Eine ungewisse Zukunft für alle

Hans-Josef Bruns führt in diesen Tage viele Gespräche. Der Wirtschaftsförderer der Stadt hat mit zahlreichen Unternehmern zu tun, die sich mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie an ihn wenden. „Das Thema ist in der Wirtschaft angekommen“, sagt Bruns. „Es haben sich Unternehmen bei mir gemeldet Ende letzter Woche und Montagmorgen intensiver. Das geht über alle Branchen, vom Einzelhandel über den Handel bis zu den produzierenden Unternehmen“, berichtet er. Mit Gastronomen habe er bislang noch nicht gesprochen. „Ich habe mit jemandem aus dem Bäcker-Handwerk mit Café gesprochen. Da kam schon die Aussage, dass sehr wenig zu tun sei. Und am Montag gab es schon deutlich weniger Frequenz in der City“, nahm er bei einem Gang durch die Stadt wahr.

„Es ist natürlich eine schwierige Situation, die die Unternehmer in allen Bereichen extremst fordert. Das hat mit der Tatsache zu tun, dass für die Produktionsprozesse in Teilbereichen grundlegende Dinge fehlen.“ Dazu komme eine „hohe Sensibilität bei den Mitarbeitern“ und als dritter Punkt natürlich die finanzielle Lage. „Ich weiß aus Gesprächen, auch wenn ich es nicht dramatisieren will, mit dem produzierenden Gewerbe und so weiter – Ende letzter Woche und auch Montag – die sich Sorgen machen, dass es zu Engpässen kommen kann.“ Momentan sei „insgesamt noch schwer zu kalkulieren, wo die Reise hingeht. Das wird von Tag zu Tag schlimmer“, weil sich die Restriktionen Tag für Tag verschärften, das öffentliche Leben einschränkten. „Keiner kann belastbar sagen, was morgen oder übermorgen passiert: Natürlich geht die Gesundheit über alles.“

Lücken in der Logistikkette

Problematisch sei die Situation in jedem Fall im Bereich der Zulieferindustrie, die mit chinesischen Unternehmen zusammenarbeiten. „Da sind in der Logistikkette einige Lücken festzustellen.“ Und auch der Bereich Hotellerie mache ihm Sorgen. „Wir konnten ja im Stadtentwicklungsausschuss zuletzt darstellen, dass der Rückgang der Übernachtungen auf -0,5 Prozent abgeschwächt war, und hatten die Hoffnung, dass wir 2020 da in den schwarzen Bereich kommen.“ Das war noch, bevor das Coronavirus kam.

Auf der Hauptstraße sind aktuell nicht viele Menschen anzutreffen. Foto: nick

Jeder habe mit der Situation zu kämpfen, denke daran, „wie geht es weiter, wenn Mitarbeiter ausfallen.“ Da gebe es zum Glück über den Bund mit dem Kurzarbeitergeld „komfortable Regelungen“, wo die Schwelle für das Quorum auf zehn Prozent abgesenkt worden sei. „Außerdem wird es auch für Leiharbeiter ausgezahlt – und über die Bundesanstalt für Arbeit die Sozialversicherungsbeiträge übernommen“, so Bruns. Die Bundesregierung habe auch einen Schutzschirm mit weitem Bogen gespannt. In den meisten Fällen gehe es da um kurzfristige Liquiditäten. „Wie kommen die Unternehmen schnell und unbürokratisch an ihr Geld?“, sei da mit die wichtigste Frage. „Man kann sich da ja teilweise direkt an Bürgschaftsbanken oder die Institute wenden. Da sind die Unternehmen mit ihren Banken sicher im Austausch.“

Im Bedarfsfall helfe die Wirtschaftsförderung da gerne weiter. „Denn die, die darüber entscheiden, wollen einen plausiblen Liquiditätsplan sehen – und dass es einen Kapitalbedarf gibt.“ Man schaffe da gerne eine Verbindung  und wolle Links auf die Internetseite stellen. Es habe schon das eine oder andere Unternehmen gegeben, „die uns baten, Zahlungen zu verschieben.“ Denn wenn Umsätze wegbrechen, dann „muss man gucken, ob man die Vorauszahlungen zum Beispiel bei den Gewerbesteuern anpasst.“ Entscheidend gehe es darum, dass es auch nach einer „positiv bewältigten Corona-Krise keinen Arbeitsplatz kostet. Man muss sehen, dass der Bund alles tut, um auf die Entwicklungen zu reagieren.“

Erste Wallfahrten bereits abgesagt 

Auch die Wallfahrt ist ein Wirtschaftsfaktor. „Die Leute rufen an und fragen nach, sagen ihre Tagungen im Priesterhaus ab und auch schon Wallfahrten. Wir können uns über Arbeit nicht beklagen“, sagt der Generalsekretär der Wallfahrt, Rainer Killich. Der Tagungs- und Seminarbetrieb „geht von 100 auf Null. Es gibt Mails aus verschiedenen Bildungseinrichtungen, die ihr Programm bis zu den Sommerferien storniert haben.“ Und auch große Wallfahrten wie die Malteserwallfahrt aus dem Bistum Köln mit Kranken und Alten am 16. Mai sind jetzt schon storniert. „Für April und Mai haben wir schon mehrere Absagen erhalten mit der Bitte, ob sich das in den September verschieben lässt.“ Natürlich könne er nicht sagen, wie sich das Ganze entwickeln wird. Seine Prognose Stand jetzt lautet aber, „das alles, was im ersten Halbjahr so vorgesehen war, ausfällt oder nach den Sommerferien verlegt wird.“

Öffentliche Gottesdienste werde es in der Karwoche und zu Ostern nicht geben. Alle Kirchengemeinden, die Erstkommunion nach Ostern feiern, werden das auch verschieben, sagt Killich. „Wie das in St. Marien sein wird, wo das am ersten Sonntag im Mai ist, wissen wir noch nicht.“ Den täglichen Video-Gottesdienst um 11.30 Uhr und Samstag um 18.30 Uhr wird es unter Ausschluss der Öffentlichkeit weiter im Fernsehen und im Internet geben.

Killich hofft, dass die Wallfahrtsgruppen „im schlimmsten Fall ein Jahr pausieren“ und dann 2021 wiederkommen. „Die Wallfahrt ist 375 Jahre alt, da gab es sicher schon größere Einschnitte“, sagt Killich, gesteht aber zu, dass es „nicht annähernd so eine Situation gab“, seitdem er im Priesterhaus tätig ist. Das Ganze sei aber auch wirtschaftlich spannend, „wenn Gruppen ins Spiel kommen, die mit der Gastronomie und mit Übernachtungen zusammenhängen.“ Jede Pilgergruppe, die nicht kommt, „ist spirituell traurig und wirtschaftlich für viele in Kevelaer relevant – und in der Summe auch existenziell relevant. Das wird man dann sehen, wie weit das gehen wird.“

Ungewohnt leeres Bild in der Innenstadt

19.23 Uhr – die Mitarbeiter des Eiscafés „Teatro“ stellen bereits die Stühle zusammen, weil nichts los ist. „Wir wissen noch nicht, wie es weitergeht“, sagt ein Mitarbeiter. Der Chef ist nicht da. „Wenn die sagen, es muss zu, dann machen alle zu“, sagt er noch.

Nebenan im Döner-Laden bereitet Cemal Aram noch zwei Döner für ein junges Paar zu, das sich zur aktuellen Situation lieber nicht äußern möchte. Seinem Schwager gehört der Laden. Was passiert, wenn sein Laden zu machen muss? „Da fallen die Einnahmen weg, die Kosten laufen weiter.“ 

Bei CurryQ auf der Hauptstraße steht noch ein Kunde – eine Mitarbeiterin nimmt die Bestellung an. „Corona ist bei den Kunden Thema“, sagt die junge Frau. Die Hauptstraße ist um diese Zeit menschenleer.

Toilettenpapier gestohlen

„Es wurden viele Tische abgesagt. Wir hatten erst drei Tische heute“, erzählt „Cumsalis“-Mitarbeiter Artur Quenanaj. Zwei Paare haben sich nochmal zum gemeinsamen Abendessen getroffen. „Wir haben kein Klopapier gekriegt, da sind wir ins Restaurant“, versucht es Manuel Pauls mit niederrheinischem Humor. Seine Frau Marion und ihre Freundin Ramona arbeiten beide im Wettener Hospiz. „Da haben sie schon auf der Gästetoilette drei Rollen geklaut“, erzählen die Frauen. „Wenn Corona da einschlägt, dann werden wir wohl mit da bleiben müssen.“ Zuletzt sei mal eine Frau reingekommen, die mit dem Privatjet von Ischgl gekommen sei. Sie habe aber versichert, negativ getestet worden zu sein. „Manche machen sich einfach keine Gedanken“, können beide darüber nur den Kopf schütteln.

Vorsichtsmaßnahmen der Apotheke: Kunden sollen nur einzeln eintreten. Foto: nick

Bei der Pizzeria „Elio“ sitzt nur noch ein Paar. „Über 100 Leute in einer Woche“ hätten ihre Tischreservierungen abgesagt, berichtet der Betreiber. „Momentan fehlt das Geld – eine Geldspritze wäre wichtig. Wir sind wie ein Fisch im Sand.“

Auch Kleinstunternehmer wie Christina Schaller trifft die Situation. Die selbstständige Seminarleiterin schickt mittlerweile Videos mit Yoga-Übungsaufgaben an ihre Kunden. Enorm findet sie, dass sie mit dem Gefühl unterwegs war, „alle zur Vernunft zu bringen.“ Denn so, wie sie es wahrgenommen hat, „wären die meisten gekommen. Ich habe ziemlich viele Telefonate mit anderen Praxen, Studiobetreibern, Omas und Opas geführt, die die Dramatik nicht verstanden haben. Die wollten zum Sport kommen nach dem Motto: Ich bin gesund.“ Schaller zeigt sich darüber erstaunt „dass die Menschen das nicht verstehen, obwohl die alle vor dem Fernseher sitzen. Dass die Leute nur auf absolute Verbote und nicht auf Empfehlungen reagieren.“

Ob nach den Osterferien das Gruppenverbot aufgehoben wird, „das muss ich einfach abwarten. Es ist halt eine notwendige Maßnahme. Da ist Geld erstmal zweitrangig.“ Natürlich habe das auch finanzielle Auswirkungen und sei keine angenehme Situation. Ein Gedanke sei aber entscheidend im Moment: „Hier ist jeder für die Welt verantwortlich. “