Eltern an der Overberg-Grundschule unter Entscheidungsdruck

Grenzwertig klein ist das aktuelle zweite Schuljahr an der Kervenheimer Dependance der Overberg-Grundschule: Gerade einmal 15 Schülerinnen und Schüler, der gesetzliche Mindestwert, bilden eine Klasse. Doch jetzt wurden fünf Kinder abgemeldet – fürs nächste Schuljahr, die Klasse 3, bleiben nur zehn Schüler übrig. Zu wenig, sagt das Schulgesetz – oder doch nicht?
Drei mögliche Lösungen hat der Kevelaerer Schuldezernent Marc Buchholz den Eltern gemeinsam mit der kommissarischen Schulleiterin Dagmar Scholz und der Kreis Klever Schulaufsichtsbeamtin Dagmar Wintjens am Mittwochabend, 5. Juli 2017, in der Winnekendonker Begegnungsstätte vorgestellt.
Möglichkeit A sieht vor, die Kervenheimer Klasse aufzulösen und auf die beiden Winnekendonker Klassen zu verteilen. Künftig würde jedoch nur noch eine dieser Klassen in Winnekendonk unterrichtet, die andere in Kervenheim. Die Beförderung der Schüler zum jeweiligen Standpunkt würde durch die Stadt Kevelaer als Schulträger finanziert.
Bei Möglichkeit B würde genauso vorgegangen, jedoch fände der Unterricht für beide Klassen in Winnekendonk statt. Möglichkeit B wäre allerdings den Lehrkräften kaum zuzumuten, die schon heute in vielen Pausen und Freistunden zwischen den beiden Schulstandorten Kervenheim und Winnekendonk hin und her fahren müssen, betont Wintjens. Zudem werde es mit weniger Lehrern am Standort Kervenheim schwerer, die Aufsichtspflicht auch dann zu erfüllen, wenn beispielsweise eine Klasse auf Klassenausflug ist. Aus pädagogischer Sicht ist Variante B damit faktisch vom Tisch, wie Buchholz bestätigte – zumal auch der nachfolgende Jahrgang zu wenig Schüler haben wird, um eine eigenständige Klasse zu bilden. Würden auch hier die Schüler Kervenheim verlassen und in Winnekndonk unterichtet werden, wäre die Kervenheimer Schule nahezu verwaist. Die Ganztagsschule in Winnekendonk hingegen könnte den ganzen Andrang gar nicht mehr bewältigen.
Wunschlösung von Stadt und Schulaufsicht
Die Wunschlösung der Stadt, der Schulleitung und der Schulaufsicht wäre deshalb Variante C: In jeder der beiden Winnekendonker Klassen im jetzigen zweiten Schuljahr finden sich vier Kinder, die freiwillig an den Standort Kervenheim wechseln. Dann würden alle drei Klassen der Jahrgangsstufe im dritten Schuljahr mit je 18 Schülern fortgeführt – pädagogisch Idealbedingungen. Die Kinder kämen mit so einer Veränderung auch gut klar, berichtet Wintjens von Erfahrungen aus ähnlichen Fällen – denn Unterrichtskonzepte blieben unverändert, die Lehrkräfte dieselben, und viele Mitschüler ebenfalls. Nicht die Schule, sondern nur der Standort würde sich ändern.
Schon heute stammen von den zehn Kindern der zweiten Klasse in Kervenheim nur zwei aus der Ortschaft. Vier wohnen in Winnekendonk, vier weitere in Uedem. Variante C wäre zudem, das betont Buchholz ausdrücklich, auch eine Option für Eltern an anderen Grundschulen – beispielsweise in der Innenstadt oder in Nachbarkommungen – zum nächsten Schuljahr ihre Kinder die Schule wechseln zu lassen um die Vorteile der kleinen Klassen zu ergreifen. Soll heißen: Die acht zusätzlichen Kinder, die nach dem Sommer ins dritte Schuljahr in Kervenheim gehen sollen, müssen nicht ausschließlich vom Standort Winnekendonk kommen.
Rein rechnerisch würde es sogar genügen, wenn fünf Schüler nach Kervenheim wechselten. Dann allerdings entstehe das Problem erneut, sobald auch nur ein Schüler wegzöge. Um diese zusätzliche Unruhe zu vermeiden, plant Variante C mit einer vorgesehenen Klassenstärke von 18 Schülern entsprechenden Puffer ein. Variante A und B haben dieses Problem nicht, da es hier zwei stabil große Klassen gäbe.
Der größte Haken für die Eltern ist wohl der Zeitrahmen: Weil die Schule selbst erst seit zwei Wochen um das Problem weiß, konnte erst jetzt nach Lösungen gesucht werden. Und eine Entscheidung muss vor den Sommerferien her. Daher müssen sich wechselwillige Eltern bis Montag, 10. Juli, um 12 Uhr bei der Schulleitung der Overberg-Schule gemeldet haben (overberg-grundschule@schulen-kevelaer.de). Reicht die Zahl aus, soll Variante C zum Tragen kommen. Ansonsten wird es automatisch Variante A. Welche Schüler dann künftig in die Klasse in Kervenheim und welche in die Klasse in Winnekendonk gehen, entscheidet allein die Schulleitung –  auch wenn diese sich bemühen wird, Elternwünsche zu berücksichtigen, die ebenfalls bis Montagmittag abgegeben werden können.
Während sich bei der Elternversammlung die meisten Kervenheimer Eltern augenscheinlich gut mit Variante C anfreunden konnten, gab es aus Winnekendonk einigen Protest – bis hin zum Vorschlag, dann eben den Standort Kervenheim zu schließen. Doch ganz so einfach ist die Situation nicht, denn Winnekendonk profitiert erheblich vom Standort Kervenheim: Den Prognosen zufolge werden ab 2018 regelmäßig mehr Kinder aus Winnekendonk und Kervenheim eingeschult, als in zwei Klassen passen. Eine Dreizügigkeit in Winnekendonk wäre aber – falls baulich überhaupt möglich – nur für viel Geld herzustellen. Würden alle Schüler gleichmäßig auf zwei Klassen in Winnekendonk und eine Klasse in Kervenheim verteilt, wären nachhaltig drei eher kleine, aber eben nicht zu kleine Klassen je Jahrgang möglich. Deshalb werden künftig Anmeldungen auch nur noch am Hauptstandort Winnekendonk angenommen. Welches Kind an welchem Standort beschult wird, entscheidet dann die Schulleitung (die sicherlich auch hier nach Möglichkeit Elternwünsche beachten wird, aber dazu nicht verpflichtet ist).
Neben der Schließung des Standortes Kervenheim brachten die Eltern aber noch weitere Alternativen in die Debatte ein. Da in Kervenheim bereits heute (zukünftig ggf. allerdings nicht mehr) im ersten und zweiten Schuljahr jahrgangsübergreifend unterrichtet wird, könne man doch auch das dritte und vierte Schuljahr zusammenlegen. Schulrechtlich wäre das sogar möglich, erklärte Wintjens am Donnerstag in einer Pressekonferenz. Allerdings müsste die Schule dazu ein ausgereiftes Konzept vorlegen, was in der Kürze der Zeit schlicht nicht zu schaffen sei. Ohne dieses wäre eine Genehmigung jedoch nicht möglich. Davon abgesehen brächte diese Lösung für die Schüler einige Unruhe: Die jetzigen Drittklässler haben sich nach dem gemeinsamen ersten und zweiten Schuljahr gerade erst als Klasse zusammengefunden. Ab September würden sie dann erneut zu einer Doppelklasse. Und je nach Jahrgangsstärke gäbe es mal eine, mal zwei Klassen für das gemeinsame dritte und vierte Schuljahr.
Doch noch andere Optionen?
Die naheliegendste Variante brachte am Donnerstag ein Vater aus Winnekendonk in einer E-Mail an die Stadt Kevelaer und die Schulaufsicht in Kleve ins Spiel, der sich nach dem Elternabend das Schulgesetz einmal vorgenommen hat. Wenn 15 Schüler die Mindestgröße sind, müssten doch auch Ausnahmen von der Regel möglich sein, so seine Überlegung. Tatsächlich findet sich im Schulgesetz in der Verordnung zur Ausführung des Paragrafen 93 Abs. 2 Schulgesetz, wo die Klassenstärken geregelt sind, in Paragraf 6 folgender Satz: „Geringfügige Abweichungen können von der Schulleiterin oder dem Schulleiter in besonderen Ausnahmefällen zugelassen werden.“ Bedingung ist, dass die Schule insgesamt in der Stufe einen regelkonformen Klassendurchschnitt hat – was an der Overberg-Schule so wäre. Ob 10 statt 15 allerdings eine „geringfügige Abweichung“ darstellt, darf bezweifelt werden.
Vielversprechend ist hingegen die Formulierung in Paragraf 6a: „Gebildete Klassen werden grundsätzlich unabhängig von später eintretenden Schülerzahlveränderungen fortgeführt.“ Erstaunlich, dass das weder in Kevelaer noch in Kleve den zuständigen Beamten geläufig gewesen sein soll. Auf Anfrage des Kevelaerer Blattes erklärt Marc Buchholz, dass diese rechtliche Frage mit der Schulaufsicht zu klären sei. Diese verspricht in Form von Dagmar Wintjens, dass sie die Bezirksregierung gebeten habe, kurzfristig die juristische Machbarkeit der Elternvorschläge zu prüfen, darunter auch diese Option. Ob das Gesetz tatsächlich so zu verstehen sei, dass die Kervenheimer Klasse auch mit zehn Kindern fortgeführt werden dürfe, könne sie daher noch nicht sagen. Auch darauf, was geschehe, wenn sich genügend Freiwillige für Variante C fänden und sich dann herausstellte, dass auch die Fortführung mit zehn Schülern rechtlich möglich wäre, wollte sich Wintjens nicht festlegen. Drei Klassen mit je 18 Schülern seien ja für beide Standorte in jedem Fall eine gute Lösung.
Die Entscheidung, wie es nach den Ferien weitergehe, solle aber auf jeden Fall noch vor den Ferien an die Eltern kommuniziert werden. Welche Lösung es für den folgenden Jahrgang – mit identischem Problem – geben kann, soll im September – und damit möglichst frühzeitig – mit der Schulaufsicht und den Eltern geklärt werden. Sicher ist, dass der Rat der Stadt Kevelaer ebenso wie Bürgermeister Dominik Pichler bekräftigen, den Schulstandort Kervenheim erhalten zu wollen.
Trotz der schwierigen Situation lobte Schuldezernent Buchholz die zwar emotionale, aber vernünftige Beteiligung der Eltern an der Debatte am Mittwoch. Er habe die Einwände auch gut nachvollziehen können. Umgekehrt lobten die Elternvertreter in der Pressekonferenz am Donnerstag, dass die Eltern überhaupt einbezogen würden – denn rechtlich notwendig wäre das nicht. Christiane van Elst forderte, dass die Eltern nun von der gegebenen Möglichkeit zur Mitentscheidung Gebrauch machen sollten – und eine „kinderfreundliche, nicht elternfreundliche“ Entscheidung treffen.