Eine spannende Spurensuche

Die „wort.werk“-Galerie in der Busmannstraße bezieht ihre Qualität daraus, dass sie auf komprimiertem Raum Kunstwerke interessanter Maler, Bildhauer und anderer Kreativer zeigt und sich in entspannt-kleiner Runde interessanten Literaten und historischen Geschichten zuwendet. An diesem Abend lag der Fokus auf der „literarischen“ Seite, denn Galerie-Inhaberin Eva-Maria Zacharias hatte sich zum wiederholten Mal die Düsseldorfer Schauspielerin, Dramaturgin und Übersetzerin Barbara Engelmann eingeladen, die diesmal die Rolle als Erzählerin vor einem Dutzend interessierter Zuhörer übernahm.
Es gehe an diesem Abend auf eine „besondere Spurensuche“, richtete Zacharias die Aufmerksamkeit auf das Thema des Abends, den Lebensweg des 1571 geborenen italienischen Frühbarock-Malers Michelangelo Merisi, wegen seines Heimatortes kurz „Caravaggio“ genannt.
Caravaggio sei schon zu Lebzeiten ein Mythos gewesen, so Zacharias. „Im Kosmos der Kunst galt er als Revolutionär“ und im Leben als Person, die ständig in Gewalttätigkeiten verwickelt war und sogar mit einem Mord in Verbindung gebracht wurde. In seinem „Ringen um Wahrhaftigkeit“ und den Anspruch nach dem Neuerleben der Kunst habe er „alles gegeben und dazu auch Gesetze übertreten“.
Barbara Engelmann bezeichnete Caravaggio als „genialen Maler und extreme Persönlichkeit“, deren „prägender Aspekt die Beziehung zur Gewalt war.“
Man wisse im Gegensatz zu vielen anderen Künstlern von ihm sehr viel, weil es auch eine Reihe von Prozess- und Gerichtsakten mit detaillierten Protokollen und Aussagen von ihm gebe, denen zufolge er einen „ungestümen Charakter und viel mit der Polizei“ zu tun“ hatte. Allein im Staatsarchiv Rom lägen 70 Aktenbände zu seinen juristischen Angelegenheiten. „Ein Sonderfall.“
Sie lebe das halbe Jahr in Italien, so Engelmann, habe 2010 viele Veranstaltungen zum Caravaggio-Jahr besucht und mit Kollegen sogar ein Theaterstück über ihn geschrieben. Im Folgenden ging sie der Frage nach, welche Rolle die Gewalt in seinem Leben hatte und welchen Ausdruck sie in seiner Kunst fand.
Dazu streifte sie verschiedene Lebensstationen – wie die Ankunft in Rom mit 21 Jahren, die Verbindung zu gönnerhaften Kirchenkreisen, die ihm im Verlauf des Lebens immer wieder aus der Patsche helfen, und Verbindungen zu einer Kunstszene, die „das revolutionäre Element der Macht des Ausdrucks aus dem Alltäglichen“ heraus zunehmend erkennt.
Denn er „malt die Menschen, die ihm in der Stadt und bei seinen nächtlichen Exzessen“ begegnen – so zum Beispiel Prostituierte und Kurtisanen wie Fillide Melandroni, die für die Magdalena in dem Bild „Martha bekehrt Magdalena“, die Heilige Katharina sowie für die Judith in „Judith und Holofernes“ Modell gestanden haben soll.
Sie las dann aus der Ingrid Noll-Erzählung „Das weiße Hemd der Hure“ vor, in dem diese Fillide Meladoni fiktiv von ihrer Arbeit und den Erlebnissen mit Cavaggio berichtet. Dabei streifte sie seinen sexuellen Hang zu „einem bestimmten Knabentyp, etwas dicklich mit was Schläfrigem“, ihre Auswahl als Judith, die Feier eines fertiggestellten Bildes mit einer Orgie und das Halbtotschlagen eines Zechbruders durch Caravaggio. Der Textauszug endet mit der Ermordung ihres Vergewaltigers durch sie selbst, um aus des Malers Sicht authentischer auf dem „Judith und Holofernes“-Bild zu wirken – und dem „wie wahnsinnigen Malen“ des Toten, dem Caravaggio noch die Kehle durchschnitt.
Parallel zu der Erzählung blendete sie auch die beschriebenen Kunstwerke auf einem Laptop ein. „Er hat tatsächlich auch Tote gemalt“ , ordnete Engelmann den fiktiven Aspekt der Geschichte dem zu, was sich über Caravaggio nachweisen lässt.
Die Liebe siegt über alles

In der Pause konnten die Zuhörer den Bildband einer Künstlergruppe, die einige Szenen seines Lebens nachgezeichnet hatte, und einen italienischen Band mit den „alltäglichen Gesichtern“ Caravaggios im heutigen Fotogewand betrachten.
Im zweiten Teil beschrieb Engelmann seine mehrfachen Verhaftungen und seine rhetorische Gewandheit vor Gericht. Und sie las aus der zweiten Erzählung „Die Liebe siegt über alles“ von Gerhard Falkner. Sie stellt ein fiktives Verhör zwischen einem Jesuitenpater und Caravaggio im Anschluss an den Streit nach, bei dem Caravaggio im Jahr 1606 einen Mann getötet haben soll.
In diesem „Verhör“ kamen nochmal viele Aspekte des Werks fiktiv eingeflochten zur Sprache – wie seine kolportierte Homosexualität oder die „Obszönität“, eine tote Prostutierte als Heilige gemalt zu haben. Caravaggios fiktive Antworten darauf beschreiben seine Philosophie: „Eine Kunst, die nicht empfunden wird, wird nicht nachempfunden“ und „Eine Heilige war gerade nicht zur Hand. Um eine Tote so zu malen, wie eine Tote aussieht, habe ich eine Tote gemalt“.
Danach schlug Engelmann wieder die Brücke zur Biographie, berichtete von den vier Jahren Flucht über Neapel, Malta und Sizilien bis zu seinem mysteriösen Tod 1610 in Porto Escole, um den sich diverse Spekulationen – von der Tuberkulosekranheit bis zum Auftragsmord – drehen. „Er beschloss sein Leben auf jeden Fall so dramatisch, wie er gelebt hat“, meinte die Schauspielerin zum Schluss.
Unter den Anwesenden entbrannte anschließend noch eine kurze Debatte darüber, ob man die Person Caravaggio auch moralisch bewerten oder Werk und Person voneinander getrennt betrachten sollte. Wilfried Renard jedenfalls zeigte sich erstaunt, „dass er trotz seiner Gewalttätigkeit künstlerisch so was drauf hatte.“