Ein Update für Arzt und Patient

Zwei Tische der Deutschen Schmerzliga – Ortsgruppe Kevelaer – und der IGSL empfingen die Besucher des Patientenabends im Bühnenhaus, der dem fünften Schmerz- und Palliativtag vorgeschaltet war. Zahlreiche Interessierte waren gekommen, um aus Betroffenensicht ein Mehr an Information und vielleicht auch den einen oder anderen Hinweis für den Umgang mit ihrem Schmerz zu erhalten. „Alle paar Jahre wollen wir die Kollegen und die Patienten ‚aktualisieren‘, ein Update geben, was da so läuft“, erläuterte der Wettener Schmerzmediziner Dr. Johannes Horlemann, der das regionale DGS-Schmerzzentrum in Kevelaer leitet und als Präsident der „Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin“ den Tag mit gestaltet hatte.

Er erläuterte die Bedeutung des Schmerzes als „Volkskrankheit“. Denn laut einer Erhebung der Bundesregierung gebe es 32 Millionen Menschen mit chronischen Schmerzen, von denen 3,4 Millionen „endgradige oder hochgradige“ Schmerzen erleiden müssen. Allein am Kevelaerer Schmerzzentrum gebe es 460 Patienten, „Tendenz klar steigend und mit steigenden Anmeldungen“, sagte der Fachmann. „Chronischer Schmerz ist der Hauptfaktor der Kosten im Gesundheitswesen – 22 Milliarden Euro alleine für den Rückenschmerz“, gab er an. „Da geht es um Beträge, da kann man Griechenland mehrmals mit retten. Und dafür haben wir bundesweit 1.200 Therapeuten, das ist viel zu wenig.“

Für den Patientenabend hatten sich insgesamt fünf Mediziner zur Verfügung gestellt, die zu den diversen Facetten des Themas „Was bedeuten chronische Schmerzen im Alltag?“ und wie man sie therapieren kann, in geraffter Form Erläuterungen geben konnten. Die Medizinerin Dr. Silvia Maurer, Leiterin  des regionalen Schmerzzentrums Bad Bergzabern, beschrieb, wie die Diagnostik und die verschiedenen Therapiemöglichkeiten vonstatten gehen. Ihr Tipp lautete, als Schmerzpatient durchaus aktiv zu bleiben. „Es heißt ja auch Bewegungsapparat – passiv wird es schwer.“ Sie unterstrich die Bedeutung von alternativen Behandlungsformen wie Akupunktur, Blutegel  oder auch Weihrauch als Entzündungshemmer neben der „klassischen“ Tablettenmedizin. Man könne aber nicht alles miteinander kombinieren.

Mit Geduld und Disziplin zur richtigen Medikation

Der Chefarzt der Schmerzklinik in der Helios-Klinik Witten-Herdecke, Dr. Thomas Cegla, machte deutlich, dass gerade ältere Patienten glaubten, dass man eben im Alter mit Schmerzen leben müsse. Das Tragische daran sei, dass viele nicht darüber reden. „Aber das ist nicht so. Man muss zwar altersbedingt viel einstecken, aber man muss keine Schmerzen erleiden.“ Mit Einschränkungen könne man auch ein Leben mit Dualität führen. „Aber es gibt da keine einfachen Lösungen – die Nebenwirkungen sind da zu beachten.“ Und auch die Kombination der Medikation spiele eine Rolle. Nervenschmerzen seien vielschichtig – ob bei einer Zuckerkrankheit mit Taubheit in den Füßen, bei Gürtelrose oder nach einem Sturztrauma. „So vielschichtig wie die Erkrankungen sind die Behandlungsmöglichkeiten. Hier wirken auch Medikamente, aber man braucht da viel Geduld und Disziplin, weil man für die Medikamente einen gewissen Spiegel oft braucht oder wechseln muss.“ Oft arbeite man auch mit schmerzlindernden Pflastern.

Viele Interessierte und Betroffene verfolgten die Ausführungen der Fachmediziner. Foto: AF

„Wenn man mit allem durch ist, kann man auch Cannabis geben, das in einigen Fällen helfen kann.“ Manchmal helfe auch die Kombination mehrerer Verfahren. „Entspannung und Meditation ist immer gut.“ Teilweise könne man aber Schmerzfreiheit nicht erreichen. „Es gibt Schmerzen, die nicht weggehen. Aber man kann es so drehen, dass sich nicht alles um den Schmerz dreht“ – und so für besseren Schlaf und bessere Beweglichkeit sorgen.

Dr. Astrid Gendolla, Fachärztin für Neurologie und Spezialistin für Migräne, stellte klar: „Wenn Sie Kopfschmerzen haben und Sie den Kopf runterhalten und schütteln und es wird schlimmer, ist es wahrscheinlich Migränekopfschmerz.“ Migräne sei immer chronisch und sie bleibe im Leben immer vorhanden. Es sei eine „teuflische Krankheit“, weil man als einzigen „Beweis“ dafür das Kopfschmerztagebuch und das Gespräch mit dem Arzt habe, es dafür keinen Maßstab wie Laborbefunde oder so etwas gebe. „Zehn Prozent aller Deutschen haben das. Das ist eine Volkskrankheit.“

„Licht aus, Lärm aus, Rückzug“

Im Falle erster Anzeichen wie Heißhunger, Stimmungsschwankungen oder Kopfschmerzen solle man schnell reagieren: „Licht aus, Lärm aus, Rückzug“. Im Beruf benötige man eine ausreichend hohe Schmerzmedikation. „Und man kann ausprobieren, was noch hilft: starker Kaffee mit Zitrone zum Beispiel oder Kälte.“ Vorbeugen könne man mit Sport und Meditation, „was den Schmerz runterreguliert“. Bei chronischen Schmerzen könne man für ein paar Wochen Medikamente nehmen, die auch gegen andere Krankheiten wie Depressionen oder Epilepsie angewandt werden. Und es gebe mittlerweile Stoffe, die sich speziell gegen Schmerz-Botenstoffe richten, die wichtig bei Migräne seien und in speziellen Fällen von den Kassen übernommen werden. „Da ist seit 20 Jahren erstmals Licht am Horizont.“ Wichtig sei es, dass man sich über die Erkrankung klar ist, und das dann mit dem Umfeld zu kommunizieren.

Dr. Norbert Schürmann, Palliativmediziner am St. Josef-Krankenhaus Moers, betonte beim Thema Tumorschmerz und Palliativmedizin vor allen den primären Ansatz, medikamentös die Schmerzen zu lindern: Palliativmedizin sei der Versuch, den Patienten ganzheitlich zu behandeln, den psychologischen Aspekt mit einzubinden – und auch die Betreuung der Angehörigen zum Beispiel durch Begleiter. „Zentraler Punkt ist da der Hausarzt“, so Schürmann. Oft mache der Schritt ins Hospiz zur Entlastung der Angehörigen einen Sinn, aber auch zu Hause könne man mit der Familie den Patienten versorgen. Und die Begleitung der Angehörigen durch Palliativhelfer sei „eine ganz wichtige Säule“ der Palliativmedizin. „Als meine Mutter mit 92 starb, war ich auch nur Sohn. Es war ein schwerer Gang. Ich war froh, dass jemand da war, der auch mich behandelte.“

Schürmann machte auch klar, dass Cannabis eine Behandlungsmöglichkeit sein könne, wenn alles andere nicht funktioniert. „Ich setze es seit 20 Jahren ein“, sagte er, machte aber auch klar, dass es „kein Allheilmittel“ sei oder Opiate ersetzen könne, sondern als ergänzende „Add-on“-Therapie „zu weniger Schmerzen, Übelkeit und besserem Appetit“ beitragen könne. Die Krankenkassen würden die Übernahme nur in „Ausnahmefällen“ ablehnen. Bei Palliativ-Patienten werde es zu 30 bis 35 Prozent abgelehnt. Das sei aber von Region zu Region unterschiedlich.

Vorsicht bei Opioiden

Dr. Johannes Horlemamn nahm dann abschließend zur Frage der Opioide – Substanzen mit morphinähnlicher Wirkung – Stellung. Bei chronischem Schmerz könne eine Therapie mit Opioiden Sinn machen. „Eine solche Therapie muss aber einen Dosis-Wirkungs-Bezug haben. Das ist bei vielen Patienten nicht der Fall. Ich muss also sehr genau überlegen, was ich damit erreiche“, sagte Horlemann. Und natürlich mache sie wenig Sinn bei Personen, die eine Vorgeschichte mit Opiaten haben. In den USA zum Beispiel werde mit Opioiden undifferenzierter umgegangen. Der Fehlgebrauch liege dort 20-mal höher, weil man dort vermittele, dass ein Medikament schnell alle Schmerzen beseitigen kann. „Die Hoffnung wird dann enttäuscht.“

Man erreiche mit einer hohen Dosis Opioiden dann oft eher das Zentrum der „Belohnung“ als eine Wirkung gegen den Schmerz selbst. Acht Prozent der 18-Jährigen hätten in den USA eine Suchtabhängigkeit davon angegeben. In Deutschland gebe es eine solche Gefahr nicht, da dort eine klare Kontrolle stattfinde. Notwendig sei eine gute Ausbildung und eine umfassende Information der Patienten.