Gunther Rost brillierte an der Basilikaorgel

Es stimmte einfach alles beim Orkelkonzert in der Basilika mit Gunther Rost. Und dies in einer Qualität, wie man sie auch im mit hochkarätigen Gastorganisten verwöhnten Kevelaer nur selten erlebt.
Interpret, Instrument, Raum und die auf dem Programm stehende Musik fanden zu einer wunderbaren Symbiose, wie man sie sich immer wünscht, aber nur selten hört. Unter Orgelfreunden ist Gunther Rost sicher eine feste Größe, auch wenn man seinen Namen in nördlichen Breiten nicht besonders oft wahrnimmt.
Bereits mit 27 Jahren wurde er zum Professor für Orgel und Orgelimprovisation an der Kunstuniversität Graz berufen und machte dort seine ersten Schlagzeilen mit der äußerst umstrittenen Anschaffung einer großen Digitalorgel für den Lehr- und Unterrichtsbetrieb an seiner neuen Wirkungsstätte. Auch wenn dieses Instrument Lichtjahre von den noch in manchen Wohnzimmern vorhandenen „Elektronenbeschleunigern à la Bontempi“ entfernt ist und vor zehn Jahren das Modernste vom Modernen war, führte sein Wunsch nach solch einem Orgelsurrogat verständlicherweise nicht nur zu Beifallsbekundungen.
Gerahmt von zwei genuinen Orgelkompositionen bildeten den Kern des Programms Bearbeitungen von Klaviermusik für Orgel: eine Auswahl aus den „24 Préludes op. 28“ von Frédéric Chopin und Franz Liszts monumentale Sonate in h-Moll. Den Auftakt bildete jedoch die „Sonate in A-Dur, op. 65/3“ von Felix Mendelssohn-Bartholdy, thematisch ganz wunderbar passend in die Fastenzeit, webt Mendelssohn doch im Fugenteil des ersten Satzes in der dem Pedal zugewiesenen Stimme den Choral „Aus tiefer Not schrei ich zu dir“ ein. Schon hier merkte man, dass dieses Basilikakonzert nicht dem ansonsten vorgezeichneten Pfad folgen würde – am Beginn, in der Mitte und am Schluss markerschütterndes Tutti – sondern, dass am Spieltisch ein kreativer Klangfarbenmaler Platz genommen hatte.
Der präludienhafte Teil kam in einer schlanken, beinahe barock anmutenden Registrierung daher, die in Verbindung mit seiner luftigen Artikulation für eine schöne Durchhörbarkeit sorgte. Die Themenexposition der Fuge beinahe rezitativisch frei zu gestalten, ließ aufhorchen, wirkte an dieser Stelle aber vielleicht eine Spur zu manieriert. Den Wunsch Mendelssohns, diese Fuge in Tempo und Dynamik als Steigerungsform zu begreifen, löste Rost technisch souverän ein. Dass diese Sonaten mit jenen Beethovenscher Prägung wenig gemein haben, wird bei der A-Dur-Sonate besonders deutlich, ist sie doch eher eine Fuge mit kurzem Präludium und angehängtem langsamen Satz, der in herrlichem Streicherklang dahinschwebte.
Beinahe zehn Jahre ist die von Gunther Rost an der Basilikaorgel eingespielte CD mit den „24 Préludes“ von Frédéric Chopin nun alt und vier dieser skizzenhaften Miniaturen standen dieses Mal auf dem Programm. Die extreme thematische Verdichtung mit der Chopin arbeitet, macht es für den Interpreten besonders schwierig.
Auf trübe Melancholie folgt scherzohaftes Glitzern, bevor im nächsten Prélude wieder ein getragen-inniger Gestus folgt – alles in nur wenigen Takten. Viele schöne Einzelfarben und schlanke Registermischungen der Orgel waren zu hören – eine (zu) selten ausgespielte Stärke des Instruments in der Basilika. Auch hier lebte die Musik von der sauberen Artikulation und dem Spiel mit der Raumakustik. Interpreten die sich hörend reflektieren und nicht nur dem „inneren Ohr“ folgen, sind seltener, als man gemeinhin glaubt.
In der Mitte thronte der Titan des Programms, die beinahe halbstündige Sonate in h-Moll von Franz Liszt – ohne Zweifel eines der anspruchsvollsten und bedeutendsten Werke der Romantik. Sind die Orgelsonaten Mendelssohns eher lockere Reihungen von Einzelsätzen, sprengt Liszt mit seinem Konzept der „Mehrsätzigkeit in der Einsätzigkeit“ die Form in einer anderen Richtung.
Auch wenn man hinter Liszts Klaviersatz gewiss ein orchestrales Denken vermuten darf, erhält die Sonate durch die klangfarbliche Neuausgestaltung im Orgelsatz eine gänzlich andere Wirkung – daran scheiden sich geschmacklich gewiss die Geister. Ließ man sich jedoch auf die dargebotene „Orchestrierung“ ein, eröffnete sich einem die Möglichkeit, insbesondere in der Harmonik vieles noch intensiver wahrzunehmen, ja manche Passagen muteten im vollen „Bläserklang“ beinahe wagnerisch an, andere bekamen durch ihre pointiert perkussive Registrierung fast impressionistische Züge. An dieser Stelle ins Detail zu gehen, hieße, gänzlich den Rahmen zu sprengen, aber auch hier fanden wieder technische Perfektion und Klangsinn zusammen.
Das Finale des Nachmittags war eine Toccata und zwar jene von Widor – mehr Angaben muss man zu diesem meistgespielten Werk des Pariser Meisters ohnehin nicht machen. Der regelmäßige Orgelkonzertgänger hat sie ungezählte Male gehört, da freut es umso mehr, wenn sie mal nicht wie eine Etüde vorgetragen wird. Überragende Technik und überlegte Registrierung machten es möglich: Selbst in der mulmigen Basilikaakustik war die Staccato-Figuration herrlich dahinperlend zu hören und zwar ohne den sprichwörtlichen „Duracell-Hasen-Effekt“. Rosts Agogik mag vielleicht nicht in der französischen Interpretationstradition stehen, belebte diese von musikalischem Geist nicht eben sprühende Brilliernummer allerdings ausgesprochen wohltuend.
Die gut 60 Zuhörer spendeten wohlverdient reichen Applaus für diese knappe Stunde Musik, inklusive sich anschließender Zugabe („Air“ von Johann Sebastian Bach). Es war von allem das richtige Maß für ein gelungenes Orgelkonzert: ein in Inhalt, Länge und Dramaturgie wohl abgemessenes Programm und ein Interpret, dem der Balanceakt gelang, sein künstlerisch überragendes Können zu präsentieren, ohne dass die Musik zur reinen Projektionsfläche für dieses degradiert wird.