Gefährliches Nichtwissen

Wie schön war das doch, als zu Beginn des neuen Jahres die ersten Schneeflocken fielen. Leider war das ja für die Kinder etwas zu wenig und für die Autofahrer zu viel. Die Situation erinnerte mich allerdings an eine Begegnung von vor einigen Jahren. Wie immer, war ich auch in dieser kalten Jahreszeit mit meiner Kiepe unterwegs. Schon bald traf ich einen alten Mann, schwer gebeugt, auf seine Schneeschaufel gestützt.
Guter Mann, warum schaust du so mutlos?“, fragte ich. „Ach“, sagte er etwas gequält, „es ist für mich alten Mann eine so große Last, dass ich jetzt die ganze Straße vom Schnee befreien muss!“ Er sah in mein ungläubiges Gesicht, als ich fragte: „Aber reicht es denn nicht, wenn du einen Gehweg frei machst, so dass zwei Personen nebeneinander laufen oder sich begegnen können? So jedenfalls glaubt es doch, neben mir, ein Großteil unserer Bevölkerung.“
Er antwortet: „Weißt du denn nicht? Auch hier ist unsere geliebte Stadt mal wieder unverwechselbar, leider nicht zum Vorteil für ihre Bürger. Seit Jahren gibt es nämlich die Regelung, dass in den Teilen unserer Stadt, in der keine Straßenreinigungsgebühren mehr berechnet werden – meist Randbezirke und verkehrsberuhigte Bereiche –, nicht nur die Bürgersteige oder Fußgängerbereiche geräumt werden müssen, sondern die komplette Straße. Mein Vermieter war so clever, dass er per Mietvertrag diese Pflicht auf mich übertragen hat und zusätzlich noch auf die Besonderheit Straße schriftlich hinwies. Schlimm ist besonders, dass ich auf diesen Umstand meine Nachbarn hingewiesen hatte. Die erklärten mich jedoch für bekloppt und weigern sich permanent, diese Räumungen vorzunehmen. Jedes Mal, wenn jetzt ein Auto unsere Straße passiert, trägt es natürlich den Schnee der Nachbarn wieder auf unseren Straßenabschnitt und ich muss fast jede Viertelstunde räumen. Sollte es in meinem Verantwortungsbereich tatsächlich mal zu einem größeren Schaden kommen, wird es sicherlich ein aufwendiges Verfahren vor dem Kadi geben.“
Nachdenklich verabschiedete ich mich von dem alten Mann, nicht ohne ihm noch viel Glück für das vor uns liegende Jahr wünschen. Ich ging des Weges und nahm mir vor, dass ich die Sache mal von meiner geliebten Heimatzeitung recherchieren lassen wollte.
Als ich Mechel von meiner Begegnung berichtete, meinte meine liebe Frau: „Wie war das doch einfach, als du noch als einsamer Handelsmann unterwegs warst. Im Winter habe ich dir einfach mehrere Paar dicke Socken gestrickt, von dem du eines dann über die Schuhe zogst und nicht ausgerutscht bist. Ja, früher war jeder selbst für sich verantwortlich und musste aufpassen, dass er nicht in den Schnee fiel.“
Euer Hendrick