringer Teil wenig und nicht gut. Da muss man hinschauen. In diesem Jahr hat das Jugendamt das Thema „Kinderarmut hat viele Gesichter“. Es gibt auch Armut, die nicht nur monetär ist. Auf den Ergebnissen würde ich gerne 2019 aufbauen: Wie kann man Armut in Kevelaer minimieren? Dann müssen wir die Rahmenbedingungen schaffen für Verbesserungen.

Was ist aus der SPD-Forderung nach einem Sozialbericht geworden?
Dafür haben wir leider bisher keine Mehrheit hinbekommen.

Wenn man in die Tagesordnungen schaut, scheint sich der Sozialausschuss eh mehr mit Berichten als mit Entscheidungen zu befassen.
Das wird uns immer mal vorgeworfen. Ich bin sehr hinterher, Dinge mitzuteilen, damit die Politik sie weiß. Die Politik ist der Aufsichtsrat der Verwaltung.

Schauen wir auf ein paar bekannte Probleme. Was tut sich beim bezahlbaren Wohnraum?
Ich hab den damaligen Bürgermeister schon 2009 und 2011 darauf hingewiesen, dass wir das Problem haben, dass es kaum noch bezahlbaren Wohnraum gibt. Das hing mit der Hochschule Rhein-Waal zusammen, denn wir liegen an der Bahnstrecke von Kleve nach Kamp-Lintfort, und mit Ryanair-Mitarbeitern, die hier kleine Wohnungen suchten. Das Problem ist aber ein kreisweites und hätte von der Bürgermeisterrunde besprochen werden müssen. Aber das wurde nicht angegangen. Durch die Asylbewerber wurde die Problematik in den letzten Jahren verschärft. Wenn es freie Wohnungen in Kevelaer gibt, dann teuer und nicht immer in gutem Zustand.

Aber jetzt hat die Stadt das Thema doch auf der Agenda.
Vor zwei Jahren haben wir angefangen, das Problem in Kevelaer selbst anzugehen. Vorbild war die Stadt Nettetal, die in den letzten Jahren ein Objekt nach dem anderen baut und dort für Entspannung im Wohnungsmarkt sorgt. Ich fände es spannend, wenn bezahlbarer Wohnraum in städtischer Hand bliebe, weil wir dann Steuermöglichkeiten haben und die Wohnungen an die eigene Bevölkerung vergeben könnten. Leider stockt das zurzeit.

Woran liegt das?
Wir haben zuerst geschaut: Wo haben wir städtische Flächen, wo können wir bauen? Wir haben dann am Beethovenring/Schu­bertstraße die GWS gefragt, an der die Stadt Kevelaer beteiligt ist. Dass die Bürger dort nicht erfreut sind, kann ich nachvollziehen, aber irgendwo muss man anfangen. Ich hoffe, dass dort eine Einigung noch erreicht werden kann. Hier muss die Politik Gesamtkevelaer betrachten und wir brauchen eine Entspannung des Wohnungsmarktes in unserer Stadt.

Ihre Partei hat dazu auch gerade einen Antrag für den Rat gestellt.
Wir möchten, dass in künftigen Wohnbaugebieten 15 bis 20 Prozent für bezahlbaren Wohnraum vorgehalten wird.

Sie sprachen gerade schon kurz die Asylbewerber an. Wie kommt die Integration hier voran?
Die Lage hat sich etwas entspannt, da haben Bevölkerung und Verwaltung Großes geleistet. Aber viele Bewerber haben inzwischen einen Aufenthaltsstatus und müssen untergebracht werden. Wir dürfen aber nicht die eigene Bevölkerung aus den Augen verlieren. Darum bin ich dankbar für den Antrag der Grünen hinsichtlich der Obdachlosen.

Wie viele Obdachlose gibt es denn in Kevelaer und wie wird ihnen derzeit geholfen?
Das weiß ich gar nicht so genau, deshalb ist der Antrag auch so wichtig. Gefühlt ist das Problem größer als vor 20 bis 30 Jahren. Wir haben viele Organisation und Vereine, die Hilfen bieten. Ich denke, wir müssen alle mal an einen Tisch bringen und besser vernetzen. Bestimmt arbeiten einige in manchen Dingen parallel.

Nicht alle Angebote unterstützt die Politik, Stichwort Drogenberatung.
Da ging es um einen Antrag der Diakonie aus einer Nachbarkommune, bei dem die Politik nicht auf einer Linie war. Wir haben hier vor Ort die Caritas, aber aus Gründen der Scham suchen viele Menschen lieber Hilfe in einer Nachbargemeinde. Die harten Drogen sind auch nicht mehr so das Problem, sondern eher die weichen und Suchtmittel wie Alkohol. Ich meine, dass Prävention meist billiger ist, als hinterher die Sache auszubaden.

Wie ist die Arbeitsmarktsituation in Kevelaer – gibt es genügend Arbeitsplätze?
Meines Erachtens nicht, sonst hätten wir nicht so viele Pendler. Ich bin froh, dass wir das Gewerbegebiet Aent Vorst durchsetzen konnten. Wir mussten zu viele Gewerbetreibende ablehnen, weil wir keine Flächen anbieten konnten.

Ein Problem der Beschränkungen durch die Bezirksregierung?
Den Schwarzen Peter der Bezirksregierung zuschieben? Ich weiß nicht, ich glaube eher, wir sind in den letzten Legislaturen erlahmt. Der Rat hat vor ca. 15 Jahren beschlossen, in bestimmten Gewerbegebieten nur große Flächen zu vergeben. Nachdem die anderen Gewerbegebiete, die auch kleine Flächen hergaben, voll waren, gab es nur noch große Flächen in der Stadt. Mögliche Gewerbeansiedlungen, die kleine Flächen haben wollten, haben hier nichts bekommen und sind abgewandert. Wir haben immer auf Aent Vorst gehofft, und das ist lange nicht zustande gekommen. Im Gewerbegebiet Süd gibt es nicht mehr viele Flächen, sodass wir gar nicht versuchen können, einen großen Wurf zu landen.

Trotzdem ist gerade im sozialen Bereich vieles durch Landes- und Bezirksregierung festgelegt.
Es stimmt, viel ist von oben bestimmt. Das meiste Geld im Haushalt ist der Pflichtteil. Um so wichtiger ist es, das wenige Geld, das übrig bleibt, sinnvoll und gezielt zu verteilen. Dabei wäre ein Sozialbericht hilfreich. Ich hoffe, dass wir das noch hinkriegen. Wenn Fakten auf dem Tisch liegen, ist es immer leichter darüber zu reden, als wenn man sagen muss: Ich habe da gehört …

Hat sich der Ausschuss denn bislang bewährt? Wie geht es weiter?
Ich fände es schön, wenn es gelingt, den Sozialausschuss zu etablieren, dass er auch nach 2020 fortbesteht. Es ist gut, dass Politiker über bestimmte Dinge sprechen und diesen Inhalt in ihre Parteien tragen. Der Ausschuss kostet natürlich Geld, aber gute Politik kostet eben Geld. Ich fände es allerdings auch gut, wenn der Sozialausschussvorsitzende keine Aufwandsentschädigung kriegen würde. Ich glaube zwar schon, dass ich einen hohen Aufwand habe. Aber ich mache ja nicht Politik wegen des Geldes, sondern für die Stadt. Und: Wo es kein Geld gibt, tummelt sich Wissen.

Heinz Ermers
Der SPD-Politiker Heinz Ermers ist gebürtiger Kevelaerer. Der gelernte Schlossermeister arbeitet heute als Instandhaltungstrainer – „ wahrscheinlich einer von zweien in Deutschland“, scherzt er über die Berufsbezeichnung. Faktisch ist er für die Sicherheitsunterweisung der Unternehmensmitarbeiter und der Mitarbeiter von Partnerfirmen zuständig. Der 48-Jährige hat eine Lebensgefährtin und drei Hobbys: die Fotografie, das Briefmarkensammeln (besonders im Winter) und das Lesen („viel zu oft Verwaltungsvorlagen“).