Erfinderischer Alltag in der Kita „Spatzennest“

Erzieherin Ramona Heckens sitzt mit dem sechsjährigen Leonard und dem vierjährigen Johann zusammen in einer Sitzecke im ersten Stock und liest ihnen aus einem Buch vor. Ein Moment der Ruhe, weit weg von Dingen wie Corona.

Das Virus hat in der Kita „Spatzennest“ an der Twistedener Straße, wie in vielen Kindertagesstätten, das Alltagsleben der 26 Mitarbeiter, der gut 90 Kinder und deren Eltern in den vergangenen Monaten entscheidend mitgeprägt. „Was sich keiner so richtig hat vorstellen können, ist, dass der komplette Betrieb von jetzt auf gleich außer Gefecht gesetzt wurde“, beschreibt die Einrichtungsleiterin Birgitt Reudenbach, die seit der Gründung 1994 mit dabei ist, die Situation Mitte März.

„Es lief hier im städtischen Kindergarten noch ein, zwei Wochen anders als in anderen Kindergärten. Aber irgendwann waren auch die Kollegen weg.“ Weil keiner Covid-19 kannte, wurden aus Schutz erst alle Kinder nach Hause geschickt, und dann später die Mitarbeiter. Man habe versucht, so gut es ging, den Kontakt zu den Eltern und den Kindern zu halten. Das habe seine Zeit gebraucht – und neue Ideen. „Was früher verschrien war, mit Handy arbeiten, das war nun sinnvoll. Bei der U3 haben wir zum Beispiel was mit Filmchen gemacht. Die Erzieherinnen haben mit einer Handpuppe kleine Filmchen gemacht, ein Lied gesungen oder was zum Basteln vorgestellt.“

Bei den „großen“ Gruppen ging es ähnlich. „Eingestielt hatten wir das mit so einem kleinen Suchspiel-Quiz. Und die Lösung ergab eine Symbolkombination. Es gab ein Symbolschloss, das wir in der eigentlichen Milchkiste hatten. Da gab es einen ‚Schatz‘: Mappen für die Vorschulkinder, Materialien zum Basteln und Bemalen sowie das Angebot, das zu hinterlegen und dann neu zu bestücken.“ Nach einer gewissen Zeit war es dann so, dass die Kinder der Eltern aus den systemrelevanten Berufen kommen durften, so Reudenbach.

Zu Anfang mussten beide Partner „systemrelevant“ sein, später nur noch einer. „Wir haben vier Wochen mit zwei Kindern gearbeitet. Dann kamen die Kinder peu à peu wieder.“ Es hätten auch mehr kommen können. „Aber die Angst der Eltern war halt noch so groß, die Angst und die Sorge, mit diesem Virus umzugehen – bei uns natürlich auch.“ Man bekam regelmäßig aus dem zuständigen Stamp-Ministerium Schreiben, „was geht und was nicht geht.“ Und am Wochenende überlegte man dann, wie man das am Montag umsetzt.

Die Dynamik erforderte flexibles Handeln

Bis Anfang August war an normalen Betrieb nicht zu denken, bis zu den Sommerferien kamen immer wieder neue Nachrichten, erinnert sich auch Stephanie Niewerth. Die Elternvertreterin hat drei Söhne – zwei von ihnen, Leonard und Johann, sind in der Kita. Als Bankkauffrau im Personalbereich war sie nicht systemrelevant. „Ich konnte aber im Home Office arbeiten“, erzählt die 45-Jährige. Natürlich musste man den Alltag anders strukturieren.

„Ich bin dann meistens schon um 5 Uhr aufgestanden, damit ich zwei, drei Stunden arbeiten konnte, bevor die Kinder aufgestanden sind. Dann haben die Mittagspause gehabt, da habe ich auch gearbeitet – und abends, wenn mein Mann zu Hause war.“ Diese „Isolation“ hätten die Kinder selbst am Anfang gar nicht so nachvollzogen, weil es quasi wie Urlaub für sie gewesen sei, sagt Niewerth. „Dann kamen die vielen Angebote des Kindergartens, die ‚Systemrelevanten‘ konnten rein und man konnte mit einem Spielpartner spielen. Ich kann nicht sagen, dass es für meine Kinder groß was gemacht hat.“

Garten und Spielpartner waren große Erleichterung

Aber sie sieht auch, dass es etwas anderes gewesen wäre, wenn sie in einer Großstadt in einer Drei-Zimmer-Wohnung mit zwei Kindern gelebt hätte, ohne Möglichkeiten der Spielplatznutzung. „Das hat mit Sicherheit was mit den Kindern und sicher auch was mit mir gemacht. Wir hatten einen Garten, wo sie raus konnten und es waren zwei, die miteinander spielen konnten.“

Bei dem ein oder anderen Alleinerziehenden gab es da schon Probleme, räumt Reudenbach ein. „Die waren dankbar, als das Ministerium sagte, dass auch sie wiederkommen können mit den Kindern.“ Klar gebe es auch andere Fälle. Bei den Älteren gab es schon die eine oder andere Videobotschaft in der ersten Lockdown-Zeit, wo die Sehnsucht nach dem Kindergarten artikuliert wurde, sagt Reudenbach. Und natürlich kann man aktuell im Vorschulbereich so wichtige Elemente wie das Schwimmen nicht verwirklichen. „Wir wollen das auch nicht kleinreden. Das ist sicher nicht Gold für Kinder“, ergänzt Niewerth.

Das Vertrauen zu den Eltern muss stimmen

Natürlich habe man in der Einrichtung die Sorge gehabt, wie die Kinder mit den Masken umgehen, sagt Birgitt Reudenbach. „Wir haben ja auch Erzieherinnen, die vorerkrankt sind, die vom Arbeitgeber nicht dauerhaft freigestellt wurden.“ So musste man sich etwas einfallen lassen. Dauerhaft habe man sich jetzt gegen das Masketragen entschieden – das sei jedem Träger ja freigestellt, sagt Reudenbach.

„Die Kolleginnen mit Vorerkrankungen haben den ganzen Tag Maske auf, da haben wir uns viel Arbeit gemacht, um an eine gescheite Maske zu kommen.“ Die Erzieherinnen in der Gruppe müssen das nicht. „Aber sobald Kontakt mit fremden Personen, zu den Bring-und Abholdiensten der Eltern besteht und falls wir ihnen auf dem Flur begegnen könnten, haben wir uns da selbst eine ‚Maskenpflicht‘ verordnet.“

Ein Moment der Ruhe im „Spatzennest“.

Ansonsten gelten die „AHA plus L-Regeln“. Das L(üften) sei das Wichtigste. „Wir haben zwei Etagen. Das macht Sinn, wenn man quer lüftet. Da muss man aber auf den Etagen die Fenster besetzen. Wir schaffen es sicher nicht alle 20 Minuten wie in der Schule, aber das ist das beste Mittel, um Schlimmeres zu verhindern.“ Natürlich verfolgte man die Debatte um die Frage, wie ansteckend Kinder sein können. Der Kontakt zu den Kindern, der bestehe nun einmal, sagt Reudenbach. #

Darum wird im Haus konsequente Händedesinfektion betrieben – auch von den Kindern. „Kinder dürfen auch mit Schnupfen in den Kindergarten. Da müsse man gründlich beobachten, so die Leiterin. „Sobald Symptome auftreten, die zu Covid gehören, müssen die Kinder abgeholt werden – Fieber, Husten und so weiter.“

Das Einzige, was eben nicht funktioniert, ist der Abstand, ergänzt Niewerth. Das sei mit Kindern nicht möglich. Das habe viel mit Vertrauen zu tun. „Das Vertrauensverhältnis in dieser Gruppe mit den Erzieherinnen ist dann halt so groß, dass ich davon ausgehe, dass die nicht zu irgendwelchen Partys privat ohne Maske losziehen.“ Und die Kinder hätten in der Einrichtung ihren festen Kreis und spielten mit Kindern aus ihrer Gruppe, meint sie. „Und da kennt man auch die Eltern, zu denen man Vertrauen hat und weiß, die gehen sorgsam mit allen um.

fühlt man sich wie auf einer Insel, das gibt einem schon ein gutes Gefühl.“ Das Vertrauen beruhe auf Gegenseitigkeit, sagt Reudenbach. „Wir bauen ja auch darauf, dass die Eltern uns gegenüber ehrlich sind.“ Alle seien da sehr diszipliniert. „Die Eltern wollen nicht, dass die Einrichtung geschlossen werden muss und wir möchten es natürlich auch nicht.“

Im „Spatzennest“ dürfen die Eltern die Einrichtung betreten. „Ich weiß von anderen Kindergärten, wo die Eltern ihre Kinder am Gartentor abgeben“, räumt Reudenbach ein. „Das ließe sich hier nicht bewerkstelligen. Und es ist gut, dass es so ist.“ Man habe geregelt, „dass es sich nicht in der Gruppe mischt und knubbelt.“ Deswegen verabschieden sich Eltern und Kinder auch auf dem Flur.

Corona-Fälle hat es bei den Kindern bislang nicht gegeben. „Bei den Eltern schon – aber da waren die mit den Kindern in Quarantäne. Da ist entscheidend, was die Eltern draus machen.“ Natürlich haben die vorerkrankten Mitarbeiterinnen etwas Sorge. Der Kontakt zwischen Eltern und Erzieherinnen ist allerdings auf das Minimum reduziert. Aber da fehle natürlich der Austausch, sagt Niewerth. „Da sind wir ganz stark verwöhnt, wenn man beim Abgeben und Abholen ein paar Sätze spricht. Das ist einfach nicht mehr.“

Die größten Probleme hätten da natürlich die Eltern, „die unter Corona-Bedingungen das erste Kind in einen Kindergarten geben.“ Natürlich hoffen beide auf eine baldige Rückkehr zum „alten Alltag“ – oder zumindestens darauf, dass die großen Einschränkungen bald ihr Ende finden.

Die diskutierte Vorverlegung der Winterferien mit einer möglichen freiwilligen 14-Tage-Quarantäne vor Weihnachten halten sie für keine gute Idee. „Es scheint nachvollziehbar, aber die Eltern können ihrem Arbeitgeber ja nicht sagen: Wir hören jetzt mal auf“, sagt Niewerth. Da sei dann schon sehr viel Toleranz gefragt. „Für uns ist das keine Überlegung“, pflichtet Reudenbach ihr bei.