Eine große Kunst

Man muss Heinz Henschel nicht persönlich gekannt haben, um sich vorzustellen, wie er da am Sonntag saß. Vermutlich an einem einfachen Biertisch, vor sich ein großes Glas Gerstensaft oder einen Pott Kaffee, auf einer wohl kunterbunten Wolke seines eigenen Kosmos‘. Man ahnt ein bescheidenes Lächeln unter dem mächtigen Schnauzbart. Und ganz viele Besucher der Ausstellungseröffnung schauten am Sonntag mal kurz nach oben und winkten ihm zu, diesem Mann, der aus Freundschaft zu Menschen in den Achterhoek kam und der sich mit dem Landstrich und den Menschen hier vor seinem Tod ein wenig anfreundete.
Man wird nicht jeden Tag einen unbekannten Künstler entdecken. Aber dass Heinz Henschel einen Kevelaerer zum „Gralshüter“ seines bis dato weitgehend unentdeckten Nachlasses wählte, ist nicht nur für diesen ein Glücksfall. Das Niederrheinische Museum Kevelaer bekommt mit der Ausstellung „Wanderer zwischen den Welten“ die Chance, sich nicht nur als Hüter verstaubter Exponate zu präsentieren – was durchaus, inklusive der entsprechenden Arbeit des ,Staubwischens‘ eine ehrbare Aufgabe ist – sondern auch als ein Raum für Entdeckungsreisen ins Unbekannte.
Es wird eine Diskussion darum geben, wer Heinz Henschel denn nun ist. Ein Künstler? Ein Handwerker? Ein Kunsthandwerker? Das Kevelaerer Museum wagte den Schritt, diesen Unbekannten mit offenen Armen aufzunehmen. Die Experten standen genauso mit offenem Mund vor den Werken dieses Mannes, wie es heute die Besucher der Ausstellung tun. Ich habe niemanden getroffen, der nicht zumindest verwundert den Kopf schüttelte, als er zum ersten Mal auf ein Werk von Heinz Henschel traf. Und das ist mehr, als mancher Künstler mit seinem Gesamtwerk geschafft hat.
Dass man dies alles in Kevelaer erleben darf, ist natürlich ebenfalls ein Glücksfall. Es zeigt aber auch, was wir hier brauchen: Ideen, Visionen, Fantasie. Und dann die Kraft, das auch zeigen zu wollen. Das kann nicht jeder, schon keiner allein. Deshalb sind solche mutigen Menschen wie die Ausstellungsmacher im Kevelaerer Museum so wichtig. Sie sehen über Tellerränder. Sie zerreden ihre Ideen nicht, sie präsentieren sie. Oft sogar ehrenamtlich. Man sollte ihnen zusehen, man sollte ihnen zuhören, man sollte sie wertschätzen. Man sollte all das „weiter so“ und „haben wir immer schon so gemacht“ über Bord werfen. Das tut sich von allein. Wir müssen wieder offen werden für das, was wir sehen, und wertschätzen, dass wir es sehen können.
Das Kevelaerer Museum zeigt nur einen Teil des Henschelschen Kosmos‘. Aber es hat den Mut, die Museumswelt für einen Mann zu öffnen, der uninterpretiert ist. Der (noch) nicht etabliert ist. Der auf dem „Kunstmarkt“ noch „ohne Wert“ ist. Das macht diese Ausstellung so wertvoll. Sie fordert im übertragenen Sinne Unvoreingenommenheit ein. Denn hier kann sich buchstäblich jeder noch selbst ein Bild machen, ohne sich auf berufene Münder berufen zu können.
Ich kann nur jedem raten, der sich von Fantasie beflügeln lassen kann, sich diese Ausstellung anzusehen. Er wird Heinz Henschel entdecken. Und vielleicht wird er ihm sogar einen kurzen Gruß nach oben auf die bunte Wolke schicken.

Michael Nicolas