„Er hat mich eiskalt missbraucht“

Zum Auftakt des Prozesses gegen einen 50-jährigen Sozialpädagogen aus Kevelaer am Freitag, 14. Februar 2020, am Landgericht Kleve hat der Angeklagte die gegen ihn erhobenen Vorwürfe „im Großen und Ganzen“ bestätigt. Gegenüber dem Richter Christian Henckel gab der Mann lediglich an, einige Einzelheiten anders in Erinnerung zu haben. Die Anklage wirft ihm in 52 Fällen sexuellen Missbrauch von Minderjährigen vor, unter anderen mehrfachen schweren sexuellen Missbrauch seines Neffen.

Der Missbrauch des Neffen habe demnach im Jahr 1998 begonnen, als der damals Achtjährige bei ihm übernachtete, später auch den eigenen Sohn mit beaufsichtigte. „Ich wurde nachts wach, er schlief auf dem Sofa, ich habe ihn berührt. Ich dachte, er schläft.“ Er habe sich „nicht unter Kontrolle“ gehabt, gestand er im Verfahren. Vorher habe es nie so ein Verlangen gegeben. „Das ist in dieser ersten Nacht entstanden.“

Danach habe es immer wieder Berührungen gegeben. „Erst nur nachts, irgendwann ist es tagsüber auch passiert.“ Er habe sich oft zu ihm auf das Sofa gesetzt. Der Angeklagte sprach von „20 bis 25 Vorfällen“ dieser Art. Auch bei zwei Urlauben in den Niederlanden sei das passiert.

Warum die Übergriffe im Jahr 2002 endeten, konnte der Angeklagte nicht genau sagen. „Es gab die Gelegenheit einfach nicht mehr, und wir haben nie darüber gesprochen.“ Die Tochter wurde geboren, er begann sein Sozialpädagogik-Studium und gründete einen Verein, der jährliche Abenteuer-Freizeiten für Kinder organisierte.

Auch dort soll es auf den verschiedenen Fahrten zu Übergriffen gekommen sein – laut Anklage in zehn Fällen. „Irgendwann war da so eine so eine Art Spannung, die ausgelöst wurde“, schilderte der Angeklagte den Impuls bei einem Pfingstzeltlager. Dort legte er einem Jungen die Hand auf den Bauch, der neben ihm lag. Mehr sei aber nicht geschehen.

Die Kontrolle verloren

In den Folgejahren habe er dann „irgendwann die Kontrolle nicht mehr“ gehabt und habe „aus der Situation heraus“ immer wieder Kinder berührt – mal kurz, mal etwas länger – und sich auch dabei selbst befriedigt, als er neben ihnen gelegen habe. Denn häufig habe er auf den Freizeiten mit den Kindern in einem Zelt geschlafen, und die Kinder hätten entschieden, welcher Betreuer wo schläft. Häufig habe er neben den Jungen gelegen, die ihm „sehr nahe“ standen, sagte der 50-Jährige. Er habe nie wahrgenommen, dass die Opfer wach geworden seien. „Sie haben sich dann weggedreht.“ Tatsächlich müssen einige Opfer sich aber erinnert haben, sonst wären die Taten nicht Bestandteil der Anklage geworden.

Bei der letzten Fahrt im Sommer 2019 habe er sich erstmals bewusst neben einem Jungen gelegt, um ihn zu berühren. Der Junge entdeckte am Morgen dann „etwas Flüssiges“, verständigte die anderen Betreuer – und die die Polizei.

Als mögliche Ursache für seine sexuelle Veranlagung benannte der Angeklagte einen intimen sexuellen Kontakt mit seinem gleichaltrigen Cousin, als er acht Jahre alt war. „Es könnte ein Baustein in meinem Kopf sein, der da gelegt wurde und den ich nicht mehr losgeworden bin“, sagte der Angeklagte.

Als das Ereignis der letzten Ferienfreizeit die Runde machte, war das für den Neffen der Impuls, sich seiner Familie zu offenbaren, gemeinsam mit der Ehefrau des Angeklagten zu seinem Onkel zu fahren und ihn aufzufordern, sich selbst anzuzeigen. Der heute 29-Jährige sagte als Zeuge im Verfahren aus, nannte seinen Onkel nur „den Angeklagten“ und führte aus, wie der vorgegangen sei. „Er weiß, wie Kinder und Heranwachsende funktionieren, wie man ein Kind so manipuliert, dass es Vertrauen aufbaut und dass mit sich machen lässt. Er hat eine Welt geschaffen, in der ich mich wohlfühle – und hat mich eiskalt missbraucht.“

Zu den Taten wegen sexuellen Missbrauchs kommt noch der Vorwurf des Besitzes von kinderpornographischem Material. Bei einer Hausdurchsuchung fanden die Ermittler auf einem Laptop, einer Festplatte und USB-Sticks insgesamt 27 Fotos mit kinderpornographischem Inhalt. Vor Gericht bestritt der Angeklagte, das Material selbst hergestellt, heruntergeladen oder verkauft zu haben.

Das Verfahren wird am kommenden Dienstag fortgesetzt – dann aufgrund von Zeugenbefragungen zumindestens in den ersten beiden Stunden unter Ausschluss der Öffentlichkeit.