Eskalation im Straßenverkehr
Eine Frohnatur und Karnevalistin wie Karin Raimondi aus der Ruhe zu bringen, dazu gehört schon einiges. Was aber der unter dem Namen „Attacke“ in Kevelaer bekannt gewordenen Twistedenerin am 5. Mai passiert ist, ist für sie in mehrfacher Hinsicht schon unglaublich. Die leidenschaftliche Karnevalistin befuhr den Kreisverkehr nahe der Gaststätte „Zum lieven Herr“ in Richtung Well. „Da war die Straßenmeisterei am arbeiten. Und wo ich kurz davor war, machte ein Mann einen Schritt auf die Straße. Da hab‘ ich gebremst, weil ich den ja nicht plattfahren wollte.“ Der Mann ging anschließend einen Schritt zurück und winkte ihr zu, sie könne weiterfahren. Der Fahrer, der unmittelbar hinter Raimondi fuhr, ärgerte sich über den Vorfall wohl. „Ich weiß nicht, ob er sich so erschrocken hat. Jedenfalls hat er gehupt und getobt.“
Was dann passierte, als sie Richtung Well weiterfuhr, das versteht die 55-Jährige bis heute nicht so richtig. „Der hat mich bedrängt. Da habe ich zwischenzeitlich mal Gas gegeben, weil ich weg wollte. Der hing mir aber immer wieder hinten dran, fuhr immer neben mir.“ Das Ganze ging so bis zu der ersten Kurve. „Dann hat er mich überholt und ist wie im Wilden Westen links und rechts gefahren, um mich nicht vorbei zu lassen.“ Ausgebremst blieb sie mit ihrem Fahrzeug stehen.
„Mach die Tür auf!“
Tatsächlich habe sie bis dahin noch gedacht, dass es sich vielleicht irgendwie um einen Bekannten handelt, der sich einen Scherz daraus machen will. „Dann stieg er aus, kam auf das Auto zu.“ An der Fahrerscheibe sei noch ein winziger Spalt offen gewesen, da habe er hineingegriffen. Sie habe schnell das Fenster zugedreht, die Tür-Automatik machte alles dicht. „Mach die Tür auf, du blöde Kuh!“, habe er gerufen.
Er habe gegen die Scheibe geschlagen, sie angeschrien. „Der hat an der Tür gezogen und wollte mich da rausziehen. Ich hab‘ gedacht, ich bin im falschen Film.“ Geistesgegenwärtig suchte Raimondi nach ihrem Handy, fand es zunächst nicht, fotografierte dann den Mann und sein Fahrzeug. „Dann hat er geschrien und mein Nummernschild fotografiert.“ Anschließend machte sich der Mann davon.
„Ich war so fertig, ich hab‘ erstmal fünf Minuten mit dem Wagen am Wegesrand gestanden“, schildert Raimondi ihre Gemütsverfassung unmittelbar danach. Sie telefoniert mit dem Polizei-Notruf, der ihr empfiehlt, den Vorfall bei der Wache zu melden. „Der erste Notruf war auch sehr nett. Der sagte: ,Erledigen Sie, was Sie erledigen müssen, und dann gehen Sie hin.‘“ Also erledigte die Twistedenerin noch schnell ihre Einkäufe, ehe sie die Wache in Kevelaer aufsuchte.
„Das läuft ins Leere.“
Damit der Beamte sie besser erkennen kann, setzt sie die Maske nicht ganz richtig auf. „Der ranzte mich dann direkt an“, erinnert sie sich. Danach habe sie von dem Geschehen berichtet, wie sie ausgebremst, bedrängt und beleidigt worden sei, dass sie Bilder von dem Mann vorlegen könne, wie er vor ihrem Auto herumfuchtelt.
Die Reaktion des Beamten verblüfft sie. „Er meinte: Das sollte ich mir überlegen, ob ich da eine Anzeige mache. ,Das läuft eh ins Leere – wenn, dann können Sie das online machen.‘“ Sie sei nach Hause zurückgekehrt und habe zwei schlaflose Nächte verbracht. „Ich war so fertig, ich dachte, der bringt mich um.“
Die Kommunalpolitikerin vertraut sich einem ehemaligen Polizisten an, spricht mit einer pensionierten Richterin über den Fall. Beide raten ihr, diesen Vorgang nicht auf sich sitzen zu lassen. Und so erstattete sie online Anzeige gegen den Fahrer. Daraufhin meldet sich ein Beamter des Verkehrskommissariats Goch bei ihr. „Der war sehr nett, bat mich, das alles nochmal schriftlich zu machen.“
Bis heute weiß sie nicht, was in den Mann gefahren und „warum er so ausgerastet“ ist. „Vielleicht hat er sich ja erschrocken – aber ich hab‘ echt Panik gehabt. Das war eine krasse Nummer.“ Genauso wenig versteht sie aber, warum der Beamte auf der Wache ihr nicht weitergeholfen hat. „Da habe ich mich nicht glücklich mit gefühlt“, formuliert sie zurückhaltend. Mittlerweile läuft das Verfahren gegen den Mann, der sie so verstört hat. Ihre Hoffnung ist, dass ihr so eine Situation nicht nochmal passiert. Und dass, wenn so was jemandem passiert, die Polizei ihrer Rolle als „Freund und Helfer“ vollständig gerecht wird.