Ein unerträglicher Zustand
Der Familiennachzug beim Flüchtlingen läuft nicht und ist willkürlich, kritisiert de Caritas Kevelaer/Gelder. Zwei Männer, die sie betreut, haben ihre Frauen und Kinder seit fünf Jahren nicht mehr gesehen.
Seit 2015 lebt der Syrer Maeof in Kevelaer. Mittlerweile arbeitet der der aus Al-Rakka stammende Mann für zunächst ein Jahr als Koch im Restaurant „Zum Einhorn“.
Der 46-Jährige hat Sprachkurse belegt, engagiert sich sozial und fährt jeden Samstag und Montag eine 97-jährige Frau aus einem Altenheim mit ihrem Rollstuhl spazieren. Er tut alles, um sich langfristig vernünftig zu integrieren. Aber er versteht nicht, warum es so lange braucht, bis seine Familie nachkommen kann: „Ich habe sie seit fünf Jahren nicht mehr gesehen“, sagt der Flüchtling und zeigt die Bilder seines 13 Jahre alten Sohnes und seiner sieben Jahre alten Tochter.
Maeof holt sein Handy hervor, zeigt Bilder seines „Hauses“. Was man sieht, ist nur noch ein Trümmerhaufen. „Meine Familie lebte dort auf offenem Gelände“ – ohne Spielraum, in einer IS-Hochburg. „Sie mussten sich oft verstecken“, so Maeof.
Die Famiie lebt in Zelten oder gehe in eine andere Stadt. Zeitweise hielten sie sich sogar in der Wüste auf, wie man auf verschwommene Handybildern erkennt. Sie wandern von Ortschaft zu Ortschaft. „Und die Kinder gehen nicht in die Schule.“ Das Wasser, das sie zu trinken bekommen, verursacht ihnen immer wieder Bauchschmerzen.
„Ich schicke ihnen Geld, soweit das geht”, sagt Maeof. Aber viel sei es nicht, da er seine Wohnung davon bezahlen müsse. Vor zwei Jahren habe er mit den Ausländerbehörden das Gespräch geführt. Seitdem habe sich in Sachen “Familie” aber nichts getan.
Angst um das Leben der Familie
Somit lebt Maeof in ständiger Angst, dass seinen Lieben etwas passieren könne. Es gibt Perioden, da „habe ich sechs Monate nichts von ihnen gehört“, erzählt Maeof. „Vielleicht sind die Kinder morgen schon tot“, macht sich diese seelische Pelastung auch gesundheitlich bemerkbar. Er war zwei Monate krankgeschrieben. Die Ärzte fanden keine Hinweise auf eine körperliche Krankheit.
Mittlerweile kann er wieder arbeiten, tut es gern und will das auch. “Das ist besser als zu Hause zu sitzen und nachzudenken.“ Die Gedanken kehren trotzdem immer wieder zurück. „Bis wann kann man das aushalten?“, bricht es aus ihm heraus. „Ich habe doch hier alles richtig gemacht.“
Das Schicksal mit ihm teilt der sechs Jahre jüngere Mohamed. Er stammt aus Damaskus, flüchtete mit seiner Mutter 2015 aus der damals heftig umkämpften Hauptstadt. Nach einer mehrwöchigen Odyssee mit langen Fußmärschen kam Mohamed schließlich nach Kevelaer, musste aber seine Frau und seine drei Kinder zurücklassen.
Die Entscheidung damals sei furchtbar gewesen. Aber „es war das Geld“, das für die Flucht aller fehlte. Und sich mit einer Familie (die jüngste Tochter war erst acht Monate alt) wochenlang auf den Weg machen, ging nicht mal eben so.
Die kleine Tochter erkennt ihn nicht
Der Sohn ist heute elf Jahre, eine Tochter neun und die andere fünf Jahre alt. „Die Jüngste hat mich noch nie richtig gesehen“, sagt der 40-Jährige. „Man hat ihr mal ein Foto von meinem Bruder und mir, ihrem Baba (Vater) gezeigt. Und sie fragte: Wer ist Baba?“
Auch Mohamed ist wie Maeof als Flüchtling für ein Jahr anerkannt und genießt „subsidiären Schutz“ – mit der Option auf Verlängerung und der Chance auf Niederlassungserlaubnis nach fünf Jahren, wenn er einen festen Job hat und mit der Sprache klarkommt.
Mohamed hat die diversen B1- und B2-Sprachkurse absolviert, vor kurzem einen Vertrag als Schweißer in Wachtendonk unterschrieben. Und er war die Person, die in dem „Grubi“-Maskottchen-Kostum steckte: „Da musste ich oft mit Kindern auf das Foto, da bricht mir das Herz dabei.“
Ihm seit wichtig, zu betonen, „wie dankbar wir dafür sind, was Menschen für uns hier machen. Wir vergessen nicht, was Deutschland für uns tut.“ Allein die Tatsache, seine Familie all die Jahre nicht gesehen zu haben „das reicht als Beschreibung“ für das, was er empfindet, aus, sagt er.
Dazu kommt das selbe Gefühl wie bei Maeof die tägliche Angst um das Leben der Familie. „Sie sind bei einem Bruder, nicht zentral in Damaskus. Aber auch Israel wirft Bomben. Drei Tage lang gab es kein Wasser.“ Und seineFrau sei krank.
Ausweglose Lage
Dazu käme die ausweglose Lage für die Zivilisten, die gar nichts mit diesem Krieg zu tun hätten:. „Alle diese Leute, von Assad und vom IS, denken, wir sind gegen sie.“ Dabei wolle man nur in Frieden leben.
Selbst in Deutschland müsse man aufpassen, weil es hier Menschen gebe, „die Informationen nach Syrien schicken.“ Und die syrische Polizei habe seine Frau zweimal gefragt, „wo ich bin.“
Für Mohamed ist es schwer, zu verstehen, dass er seine Liebsten nicht in den Arm nehmen kann: “Mein Bruder wohnt im Saarland und konnte seine Familie schon nachholen.“ Seine Kinder verstünden nicht, warum dessen Familie „Glück“ hatte und sie nicht.
Aber dass „immer und immer wieder Gesetze geändert“ würden, was eine Zusammenführung erschwert, sei für ihn „eine negative Überraschung.“ Was er damit meint, sind die Beschränkungen des Familiennachzuges auf monatlich 1.000 Personen bundesweit für Menschen mit „subsidiären Schutz“, Das hatte es noch nicht gegeben, als er den Antrag erstmals stellte.
Permanenter e-mail-Verkehr
Die Anträge lägen vor. Man schreibe permanent e-mails an die deutsche Botschaft nach Beirut und nach Syrien, unterstrich Gudrun Blumenkemper, die die beiden seitens der Caritas Geldern/Kevelaer berät und unterstützt. „Aber die gehen wohl nach Referenznummern“, meinte die engagierte Frau.
Natürlich kenne man nicht die Umstände, unter denen vor Ort so eine Botschaft agieren muss. Trotzdem koche auch bei ihr angesichts der Verzweiflung der beiden Männer oftmals die Wut hoch: „Das auszuhalten ist auch für mich in der Beratung schwer.“ Diese heftigen Emotionen müsse sie da schon von sich wegschieben: „Sonst könnte ich hier nicht sitzen.“
Dass man aus dem „kleinen“ Kevelaer nicht die Welt verändern kann, sei ihr klar. Die Möglichkeiten, was zu tun, seien in ihrer Position begrenzt: „Wir werden politisch nichts rütteln können. Man kann nur Verständnis für die Menschen erreichen und die 25. Mail zur Botschaft schicken.“ Wann das aber zu etwas führen wird, sei ungewiss.